I.

»Mein bester Wunsch ist immer gewesen, mit den Guten meines Zeitalters verbunden zu seyn,«Footnote 1 bekennt ein noch kaum bekannter Dichter am 16. Oktober 1773, nicht völlig frei von taktischem Kalkül,Footnote 2 in einem Brief an den damals als ›avancierter‹ Autor bereits bestens positionierten Heinrich Wilhelm Gerstenberg. Es war kein anderer als der junge Goethe, der eben erfolgreich seinen Götz von Berlichingen veröffentlicht hatte und nun versuchte, von Frankfurt aus weitläufigere Verbindungen zu ›den Guten‹ seiner Zeit zu schlagen – nicht zuletzt, um seine Startposition im bereits als ökonomisch und symbolisch doppelt codierten kulturellen Feld seiner Zeit zu verbessern.Footnote 3 Direkte persönliche Kontakte zu Schriftstellerkollegen wurden durch die reklamierte Freisetzung der Dichtung aus sozialen ZwängenFootnote 4 keineswegs überholt, sondern gewannen größte Relevanz gerade mit dem damit einhergehenden »Auftreten eines autonomen künstlerischen Produktionsfeldes«Footnote 5, das die Behauptung von Selbstbezüglichkeit und (ökonomischer) Interesselosigkeit zur Voraussetzung eines neuen, von anderen Gesellschaftsbereichen distinguierten Umgangs unter Gleichen machte.Footnote 6 Dass gerade in diesem auf der Lossagung von ökonomischen Interessen basierenden UmfeldFootnote 7 Versorgungsposten lukriert, verteilt und gehandelt wurden, ist Teil der Logik jener Kapitalverschiebungen, die die symbolischen Güter dichterischen Prestiges in finanzielle zu übersetzen imstande ist. Gerade jungen Autoren, die im pluralisierten und damit zugleich anonymisierten Literaturmarkt einer zunehmenden Vereinzelung ausgesetzt waren, verschafften die (oftmals nur brieflich unterhaltenen) Kontakte gleichermaßen die Vorstellung einer Gemeinschaft der »Edlen«Footnote 8, ein erstes, kritisches Lesepublikum und den vielfach entscheidenden Kontakt zu Förderern und Mäzenen.Footnote 9 Diese ersten Leser sind zugleich Kollegen und Konkurrenten;Footnote 10 und sie sind als Autor-LeserFootnote 11 auch jene nicht nur sprechenden, sondern auch schreibenden Kritiker, die Autor-Werke als kulturökonomische Einsätze in der literarischen Wirklichkeit sanktionieren,Footnote 12 und so nicht nur Anteil an den Verhandlungen darüber haben, ob ein Text erfolgreich sein wird, sondern auch darüber, in welchem Teilbereich des Feldes, bei welchem Teil des Publikums er reüssieren kann.Footnote 13 Diese geänderte Situation ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mag mit dafür verantwortlich gewesen sein, dass sich Goethe schon vor seinem Schreiben an Gerstenberg ausgiebig darüber beklagte, dass er »ausser aller Connexion, mit allen schönen Geistern« sei.Footnote 14 Noch konnte er die Einsamkeit nicht emphatisch als Quelle dichterischer Produktivität feiern,Footnote 15 sie erschien ihm vielmehr als zu überwindendes Hindernis. Daher bemerkte er gegenüber Gerstenberg in bereits vergemeinschaftender Übertragung seiner eigenen Wünsche auf den Briefpartner: »Wie Noth mir an meinem Ende der Welt offt eine Erscheinung thut, werden Sie auch an dem Ihrigen fühlen.«Footnote 16 Diese Stilisierung einer beinahe ubiquitär auftretenden Problemlage macht eines besonders deutlich: Es ist die relative Vereinzelung der Autoren zur Mitte des 18. Jahrhunderts, die sie Handschriften in Zirkulation setzen,Footnote 17 Briefe schreibenFootnote 18 und so virtuelle Gemeinschaften herstellen lässt.Footnote 19

Zwar muss er einräumen, es werde einem der Wunsch nach einem ›Bund der Guten‹ meist »so sehr vergällt, daß man schnell in sich wieder zurück kriecht«,Footnote 20 doch schwebt Goethe offenbar bereits genau ein solches geselliges Netzwerk aus Briefpartnern vor,Footnote 21 als er sich an den renommierten Kollegen wendet. Es sollte damit weit mehr als nur ein Kontakt hergestellt werden. Das geht nicht zuletzt aus jenem Schreiben Gottlob Friedrich Ernst SchönbornsFootnote 22 an Gerstenberg hervor, in das Goethes Brief materiell eingelegt war. »Ich sagte ihm [Goethe, D.E.]«, heißt es da, »daß ich wünschte zwey solche Männer wie Er u Sie möchten sich schriftlich unterreden: Er wünsche es auch u da er erfuhr daß ich von hier [Frankfurt a. M., D.E.] aus an Sie schrieb sagte er mir er wolle ein paar Zeilen mit beylegen u da sind sie.«Footnote 23 Es geht dabei nicht einfach um die Zugehörigkeit zu einem Netzwerk, das offensichtliche funktionale Schwerpunkte besitzt, sondern auch um Verdichtung und Überbrückung, um Bündnisschluss mit jenen Akteuren, die solche Zentralstellen besetzt halten. Daher soll es nicht bei dem, durch Heinrich Christian Boie und Schönborn hergestellten, mittelbaren Kontakt bleiben; Goethe möchte unbedingt einen direkten »Briefwechsel stifften«Footnote 24 und so einen fortgesetzten Gedankenaustausch anstoßen, um nicht zu sagen: ein Bündnis eingehen.Footnote 25 Der junge Autor, der ›noch keine Rolle spielt‹, erhofft sich davon einen entscheidenden Vorteil, nämlich Förderung durch die Einbindung in das bereits bestehende Netzwerk des arrivierten Kollegen,Footnote 26 dem als Gegenleistung zunächst nur die ›Versüßung einiger Stunden‹ in Aussicht gestellt werden kann. Eine wohl nicht ganz ausbalancierte Offerte also.

Die von Goethe hier angestrebte Verbindung im Briefwechsel ist freilich nie wirklich zustande gekommen. Erst spät, im Januar 1774 antwortet Gerstenberg auf den Brief des nun nicht mehr bedeutungslosen, sondern bereits zum »deutschen Shakepear«Footnote 27 erhobenen Autors mit einem Schreiben, das die zeitgenössische Bedeutung der epistolaren Materialität und der Semiotik der Autografie unterstreicht: Er habe Goethes »Geist nicht nur von Angesicht zu Angesicht darinn gesehen, sondern den warmen Händedruck dieses edlen Geistes gar sehr gefühlt«.Footnote 28 Die fehlende körperliche Anwesenheit wird durch deren »imaginäre Präsenz«Footnote 29 in der (Hand‑)Schrift kompensiert. Gerstenberg erscheinen die Schriftzüge als Gesichtszüge, er fühlt die Spur, die die Hand bereits nur mittelbar als Abdruck der Feder auf dem Papier hinterlassen hat, gleichsam als einen Händedruck, der ihm den Beginn einer Freundschaft mit jenem »Original Deutsche[n]« verspricht, der »in Deutschland ein Publikum von Deutschen werben wird.«Footnote 30 Bei diesen überaus freundlichen, beinahe anbiedernden Zeilen nimmt es zunächst wunder, dass damit ein Briefwechsel gerade nicht gestiftet, sondern beendet wurde.Footnote 31 Deutlich wird aber bereits dem oberflächlichen Blick auf die folgenden Jahre, dass Goethes dichterische KarriereFootnote 32 rasch an Fahrt aufnimmt, während Gerstenberg schon bald zum alten Eisen einer von der gesteigerten dichterischen Emphase der folgenden überholten Generation gehört. Er wird zwar noch vielfach gelesen und sogar verehrt,Footnote 33 doch kann er keinen Platz mehr unter den innovativen bzw. avancierten Autoren seiner Zeit behaupten. Aufgrund seiner relativen Bekanntheit und vormaligen Fortschrittlichkeit erscheint er späterhin geradezu als Modellfall des Zurückgebliebenen. Daher hängt Friedrich Schiller noch 1796 seine Kritik an Johann Gottfried Herder unter anderem an dessen »Verehrung gegen Kleist Gerstenberg und Geßner – und überhaupt gegen alles verstorbene und vermoderte«Footnote 34 auf. Bezeichnenderweise sind von Goethe keine weiteren Briefe mehr an Gerstenberg überliefert. Der Annäherungsversuch schlug fehl, der Bund konnte nicht gestiftet werden – und dennoch oder vielleicht gerade deshalb war Goethes Schaden nicht groß.

II.

