Zusammenfassung
Dichterfreundschaften und Dichterbünde, das ist ein Gemeinplatz der Forschung, dienen der sozialen Stabilisierung. Diese Funktion wird literarischen Gemeinschaften vor allem für die Zeit nach 1750 zugesprochen, als sich durch tiefgreifende sozial- und medienhistorische Umbrüche auch die bis dahin relativ verlässlichen Karrierewege zu verunsichern begannen. Die genaue Rekonstruktion exemplarischer Allianzen legt indes offen, dass die bekannten starken Bünde eingebettet sind in ein ganzes Netz aus kaum sichtbaren Verbindungen. Durch diese Vervielfältigung der Bezüge gerät das Bündnis vom einfachen Vehikel zur Erreichung eines bestimmten zukünftigen Zieles zum Element eines ganzen Interferenzsystems, das durch sein dynamisierendes Potenzial vielfach destabilisierend wirkt und so auch zur literarischen Innovation beiträgt.
Abstract
Friendships and alliances between poets are supposed to be a stabilising factor in the uncertain field of literature. This function is attributed to literary associations particularly since 1750, as the fundamental changes in society and media began to endanger also the traditional carrier models that had been relatively reliable until then. A reconstruction of particular associations can show that close alliances are often embedded in a network of hardly visible connections. Through this multiplication of relations the association shifts from a simple vehicle for reaching a certain goal to a mere element of a whole system of social interferences that becomes destabilising because of its volatile dynamics. Thus alliances contribute to literary innovation.
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I.
»Mein bester Wunsch ist immer gewesen, mit den Guten meines Zeitalters verbunden zu seyn,«Footnote 1 bekennt ein noch kaum bekannter Dichter am 16. Oktober 1773, nicht völlig frei von taktischem Kalkül,Footnote 2 in einem Brief an den damals als ›avancierter‹ Autor bereits bestens positionierten Heinrich Wilhelm Gerstenberg. Es war kein anderer als der junge Goethe, der eben erfolgreich seinen Götz von Berlichingen veröffentlicht hatte und nun versuchte, von Frankfurt aus weitläufigere Verbindungen zu ›den Guten‹ seiner Zeit zu schlagen – nicht zuletzt, um seine Startposition im bereits als ökonomisch und symbolisch doppelt codierten kulturellen Feld seiner Zeit zu verbessern.Footnote 3 Direkte persönliche Kontakte zu Schriftstellerkollegen wurden durch die reklamierte Freisetzung der Dichtung aus sozialen ZwängenFootnote 4 keineswegs überholt, sondern gewannen größte Relevanz gerade mit dem damit einhergehenden »Auftreten eines autonomen künstlerischen Produktionsfeldes«Footnote 5, das die Behauptung von Selbstbezüglichkeit und (ökonomischer) Interesselosigkeit zur Voraussetzung eines neuen, von anderen Gesellschaftsbereichen distinguierten Umgangs unter Gleichen machte.Footnote 6 Dass gerade in diesem auf der Lossagung von ökonomischen Interessen basierenden UmfeldFootnote 7 Versorgungsposten lukriert, verteilt und gehandelt wurden, ist Teil der Logik jener Kapitalverschiebungen, die die symbolischen Güter dichterischen Prestiges in finanzielle zu übersetzen imstande ist. Gerade jungen Autoren, die im pluralisierten und damit zugleich anonymisierten Literaturmarkt einer zunehmenden Vereinzelung ausgesetzt waren, verschafften die (oftmals nur brieflich unterhaltenen) Kontakte gleichermaßen die Vorstellung einer Gemeinschaft der »Edlen«Footnote 8, ein erstes, kritisches Lesepublikum und den vielfach entscheidenden Kontakt zu Förderern und Mäzenen.Footnote 9 Diese ersten Leser sind zugleich Kollegen und Konkurrenten;Footnote 10 und sie sind als Autor-LeserFootnote 11 auch jene nicht nur sprechenden, sondern auch schreibenden Kritiker, die Autor-Werke als kulturökonomische Einsätze in der literarischen Wirklichkeit sanktionieren,Footnote 12 und so nicht nur Anteil an den Verhandlungen darüber haben, ob ein Text erfolgreich sein wird, sondern auch darüber, in welchem Teilbereich des Feldes, bei welchem Teil des Publikums er reüssieren kann.Footnote 13 Diese geänderte Situation ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mag mit dafür verantwortlich gewesen sein, dass sich Goethe schon vor seinem Schreiben an Gerstenberg ausgiebig darüber beklagte, dass er »ausser aller Connexion, mit allen schönen Geistern« sei.Footnote 14 Noch konnte er die Einsamkeit nicht emphatisch als Quelle dichterischer Produktivität feiern,Footnote 15 sie erschien ihm vielmehr als zu überwindendes Hindernis. Daher bemerkte er gegenüber Gerstenberg in bereits vergemeinschaftender Übertragung seiner eigenen Wünsche auf den Briefpartner: »Wie Noth mir an meinem Ende der Welt offt eine Erscheinung thut, werden Sie auch an dem Ihrigen fühlen.«Footnote 16 Diese Stilisierung einer beinahe ubiquitär auftretenden Problemlage macht eines besonders deutlich: Es ist die relative Vereinzelung der Autoren zur Mitte des 18. Jahrhunderts, die sie Handschriften in Zirkulation setzen,Footnote 17 Briefe schreibenFootnote 18 und so virtuelle Gemeinschaften herstellen lässt.Footnote 19
Zwar muss er einräumen, es werde einem der Wunsch nach einem ›Bund der Guten‹ meist »so sehr vergällt, daß man schnell in sich wieder zurück kriecht«,Footnote 20 doch schwebt Goethe offenbar bereits genau ein solches geselliges Netzwerk aus Briefpartnern vor,Footnote 21 als er sich an den renommierten Kollegen wendet. Es sollte damit weit mehr als nur ein Kontakt hergestellt werden. Das geht nicht zuletzt aus jenem Schreiben Gottlob Friedrich Ernst SchönbornsFootnote 22 an Gerstenberg hervor, in das Goethes Brief materiell eingelegt war. »Ich sagte ihm [Goethe, D.E.]«, heißt es da, »daß ich wünschte zwey solche Männer wie Er u Sie möchten sich schriftlich unterreden: Er wünsche es auch u da er erfuhr daß ich von hier [Frankfurt a. M., D.E.] aus an Sie schrieb sagte er mir er wolle ein paar Zeilen mit beylegen u da sind sie.«Footnote 23 Es geht dabei nicht einfach um die Zugehörigkeit zu einem Netzwerk, das offensichtliche funktionale Schwerpunkte besitzt, sondern auch um Verdichtung und Überbrückung, um Bündnisschluss mit jenen Akteuren, die solche Zentralstellen besetzt halten. Daher soll es nicht bei dem, durch Heinrich Christian Boie und Schönborn hergestellten, mittelbaren Kontakt bleiben; Goethe möchte unbedingt einen direkten »Briefwechsel stifften«Footnote 24 und so einen fortgesetzten Gedankenaustausch anstoßen, um nicht zu sagen: ein Bündnis eingehen.Footnote 25 Der junge Autor, der ›noch keine Rolle spielt‹, erhofft sich davon einen entscheidenden Vorteil, nämlich Förderung durch die Einbindung in das bereits bestehende Netzwerk des arrivierten Kollegen,Footnote 26 dem als Gegenleistung zunächst nur die ›Versüßung einiger Stunden‹ in Aussicht gestellt werden kann. Eine wohl nicht ganz ausbalancierte Offerte also.
Die von Goethe hier angestrebte Verbindung im Briefwechsel ist freilich nie wirklich zustande gekommen. Erst spät, im Januar 1774 antwortet Gerstenberg auf den Brief des nun nicht mehr bedeutungslosen, sondern bereits zum »deutschen Shakepear«Footnote 27 erhobenen Autors mit einem Schreiben, das die zeitgenössische Bedeutung der epistolaren Materialität und der Semiotik der Autografie unterstreicht: Er habe Goethes »Geist nicht nur von Angesicht zu Angesicht darinn gesehen, sondern den warmen Händedruck dieses edlen Geistes gar sehr gefühlt«.Footnote 28 Die fehlende körperliche Anwesenheit wird durch deren »imaginäre Präsenz«Footnote 29 in der (Hand‑)Schrift kompensiert. Gerstenberg erscheinen die Schriftzüge als Gesichtszüge, er fühlt die Spur, die die Hand bereits nur mittelbar als Abdruck der Feder auf dem Papier hinterlassen hat, gleichsam als einen Händedruck, der ihm den Beginn einer Freundschaft mit jenem »Original Deutsche[n]« verspricht, der »in Deutschland ein Publikum von Deutschen werben wird.«Footnote 30 Bei diesen überaus freundlichen, beinahe anbiedernden Zeilen nimmt es zunächst wunder, dass damit ein Briefwechsel gerade nicht gestiftet, sondern beendet wurde.Footnote 31 Deutlich wird aber bereits dem oberflächlichen Blick auf die folgenden Jahre, dass Goethes dichterische KarriereFootnote 32 rasch an Fahrt aufnimmt, während Gerstenberg schon bald zum alten Eisen einer von der gesteigerten dichterischen Emphase der folgenden überholten Generation gehört. Er wird zwar noch vielfach gelesen und sogar verehrt,Footnote 33 doch kann er keinen Platz mehr unter den innovativen bzw. avancierten Autoren seiner Zeit behaupten. Aufgrund seiner relativen Bekanntheit und vormaligen Fortschrittlichkeit erscheint er späterhin geradezu als Modellfall des Zurückgebliebenen. Daher hängt Friedrich Schiller noch 1796 seine Kritik an Johann Gottfried Herder unter anderem an dessen »Verehrung gegen Kleist Gerstenberg und Geßner – und überhaupt gegen alles verstorbene und vermoderte«Footnote 34 auf. Bezeichnenderweise sind von Goethe keine weiteren Briefe mehr an Gerstenberg überliefert. Der Annäherungsversuch schlug fehl, der Bund konnte nicht gestiftet werden – und dennoch oder vielleicht gerade deshalb war Goethes Schaden nicht groß.