Bereits diese vielleicht etwas forsche und unsensible Annäherung an die Frage nach der Funktion von ›Autorenbündnissen‹ im Literatursystem besonders des 18. Jahrhunderts zeigt, wie eigensinnig die Annäherung, Ablehnung und Verbindung von Autoren untereinander sein kann. Selbst und womöglich gerade ausgebliebene oder gescheiterte Bündnisse können so das Interesse nicht nur von Biografen, sondern auch von einer sozial- und medienhistorisch ausgerichteten Literaturwissenschaft erwecken. Denn sie sind, wenn sie auch keine gemeinschaftlichen Werke hervorgebracht haben, keineswegs folgenlos; sie öffnen vielmehr den Blick auf die relationale Genese des Autors, und damit auf jene Zentralkategorie des überraschend wenig wandlungsfreudigen Literatursystems seit dem 18. Jahrhundert, die stets nur im Verhältnis zu Werken und anderen Autoren sowie vielfältigen weiteren Akteuren überhaupt erscheinen kann. Dadurch wird kenntlich, was die unterschiedlichen Versuche, die Medialität von Autorschaft etwa durch eifernde Präsenzrhetorik zu hintergehen, mit wechselndem Erfolg verdeckten:Footnote 35 Die notorisch abwesende und bis tief ins 20. Jahrhundert hinein nur in der papierenen Vermittlung des Textes sichtbar zu machende Figur des Autors ist keiner anderen Ordnung unterworfen als den Texten, die sie selbst signifizierend verortet.Footnote 36 Die erfolgreichen, aber insbesondere auch die gescheiterten Bündnisse im Bereich der Literatur lassen zumindest im Ansatz erkennen, dass die Kategorie der Autorschaft, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts ihre Funktion auf so bedeutsame Weise verändert hat, sich nicht ausschließlich mit Blick auf einzelne Akteure erforschen lässt. Denn Autoren haben eine unabweisliche Doppelgestalt,Footnote 37 sie sind ebenso sehr Urheber wie innerdiskursive FunktionFootnote 38 und als solche Effekt vielfältiger Verbindungen und Allianzen: unter anderem mit Personen, Institutionen, Medientechniken und nicht zuletzt Texten.Footnote 39 Spätestens aber seit der emphatischen Zuschreibung einer dem Rauschen abgewonnenen Information »an die Adresse eines poetischen Subjekts namens Autor«Footnote 40, wie sie die hermeneutische Interpretation seit dem 18. Jahrhundert praktiziert;Footnote 41 seit dieser dezidierten Verknüpfung von Texten und Individuen wird verdeckt,Footnote 42 dass Autoren und ihre Werke das Ergebnis von Konglomeration und Aggregation sind. Seither ist die mangelnde Fähigkeit, aus den heterogenen Teilen die »Einheit einer Person«Footnote 43 herzustellen, klinisches Symptom des ›Blödsinnigen‹, der »ein wildes Geräusch [hört], aber überall keinen verständlichen Ton, weil er nicht im Stande ist, einen aus der Menge auszuheben, ihn nicht auf seine Ursache zurückzuführen, und dadurch seine Bedeutung einzusehn.«Footnote 44 Während die Wahrnehmung der Vielheit pathologisch wird, ist es die diskursive Dominanz der subjektiven Einheit,Footnote 45 die es der ordnenden Funktion des Autors ermöglicht,Footnote 46 ihre vermeintliche Primordialität zu behaupten. Dabei scheint bereits die schiere Möglichkeit der Entstehung von Texten und die Verschiebung ihres Charakters hin zu Werken, wie sie durch die Publikation passiert – ihre ›Verwerklichung‹ mithinFootnote 47 –, in enger Beziehung zu vielfachen, netzförmig organisierten Bündnissen der jeweiligen Autoren zu stehen. Versucht man, in diskursökonomischer Perspektive sichtbar zu machen,Footnote 48 wie Texte und die durch Signatur mit ihnen verbundenen Autoren in Zirkulation gesetzt werden, treten unterschiedlichste Allianzen in Erscheinung, die das zyklische Verhältnis von Medienpraktiken und Mediensystem erst begründen.Footnote 49 Fraglich ist, wie solche akteur-medialen Bündnisnetze Footnote 50 zu beschreiben und wie sie von den – aus dieser Blickrichtung defizitären – Bündnissen zwischen zwei schreibenden Individuen abzugrenzen sind.

Das einleitende Beispiel sollte einer Annäherung an diese Fragen und einer ersten Veranschaulichung des praktischen Überschießens von Autorenbündnissen dienen; es sollte zudem zwei ebenso zentrale wie gemeinhin unterschätzte Aspekte einer noch ungeschriebenen Theorie literarischer Bündnisse vor Augen führen: funktionale Unterdeterminiertheit und Zukunftsoffenheit. Beide Aspekte erscheinen als neue Herausforderungen, als zu bearbeitende Hindernisse, die sich aus der Verschiebung des vorgegebenen Lebenswegs hin zu einem offenen Prozess ergeben. Eine nicht mehr auf der starren Sozialordnung der ›Wesenskette‹, sondern auf zu ergreifenden Gelegenheiten beruhende Karriere gibt der Möglichkeit des Scheiterns neues Gewicht und erzeugt eine »individuelle Unsicherheit bezogen auf Zeit, auf Zukunft.«Footnote 51

Wenn dies verallgemeinerbar ist, dann erscheint der Bund als Versuch, dieser bedrängenden Offenheit stabilisierend zu begegnen, der indes selbst von einer nicht auszumerzenden Unsicherheit in der inhaltlichen und zeitlichen Erstreckung geprägt ist. Besonders im Vergleich mit geläufigen Funktionsbestimmungen politischer Bündnisse tritt deutlich hervor, wie prekär diese als ordnungsstiftend und regulierend konzeptualisierte Sozialform im Bereich der Literatur bleiben muss. Die Geschichtswissenschaft, die sich vorzugsweise den Details politischer Allianzen widmet, »d. h. den jeweils spezifischen Zielen, Zwecken und Hintergründen von einzelnen Bündnissen oder der Bündnispolitik einzelner Akteure« nachgeht,Footnote 52 musste sich immer wieder auch mit der allgemeineren Frage nach Form und Funktion von Bündnissen auseinandersetzen, zumal die überlieferten Abkommen und Verträge bisweilen ganz unterschiedliche Bündnisvorstellungen der beteiligten Akteure dokumentieren. Die jüngere historische Forschung bestätigt die längst gebräuchliche Minimalannahme, der zufolge ein Bündnis als »vertraglich fixierter, politischer Zusammenschluss zwischen zwei oder mehreren souveränen Staaten zu einem bestimmten Zweck« anzusehen ist.Footnote 53 Der hier betonte, sonst vielfach implizierte Normalfall des Bündnisschlusses zwischen zwei (souveränen) Akteuren,Footnote 54 dominiert auch den literaturwissenschaftlichen Zugriff auf schriftstellerische Allianzen: Ein Autorenbündnis erscheint vornehmlich als zielgerichtete Vereinigung eines Autorpaares, von denen jeder über einen selbstbeherrschten Handlungsspielraum verfügt. Sie schließen sich, der überwiegend auf individuelle oder geteilte Absichten und Ziele ausgerichteten Logik der bisherigen Forschung gemäß, zusammen, um ästhetische Positionen durchzusetzen, ökonomische Gewinne zu erzielen oder bedrohlichen Konkurrenzverhältnissen zu begegnen. Das kann in aller Öffentlichkeit oder im Geheimen geschehen, und die Bündnispartner können wie Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger auf Titelblättern als Koautoren auftreten oder sich auf epitextuelle Schützenhilfe in Rezensionen und Folgepublikationen, in Briefen und Reklame verlegen. Gerade solche – vielfach nicht von den Autoren selbst verantwortete – EpitexteFootnote 55 spielen eine seit dem 18. Jahrhundert steigende Rolle für die Positionierung von Autoren und Texten. Sie dynamisieren die scheinbar stabilen Allianzsysteme und bringen bisweilen auch jene Partner ins Spiel, die sonst weniger sichtbar und mit nur auf starke Autorenbünde eingeschränktem Blick nicht zu erfassen wären. So treten etwa in Verlagsankündigungen die Verleger selbst als Autoren auf, um epitextuell die Aufnahme der Dichter und ihrer Werke beim Publikum zu steuern. Nicht zu unterschätzen sind dabei insbesondere die vielfältigen Formen der Reklame, also alle Medienpraktiken, durch die »gezielt und intentional Aufmerksamkeit auf bestimmte Produkte, Personen oder Dienstleistungen« (nicht zuletzt also auch auf Texte) gelenkt werden soll, »um so ökonomisches oder symbolisches Kapital« – oder beides zugleich – anzuhäufen.Footnote 56