II.
Bereits diese vielleicht etwas forsche und unsensible Annäherung an die Frage nach der Funktion von ›Autorenbündnissen‹ im Literatursystem besonders des 18. Jahrhunderts zeigt, wie eigensinnig die Annäherung, Ablehnung und Verbindung von Autoren untereinander sein kann. Selbst und womöglich gerade ausgebliebene oder gescheiterte Bündnisse können so das Interesse nicht nur von Biografen, sondern auch von einer sozial- und medienhistorisch ausgerichteten Literaturwissenschaft erwecken. Denn sie sind, wenn sie auch keine gemeinschaftlichen Werke hervorgebracht haben, keineswegs folgenlos; sie öffnen vielmehr den Blick auf die relationale Genese des Autors, und damit auf jene Zentralkategorie des überraschend wenig wandlungsfreudigen Literatursystems seit dem 18. Jahrhundert, die stets nur im Verhältnis zu Werken und anderen Autoren sowie vielfältigen weiteren Akteuren überhaupt erscheinen kann. Dadurch wird kenntlich, was die unterschiedlichen Versuche, die Medialität von Autorschaft etwa durch eifernde Präsenzrhetorik zu hintergehen, mit wechselndem Erfolg verdeckten:Footnote 35 Die notorisch abwesende und bis tief ins 20. Jahrhundert hinein nur in der papierenen Vermittlung des Textes sichtbar zu machende Figur des Autors ist keiner anderen Ordnung unterworfen als den Texten, die sie selbst signifizierend verortet.Footnote 36 Die erfolgreichen, aber insbesondere auch die gescheiterten Bündnisse im Bereich der Literatur lassen zumindest im Ansatz erkennen, dass die Kategorie der Autorschaft, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts ihre Funktion auf so bedeutsame Weise verändert hat, sich nicht ausschließlich mit Blick auf einzelne Akteure erforschen lässt. Denn Autoren haben eine unabweisliche Doppelgestalt,Footnote 37 sie sind ebenso sehr Urheber wie innerdiskursive FunktionFootnote 38 und als solche Effekt vielfältiger Verbindungen und Allianzen: unter anderem mit Personen, Institutionen, Medientechniken und nicht zuletzt Texten.Footnote 39 Spätestens aber seit der emphatischen Zuschreibung einer dem Rauschen abgewonnenen Information »an die Adresse eines poetischen Subjekts namens Autor«Footnote 40, wie sie die hermeneutische Interpretation seit dem 18. Jahrhundert praktiziert;Footnote 41 seit dieser dezidierten Verknüpfung von Texten und Individuen wird verdeckt,Footnote 42 dass Autoren und ihre Werke das Ergebnis von Konglomeration und Aggregation sind. Seither ist die mangelnde Fähigkeit, aus den heterogenen Teilen die »Einheit einer Person«Footnote 43 herzustellen, klinisches Symptom des ›Blödsinnigen‹, der »ein wildes Geräusch [hört], aber überall keinen verständlichen Ton, weil er nicht im Stande ist, einen aus der Menge auszuheben, ihn nicht auf seine Ursache zurückzuführen, und dadurch seine Bedeutung einzusehn.«Footnote 44 Während die Wahrnehmung der Vielheit pathologisch wird, ist es die diskursive Dominanz der subjektiven Einheit,Footnote 45 die es der ordnenden Funktion des Autors ermöglicht,Footnote 46 ihre vermeintliche Primordialität zu behaupten. Dabei scheint bereits die schiere Möglichkeit der Entstehung von Texten und die Verschiebung ihres Charakters hin zu Werken, wie sie durch die Publikation passiert – ihre ›Verwerklichung‹ mithinFootnote 47 –, in enger Beziehung zu vielfachen, netzförmig organisierten Bündnissen der jeweiligen Autoren zu stehen. Versucht man, in diskursökonomischer Perspektive sichtbar zu machen,Footnote 48 wie Texte und die durch Signatur mit ihnen verbundenen Autoren in Zirkulation gesetzt werden, treten unterschiedlichste Allianzen in Erscheinung, die das zyklische Verhältnis von Medienpraktiken und Mediensystem erst begründen.Footnote 49 Fraglich ist, wie solche akteur-medialen Bündnisnetze Footnote 50 zu beschreiben und wie sie von den – aus dieser Blickrichtung defizitären – Bündnissen zwischen zwei schreibenden Individuen abzugrenzen sind.
Das einleitende Beispiel sollte einer Annäherung an diese Fragen und einer ersten Veranschaulichung des praktischen Überschießens von Autorenbündnissen dienen; es sollte zudem zwei ebenso zentrale wie gemeinhin unterschätzte Aspekte einer noch ungeschriebenen Theorie literarischer Bündnisse vor Augen führen: funktionale Unterdeterminiertheit und Zukunftsoffenheit. Beide Aspekte erscheinen als neue Herausforderungen, als zu bearbeitende Hindernisse, die sich aus der Verschiebung des vorgegebenen Lebenswegs hin zu einem offenen Prozess ergeben. Eine nicht mehr auf der starren Sozialordnung der ›Wesenskette‹, sondern auf zu ergreifenden Gelegenheiten beruhende Karriere gibt der Möglichkeit des Scheiterns neues Gewicht und erzeugt eine »individuelle Unsicherheit bezogen auf Zeit, auf Zukunft.«Footnote 51
Wenn dies verallgemeinerbar ist, dann erscheint der Bund als Versuch, dieser bedrängenden Offenheit stabilisierend zu begegnen, der indes selbst von einer nicht auszumerzenden Unsicherheit in der inhaltlichen und zeitlichen Erstreckung geprägt ist. Besonders im Vergleich mit geläufigen Funktionsbestimmungen politischer Bündnisse tritt deutlich hervor, wie prekär diese als ordnungsstiftend und regulierend konzeptualisierte Sozialform im Bereich der Literatur bleiben muss. Die Geschichtswissenschaft, die sich vorzugsweise den Details politischer Allianzen widmet, »d. h. den jeweils spezifischen Zielen, Zwecken und Hintergründen von einzelnen Bündnissen oder der Bündnispolitik einzelner Akteure« nachgeht,Footnote 52 musste sich immer wieder auch mit der allgemeineren Frage nach Form und Funktion von Bündnissen auseinandersetzen, zumal die überlieferten Abkommen und Verträge bisweilen ganz unterschiedliche Bündnisvorstellungen der beteiligten Akteure dokumentieren. Die jüngere historische Forschung bestätigt die längst gebräuchliche Minimalannahme, der zufolge ein Bündnis als »vertraglich fixierter, politischer Zusammenschluss zwischen zwei oder mehreren souveränen Staaten zu einem bestimmten Zweck« anzusehen ist.Footnote 53 Der hier betonte, sonst vielfach implizierte Normalfall des Bündnisschlusses zwischen zwei (souveränen) Akteuren,Footnote 54 dominiert auch den literaturwissenschaftlichen Zugriff auf schriftstellerische Allianzen: Ein Autorenbündnis erscheint vornehmlich als zielgerichtete Vereinigung eines Autorpaares, von denen jeder über einen selbstbeherrschten Handlungsspielraum verfügt. Sie schließen sich, der überwiegend auf individuelle oder geteilte Absichten und Ziele ausgerichteten Logik der bisherigen Forschung gemäß, zusammen, um ästhetische Positionen durchzusetzen, ökonomische Gewinne zu erzielen oder bedrohlichen Konkurrenzverhältnissen zu begegnen. Das kann in aller Öffentlichkeit oder im Geheimen geschehen, und die Bündnispartner können wie Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger auf Titelblättern als Koautoren auftreten oder sich auf epitextuelle Schützenhilfe in Rezensionen und Folgepublikationen, in Briefen und Reklame verlegen. Gerade solche – vielfach nicht von den Autoren selbst verantwortete – EpitexteFootnote 55 spielen eine seit dem 18. Jahrhundert steigende Rolle für die Positionierung von Autoren und Texten. Sie dynamisieren die scheinbar stabilen Allianzsysteme und bringen bisweilen auch jene Partner ins Spiel, die sonst weniger sichtbar und mit nur auf starke Autorenbünde eingeschränktem Blick nicht zu erfassen wären. So treten etwa in Verlagsankündigungen die Verleger selbst als Autoren auf, um epitextuell die Aufnahme der Dichter und ihrer Werke beim Publikum zu steuern. Nicht zu unterschätzen sind dabei insbesondere die vielfältigen Formen der Reklame, also alle Medienpraktiken, durch die »gezielt und intentional Aufmerksamkeit auf bestimmte Produkte, Personen oder Dienstleistungen« (nicht zuletzt also auch auf Texte) gelenkt werden soll, »um so ökonomisches oder symbolisches Kapital« – oder beides zugleich – anzuhäufen.Footnote 56
Wenn den so konzipierten Bündnissen auch im Bereich der Literatur ein strenger Pragmatismus eingeschrieben ist, dann muss die unauflösliche Nähe dieser auf ihren kulturökonomischen Mehrwert berechneten Sozialform zu der bereits im 18. Jahrhundert kultivierten und beinahe ubiquitären Freundschaftssemantik problematisch werden,Footnote 57 die ein Nutznießen zwar nicht ausschließt, aber doch in den Bereich des Unwillkürlichen eskamotiert. Erst aus dem Rückblick weist August Wilhelm Schlegel in seinen Vorlesungen Ueber Litteratur, Kunst und Geist des Zeitalters als eine der »hervorstehendsten Eigenheiten des Zeitalters« aus, dass man über die »irdische Wohlfahrt« das »höhere[ ] geistige[ ] Daseyn« ganz vergessen habe. Dadurch dominiere letztlich »die bezielte Zurückführung von allen möglichen auf das sogenannte Nützliche […], der ökonomische Geist mit Einem Worte«.Footnote 58 Bereits im Bewusstsein dieser Bedrängnis nahm Friedrich Gottlieb Klopstock dieselbe entschiedene Hierarchisierung vor und erhob Freundschaft zu einer »Glückseligkeit«, die auf größter Vertrautheit und Vertraulichkeit beruht.Footnote 59 »Freundschaft und Liebe sind Steigerungsformen der freien Geselligkeit«,Footnote 60 und es sind diese hohen emotionalen Anforderungen, durch die sie im 18. Jahrhundert zusehends »in Opposition zu anderen Gesellschaftsbeziehungen« gerietenFootnote 61 – darunter nicht zuletzt das Bündnis. Trotz dieser diskursiven Reinigungsarbeit an der Freundschaft scheint sie immer wieder parallellaufende oder gar interferierende Bündnisse geduldet, ja hervorgebracht zu haben.Footnote 62 So inszenieren jedenfalls Christoph Martin Wieland und der Verleger seiner großen Werkausgabe letzter Hand, Georg Joachim Göschen, die Geschäftsverbindung als Ergebnis ihrer einträchtigen Beziehung,Footnote 63 nehmen diesen »Accord« aber zugleich durchaus als Gefährdung ihrer Freundschaft wahr.Footnote 64 Es stellen sich also erhebliche Überlagerungseffekte zwischen beiden Bereichen ein.Footnote 65 Das wohl berühmteste dieser ambigen ›freundschaftlichen Bündnisse‹ in der deutschen Literaturgeschichte, das Goethe mit Friedrich Schiller eingegangen sein soll,Footnote 66 wird denn auch ebenso gerne als »Arbeitsbündnis«Footnote 67, »Interessengemeinschaft«Footnote 68, »taktisches Bündnis«Footnote 69 oder gar »Zweckallianz«Footnote 70 bezeichnet wie als ›Freundschaftsbund‹Footnote 71. Die Vielfalt der Bezeichnungen und insbesondere der Umstand, dass mit gleichem Recht und ähnlicher Häufigkeit von Dichterfreundschaft wie von Dichterbund die Rede ist, zeigt, wie unsicher die Bestimmung eines solchen literarischen Verhältnisses bleiben muss. Ästhetische Gemeinschaften dokumentieren sich im Unterschied zu politischen üblicherweise nicht in Verträgen, und sie verbalisieren ihre Voraussetzungen, Konditionen und Endpunkte auch kaum; sie scheinen vielmehr von großer Wandelbarkeit geprägt zu sein und ihre Bedingungen und Ziele regelmäßig anzupassen oder gar neu auszuhandeln. Dokumente dieser Aushandlungen, dieser ›negotiations‹Footnote 72 sind nicht nur kommentierende Briefe, sondern auch die Texte als (mediale) Handlungen selbst.
Es zeigt sich also zunächst, dass man sich mit der Rede von Bündnissen im Bereich der Literatur auf terminologisch unsicheres Terrain begibt. Keineswegs klar ist nämlich bereits, was ein solches Bündnis überhaupt ausmacht und wann es wie zustande kommt. Im Unterschied dazu wird das politische Bündnis, häufig in der analogen französischen Bezeichnung ›Alliance‹, bereits im 18. Jahrhundert relativ klar definiert. Im großen Zedler’schen Lexikon etwa erscheint es als ein »Vergleich, welchen zwey, oder mehr Puissanzen unter einander schliessen«,Footnote 73 als Vertrag also zwischen mindestens zwei souveränen Staatsvertretern, die um die »Reguln und Cautelen, die bey Schliessung der Alliancen in Obacht zu nehmen,« wissen.Footnote 74 »Bündniße müssen gewisse Eigenschafften haben«, so spricht es Johann Georg Walch in seinem Philosophischen Lexicon noch deutlicher aus. Ein Abkommen müsse »zwischen zwey Potentaten im Nahmen und zum Nutzen der Republic gemacht werden«, da es ansonsten »eigentlich kein Bündniß zu nennen« ist.Footnote 75 Im Lichte dieser Begriffsbestimmungen kann die Rede von Bündnissen im Bereich der Literatur nicht anders als metaphorisch erfolgen,Footnote 76 denn literarische Allianzen ähneln den politischen zwar durchaus darin, dass auch sie sich häufig – sowohl defensiv als auch offensiv – zur Wahrung bzw. Durchsetzung der eigenen Interessen gegen eine oppositionelle Kraft richten; doch sind die dafür zu erbringenden Leistungen üblicherweise nicht genau geregelt und auch die Zusammensetzung der Bündnispartner toleriert wesentlich größere Heterogenität. Die pragmatische Reichweite eines Bündnisses ist daher im Bereich der Literatur abhängig nicht nur von der ohnehin schwer einzuschätzenden Potenz des Bündnispartners, sondern auch von seiner jeweiligen Funktion innerhalb einzelner oder mehrerer gesellschaftlicher Bereiche. Daraus ergibt sich, dass Bündnisse im Bereich der Literatur wesentlich vielfältiger zu denken sind. Sie lassen sich häufig nicht auf die zweckgerichtete Allianz zweier Dichter beschränken, sondern werden in dem Maße komplexer, in dem Autorschaft als Diskursfunktion in ökonomischen und symbolischen Zusammenhängen an Bedeutung gewinnt.
Da die Möglichkeit zur Durchsetzung eigener Interessen im Bereich der Literatur zunehmend an die mediale Positionierung von Autoren durch Texte gebunden war, konnten und mussten ganz unterschiedliche gesellschaftliche Funktionsträger zu Bündnispartnern werden. War die Bestimmung literarischer Bündnisse im herkömmlichen Sinn schon unsicher, so verändert die Heterogenität der Partner auch die Struktur und gefährdet die Balance der jeweiligen Allianzen. Es kann daher kein klares Formalkriterium eingesetzt werden, über das ein Bündnis positiv zu bestimmen wäre, sondern es lassen sich – wie bei den meisten Sozialbeziehungen – nur Tendenzen und Intensitäten beschreiben. Wann ein Kontakt eine Bekanntschaft, wann eine Freundschaft, wann ein zweckgerichtetes Bündnis ist, das ist oft nur mit großer Mühe und eigentlich nie mit hinreichender Präzision zu ermessen. Die Unsicherheiten der Beschreibung sollen indes nicht zu dem Schluss verleiten, dass diese Allianzen unwillkürlich oder absichtslos eingegangen wurden. Die Beteiligten verfolgten auch im Bereich der Literatur – im Offenen oder Geheimen – ihre eigenen Ziele, weshalb die Verbindung aus Akteursperspektive durchaus von Pragmatik bestimmt ist. Damit richten sich diese Allianzen auf die Zukunft aus, aber sie kalkulieren dabei mit imaginären Werten.Footnote 77 Vehikel der Absicherung und Ordnung werden literarische Bündnisse stets nur als Zumutung sein, während sie tatsächlich einen Punkt bezeichnen, an dem das Inkalkulable als eminent unsicherer Bereich, als noch unspezifisches NichtwissenFootnote 78 einbricht. Sie erweisen sich als hochgradig fragil, und ihre Dynamik bedingt, dass die Allianzen ständig bestätigt und adaptiert werden müssen. Zwar können sie über viele Jahre hin bestehen bleiben, genauso gut aber nach kürzester Zeit schon – von beiden Seiten her – aufgebrochen werden. Es scheint sich so keine feste Erstreckungsdauer und auch keine bestimmte Erfüllensbedingung ausmachen zu lassen, die Verbindungen unterliegen damit einer Logik der Praxis,Footnote 79 erweisen sich darin als eminent zukunftsoffen und bedürfen der ständigen Überprüfung und Absicherung, um nicht zu einem gefährlichen Unsicherheitsfaktor zu werden.Footnote 80
Autorenverbindungen – zumal im ausgehenden 18. Jahrhundert – scheinen daher besonderen Bedingungen zu unterliegen. Sie sind meist asymmetrisch, dabei aber flexibel und keineswegs auf wenige starke Bünde beschränkt. Im Gegenteil sind es häufig ganze Netze von Akteuren und Verbindungen, die Dichter ausmachen;Footnote 81 es sind die personellen, publizistischen und medialen Allianzen, die sie allererst entstehen lassen. Daher sind sie auch nur mit Blick auf dieses wandelbare Netz, in dem sich nicht nur schreibende Kollegen, sondern auch Funktionäre anderer Gesellschaftsbereiche und inferiore Partner finden, in ihrer Autorschaft zu verstehen. Wenn eine der zentralen Annahmen der relationalen Soziologie zutrifft, nach der Identitäten ihre Positionen nur durch die (narrativ mit Bedeutung zu versehenen) Verhältnisse zu anderen Identitäten gewinnen,Footnote 82 dann wird klar, warum der Großteil der vielfältigen Interaktionen und Verbindungen unsichtbar bleibt, während einzelne Bündnisse in hellstem Licht erscheinen: Wenn die Beziehungen, die man mit anderen unterhält, den Ort bestimmen, an dem man sich selbst innerhalb eines bestimmten sozialen Raums wiederfindet, ist die Etablierung einer Schauseite der autorschaftlichen Existenz wenig überraschend – zumal im Kontext jener symbolischen Trennung von Schriftsteller und Dichter, die der emphatischen Sonderstellung von Literatur als Kunst folgt. Der dichte Bund erscheint so als kulturell ausagierte Handlung,Footnote 83 er ist das als beherrschbar inszenierte Äußere eines subkutanen Netzes,Footnote 84 das in stetiger, indes nur rückblickend als Veränderung wahrnehmbarer, dabei aus unterschiedlichen Richtungen zugleich veranlasster Bewegung ist und damit gänzlich anderen Regeln folgt als die lineare Allianz-Logik des Vertrags.Footnote 85 Gerade die inszenierte Stärke eines Autorenbündnisses sollte daher Anlass geben, es nicht isoliert, sondern nur im Kontext weiterer, interferierender wie auch ausbleibender Verbindungen, vor dem Hintergrund leicht zu übersehender oder gar unsichtbar gemachter Kooperationen – als topologisch beschreibbares Gefüge mithin – zu betrachten.