Wenn den so konzipierten Bündnissen auch im Bereich der Literatur ein strenger Pragmatismus eingeschrieben ist, dann muss die unauflösliche Nähe dieser auf ihren kulturökonomischen Mehrwert berechneten Sozialform zu der bereits im 18. Jahrhundert kultivierten und beinahe ubiquitären Freundschaftssemantik problematisch werden,Footnote 57 die ein Nutznießen zwar nicht ausschließt, aber doch in den Bereich des Unwillkürlichen eskamotiert. Erst aus dem Rückblick weist August Wilhelm Schlegel in seinen Vorlesungen Ueber Litteratur, Kunst und Geist des Zeitalters als eine der »hervorstehendsten Eigenheiten des Zeitalters« aus, dass man über die »irdische Wohlfahrt« das »höhere[ ] geistige[ ] Daseyn« ganz vergessen habe. Dadurch dominiere letztlich »die bezielte Zurückführung von allen möglichen auf das sogenannte Nützliche […], der ökonomische Geist mit Einem Worte«.Footnote 58 Bereits im Bewusstsein dieser Bedrängnis nahm Friedrich Gottlieb Klopstock dieselbe entschiedene Hierarchisierung vor und erhob Freundschaft zu einer »Glückseligkeit«, die auf größter Vertrautheit und Vertraulichkeit beruht.Footnote 59 »Freundschaft und Liebe sind Steigerungsformen der freien Geselligkeit«,Footnote 60 und es sind diese hohen emotionalen Anforderungen, durch die sie im 18. Jahrhundert zusehends »in Opposition zu anderen Gesellschaftsbeziehungen« gerietenFootnote 61 – darunter nicht zuletzt das Bündnis. Trotz dieser diskursiven Reinigungsarbeit an der Freundschaft scheint sie immer wieder parallellaufende oder gar interferierende Bündnisse geduldet, ja hervorgebracht zu haben.Footnote 62 So inszenieren jedenfalls Christoph Martin Wieland und der Verleger seiner großen Werkausgabe letzter Hand, Georg Joachim Göschen, die Geschäftsverbindung als Ergebnis ihrer einträchtigen Beziehung,Footnote 63 nehmen diesen »Accord« aber zugleich durchaus als Gefährdung ihrer Freundschaft wahr.Footnote 64 Es stellen sich also erhebliche Überlagerungseffekte zwischen beiden Bereichen ein.Footnote 65 Das wohl berühmteste dieser ambigen ›freundschaftlichen Bündnisse‹ in der deutschen Literaturgeschichte, das Goethe mit Friedrich Schiller eingegangen sein soll,Footnote 66 wird denn auch ebenso gerne als »Arbeitsbündnis«Footnote 67, »Interessengemeinschaft«Footnote 68, »taktisches Bündnis«Footnote 69 oder gar »Zweckallianz«Footnote 70 bezeichnet wie als ›Freundschaftsbund‹Footnote 71. Die Vielfalt der Bezeichnungen und insbesondere der Umstand, dass mit gleichem Recht und ähnlicher Häufigkeit von Dichterfreundschaft wie von Dichterbund die Rede ist, zeigt, wie unsicher die Bestimmung eines solchen literarischen Verhältnisses bleiben muss. Ästhetische Gemeinschaften dokumentieren sich im Unterschied zu politischen üblicherweise nicht in Verträgen, und sie verbalisieren ihre Voraussetzungen, Konditionen und Endpunkte auch kaum; sie scheinen vielmehr von großer Wandelbarkeit geprägt zu sein und ihre Bedingungen und Ziele regelmäßig anzupassen oder gar neu auszuhandeln. Dokumente dieser Aushandlungen, dieser ›negotiations‹Footnote 72 sind nicht nur kommentierende Briefe, sondern auch die Texte als (mediale) Handlungen selbst.

Es zeigt sich also zunächst, dass man sich mit der Rede von Bündnissen im Bereich der Literatur auf terminologisch unsicheres Terrain begibt. Keineswegs klar ist nämlich bereits, was ein solches Bündnis überhaupt ausmacht und wann es wie zustande kommt. Im Unterschied dazu wird das politische Bündnis, häufig in der analogen französischen Bezeichnung ›Alliance‹, bereits im 18. Jahrhundert relativ klar definiert. Im großen Zedler’schen Lexikon etwa erscheint es als ein »Vergleich, welchen zwey, oder mehr Puissanzen unter einander schliessen«,Footnote 73 als Vertrag also zwischen mindestens zwei souveränen Staatsvertretern, die um die »Reguln und Cautelen, die bey Schliessung der Alliancen in Obacht zu nehmen,« wissen.Footnote 74 »Bündniße müssen gewisse Eigenschafften haben«, so spricht es Johann Georg Walch in seinem Philosophischen Lexicon noch deutlicher aus. Ein Abkommen müsse »zwischen zwey Potentaten im Nahmen und zum Nutzen der Republic gemacht werden«, da es ansonsten »eigentlich kein Bündniß zu nennen« ist.Footnote 75 Im Lichte dieser Begriffsbestimmungen kann die Rede von Bündnissen im Bereich der Literatur nicht anders als metaphorisch erfolgen,Footnote 76 denn literarische Allianzen ähneln den politischen zwar durchaus darin, dass auch sie sich häufig – sowohl defensiv als auch offensiv – zur Wahrung bzw. Durchsetzung der eigenen Interessen gegen eine oppositionelle Kraft richten; doch sind die dafür zu erbringenden Leistungen üblicherweise nicht genau geregelt und auch die Zusammensetzung der Bündnispartner toleriert wesentlich größere Heterogenität. Die pragmatische Reichweite eines Bündnisses ist daher im Bereich der Literatur abhängig nicht nur von der ohnehin schwer einzuschätzenden Potenz des Bündnispartners, sondern auch von seiner jeweiligen Funktion innerhalb einzelner oder mehrerer gesellschaftlicher Bereiche. Daraus ergibt sich, dass Bündnisse im Bereich der Literatur wesentlich vielfältiger zu denken sind. Sie lassen sich häufig nicht auf die zweckgerichtete Allianz zweier Dichter beschränken, sondern werden in dem Maße komplexer, in dem Autorschaft als Diskursfunktion in ökonomischen und symbolischen Zusammenhängen an Bedeutung gewinnt.

Da die Möglichkeit zur Durchsetzung eigener Interessen im Bereich der Literatur zunehmend an die mediale Positionierung von Autoren durch Texte gebunden war, konnten und mussten ganz unterschiedliche gesellschaftliche Funktionsträger zu Bündnispartnern werden. War die Bestimmung literarischer Bündnisse im herkömmlichen Sinn schon unsicher, so verändert die Heterogenität der Partner auch die Struktur und gefährdet die Balance der jeweiligen Allianzen. Es kann daher kein klares Formalkriterium eingesetzt werden, über das ein Bündnis positiv zu bestimmen wäre, sondern es lassen sich – wie bei den meisten Sozialbeziehungen – nur Tendenzen und Intensitäten beschreiben. Wann ein Kontakt eine Bekanntschaft, wann eine Freundschaft, wann ein zweckgerichtetes Bündnis ist, das ist oft nur mit großer Mühe und eigentlich nie mit hinreichender Präzision zu ermessen. Die Unsicherheiten der Beschreibung sollen indes nicht zu dem Schluss verleiten, dass diese Allianzen unwillkürlich oder absichtslos eingegangen wurden. Die Beteiligten verfolgten auch im Bereich der Literatur – im Offenen oder Geheimen – ihre eigenen Ziele, weshalb die Verbindung aus Akteursperspektive durchaus von Pragmatik bestimmt ist. Damit richten sich diese Allianzen auf die Zukunft aus, aber sie kalkulieren dabei mit imaginären Werten.Footnote 77 Vehikel der Absicherung und Ordnung werden literarische Bündnisse stets nur als Zumutung sein, während sie tatsächlich einen Punkt bezeichnen, an dem das Inkalkulable als eminent unsicherer Bereich, als noch unspezifisches NichtwissenFootnote 78 einbricht. Sie erweisen sich als hochgradig fragil, und ihre Dynamik bedingt, dass die Allianzen ständig bestätigt und adaptiert werden müssen. Zwar können sie über viele Jahre hin bestehen bleiben, genauso gut aber nach kürzester Zeit schon – von beiden Seiten her – aufgebrochen werden. Es scheint sich so keine feste Erstreckungsdauer und auch keine bestimmte Erfüllensbedingung ausmachen zu lassen, die Verbindungen unterliegen damit einer Logik der Praxis,Footnote 79 erweisen sich darin als eminent zukunftsoffen und bedürfen der ständigen Überprüfung und Absicherung, um nicht zu einem gefährlichen Unsicherheitsfaktor zu werden.Footnote 80