III.
Schon durch die bis zur imaginativen Verwandtschaft (Dioskuren) gesteigerte Stärke des Bundes mit Schiller, der bereits früh nicht nur aus den unterschiedlichen schriftstellerischen Sozialpraktiken herausgehoben, sondern regelrecht von allen übrigen Verhältnissen isoliert wurde, erscheint Goethe als besonders geeignetes Beispiel für die bisher nur holzschnittartig umrissene netzförmige Verschränkung von Bündnispolitik und Autorschaft im 18. Jahrhundert. Der inszenatorische Anteil, der Symbolwert bestimmter Bündnisse zeigt sich bereits an Goethes frühen Bemühungen, Verbindungen zu anderen Autoren herzustellen, bevor er noch selbst als Dichter erfolgreich war. Erhoffen konnte er sich davon, neben Förderung und Empfehlungen, vor allem Zugewinne auf symbolischer Ebene, die sich aus dem Umgang mit gut positionierten Autoren ergeben, während er selbst noch nichts weiter anzubieten hatte, als ein Versprechen an die Zukunft. Indem er seine Autorschaft noch nicht öffentlich durch Signieren eines publizierten Textes ausagiert hat, konnte er auch noch nicht mit derselben Souveränität auftreten wie seine späteren Kollegen. ›Abgeschnitten‹ ist er zu Beginn seiner dichterischen Karriere vor allem von jenen bekannten Autoren, denen er nur als Bewunderer, aber noch nicht als Kollege begegnen konnte. Seit der spezifischen Neuordnung der »Praxis des Redens und Schreibens«Footnote 86 im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts traten Autoren und Leser in ein neues Verhältnis zueinander, das sie zwei unterscheidbaren Diskursbereichen zuordnete, deren Grenze das publizierte Buch markiert. Der dadurch prekär gewordene Status des nichtöffentlich schreibenden Lesers prägt auch die Umstände, unter denen Goethe seine ersten Arbeiten publiziert hat. Für den symbolischen Gewinn, der mit der Anerkennung als Original-Autor einhergeht, verzichtete er auf jeden ökonomischen. Seine beiden frühen Erfolgstexte Götz von Berlichingen (1773) und Die Leiden des jungen Werthers (1774) brachten ihm nicht nur keinen finanziellen Gewinn, der im Selbstverlag mit höchst insuffizienten Distributionsnetzen erschienene Götz bescherte ihm sogar beträchtliche Verluste.Footnote 87 Für seine bürgerliche Existenz war dies insofern wenig problematisch, als Goethe keineswegs auf die Einkünfte aus seiner schriftstellerischen Arbeit angewiesen war. Da ihm sein Familienvermögen »relative Selbständigkeit in finanzieller Hinsicht« beschert hat,Footnote 88 konnte er für den Götz auf den schwer berechenbaren Kanal des Selbstverlags setzen, der ihm indes den – entgegen allen Lamentierens – kaum zu überschätzenden Vorteil brachte, dass er auch die Distribution selbst erledigen musste. Denn dadurch konnte er wichtige Kontakte wie den zu Heinrich Christian Boie herstellen und festigen, auf diesem Weg aber zugleich auch seinen Namen auf der Ebene nicht des Lesens, sondern des Verteilungsnetzes mit dem anonymen Text verknüpfen und so die Anerkennung seiner Autorschaft durch Kollegen und Konkurrenten in Gang setzen. Zum Autor wurde er damit auf viel zuverlässigerem Weg als durch die Nennung auf dem Titelblatt, durch das die Nur-Leser ihre Informationen erhielten. Zum Autor wurde er durch das Raunen seines Namens im Netzwerk der Autoren.
Es ist wohl zu kurz gegriffen, wenn man die frühen Verbindungen zu Verlegern wie Weygand, die ihn anfänglich in gewohnter Weise übervorteilt haben, darauf zurückführt, dass er vom Selbstverlag genug hatte.Footnote 89 Vieles spricht dafür, dass er diese Verbindungen schon zu Beginn nicht einfach aus merkantiler Berechnung eingegangen ist,Footnote 90 sondern bereits mit der wirtschaftlichen und kulturellen »Doppelcodierung« des BuchesFootnote 91 kalkuliert hat, durch die es mehr wird als eine Ware. Goethe erkennt das gedruckte Buch bereits als komplexen, zusammengesetzten Akteur an, der durch seinen symbolischen Einsatz die eigene Positionierung mitbestimmt. Noch am Ende des schriftstellerisch äußerst erfolgreichen Werther-Jahrs 1774 berichtet er an Sophie von La Roche von der finanziellen Misere seiner ersten Werke und setzt dabei beide Ökonomien klar zueinander ins Verhältnis: »Zu einer Zeit da sich so ein groses Publikum mit Berlichingen beschäfftigte, und ich soviel Lob und Zufriedenheit von allen Enden einnahm, sah ich mich genötigt Geld zu borgen, um das Papier zu bezahlen, worauf ich ihn hatte drucken lassen.«Footnote 92 Den finanziellen Ausgaben steht auf der Einnahmenseite Lob und Anerkennung gegenüber. Dass diese Rechnung dennoch aufgeht und am Ende einen erheblichen – symbolischen – Gewinn ergibt, ist einem Kalkül geschuldet, das Goethe in demselben Brief offenbart: Es habe ihm nämlich seine »Autorschafft die Suppen noch nicht fett gemacht, und wirds und solls auch nicht thun.«Footnote 93 Dass ihm sein Schreiben selbst nach dem immensen Erfolg des Werther keinen finanziellen Gewinn bescherte,Footnote 94 war nicht Misswirtschaft geschuldet, sondern eine Notwendigkeit zur Herstellung jener dichterischen Reputation, die sich später umso gewinnbringender wieder einsetzen und sogar mit barer Münze abtauschen ließ. Es ist deutliches Zeichen eines neuen »dichterischen Selbst- und Marktbewusstseins«,Footnote 95 dass Goethe schon wenig später die Tauschlogik umkehrt und seinen dichterischen Wert durch die Honorarzahlungen wetteifernder Verleger taxieren lässt. August Mylius, dem Goethe durch Johann Heinrich Merck das Manuskript zu Stella ungesehen zum Kauf anbieten ließ, trifft in seinem Beschwerdebrief vom 24. Oktober 1775 ungewollt den Kern der Sache: »Mich wundert übrigens daß der Herr D. Göthe die Buchhändler so quälen will da er wie ich immer gehört habe, solches aus öconomischen Gründen nicht nöthig hat. Soll es also vielleicht Ruhm seyn daß ihm seine Mste [i. e. Manuskripte, D.E.] so theuer sind bezahlt worden?«Footnote 96 Nichts anderes.
An diesen Friktionen lässt sich ablesen, dass die Verbindung zu Verlegern die Fortsetzung des intrikaten Verhältnisses darstellt, das schon die dichterische Praxis bestimmt. Es muss, der Feldlogik des 18. Jahrhunderts gemäß, zunächst »der ökonomische Geist«Footnote 97 aus dem Produktionsprozess ausgeschlossen werden, um überhaupt ein gutes Kunstwerk schaffen zu können. Erst dieses begründet ein dichterisches Prestige, das sich dann – verlegerisch – auch in Geld übersetzen lässt. Karl Philipp Moritz hat die Notwendigkeit einer Indifferenz gegenüber einem möglichen künftigen Erfolg bei der Schreibarbeit in seinem Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten (1785) wahrscheinlich am deutlichsten formuliert. Man müsse während der Arbeit an einem Kunstwerk noch »den süßesten Gedanken des Ruhms« hintanstellen,Footnote 98 ansonsten strebe man »nach einer eigennützigen Richtung: der Brennpunkt des Werks wird außer dem Werke fallen« und so kein »Ganzes, in sich Vollendetes« ergeben.Footnote 99 Den Schaden aber trägt – und damit überschreitet Moritz den engen Kreis autonomietheoretischer Argumentation – nicht alleine das Kunstwerk in seinem defizienten Zustand, sondern auch der Künstler, der mit diesem Werk immerhin rasche Aufmerksamkeit und Anerkennung im bereits marktförmigen Literatursystem finden kann.Footnote 100 Durch die übermäßige Zustimmung des ›Pöbels‹ wird das Werk schnell unter den Verdacht der Trivialität geraten und seine Positionierung im Bereich der ›hohen Kunst‹ erschwert.Footnote 101 Er warnt daher den Künstler vor einer solchen, letztlich kurzsichtigen Orientierung am schnellen Erfolg: »Ist aber die Vorstellung des Beifalls dein Hauptgedanke, und ist dir dein Werk nur in so fern werth, als es dir Ruhm verschafft; so thu Verzicht auf den Beifall der Edlen.«Footnote 102 Die Akklamation eines ›unvollendeten‹ Werks verweigert damit ausgerechnet jene ›Gemeinschaft der Edlen‹Footnote 103, die durch ihr überwiegend von impliziten Regeln geleitetes Urteil, durch eine in kollektiver Wiederholung gefestigte Praxis, Autor und Werk zugleich verortet und damit die in der Folge zur Verfügung stehenden Möglichkeitsräume absteckt.
In einer Situation, in der sich die neue Literatur als Kunst sowohl von einem gelehrten Akademismus als auch von einer belletristischen Trivialliteratur abgrenzen musste, gewinnen alle öffentlich ausagierten Beziehungen an symbolischer Bedeutung. Nicht nur inszenierte Schreibverbände, auch anhaltende oder zu großen Unternehmungen eingegangene Verlagsverbindungen treten nun in die Reihe solcher Bündnisse, die soziale Positionen bekräftigen oder verändern können. Besonders aufschlussreich erscheint hierfür die nicht besonders glücklich verlaufene Verbindung mit Georg Joachim Göschen, die zu Goethes erster autorisierter Werkausgabe geführt hat. Der Sachverhalt ist insbesondere durch die buchwissenschaftliche Forschung bereits bekannt, er soll aber im gegenwärtigen Kontext neu beleuchtet werden, da er unkompliziert nur dann ist, wenn er zur linearen Geschichte eines Werks (œuvre) bzw. von Werken simplifiziert wird.Footnote 104 Im Folgenden soll daher die Dynamik einer Entwicklung ernst genommen werden, die nicht das Ergebnis eines Plans, sondern von kontingenten Interferenzen unterschiedlicher Pläne ist, die in ihrem Aufeinandertreffen ihre jeweiligen Programme modifizieren. Die Trajektorie auch dieser exemplarischen Werkgeschichte ist keine Gerade, sondern weist Unregelmäßigkeiten auf, die Zeichen jener Adaptierungsbewegungen sind, mit denen die beteiligten Akteure in der Praxis auf den Druck des »Gegebenen«Footnote 105 reagieren.
Interessant ist in dieser Hinsicht bereits die Anbahnung des Geschäfts, da diese in gewisser Weise schon netzwerkartig organisiert ist. Was man darüber wissen kann, stammt vor allem aus der Feder Friedrich Justin Bertuchs, dem ebenso berüchtigten wie geschäftstüchtigen Weimarer Legationsrat.Footnote 106 So berichtet er Göschen am 5. Juni 1786, freilich nicht frei von Hintergedanken, von einer Auseinandersetzung mit dem Berliner Verleger Christian Friedrich Himburg, der als einer der ›besten‹ unter Goethes Nachdruckern eine unautorisierte Werkausgabe herausgegeben hat:Footnote 107 »Ich erfuhr von Himburg in der Meße, daß er eine neue Auflage von Göthens Schriften vorhabe […]. Ich kam zurück, erzählte dieß Göthe […]; und er ärgerte sich so darüber, daß er schwur, Himburg solle sie nicht haben, und er wolle seine [eigene] Ausgabe jetzt ohne Zeitverlust veranstalten.«Footnote 108 Goethe fürchtete dabei weniger den finanziellen Schaden eines weiteren Raubdrucks, als vielmehr dessen Konkurrenz auf dem Buchmarkt. Denn auch eine autorisierte Ausgabe muss zunächst gekauft, um gelesen zu werden – und sie will dann als autorisierte Ausgabe gelesen sein. Die Behauptung der Authentizität eines vom Autor veröffentlichten Textes hat dabei wesentlichen Anteil an der Formulierung einer Theorie künstlerischer Autonomie, wie sie Goethe bereits verstärkt verfolgte. Doch musste die Wahrnehmung dieser Authentizität allererst als Lesemodus etabliert werden. Denn die Möglichkeit der Authentizitätsbehauptung ist geknüpft an die Möglichkeit der medialen, nicht nur der materiellen Existenz eines solchen Werks.
Bertuch indes, der in Weimar bereits für seine Geschäftstüchtigkeit bekannt war, hatte durchaus andere Interessen, wie aus der Fortsetzung des eben zitierten Briefs hervorgeht:
Kurz das Resultat unseres Gesprächs war, daß er mir die Herausgabe seiner Wercke, und die ganze Besorgung des Verlags davon übertrug. Also, mein Freund, habe ich jetzt ein wichtiges Kleinod für einen Buchhändler in den Händen. Daß ich es keinem andern vor der Hand als I h n e n zugedacht habe, können Sie von meiner Freundschaft erwarten. Footnote 109
Bertuch, der hier zwar sinngemäß und grundsätzlich in Goethes Auftrag handelt, aber relativ freie Hand bei der Wahl des Verlagspartners zu haben scheint, erweist sich als umsichtiger Mittelsmann, ja Doppelmakler, und hält daher seinen ›Freund‹ Göschen zu großer Eile an:
Den 23n geht Göthe ins Carlsbad, und dann kämen Sie zu spät. Er ist ein eigensinniger Sterblicher, den man bey der guten Laune faßen muß, wenn er sie hat. […] Die nöthigen Vorbereitungen dazu sind schon getroffen, und ich habe [...] theils auch mit Göthes Willen in der A[llgemeinen] L[itteratur] Zeitung angezeigt, daß er an der ersten Herausgabe seiner Wercke arbeite, und diese bald zu hoffen sey. Kurz kommen Sie ja so schnell Sie können, um das Eisen zu schmieden so lang es warm ist.Footnote 110
Das ›Eisen‹ ließ sich gerne schmieden. Nicht nur werden hier alle Vorkehrungen getroffen, um den Verhandlungen zwischen Verleger und Autor zu einem möglichst schnellen und positiven Ende zu verhelfen, sondern Bertuch erwies sich für Goethe gleich in doppelter Hinsicht als willkommener Bündnispartner. Denn tatsächlich war bereits knapp eine Woche vor diesem Brief an Göschen unter der Rubrik »Kurze Nachrichten« eine ebenso titel- wie autorlose Ankündigung der Werkausgabe in der von Bertuch mitgegründeten Allgemeinen Literatur-Zeitung erschienen, die zu den auflagenstärksten und einflussreichsten Rezensionsorganen im deutschsprachigen Raum zählte. Diese Nachricht an das Publikum stellte nicht alleine eine wirksame Werbemaßnahme für das noch keineswegs konkret geplante Projekt dar,Footnote 111 und sie leistete nicht nur weiteren Nachdrucken Vorschub, sondern sie bedeutete auch einen nachdrücklichen Hinweis auf die herausragende Position des Autors im zeitgenössischen literarischen Feld – wenngleich sich diese Position nur bedingt auch auf die Verkaufszahlen auswirkte, wie Göschen wenige Jahre später schmerzlich feststellen musste, als er seine in zwei Ausstattungsvarianten publizierte Werkausgabe nur mit mäßigem Erfolg absetzen konnte.Footnote 112 Was diese Nachricht auch leistet, ist ein Beitrag zur Durchsetzung der Hegemoniebehauptung des autorisierten Werks – wenn dies auch nicht Bertuchs erste Absicht gewesen sein dürfte. Die Ankündigung betont nämlich, dass gegenwärtig auf dem Markt nur »ohne s e i n [Goethes, D.E.] W i s s e n u n d s e i n e n W i l l e n gesammlete[ ] und zusammengedruckte[ ] Arbeiten« als Werkausgaben verfügbar seien.Footnote 113 Wissen und Willen, das Bewusstsein des bereits zum Genie erklärten Autors werden hier ins Feld geführt, um die autorisierte Ausgabe von den potenziell kontaminierten Raubdrucken zu unterscheiden. Ohne das Bündnis mit Bertuch, der offenbar die Formulierung der Anzeige übernommen hat, wäre diese sich unwillkürlich als taugliche Strategie erweisende Argumentation undenkbar gewesen. Der Urheber erscheint hier also nur vermittelst medialer Allianzen, durch die Verbindung mehrerer, funktional unterschiedener Akteure als ›Autor‹ im starken Sinn.