Autorenverbindungen – zumal im ausgehenden 18. Jahrhundert – scheinen daher besonderen Bedingungen zu unterliegen. Sie sind meist asymmetrisch, dabei aber flexibel und keineswegs auf wenige starke Bünde beschränkt. Im Gegenteil sind es häufig ganze Netze von Akteuren und Verbindungen, die Dichter ausmachen;Footnote 81 es sind die personellen, publizistischen und medialen Allianzen, die sie allererst entstehen lassen. Daher sind sie auch nur mit Blick auf dieses wandelbare Netz, in dem sich nicht nur schreibende Kollegen, sondern auch Funktionäre anderer Gesellschaftsbereiche und inferiore Partner finden, in ihrer Autorschaft zu verstehen. Wenn eine der zentralen Annahmen der relationalen Soziologie zutrifft, nach der Identitäten ihre Positionen nur durch die (narrativ mit Bedeutung zu versehenen) Verhältnisse zu anderen Identitäten gewinnen,Footnote 82 dann wird klar, warum der Großteil der vielfältigen Interaktionen und Verbindungen unsichtbar bleibt, während einzelne Bündnisse in hellstem Licht erscheinen: Wenn die Beziehungen, die man mit anderen unterhält, den Ort bestimmen, an dem man sich selbst innerhalb eines bestimmten sozialen Raums wiederfindet, ist die Etablierung einer Schauseite der autorschaftlichen Existenz wenig überraschend – zumal im Kontext jener symbolischen Trennung von Schriftsteller und Dichter, die der emphatischen Sonderstellung von Literatur als Kunst folgt. Der dichte Bund erscheint so als kulturell ausagierte Handlung,Footnote 83 er ist das als beherrschbar inszenierte Äußere eines subkutanen Netzes,Footnote 84 das in stetiger, indes nur rückblickend als Veränderung wahrnehmbarer, dabei aus unterschiedlichen Richtungen zugleich veranlasster Bewegung ist und damit gänzlich anderen Regeln folgt als die lineare Allianz-Logik des Vertrags.Footnote 85 Gerade die inszenierte Stärke eines Autorenbündnisses sollte daher Anlass geben, es nicht isoliert, sondern nur im Kontext weiterer, interferierender wie auch ausbleibender Verbindungen, vor dem Hintergrund leicht zu übersehender oder gar unsichtbar gemachter Kooperationen – als topologisch beschreibbares Gefüge mithin – zu betrachten.

III.

Schon durch die bis zur imaginativen Verwandtschaft (Dioskuren) gesteigerte Stärke des Bundes mit Schiller, der bereits früh nicht nur aus den unterschiedlichen schriftstellerischen Sozialpraktiken herausgehoben, sondern regelrecht von allen übrigen Verhältnissen isoliert wurde, erscheint Goethe als besonders geeignetes Beispiel für die bisher nur holzschnittartig umrissene netzförmige Verschränkung von Bündnispolitik und Autorschaft im 18. Jahrhundert. Der inszenatorische Anteil, der Symbolwert bestimmter Bündnisse zeigt sich bereits an Goethes frühen Bemühungen, Verbindungen zu anderen Autoren herzustellen, bevor er noch selbst als Dichter erfolgreich war. Erhoffen konnte er sich davon, neben Förderung und Empfehlungen, vor allem Zugewinne auf symbolischer Ebene, die sich aus dem Umgang mit gut positionierten Autoren ergeben, während er selbst noch nichts weiter anzubieten hatte, als ein Versprechen an die Zukunft. Indem er seine Autorschaft noch nicht öffentlich durch Signieren eines publizierten Textes ausagiert hat, konnte er auch noch nicht mit derselben Souveränität auftreten wie seine späteren Kollegen. ›Abgeschnitten‹ ist er zu Beginn seiner dichterischen Karriere vor allem von jenen bekannten Autoren, denen er nur als Bewunderer, aber noch nicht als Kollege begegnen konnte. Seit der spezifischen Neuordnung der »Praxis des Redens und Schreibens«Footnote 86 im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts traten Autoren und Leser in ein neues Verhältnis zueinander, das sie zwei unterscheidbaren Diskursbereichen zuordnete, deren Grenze das publizierte Buch markiert. Der dadurch prekär gewordene Status des nichtöffentlich schreibenden Lesers prägt auch die Umstände, unter denen Goethe seine ersten Arbeiten publiziert hat. Für den symbolischen Gewinn, der mit der Anerkennung als Original-Autor einhergeht, verzichtete er auf jeden ökonomischen. Seine beiden frühen Erfolgstexte Götz von Berlichingen (1773) und Die Leiden des jungen Werthers (1774) brachten ihm nicht nur keinen finanziellen Gewinn, der im Selbstverlag mit höchst insuffizienten Distributionsnetzen erschienene Götz bescherte ihm sogar beträchtliche Verluste.Footnote 87 Für seine bürgerliche Existenz war dies insofern wenig problematisch, als Goethe keineswegs auf die Einkünfte aus seiner schriftstellerischen Arbeit angewiesen war. Da ihm sein Familienvermögen »relative Selbständigkeit in finanzieller Hinsicht« beschert hat,Footnote 88 konnte er für den Götz auf den schwer berechenbaren Kanal des Selbstverlags setzen, der ihm indes den – entgegen allen Lamentierens – kaum zu überschätzenden Vorteil brachte, dass er auch die Distribution selbst erledigen musste. Denn dadurch konnte er wichtige Kontakte wie den zu Heinrich Christian Boie herstellen und festigen, auf diesem Weg aber zugleich auch seinen Namen auf der Ebene nicht des Lesens, sondern des Verteilungsnetzes mit dem anonymen Text verknüpfen und so die Anerkennung seiner Autorschaft durch Kollegen und Konkurrenten in Gang setzen. Zum Autor wurde er damit auf viel zuverlässigerem Weg als durch die Nennung auf dem Titelblatt, durch das die Nur-Leser ihre Informationen erhielten. Zum Autor wurde er durch das Raunen seines Namens im Netzwerk der Autoren.

Es ist wohl zu kurz gegriffen, wenn man die frühen Verbindungen zu Verlegern wie Weygand, die ihn anfänglich in gewohnter Weise übervorteilt haben, darauf zurückführt, dass er vom Selbstverlag genug hatte.Footnote 89 Vieles spricht dafür, dass er diese Verbindungen schon zu Beginn nicht einfach aus merkantiler Berechnung eingegangen ist,Footnote 90 sondern bereits mit der wirtschaftlichen und kulturellen »Doppelcodierung« des BuchesFootnote 91 kalkuliert hat, durch die es mehr wird als eine Ware. Goethe erkennt das gedruckte Buch bereits als komplexen, zusammengesetzten Akteur an, der durch seinen symbolischen Einsatz die eigene Positionierung mitbestimmt. Noch am Ende des schriftstellerisch äußerst erfolgreichen Werther-Jahrs 1774 berichtet er an Sophie von La Roche von der finanziellen Misere seiner ersten Werke und setzt dabei beide Ökonomien klar zueinander ins Verhältnis: »Zu einer Zeit da sich so ein groses Publikum mit Berlichingen beschäfftigte, und ich soviel Lob und Zufriedenheit von allen Enden einnahm, sah ich mich genötigt Geld zu borgen, um das Papier zu bezahlen, worauf ich ihn hatte drucken lassen.«Footnote 92 Den finanziellen Ausgaben steht auf der Einnahmenseite Lob und Anerkennung gegenüber. Dass diese Rechnung dennoch aufgeht und am Ende einen erheblichen – symbolischen – Gewinn ergibt, ist einem Kalkül geschuldet, das Goethe in demselben Brief offenbart: Es habe ihm nämlich seine »Autorschafft die Suppen noch nicht fett gemacht, und wirds und solls auch nicht thun.«Footnote 93 Dass ihm sein Schreiben selbst nach dem immensen Erfolg des Werther keinen finanziellen Gewinn bescherte,Footnote 94 war nicht Misswirtschaft geschuldet, sondern eine Notwendigkeit zur Herstellung jener dichterischen Reputation, die sich später umso gewinnbringender wieder einsetzen und sogar mit barer Münze abtauschen ließ. Es ist deutliches Zeichen eines neuen »dichterischen Selbst- und Marktbewusstseins«,Footnote 95 dass Goethe schon wenig später die Tauschlogik umkehrt und seinen dichterischen Wert durch die Honorarzahlungen wetteifernder Verleger taxieren lässt. August Mylius, dem Goethe durch Johann Heinrich Merck das Manuskript zu Stella ungesehen zum Kauf anbieten ließ, trifft in seinem Beschwerdebrief vom 24. Oktober 1775 ungewollt den Kern der Sache: »Mich wundert übrigens daß der Herr D. Göthe die Buchhändler so quälen will da er wie ich immer gehört habe, solches aus öconomischen Gründen nicht nöthig hat. Soll es also vielleicht Ruhm seyn daß ihm seine Mste [i. e. Manuskripte, D.E.] so theuer sind bezahlt worden?«Footnote 96 Nichts anderes.