Obwohl kein persönliches Treffen zwischen Goethe und Göschen stattfand, ist es Bertuch am Ende gelungen, die Verbindung zwischen beiden zu stiften.Footnote 114 Besonders interessant ist dabei eine Abmachung, die mit dem Verlagsvertrag zwischen Goethe und Göschen in engster Verbindung steht. Bertuch und Göschen nämlich verbinden sich ohne Einbindung des Autors »auf Treue und Glauben zur gemeinschaftlichen Entreprise und Verlag der Götheischen Wercke auf gleiche Kosten, Gewinn und Verlust«.Footnote 115 Bertuchs Engagement für die Verlagsanbahnung war damit von Beginn an begleitet von eigenen, finanziellen Interessen; er erscheint – in der Konzeptualisierung der informationstheoretisch orientierten soziologischen Netzwerktheorie – als ›broker‹ des sozialen Geflechts, der Verbindungen zwischen ansonsten unverbundenen Teilgruppen herstellt und unterhält.Footnote 116 Er verkörpert damit genau jene schwachen Verbindungen, jene ›weak ties‹ nach Granovetter,Footnote 117 über die häufig gerade die neuen, manchmal gar überraschenden Informationen und Funktionen in ein ansonsten hochgradig redundantes Sozialsystem eingeschleust werden.Footnote 118 So profitiert Goethe von seiner relativ ›schwachen Verbindung‹ zu Bertuch, und zugleich nutzt dieser seine Funktion als Knotenpunkt gleich mehrerer ›weak ties‹ weidlich aus, indem er nicht nur sein soziales, sondern auch sein Finanzkapital vermehrt. Doch auch Göschen, der Goethes Werke nur zu einem so hohen Preis erjagen konnte, dass mit einem wirklichen Gewinn kaum zu rechnen war,Footnote 119 darf nicht als der übervorteilte Dritte angesehen werden. Vielmehr hat er wohl von Anfang an damit kalkuliert, dass durch den Verlag von Goethes Werken vor allem »das Ansehen meiner Handlung sehr gewonnen hat.«Footnote 120 Weniger der rein finanzielle Gewinn, viel eher ein Übertrag von Goethes symbolischem Kapital stand Göschen vor Augen, als er sich um den Verlag der Werkausgabe bemühte.Footnote 121 Daher versucht er Goethe in einiger Verzweiflung selbst dann noch an sich zu binden, als das Verhältnis bereits stark dadurch belastet war, dass er das Manuskript zu Die Metamorphose der Pflanzen abgelehnt hatte.Footnote 122 Es könne
in der Zukunft […] vieleicht bey zunehmenden merkantilischen Kräften mehr geleistet werden als der Anfänger leisten konnte. Durch Mittelspersohnen entstehen so oft Misverständniße. Darf ich mir alsdann Dero Befehl unmittelbar erbitten. Es entstehen durch Mittelpersohnen so leicht Mißverständniße! wie der Fall bey der Methamorphos[e] der Pflanzen gewesen ist.Footnote 123
Ob es tatsächlich ein durch Bertuch verursachtes Kommunikationsproblem gegeben oder ob Göschen mit der doppelten Betonung des Missverständnisses lediglich versucht hat, den durch eigenes Verschulden brüskierten Autor wieder für sich zu gewinnen, sei dahingestellt. Ebenso auffällig wie aufschlussreich ist aber, dass der Verleger versucht, jene einflussreiche ›broker‹-Position einzusparen, die innerhalb des Netzwerks bislang Bertuch besetzt hielt; diese Funktion soll gestrichen werden, um Goethe auf einen direkten Kontakt zu verpflichten und damit die Chancen auf die Durchsetzung der eigenen Interessen noch zu erhöhen. Goethe lässt sich darauf freilich nicht ein, sondern reagiert mit einer provokanten Aufzählung jener Werke, um die sich Göschen durch seine Ablehnung der Metamorphose gebracht hat.Footnote 124 Neben naturwissenschaftlichen Arbeiten habe er auch »einen größern Roman in der Arbeit und werde mehr Veranlassung finden für das Theater zu arbeiten als bisher.«Footnote 125 Beinahe süffisant weist Goethe auch noch auf die Diskrepanz zwischen ökonomischen und symbolischen Wert seiner Werke hin: »Da, wie Sie selbst sagen, meine Sachen nicht so current sind als andere an denen ein größer Publikum Geschmack findet, so muß ich denn freylich nach den Umständen zu Werke gehen und sehe leider voraus daß sich der Verlag meiner künftigen Schriften gänzlich zerstreuen wird.«Footnote 126 Ganz offenkundig war also das Bündnis zwischen Goethe und Göschen bereits im Frühsommer 1790 brüchig geworden; die Interessen haben sich verschoben und die Ansprüche hätten neu verhandelt werden müssen, um die Allianz wieder zu stabilisieren. Dies ist aber – nicht zuletzt durch das Auftreten neuer Akteure – nicht gelungen.Footnote 127
Dass die spätere Verbindung mit dem damals aufstrebenden jungen Verleger Johann Friedrich Cotta umso dauerhafter und für alle Beteiligten gewinnbringender verlief, liegt nicht zuletzt auch an den veränderten Eingangsvoraussetzungen. So wusste Cotta schon durch den nachdrücklichen Hinweis Schillers, der den ersten Kontakt zu Goethe hergestellt hatte,Footnote 128 »von den Vorteilen […], wozu dises nähere Verhältniß mit Göthe mich führen könte«. Zudem näherte er sich aus einer Position der verlegerischen Devotion, die dem neuen Status der Autoren um 1800 entsprach. So sei er »zu schüchtern« gewesen, »in diser Hinsicht etwas zu erwähnen, weil ich für Alles in der Welt nicht wolte, daß mein Benemen gegen Göthe dadurch den Schein von Eigennuz bekäme, da mich diser nie leitete sondern ich den Mann, den ich hochachtete und verehrte, ehren wolte.«Footnote 129 Diese neue diskursive Situation bedingt eine völlig andere Logik des Netzwerks, als die von Bertuch und Göschen angewandte. Cotta weiß bereits um die Vorzüge der ›weak ties‹ und versucht daher nicht, Goethe direkt für seinen Verlag zu gewinnen, sondern setzt auf eine soziale Übersetzungsleistung, die er sich von Schiller zu erhalten erhofft: »Wenn Sie […] den Mittelsmann hiebei machen würden, so würden Sie mich sehr verbinden.«Footnote 130 Schiller soll hier nicht nur als Mittelsmann eingesetzt, sondern darüber hinaus als Konspirant auch selbst enger an Cotta gebunden werden. Was er in der Folge über die verlegerische Allianz mit Goethe sagt, soll Schiller auch auf sich beziehen können: »Ich hege freilich immer den stolzen Wunsch, daß ein angefangenes Verhältniß der Art nie getrennt werden möchte, und ich werde daher auch immerhin das Möglichste thun, es zu erhalten und diejenigen, die sich mit mir in solche Verbindung einlassen, es nie bereuen zu machen.«Footnote 131 Die Unbestimmtheit der konkreten Mittel lässt hier den Kern des Antrags deutlich zutage treten: Cotta ist, im Unterschied zu Göschen, der die Verlustrechnung mit der Metamorphose der Pflanzen nicht machen wollte, bereit, in die Verbindung finanziell zu investieren, um symbolisch zu profitieren.Footnote 132 Dieses Kreditversprechen steigert er bis zu jenem Punkt, an dem er »gerne jede Bedingung ein[zu]gehen«Footnote 133 anbietet. Der Verleger eröffnet Goethe so den nötigen Freiraum, seine Autorschaft um nichtkommerzielle Projekte zu erweitern, und schafft sich damit selbst die Möglichkeit – in einem Übertrag der auf einer Poetologie der Interesselosigkeit beruhenden Reputation seines Autors –, als Literaturverlag in Erscheinung zu treten.Footnote 134 Während das öffentliche Verlagsbündnis mit Göschen permanent durch die subkutanen Interferenzen der Netzwerkverbindungen zumindest zwischen Göschen und Bertuch verunsichert wurde und letztlich zerbrach, konnte im Falle Cottas das Bündnis, das nie anders als ein Dreiecksverhältnis mit Schiller zu haben war, weitgehend mit dem darunterliegenden aktorialen Netz der schriftstellerischen Praxisformen in Kongruenz gebracht werden. Dies sind die Voraussetzungen für die künftigen Erfolge und die anhaltende Stabilität des Verlagsbündnisses zwischen Goethe und Cotta. Ihre ungewöhnliche Ausdauer auch über Schillers Lebenszeit hinaus zieht diese Verbindung sicherlich aus der großen symbolischen Stärke, die nur in dieser spezifischen medienhistorischen Verbindung, dieser Aggregation überhaupt möglich war und sich einer ähnlichen Auffassung aller beteiligten Akteure von den Anforderungen der geänderten literarischen Verhältnisse verdankte. Die Beziehung funktionierte als wechselseitiges Kreditverhältnis mit unterschiedlichen Einsätzen: Cotta streckte Geld vor, um Prestige zu erwerben – Goethe setzte seine Position ein, um sie sich finanziell abgelten zu lassen. So senkte Goethes Widerstand gegen die Wünsche des Publikums seit den 1780er Jahren zwar zunächst seine Verkaufszahlen, trug aber auf lange Sicht zur Steigerung seiner Reputation bei – und damit eben auch zu der seines Verlegers.Footnote 135 Das ist ein Wert, um den alle Beteiligten sehr wohl wussten.
IV.
Es zeigt sich, dass diese netzartig verzweigten Bündnisse, die zu einer Stärkung und Veränderung von Goethes Autorschaft beigetragen haben, keineswegs einsträngig organisiert waren. Jeder der Bündnispartner zur Herausgabe von Goethes Werken bei Göschen verfolgte offene oder geheime Interessen, wodurch der Erfolg des Bündnisses kaum prospektiv bestimmbar gewesen sein konnte. Diese Spannung scheint indes ein allgemeines Merkmal von Bündnissen im Bereich der Literatur zu sein, woraus sich ihre ganz eigene Dynamik ableitet. Für Goethe hatte das Bündnis mit Göschen/Bertuch neben der erfolgreichen Autonomiebehauptung des eigenen Werks den zuvor noch nicht kalkulierbaren Mehrwert, dass er dadurch genötigt war, wichtige Werke wie Iphigenie oder Torquato Tasso fertig zu stellen oder, wie Die Leiden des jungen Werthers, im Lichte neugewonnener ästhetischer Überzeugungen zu überarbeiten. Der Profit aus der gescheiterten Verbindung ist damit kein unmittelbarer und auch keiner, der zuvor absehbar war; er ergibt sich vielmehr aus den Anforderungen durch die Interaktion und die praktischen Reaktionen darauf. Wie die ohnehin volatilen aktorialen Netze geteilter Praxis tragen somit auch erfolgreiche wie gescheiterte Bündnisse zur literarischen Innovation unter den Bedingungen des zeitgenössischen Feldes bei.
Bemerkenswert ist dabei, dass auch die im Umfeld der Göschen-Ausgabe zu verortenden Anstrengungen, die den ›Autor‹ Goethe in der Öffentlichkeit weiter konturiert und sein symbolisches Kapital in beachtenswertem Ausmaß vermehrt haben, weder dem Urheber noch der Marke Goethe allein zuzurechnen sind. So waren etwa Johann Gottfried und Karoline Herder,Footnote 136 insbesondere auch Christoph Martin Wieland an der Revision der Arbeiten beteiligt, und viele inhaltliche wie formale Entscheidungen gehen auf ihre Anregungen oder ihren direkten Eingriff zurück. Davon ausgehend lässt sich eine weitere Präzisierung der kulturökonomischen Unterscheidung von Bund und Netz vornehmen. Denn all diese Mitarbeit an Goethes Werk blieb zunächst unbekannt, die unterschiedlich strukturierten Schreibverbände wurden nicht als Bündnisse ausagiert. Insbesondere im Kontext einer neuzuerarbeitenden Autor-Werk-Ausgabe hätte indes die Zustimmung eines Autors wie Wieland, der Goethe knapp zehn Jahre später als Modell eines »unermüdet zum Bessern arbeitenden Schriftstellers« dienen wird,Footnote 137 eine willkommene Förderung bedeuten können; seine aktive MitarbeitFootnote 138 aber muss innerhalb des dominanten Paradigmas individueller Autorschaft gerade ein solches Projekt gefährden.