An diesen Friktionen lässt sich ablesen, dass die Verbindung zu Verlegern die Fortsetzung des intrikaten Verhältnisses darstellt, das schon die dichterische Praxis bestimmt. Es muss, der Feldlogik des 18. Jahrhunderts gemäß, zunächst »der ökonomische Geist«Footnote 97 aus dem Produktionsprozess ausgeschlossen werden, um überhaupt ein gutes Kunstwerk schaffen zu können. Erst dieses begründet ein dichterisches Prestige, das sich dann – verlegerisch – auch in Geld übersetzen lässt. Karl Philipp Moritz hat die Notwendigkeit einer Indifferenz gegenüber einem möglichen künftigen Erfolg bei der Schreibarbeit in seinem Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten (1785) wahrscheinlich am deutlichsten formuliert. Man müsse während der Arbeit an einem Kunstwerk noch »den süßesten Gedanken des Ruhms« hintanstellen,Footnote 98 ansonsten strebe man »nach einer eigennützigen Richtung: der Brennpunkt des Werks wird außer dem Werke fallen« und so kein »Ganzes, in sich Vollendetes« ergeben.Footnote 99 Den Schaden aber trägt – und damit überschreitet Moritz den engen Kreis autonomietheoretischer Argumentation – nicht alleine das Kunstwerk in seinem defizienten Zustand, sondern auch der Künstler, der mit diesem Werk immerhin rasche Aufmerksamkeit und Anerkennung im bereits marktförmigen Literatursystem finden kann.Footnote 100 Durch die übermäßige Zustimmung des ›Pöbels‹ wird das Werk schnell unter den Verdacht der Trivialität geraten und seine Positionierung im Bereich der ›hohen Kunst‹ erschwert.Footnote 101 Er warnt daher den Künstler vor einer solchen, letztlich kurzsichtigen Orientierung am schnellen Erfolg: »Ist aber die Vorstellung des Beifalls dein Hauptgedanke, und ist dir dein Werk nur in so fern werth, als es dir Ruhm verschafft; so thu Verzicht auf den Beifall der Edlen.«Footnote 102 Die Akklamation eines ›unvollendeten‹ Werks verweigert damit ausgerechnet jene ›Gemeinschaft der Edlen‹Footnote 103, die durch ihr überwiegend von impliziten Regeln geleitetes Urteil, durch eine in kollektiver Wiederholung gefestigte Praxis, Autor und Werk zugleich verortet und damit die in der Folge zur Verfügung stehenden Möglichkeitsräume absteckt.

In einer Situation, in der sich die neue Literatur als Kunst sowohl von einem gelehrten Akademismus als auch von einer belletristischen Trivialliteratur abgrenzen musste, gewinnen alle öffentlich ausagierten Beziehungen an symbolischer Bedeutung. Nicht nur inszenierte Schreibverbände, auch anhaltende oder zu großen Unternehmungen eingegangene Verlagsverbindungen treten nun in die Reihe solcher Bündnisse, die soziale Positionen bekräftigen oder verändern können. Besonders aufschlussreich erscheint hierfür die nicht besonders glücklich verlaufene Verbindung mit Georg Joachim Göschen, die zu Goethes erster autorisierter Werkausgabe geführt hat. Der Sachverhalt ist insbesondere durch die buchwissenschaftliche Forschung bereits bekannt, er soll aber im gegenwärtigen Kontext neu beleuchtet werden, da er unkompliziert nur dann ist, wenn er zur linearen Geschichte eines Werks (œuvre) bzw. von Werken simplifiziert wird.Footnote 104 Im Folgenden soll daher die Dynamik einer Entwicklung ernst genommen werden, die nicht das Ergebnis eines Plans, sondern von kontingenten Interferenzen unterschiedlicher Pläne ist, die in ihrem Aufeinandertreffen ihre jeweiligen Programme modifizieren. Die Trajektorie auch dieser exemplarischen Werkgeschichte ist keine Gerade, sondern weist Unregelmäßigkeiten auf, die Zeichen jener Adaptierungsbewegungen sind, mit denen die beteiligten Akteure in der Praxis auf den Druck des »Gegebenen«Footnote 105 reagieren.

Interessant ist in dieser Hinsicht bereits die Anbahnung des Geschäfts, da diese in gewisser Weise schon netzwerkartig organisiert ist. Was man darüber wissen kann, stammt vor allem aus der Feder Friedrich Justin Bertuchs, dem ebenso berüchtigten wie geschäftstüchtigen Weimarer Legationsrat.Footnote 106 So berichtet er Göschen am 5. Juni 1786, freilich nicht frei von Hintergedanken, von einer Auseinandersetzung mit dem Berliner Verleger Christian Friedrich Himburg, der als einer der ›besten‹ unter Goethes Nachdruckern eine unautorisierte Werkausgabe herausgegeben hat:Footnote 107 »Ich erfuhr von Himburg in der Meße, daß er eine neue Auflage von Göthens Schriften vorhabe […]. Ich kam zurück, erzählte dieß Göthe […]; und er ärgerte sich so darüber, daß er schwur, Himburg solle sie nicht haben, und er wolle seine [eigene] Ausgabe jetzt ohne Zeitverlust veranstalten.«Footnote 108 Goethe fürchtete dabei weniger den finanziellen Schaden eines weiteren Raubdrucks, als vielmehr dessen Konkurrenz auf dem Buchmarkt. Denn auch eine autorisierte Ausgabe muss zunächst gekauft, um gelesen zu werden – und sie will dann als autorisierte Ausgabe gelesen sein. Die Behauptung der Authentizität eines vom Autor veröffentlichten Textes hat dabei wesentlichen Anteil an der Formulierung einer Theorie künstlerischer Autonomie, wie sie Goethe bereits verstärkt verfolgte. Doch musste die Wahrnehmung dieser Authentizität allererst als Lesemodus etabliert werden. Denn die Möglichkeit der Authentizitätsbehauptung ist geknüpft an die Möglichkeit der medialen, nicht nur der materiellen Existenz eines solchen Werks.

Bertuch indes, der in Weimar bereits für seine Geschäftstüchtigkeit bekannt war, hatte durchaus andere Interessen, wie aus der Fortsetzung des eben zitierten Briefs hervorgeht:

Kurz das Resultat unseres Gesprächs war, daß er mir die Herausgabe seiner Wercke, und die ganze Besorgung des Verlags davon übertrug. Also, mein Freund, habe ich jetzt ein wichtiges Kleinod für einen Buchhändler in den Händen. Daß ich es keinem andern vor der Hand als I h n e n zugedacht habe, können Sie von meiner Freundschaft erwarten. Footnote 109

Bertuch, der hier zwar sinngemäß und grundsätzlich in Goethes Auftrag handelt, aber relativ freie Hand bei der Wahl des Verlagspartners zu haben scheint, erweist sich als umsichtiger Mittelsmann, ja Doppelmakler, und hält daher seinen ›Freund‹ Göschen zu großer Eile an:

Den 23n geht Göthe ins Carlsbad, und dann kämen Sie zu spät. Er ist ein eigensinniger Sterblicher, den man bey der guten Laune faßen muß, wenn er sie hat. […] Die nöthigen Vorbereitungen dazu sind schon getroffen, und ich habe [...] theils auch mit Göthes Willen in der A[llgemeinen] L[itteratur] Zeitung angezeigt, daß er an der ersten Herausgabe seiner Wercke arbeite, und diese bald zu hoffen sey. Kurz kommen Sie ja so schnell Sie können, um das Eisen zu schmieden so lang es warm ist.Footnote 110

Das ›Eisen‹ ließ sich gerne schmieden. Nicht nur werden hier alle Vorkehrungen getroffen, um den Verhandlungen zwischen Verleger und Autor zu einem möglichst schnellen und positiven Ende zu verhelfen, sondern Bertuch erwies sich für Goethe gleich in doppelter Hinsicht als willkommener Bündnispartner. Denn tatsächlich war bereits knapp eine Woche vor diesem Brief an Göschen unter der Rubrik »Kurze Nachrichten« eine ebenso titel- wie autorlose Ankündigung der Werkausgabe in der von Bertuch mitgegründeten Allgemeinen Literatur-Zeitung erschienen, die zu den auflagenstärksten und einflussreichsten Rezensionsorganen im deutschsprachigen Raum zählte. Diese Nachricht an das Publikum stellte nicht alleine eine wirksame Werbemaßnahme für das noch keineswegs konkret geplante Projekt dar,Footnote 111 und sie leistete nicht nur weiteren Nachdrucken Vorschub, sondern sie bedeutete auch einen nachdrücklichen Hinweis auf die herausragende Position des Autors im zeitgenössischen literarischen Feld – wenngleich sich diese Position nur bedingt auch auf die Verkaufszahlen auswirkte, wie Göschen wenige Jahre später schmerzlich feststellen musste, als er seine in zwei Ausstattungsvarianten publizierte Werkausgabe nur mit mäßigem Erfolg absetzen konnte.Footnote 112 Was diese Nachricht auch leistet, ist ein Beitrag zur Durchsetzung der Hegemoniebehauptung des autorisierten Werks – wenn dies auch nicht Bertuchs erste Absicht gewesen sein dürfte. Die Ankündigung betont nämlich, dass gegenwärtig auf dem Markt nur »ohne s e i n [Goethes, D.E.]  W i s s e n u n d s e i n e n W i l l e n gesammlete[ ] und zusammengedruckte[ ] Arbeiten« als Werkausgaben verfügbar seien.Footnote 113 Wissen und Willen, das Bewusstsein des bereits zum Genie erklärten Autors werden hier ins Feld geführt, um die autorisierte Ausgabe von den potenziell kontaminierten Raubdrucken zu unterscheiden. Ohne das Bündnis mit Bertuch, der offenbar die Formulierung der Anzeige übernommen hat, wäre diese sich unwillkürlich als taugliche Strategie erweisende Argumentation undenkbar gewesen. Der Urheber erscheint hier also nur vermittelst medialer Allianzen, durch die Verbindung mehrerer, funktional unterschiedener Akteure als ›Autor‹ im starken Sinn.