Die individuellen oder kollektiven Schreibpraktiken sind damit deutlich von den Sozialpraktiken der Darstellung geschieden. Das Schreiben, wenn es nicht als Schreibszene lesbar (gemacht) wird,Footnote 139 verbleibt üblicherweise im Bereich des Netzes, während sich auf der sichtbaren Ebene souveräne Autoren in Bünden assoziieren. Die Logik der auktorialen Integrität affiziert dabei selbst noch die im 18. Jahrhundert vermehrt auftretenden Poetologien des Kollektiven. Inszeniert werden darin durchaus abweichende Modi der nicht immer nur schreibenden Zusammenarbeit, die insofern wiederum zu Poetiken des Netzes auf der einen und Poetiken des Bundes auf der anderen Seite tendieren, als sie je unterschiedlich gestaltete Text-Autor-Verhältnisse entwerfen. Seit der Italienreise unterhielt Goethe in wechselnder Intensität ein Kollaborationsverhältnis mit dem Schweizer Kunsthistoriker und Maler Johann Heinrich Meyer, das im Unterschied zu der Zusammenarbeit mit Schiller zwar nur wenig Aufmerksamkeit in der Forschung fand,Footnote 140 jedoch zu Goethes wichtigsten Anlassgründen für eine poetologische Verschiebung zählte, die in jene vereinnahmenden Textpraktiken des Spätwerks münden, die er selbst einem ›etre collectif‹ – das aber freilich seinen Autor-Namen trug – zuschrieb.Footnote 141 Die programmatische Einleitung in die Propyläen (1798) weist dann erstmals prominent darauf hin, dass die vorgelegten Beiträge »von mehrern verfaßt sind«,Footnote 142 und betont, dass die Mitarbeiter »nicht allein, sondern gemeinschaftlich denken und wirken«.Footnote 143 Damit werden bereits Konzepte von Kollaboration und Autorschaft beansprucht, die in einem Brief Goethes an Wilhelm von Humboldt vom 26. Mai 1799 noch expliziter formuliert werden:
Wir drey [i. e. Goethe, Meyer und Schiller; D. E.] haben uns nun so zusammen und in einander gesprochen, daß bey den verschiedensten Richtungen unserer Naturen keine Discrepanz mehr möglich ist, sondern eine gemeinschaftliche Arbeit nur um desto mannigfaltiger werden kann.Footnote 144
Was hier entworfen wird, ist kein Bund aus mehreren Autoren mehr, sondern ein Kollektiv, das als ein Autor auftritt. Die Konsequenz ist, dass damit auch die Texte en passant als gemeinschaftliches geistiges Eigentum ausgewiesen werden. Indem Goethe im poetologischen Diskurs das Netz auf die Ebene des Bundes hebt, wird eine spezifisch kollektive Autorschaft inszeniert, die bereits klar in ihrer Irreduzibilität ausgestellt wird.Footnote 145
Die Propyläen entwerfen ein Kollektiv, das aus harmonischer Bildung hervorgeht und damit zu einem untrennbaren Ineinander führt. Nur wenig anders, aber mit weitreichenden Konsequenzen wird die kollegiale Zusammenarbeit von dem fast zeitgleich als ›republikanisches‹ Projekt gestarteten Athenäum charakterisiert. Man teile zwar, beginnt die von August Wilhelm und Friedrich Schlegel gemeinsam verfasste »Vorerinnerung«, »viele Meynungen mit einander«, wolle aber nicht »die Meynungen des andern zu den seinigen« machen.Footnote 146 Diese Zurückhaltung gegenüber der auktoriellen Vermischung zielt deutlich darauf, das Souveränitätsprinzip des Bündnisses aufrechtzuerhalten, nach dem jeder »für seine eignen Behauptungen« steht. Diese freilich um 1800 kaum mehr unproblematisch zu hypostasierende »Unabhängigkeit des Geistes« soll nicht zuletzt deshalb unbedingt beibehalten werden, um der Gefahr »einer flachen Einstimmigkeit« möglichst von Beginn an Vorschub zu leisten. »Fremde« stehen damit den eigenen Beiträgen gegenüber und reproduzieren so jenes autorschaftliche Differenzkriterium, das die Grundlage der hermeneutischen Lektüre von Einzel-Texten ist.Footnote 147
Diese beiden Inszenierungen von Gemeinschaft sind nur durch ein Weniges voneinander geschieden, das aber den Unterschied zwischen (homogenem) Kollektiv und (heterogenem) Konglomerat ausmacht. Beide behaupten dabei eine Projektion der geteilten Handlungen des Schreibens auf die Schauseite der Autorschaft. Die tatsächlich zugrunde liegende »Konstellation von Praktiken«,Footnote 148 aus denen die Texte hervorgingen, können mit diesem Bild zwar übereinstimmen, müssen es aber nicht. Denn das Zeigen kann das Schreiben völlig einhüllen, die Werke können Kollaborationen verdecken oder inszenieren, sie können individuelles Arbeiten als Kollaboration und Zusammenarbeit als Einzelleistung erscheinen lassen – und sie tun dies unablässig. Der unterschiedliche symbolische Wert, der individueller und kollektiver Autorschaft um 1800 zukommt, ist nicht nur der wesentliche Grund für diese Dissoziation von Praxis und Präsentation, sondern begründet auch, warum der Kontakt zwischen Autoren meist als ›commercium‹ ausagiert wird. Bereits 1794 stellt Johann Gottfried Herder im 46. seiner Briefe zu Beförderung der Humanität deutlich aus, dass der häufige und enge Umgang mit »sogenannten st a r k e n C h a r a k t e r e[n], g r o ß e[n] G e i s t e r[n]« deshalb problematisch sei, weil sich dadurch viele Berührungs- oder gar Ansteckungspunkte mit deren »Originalpoesieen« ergeben,Footnote 149 die neben der Wahrheit auch das Eigene überdecken können.Footnote 150 Da man den Wahn »durch Nachahmung, oft unvermerkt, aus Gefälligkeit, durch das bloße Zusammenseyn mit dem Wähnenden« annehmen kann, muss man den Umgang mit diesem meiden, zumal man einer Infektion kaum entgehen kann, die sich des Kanals der Reizübertragung bedient. Denn der Wahn »theilt sich mit, wie sich das Gähnen mittheilt, wie Gesichtszüge und Stimmungen in uns übergehen, wie Eine Saite der andern harmonisch antwortet.«Footnote 151 Harmonische Bildung wird hierdurch zur Vokabel einer Ätiologie des Selbstverlusts.
Gefährdet wird durch den kollektiven Arbeitsprozess jene im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelte und gefestigte Vorstellung, die zuletzt im Entwurf eines Genies gipfelt, das sich selbst »ohne Vermischung mit einem anderen« fortpflanzt.Footnote 152 Daraus leitet sich auch das Irritationspotenzial ab, das der Vorstellung uneindeutiger Urheberschaft anhängt und das die in der Folge auch von der Philologie habitualisierten Bestrebungen nach genauester Separation befeuert. Dezidiert macht daher auch A.W. Schlegel in seinen Vorlesungen über Encyklopädie (1803) eine der Hauptaufgaben der Philologie darin aus, »zu entscheiden, ob eine Schrift wirklich von dem Verfasser herrührt, dem sie zugeschrieben wird, oder im Fall sie ohne Namen auf uns gekommen, wo möglich ihren Urheber, sonst wenigstens das Zeitalter, woraus sie herrührt, auszumitteln.«Footnote 153 Ein Lektüreverhalten, das von der »Identität zwischen dem Autor und seinem (jeweiligen) Werk« ausgeht,Footnote 154 motiviert die Suche nach echten und einzelnen Verfassern.
Nimmt man dagegen Literatur als eine Sozialpraktik ernst, die von derselben »messy nature«Footnote 155 wie alle übrigen Gesellschaftsbereiche ist, dann erzeugen solche strengen Trennungen zunehmend den Eindruck einer gewissen Künstlichkeit.Footnote 156 Kollegen und Verleger, Werkausgaben und Zeitschriften sind gleichermaßen und mit ihrer eigenen ›agency‹ an der Positionierung und Repositionierung von Autoren beteiligt. Der ›Autor‹ Goethe erscheint so insgesamt nicht nur als Beteiligter in einem Autoren-Netzwerk, sondern sogar selbst als regelrechtes Akteurs-Netzwerk.Footnote 157 Immerhin sind mit dem Erscheinen des ›Autors‹ nicht nur mehrere menschliche Akteure, sondern in nicht zu unterschätzendem Ausmaß auch Techniken und (Schreib‑)MaterialienFootnote 158 beteiligt, die im Ergebnis als Einheit, als untrennbare Verbindung erscheinen.Footnote 159
Goethe ist hier kein Einzelfall. Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts begannen die Künste und die sie hervorbringenden Akteure mit zunehmender Geschwindigkeit theoretisch, deutlich langsamer (und auf andere Weise) auch praktisch, ihre Autonomie zu behaupten. Daraus ergibt sich eine prekäre Situation, in der die Möglichkeiten theoretischer Autonomiebehauptung und deren Umsetzung verstärkt in ein spannungsvolles Verhältnis gerieten. Jeder Dichter – und sei er noch so genialisch – verdankt seinen Erfolg oder Misserfolg, ja bereits die Möglichkeit öffentlicher Kommunikation ebenso der Beschaffenheit seines Netzes wie der Qualität seiner Bündnisse. Damit muss nicht allein die Attachierung an andere Dichter oder die Förderung durch Mäzene gemeint sein, die Bündnisse können sich wesentlich komplexer darstellen und in regelrechten Systemen organisieren, die die Absichten der Autoren und die Erscheinungsformen der Texte in nicht immer zu bändigende Turbulenzen versetzen. An den gewählten Beispielen sollte deutlich geworden sein, welchen Mehrwert eine Untersuchung erzeugen könnte, die sich nicht nur auf ein dominantes Bündnis wie Goethes sogenannten ›Dichterbund‹ mit Schiller beschränkt, sondern auch die Simultanität gleich mehrerer solcher Verbindungen wahr- und ernstnimmt. In Anlehnung an die Vorschläge der relationalen Soziologie und insbesondere der Akteur-Netzwerk-Theorie, die das »Denken in Entitäten zugunsten eines prozessualen und relationalen Denkens verwirft«Footnote 160 und dabei sowohl menschliche wie nicht-menschliche Handelnde zu berücksichtigen bestrebt ist, könnten Autoren innerhalb eines Handlungs-Netzwerks verortet werden, das aus unterschiedlichen institutionellen, personellen und technischen Akteuren besteht (darunter Autoren und Ko-Autoren, Verleger, Mittelsmänner, Druckmaterialien, Typografie und Sekretäre).