Obwohl kein persönliches Treffen zwischen Goethe und Göschen stattfand, ist es Bertuch am Ende gelungen, die Verbindung zwischen beiden zu stiften.Footnote 114 Besonders interessant ist dabei eine Abmachung, die mit dem Verlagsvertrag zwischen Goethe und Göschen in engster Verbindung steht. Bertuch und Göschen nämlich verbinden sich ohne Einbindung des Autors »auf Treue und Glauben zur gemeinschaftlichen Entreprise und Verlag der Götheischen Wercke auf gleiche Kosten, Gewinn und Verlust«.Footnote 115 Bertuchs Engagement für die Verlagsanbahnung war damit von Beginn an begleitet von eigenen, finanziellen Interessen; er erscheint – in der Konzeptualisierung der informationstheoretisch orientierten soziologischen Netzwerktheorie – als ›broker‹ des sozialen Geflechts, der Verbindungen zwischen ansonsten unverbundenen Teilgruppen herstellt und unterhält.Footnote 116 Er verkörpert damit genau jene schwachen Verbindungen, jene ›weak ties‹ nach Granovetter,Footnote 117 über die häufig gerade die neuen, manchmal gar überraschenden Informationen und Funktionen in ein ansonsten hochgradig redundantes Sozialsystem eingeschleust werden.Footnote 118 So profitiert Goethe von seiner relativ ›schwachen Verbindung‹ zu Bertuch, und zugleich nutzt dieser seine Funktion als Knotenpunkt gleich mehrerer ›weak ties‹ weidlich aus, indem er nicht nur sein soziales, sondern auch sein Finanzkapital vermehrt. Doch auch Göschen, der Goethes Werke nur zu einem so hohen Preis erjagen konnte, dass mit einem wirklichen Gewinn kaum zu rechnen war,Footnote 119 darf nicht als der übervorteilte Dritte angesehen werden. Vielmehr hat er wohl von Anfang an damit kalkuliert, dass durch den Verlag von Goethes Werken vor allem »das Ansehen meiner Handlung sehr gewonnen hat.«Footnote 120 Weniger der rein finanzielle Gewinn, viel eher ein Übertrag von Goethes symbolischem Kapital stand Göschen vor Augen, als er sich um den Verlag der Werkausgabe bemühte.Footnote 121 Daher versucht er Goethe in einiger Verzweiflung selbst dann noch an sich zu binden, als das Verhältnis bereits stark dadurch belastet war, dass er das Manuskript zu Die Metamorphose der Pflanzen abgelehnt hatte.Footnote 122 Es könne

in der Zukunft […] vieleicht bey zunehmenden merkantilischen Kräften mehr geleistet werden als der Anfänger leisten konnte. Durch Mittelspersohnen entstehen so oft Misverständniße. Darf ich mir alsdann Dero Befehl unmittelbar erbitten. Es entstehen durch Mittelpersohnen so leicht Mißverständniße! wie der Fall bey der Methamorphos[e] der Pflanzen gewesen ist.Footnote 123

Ob es tatsächlich ein durch Bertuch verursachtes Kommunikationsproblem gegeben oder ob Göschen mit der doppelten Betonung des Missverständnisses lediglich versucht hat, den durch eigenes Verschulden brüskierten Autor wieder für sich zu gewinnen, sei dahingestellt. Ebenso auffällig wie aufschlussreich ist aber, dass der Verleger versucht, jene einflussreiche ›broker‹-Position einzusparen, die innerhalb des Netzwerks bislang Bertuch besetzt hielt; diese Funktion soll gestrichen werden, um Goethe auf einen direkten Kontakt zu verpflichten und damit die Chancen auf die Durchsetzung der eigenen Interessen noch zu erhöhen. Goethe lässt sich darauf freilich nicht ein, sondern reagiert mit einer provokanten Aufzählung jener Werke, um die sich Göschen durch seine Ablehnung der Metamorphose gebracht hat.Footnote 124 Neben naturwissenschaftlichen Arbeiten habe er auch »einen größern Roman in der Arbeit und werde mehr Veranlassung finden für das Theater zu arbeiten als bisher.«Footnote 125 Beinahe süffisant weist Goethe auch noch auf die Diskrepanz zwischen ökonomischen und symbolischen Wert seiner Werke hin: »Da, wie Sie selbst sagen, meine Sachen nicht so current sind als andere an denen ein größer Publikum Geschmack findet, so muß ich denn freylich nach den Umständen zu Werke gehen und sehe leider voraus daß sich der Verlag meiner künftigen Schriften gänzlich zerstreuen wird.«Footnote 126 Ganz offenkundig war also das Bündnis zwischen Goethe und Göschen bereits im Frühsommer 1790 brüchig geworden; die Interessen haben sich verschoben und die Ansprüche hätten neu verhandelt werden müssen, um die Allianz wieder zu stabilisieren. Dies ist aber – nicht zuletzt durch das Auftreten neuer Akteure – nicht gelungen.Footnote 127

Dass die spätere Verbindung mit dem damals aufstrebenden jungen Verleger Johann Friedrich Cotta umso dauerhafter und für alle Beteiligten gewinnbringender verlief, liegt nicht zuletzt auch an den veränderten Eingangsvoraussetzungen. So wusste Cotta schon durch den nachdrücklichen Hinweis Schillers, der den ersten Kontakt zu Goethe hergestellt hatte,Footnote 128 »von den Vorteilen […], wozu dises nähere Verhältniß mit Göthe mich führen könte«. Zudem näherte er sich aus einer Position der verlegerischen Devotion, die dem neuen Status der Autoren um 1800 entsprach. So sei er »zu schüchtern« gewesen, »in diser Hinsicht etwas zu erwähnen, weil ich für Alles in der Welt nicht wolte, daß mein Benemen gegen Göthe dadurch den Schein von Eigennuz bekäme, da mich diser nie leitete sondern ich den Mann, den ich hochachtete und verehrte, ehren wolte.«Footnote 129 Diese neue diskursive Situation bedingt eine völlig andere Logik des Netzwerks, als die von Bertuch und Göschen angewandte. Cotta weiß bereits um die Vorzüge der ›weak ties‹ und versucht daher nicht, Goethe direkt für seinen Verlag zu gewinnen, sondern setzt auf eine soziale Übersetzungsleistung, die er sich von Schiller zu erhalten erhofft: »Wenn Sie […] den Mittelsmann hiebei machen würden, so würden Sie mich sehr verbinden.«Footnote 130 Schiller soll hier nicht nur als Mittelsmann eingesetzt, sondern darüber hinaus als Konspirant auch selbst enger an Cotta gebunden werden. Was er in der Folge über die verlegerische Allianz mit Goethe sagt, soll Schiller auch auf sich beziehen können: »Ich hege freilich immer den stolzen Wunsch, daß ein angefangenes Verhältniß der Art nie getrennt werden möchte, und ich werde daher auch immerhin das Möglichste thun, es zu erhalten und diejenigen, die sich mit mir in solche Verbindung einlassen, es nie bereuen zu machen.«Footnote 131 Die Unbestimmtheit der konkreten Mittel lässt hier den Kern des Antrags deutlich zutage treten: Cotta ist, im Unterschied zu Göschen, der die Verlustrechnung mit der Metamorphose der Pflanzen nicht machen wollte, bereit, in die Verbindung finanziell zu investieren, um symbolisch zu profitieren.Footnote 132 Dieses Kreditversprechen steigert er bis zu jenem Punkt, an dem er »gerne jede Bedingung ein[zu]gehen«Footnote 133 anbietet. Der Verleger eröffnet Goethe so den nötigen Freiraum, seine Autorschaft um nichtkommerzielle Projekte zu erweitern, und schafft sich damit selbst die Möglichkeit – in einem Übertrag der auf einer Poetologie der Interesselosigkeit beruhenden Reputation seines Autors –, als Literaturverlag in Erscheinung zu treten.Footnote 134 Während das öffentliche Verlagsbündnis mit Göschen permanent durch die subkutanen Interferenzen der Netzwerkverbindungen zumindest zwischen Göschen und Bertuch verunsichert wurde und letztlich zerbrach, konnte im Falle Cottas das Bündnis, das nie anders als ein Dreiecksverhältnis mit Schiller zu haben war, weitgehend mit dem darunterliegenden aktorialen Netz der schriftstellerischen Praxisformen in Kongruenz gebracht werden. Dies sind die Voraussetzungen für die künftigen Erfolge und die anhaltende Stabilität des Verlagsbündnisses zwischen Goethe und Cotta. Ihre ungewöhnliche Ausdauer auch über Schillers Lebenszeit hinaus zieht diese Verbindung sicherlich aus der großen symbolischen Stärke, die nur in dieser spezifischen medienhistorischen Verbindung, dieser Aggregation überhaupt möglich war und sich einer ähnlichen Auffassung aller beteiligten Akteure von den Anforderungen der geänderten literarischen Verhältnisse verdankte. Die Beziehung funktionierte als wechselseitiges Kreditverhältnis mit unterschiedlichen Einsätzen: Cotta streckte Geld vor, um Prestige zu erwerben – Goethe setzte seine Position ein, um sie sich finanziell abgelten zu lassen. So senkte Goethes Widerstand gegen die Wünsche des Publikums seit den 1780er Jahren zwar zunächst seine Verkaufszahlen, trug aber auf lange Sicht zur Steigerung seiner Reputation bei – und damit eben auch zu der seines Verlegers.Footnote 135 Das ist ein Wert, um den alle Beteiligten sehr wohl wussten.

IV.

Es zeigt sich, dass diese netzartig verzweigten Bündnisse, die zu einer Stärkung und Veränderung von Goethes Autorschaft beigetragen haben, keineswegs einsträngig organisiert waren. Jeder der Bündnispartner zur Herausgabe von Goethes Werken bei Göschen verfolgte offene oder geheime Interessen, wodurch der Erfolg des Bündnisses kaum prospektiv bestimmbar gewesen sein konnte. Diese Spannung scheint indes ein allgemeines Merkmal von Bündnissen im Bereich der Literatur zu sein, woraus sich ihre ganz eigene Dynamik ableitet. Für Goethe hatte das Bündnis mit Göschen/Bertuch neben der erfolgreichen Autonomiebehauptung des eigenen Werks den zuvor noch nicht kalkulierbaren Mehrwert, dass er dadurch genötigt war, wichtige Werke wie Iphigenie oder Torquato Tasso fertig zu stellen oder, wie Die Leiden des jungen Werthers, im Lichte neugewonnener ästhetischer Überzeugungen zu überarbeiten. Der Profit aus der gescheiterten Verbindung ist damit kein unmittelbarer und auch keiner, der zuvor absehbar war; er ergibt sich vielmehr aus den Anforderungen durch die Interaktion und die praktischen Reaktionen darauf. Wie die ohnehin volatilen aktorialen Netze geteilter Praxis tragen somit auch erfolgreiche wie gescheiterte Bündnisse zur literarischen Innovation unter den Bedingungen des zeitgenössischen Feldes bei.

Bemerkenswert ist dabei, dass auch die im Umfeld der Göschen-Ausgabe zu verortenden Anstrengungen, die den ›Autor‹ Goethe in der Öffentlichkeit weiter konturiert und sein symbolisches Kapital in beachtenswertem Ausmaß vermehrt haben, weder dem Urheber noch der Marke Goethe allein zuzurechnen sind. So waren etwa Johann Gottfried und Karoline Herder,Footnote 136 insbesondere auch Christoph Martin Wieland an der Revision der Arbeiten beteiligt, und viele inhaltliche wie formale Entscheidungen gehen auf ihre Anregungen oder ihren direkten Eingriff zurück. Davon ausgehend lässt sich eine weitere Präzisierung der kulturökonomischen Unterscheidung von Bund und Netz vornehmen. Denn all diese Mitarbeit an Goethes Werk blieb zunächst unbekannt, die unterschiedlich strukturierten Schreibverbände wurden nicht als Bündnisse ausagiert. Insbesondere im Kontext einer neuzuerarbeitenden Autor-Werk-Ausgabe hätte indes die Zustimmung eines Autors wie Wieland, der Goethe knapp zehn Jahre später als Modell eines »unermüdet zum Bessern arbeitenden Schriftstellers« dienen wird,Footnote 137 eine willkommene Förderung bedeuten können; seine aktive MitarbeitFootnote 138 aber muss innerhalb des dominanten Paradigmas individueller Autorschaft gerade ein solches Projekt gefährden.

Die individuellen oder kollektiven Schreibpraktiken sind damit deutlich von den Sozialpraktiken der Darstellung geschieden. Das Schreiben, wenn es nicht als Schreibszene lesbar (gemacht) wird,Footnote 139 verbleibt üblicherweise im Bereich des Netzes, während sich auf der sichtbaren Ebene souveräne Autoren in Bünden assoziieren. Die Logik der auktorialen Integrität affiziert dabei selbst noch die im 18. Jahrhundert vermehrt auftretenden Poetologien des Kollektiven. Inszeniert werden darin durchaus abweichende Modi der nicht immer nur schreibenden Zusammenarbeit, die insofern wiederum zu Poetiken des Netzes auf der einen und Poetiken des Bundes auf der anderen Seite tendieren, als sie je unterschiedlich gestaltete Text-Autor-Verhältnisse entwerfen. Seit der Italienreise unterhielt Goethe in wechselnder Intensität ein Kollaborationsverhältnis mit dem Schweizer Kunsthistoriker und Maler Johann Heinrich Meyer, das im Unterschied zu der Zusammenarbeit mit Schiller zwar nur wenig Aufmerksamkeit in der Forschung fand,Footnote 140 jedoch zu Goethes wichtigsten Anlassgründen für eine poetologische Verschiebung zählte, die in jene vereinnahmenden Textpraktiken des Spätwerks münden, die er selbst einem ›etre collectif‹ – das aber freilich seinen Autor-Namen trug – zuschrieb.Footnote 141 Die programmatische Einleitung in die Propyläen (1798) weist dann erstmals prominent darauf hin, dass die vorgelegten Beiträge »von mehrern verfaßt sind«,Footnote 142 und betont, dass die Mitarbeiter »nicht allein, sondern gemeinschaftlich denken und wirken«.Footnote 143 Damit werden bereits Konzepte von Kollaboration und Autorschaft beansprucht, die in einem Brief Goethes an Wilhelm von Humboldt vom 26. Mai 1799 noch expliziter formuliert werden:

Wir drey [i. e. Goethe, Meyer und Schiller; D. E.] haben uns nun so zusammen und in einander gesprochen, daß bey den verschiedensten Richtungen unserer Naturen keine Discrepanz mehr möglich ist, sondern eine gemeinschaftliche Arbeit nur um desto mannigfaltiger werden kann.Footnote 144

Was hier entworfen wird, ist kein Bund aus mehreren Autoren mehr, sondern ein Kollektiv, das als ein Autor auftritt. Die Konsequenz ist, dass damit auch die Texte en passant als gemeinschaftliches geistiges Eigentum ausgewiesen werden. Indem Goethe im poetologischen Diskurs das Netz auf die Ebene des Bundes hebt, wird eine spezifisch kollektive Autorschaft inszeniert, die bereits klar in ihrer Irreduzibilität ausgestellt wird.Footnote 145

Die Propyläen entwerfen ein Kollektiv, das aus harmonischer Bildung hervorgeht und damit zu einem untrennbaren Ineinander führt. Nur wenig anders, aber mit weitreichenden Konsequenzen wird die kollegiale Zusammenarbeit von dem fast zeitgleich als ›republikanisches‹ Projekt gestarteten Athenäum charakterisiert. Man teile zwar, beginnt die von August Wilhelm und Friedrich Schlegel gemeinsam verfasste »Vorerinnerung«, »viele Meynungen mit einander«, wolle aber nicht »die Meynungen des andern zu den seinigen« machen.Footnote 146 Diese Zurückhaltung gegenüber der auktoriellen Vermischung zielt deutlich darauf, das Souveränitätsprinzip des Bündnisses aufrechtzuerhalten, nach dem jeder »für seine eignen Behauptungen« steht. Diese freilich um 1800 kaum mehr unproblematisch zu hypostasierende »Unabhängigkeit des Geistes« soll nicht zuletzt deshalb unbedingt beibehalten werden, um der Gefahr »einer flachen Einstimmigkeit« möglichst von Beginn an Vorschub zu leisten. »Fremde« stehen damit den eigenen Beiträgen gegenüber und reproduzieren so jenes autorschaftliche Differenzkriterium, das die Grundlage der hermeneutischen Lektüre von Einzel-Texten ist.Footnote 147

Diese beiden Inszenierungen von Gemeinschaft sind nur durch ein Weniges voneinander geschieden, das aber den Unterschied zwischen (homogenem) Kollektiv und (heterogenem) Konglomerat ausmacht. Beide behaupten dabei eine Projektion der geteilten Handlungen des Schreibens auf die Schauseite der Autorschaft. Die tatsächlich zugrunde liegende »Konstellation von Praktiken«,Footnote 148 aus denen die Texte hervorgingen, können mit diesem Bild zwar übereinstimmen, müssen es aber nicht. Denn das Zeigen kann das Schreiben völlig einhüllen, die Werke können Kollaborationen verdecken oder inszenieren, sie können individuelles Arbeiten als Kollaboration und Zusammenarbeit als Einzelleistung erscheinen lassen – und sie tun dies unablässig. Der unterschiedliche symbolische Wert, der individueller und kollektiver Autorschaft um 1800 zukommt, ist nicht nur der wesentliche Grund für diese Dissoziation von Praxis und Präsentation, sondern begründet auch, warum der Kontakt zwischen Autoren meist als ›commercium‹ ausagiert wird. Bereits 1794 stellt Johann Gottfried Herder im 46. seiner Briefe zu Beförderung der Humanität deutlich aus, dass der häufige und enge Umgang mit »sogenannten st a r k e n C h a r a k t e r e[n], g r o ß e[n] G e i s t e r[n]« deshalb problematisch sei, weil sich dadurch viele Berührungs- oder gar Ansteckungspunkte mit deren »Originalpoesieen« ergeben,Footnote 149 die neben der Wahrheit auch das Eigene überdecken können.Footnote 150 Da man den Wahn »durch Nachahmung, oft unvermerkt, aus Gefälligkeit, durch das bloße Zusammenseyn mit dem Wähnenden« annehmen kann, muss man den Umgang mit diesem meiden, zumal man einer Infektion kaum entgehen kann, die sich des Kanals der Reizübertragung bedient. Denn der Wahn »theilt sich mit, wie sich das Gähnen mittheilt, wie Gesichtszüge und Stimmungen in uns übergehen, wie Eine Saite der andern harmonisch antwortet.«Footnote 151 Harmonische Bildung wird hierdurch zur Vokabel einer Ätiologie des Selbstverlusts.

Gefährdet wird durch den kollektiven Arbeitsprozess jene im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelte und gefestigte Vorstellung, die zuletzt im Entwurf eines Genies gipfelt, das sich selbst »ohne Vermischung mit einem anderen« fortpflanzt.Footnote 152 Daraus leitet sich auch das Irritationspotenzial ab, das der Vorstellung uneindeutiger Urheberschaft anhängt und das die in der Folge auch von der Philologie habitualisierten Bestrebungen nach genauester Separation befeuert. Dezidiert macht daher auch A.W. Schlegel in seinen Vorlesungen über Encyklopädie (1803) eine der Hauptaufgaben der Philologie darin aus, »zu entscheiden, ob eine Schrift wirklich von dem Verfasser herrührt, dem sie zugeschrieben wird, oder im Fall sie ohne Namen auf uns gekommen, wo möglich ihren Urheber, sonst wenigstens das Zeitalter, woraus sie herrührt, auszumitteln.«Footnote 153 Ein Lektüreverhalten, das von der »Identität zwischen dem Autor und seinem (jeweiligen) Werk« ausgeht,Footnote 154 motiviert die Suche nach echten und einzelnen Verfassern.

Nimmt man dagegen Literatur als eine Sozialpraktik ernst, die von derselben »messy nature«Footnote 155 wie alle übrigen Gesellschaftsbereiche ist, dann erzeugen solche strengen Trennungen zunehmend den Eindruck einer gewissen Künstlichkeit.Footnote 156 Kollegen und Verleger, Werkausgaben und Zeitschriften sind gleichermaßen und mit ihrer eigenen ›agency‹ an der Positionierung und Repositionierung von Autoren beteiligt. Der ›Autor‹ Goethe erscheint so insgesamt nicht nur als Beteiligter in einem Autoren-Netzwerk, sondern sogar selbst als regelrechtes Akteurs-Netzwerk.Footnote 157 Immerhin sind mit dem Erscheinen des ›Autors‹ nicht nur mehrere menschliche Akteure, sondern in nicht zu unterschätzendem Ausmaß auch Techniken und (Schreib‑)MaterialienFootnote 158 beteiligt, die im Ergebnis als Einheit, als untrennbare Verbindung erscheinen.Footnote 159

Goethe ist hier kein Einzelfall. Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts begannen die Künste und die sie hervorbringenden Akteure mit zunehmender Geschwindigkeit theoretisch, deutlich langsamer (und auf andere Weise) auch praktisch, ihre Autonomie zu behaupten. Daraus ergibt sich eine prekäre Situation, in der die Möglichkeiten theoretischer Autonomiebehauptung und deren Umsetzung verstärkt in ein spannungsvolles Verhältnis gerieten. Jeder Dichter – und sei er noch so genialisch – verdankt seinen Erfolg oder Misserfolg, ja bereits die Möglichkeit öffentlicher Kommunikation ebenso der Beschaffenheit seines Netzes wie der Qualität seiner Bündnisse. Damit muss nicht allein die Attachierung an andere Dichter oder die Förderung durch Mäzene gemeint sein, die Bündnisse können sich wesentlich komplexer darstellen und in regelrechten Systemen organisieren, die die Absichten der Autoren und die Erscheinungsformen der Texte in nicht immer zu bändigende Turbulenzen versetzen. An den gewählten Beispielen sollte deutlich geworden sein, welchen Mehrwert eine Untersuchung erzeugen könnte, die sich nicht nur auf ein dominantes Bündnis wie Goethes sogenannten ›Dichterbund‹ mit Schiller beschränkt, sondern auch die Simultanität gleich mehrerer solcher Verbindungen wahr- und ernstnimmt. In Anlehnung an die Vorschläge der relationalen Soziologie und insbesondere der Akteur-Netzwerk-Theorie, die das »Denken in Entitäten zugunsten eines prozessualen und relationalen Denkens verwirft«Footnote 160 und dabei sowohl menschliche wie nicht-menschliche Handelnde zu berücksichtigen bestrebt ist, könnten Autoren innerhalb eines Handlungs-Netzwerks verortet werden, das aus unterschiedlichen institutionellen, personellen und technischen Akteuren besteht (darunter Autoren und Ko-Autoren, Verleger, Mittelsmänner, Druckmaterialien, Typografie und Sekretäre).

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird Dichterschaft emphatisch von sozialen Bindungen freigesprochen, während sich zugleich das in unterschiedlichen Bündnissen strukturierte Netz der Abhängigkeiten nicht zuletzt durch die Ausweitung von Öffentlichkeit und Markt zu verdichten beginnt. Diese Häufung von öffentlich ausgestellten Relationen macht aus Forschungsperspektive nicht nur monokausale Erklärungen von Autorhandlungen verdächtig, sondern führte bereits für die Zeitgenossen zu erhöhter Unsicherheit über Ausgang und Stabilität ihrer Bündnisse. Jede Allianz stellte durch ihre Einbindung in ein Geflecht weiterer Bünde, die insgesamt einem Netz beinahe unüberschaubarer Kollaborationen aufruhen, nicht mehr ein einfaches Vehikel zur Erreichung eines bestimmten zukünftigen Zieles – wie etwa die Etablierung einer bestimmten ästhetischen Position – dar, sondern geriet zum Element eines ganzen Systems von Nicht-Wissen, das aus der Möglichkeit zur gegenseitigen Einflussnahme und Interferenz an Dynamik gewann und so in gesteigertem Maße zur Herstellung von Neuem und Unerwarteten beitrug. Der literaturhistorische und kulturwissenschaftliche Blick auf solche simultan bestehenden, reversiblen und reziproken (aber keineswegs herrschaftsfreien) Netzverbindungen könnte der Rekonstruktion historischer Formationen jene Dynamik wiedergeben, die ihr durch die literaturhistorische Reproduktion und Festschreibung ›bedeutender‹ Bündnisse vielfach genommen wurde. Damit könnte – in neuer Perspektive – auch das Projekt einer Sozialgeschichte der Literatur wiederbelebt werden – doch womöglich nur um den Preis der fortschreitenden Aufgabe einer ausschließlichen Fixierung auf Einzel-Autoren, die sich zusehends in Schreibverbänden und Mediennetzen zu verlieren begännen.