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird Dichterschaft emphatisch von sozialen Bindungen freigesprochen, während sich zugleich das in unterschiedlichen Bündnissen strukturierte Netz der Abhängigkeiten nicht zuletzt durch die Ausweitung von Öffentlichkeit und Markt zu verdichten beginnt. Diese Häufung von öffentlich ausgestellten Relationen macht aus Forschungsperspektive nicht nur monokausale Erklärungen von Autorhandlungen verdächtig, sondern führte bereits für die Zeitgenossen zu erhöhter Unsicherheit über Ausgang und Stabilität ihrer Bündnisse. Jede Allianz stellte durch ihre Einbindung in ein Geflecht weiterer Bünde, die insgesamt einem Netz beinahe unüberschaubarer Kollaborationen aufruhen, nicht mehr ein einfaches Vehikel zur Erreichung eines bestimmten zukünftigen Zieles – wie etwa die Etablierung einer bestimmten ästhetischen Position – dar, sondern geriet zum Element eines ganzen Systems von Nicht-Wissen, das aus der Möglichkeit zur gegenseitigen Einflussnahme und Interferenz an Dynamik gewann und so in gesteigertem Maße zur Herstellung von Neuem und Unerwarteten beitrug. Der literaturhistorische und kulturwissenschaftliche Blick auf solche simultan bestehenden, reversiblen und reziproken (aber keineswegs herrschaftsfreien) Netzverbindungen könnte der Rekonstruktion historischer Formationen jene Dynamik wiedergeben, die ihr durch die literaturhistorische Reproduktion und Festschreibung ›bedeutender‹ Bündnisse vielfach genommen wurde. Damit könnte – in neuer Perspektive – auch das Projekt einer Sozialgeschichte der Literatur wiederbelebt werden – doch womöglich nur um den Preis der fortschreitenden Aufgabe einer ausschließlichen Fixierung auf Einzel-Autoren, die sich zusehends in Schreibverbänden und Mediennetzen zu verlieren begännen.
Notes
Goethe an Heinrich Wilhelm Gerstenberg, [16].10.1773, in: Johann Wolfgang Goethe, Goethes Werke, hrsg. im Auftr. der Großherzogin Sophie von Sachsen, Weimar 1887-1919 (im Folgenden zit. als WA), IV, 2, 112.
Siehe dazu den unten zitierten Brief Gottlob Friedrich Ernst Schönborns an Heinrich Wilhelm Gerstenberg, 21.9.-16[?].10.1773.
Zur Doppelcodierung des Buches vgl. Georg Jäger, »Keine Kulturtheorie ohne Geldtheorie. Grundlegung einer Theorie des Buchverlags«, in: Monika Estermann, Ernst Fischer, Ute Schneider (Hrsg.), Buchkulturen. Beiträge zur Geschichte der Literaturvermittlung. Festschrift für Reinhard Wittmann, Wiesbaden 2005, 59–78; zur Kulturökonomie des ausgehenden 18. Jahrhunderts vgl. York-Gothart Mix, »Schreiben, lesen und gelesen werden. Zur Kulturökonomie des literarischen Feldes (1770-1800)«, in: Wolfgang Adam, Markus Fauser (Hrsg.), Geselligkeit und Bibliothek. Lesekultur im 18. Jahrhundert, Göttingen 2005, 283–309.
Die emphatischste Lossagung von allem ›Kerkermäßigen‹, insbesondere von Regelpoesie und mechanistischen Wirkungsästhetiken, beim jungen Goethe findet sich wohl in seiner Rede Zum Shäkespeares Tag (1771), die gleich zu Beginn das Credo formuliert: »Ich! Der ich mir alles bin, da ich alles nur durch mich kenne! So ruft jeder, der sich fühlt«. Vgl. Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hrsg. Karl Richter u. a., München 1985-1998 (im Folgenden zit. als MA), 1.2, 411.
Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1987, 21.
Zum Distinktionsgewinn durch die intransigente Haltung gegenüber der Kritik vgl. bereits Richard Alewyn, »Klopstocks Leser«, in: Bernhard Fabian (Hrsg.), Festschrift für Rainer Grünter, Heidelberg 1978, 100–121.
Zeichen eines bereits hochgradig autonomen künstlerischen Feldes ist es nach Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a.M. 1999, 104, dass »sich jene, die sich als vollgültige Mitglieder der Welt der Kunst zur Geltung bringen wollen, insbesondere aber diejenigen, die den Anspruch auf eine beherrschende Position darin erheben, gehalten [fühlen], ihre Unabhängigkeit gegenüber externen, politischen oder wirtschaftlichen, Mächten zu manifestieren«.
Vgl. Friedrich Gottlieb Klopstock, Die deutsche Gelehrtenrepublik, Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. Rose-Maria Hurlebusch, Berlin 1975, VII.1, 13.
Die Förderung ist dabei freilich nicht immer nur finanzieller Natur und versetzt den Günstling in ein oftmals uneindeutiges hierarchisches Verhältnis zu seinem Gönner. Zur Patronagekultur des 18. Jahrhunderts vgl. vor allem Nacim Ghanbari, »Netzwerktheorie und Aufklärungsforschung«, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 38 (2013), 315–335.
Die Kollegen sind zugleich Konkurrenten im ›Feld der eingeschränkten Produktion‹, von dem Bourdieu (Anm. 7), 135, als einem »genuin antiökonomischen ökonomischen Universum« spricht.
In Anlehnung an das von Friedrich Kittler, »Autorschaft und Liebe«, in: Ders. (Hrsg.), Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften. Programme des Poststrukturalismus, Paderborn u. a. 1980, 142–173, skizzierte Verhältnis. Seit dem 18. Jahrhundert ist der Autor derjenige, der über das, was er gelesen hat, »immer nur in eigenen Worten spricht« (ebd., 158).
Eine solche Kultur kann mit Stephen Greenblatt, »Kultur«, in: Moritz Baßler (Hrsg.), New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur, 2., aktual. Aufl., Tübingen, Basel 2001, 48–59, hier: 50, als »bestimmtes Netzwerk von Verhandlungen [negotiations] über den Austausch von materiellen Gütern, Vorstellungen und […] Menschen« verstanden werden.
Ausschlaggebend für eine innere Differenzierung der Kritik ist auch die Konkurrenzlage etwa der Rezensionsorgane, wie sie spätestens ab der kurzen Blütezeit der Frankfurter gelehrten Anzeigen Anfang der 1770er Jahre in unterschiedlicher Intensität gegeben war.
Siehe pars pro toto Goethe an Anna Katharina Schönkopf, 23.1.1770, WA, IV, 1, 225; vgl. auch Goethes Brief an Friederike Oeser, 13.2.1769, WA, IV, 1, 197. Beinahe topisch kehrt die Klage über die Vereinzelung trotz Gesellschaft bei Goethe regelmäßig wieder. Meist diente das später häufig retrospektive Lamento der Betonung einer Devianz der eigenen Position, die als Effekt eines Unverständnisses vor bahnbrechenden Neuerungen inszeniert wird. Vgl. etwa die Klage über die Isolierung aufgrund seiner Leidenschaft für die Metamorphose der Pflanze in Goethes Campagne in Frankreich 1792 (MA, 14, 468).
Zur Umwertung der Einsamkeit vgl. auch Albrecht Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, 2., durchges. Aufl., München 2003, 169–185.
Goethe an Heinrich Wilhelm Gerstenberg, [16].10.1773, WA, IV, 2, 112.
Dabei wird auch auf das Auratische der scriptura gesetzt. Vgl. auch Jan-Dirk Müller, »Der Körper des Buchs. Zum Medienwechsel zwischen Handschrift und Druck«, in: Hans Ulrich Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Materialität der Kommunikation, Frankfurt a.M. 1988, 205. Durch unterschiedliche Bezugnahmepraktiken (wie die briefliche Kommentierung oder die Briefbeigabe) lässt sich diese Aura des Authentischen auch auf die ›impressura‹ projizieren. Der handschriftliche Briefkontakt kann so das durch den gedruckten Text anonymisierte Verhältnis von Autor und Leser flankieren und transformieren. Dass Handschriften auch nach dem Medienwechsel, in gedruckter Form zur Herstellung von Beziehungen dienen konnten, zeigt jetzt auch Carlos Spoerhase, »›Manuscript für Freunde‹. Die materielle Textualität literarischer Netzwerke, 1760-1830 (Gleim, Klopstock, Lavater, Fichte, Reinhold, Goethe)«, DVjs 88 (2014), 172–205.
Zwar ist schon für Christian Fürchtegott Gellert, Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen, Leipzig 1751, 3, ein Brief »kein ordentliches Gespräch«, indes vertritt er »doch die Stelle einer mündlichen Rede«, »ist eine freye Nachahmung des guten Gesprächs«, und übernimmt damit eine ähnliche sozialisierende Funktion.
Noch vor dem Nationalstaat erscheint bereits die res publica literaria als vorgestellte Gemeinschaft, denn auch sie beruht auf »the image of their communion«; vgl. Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, rev. and ext. 2nd ed., London, New York 1991, 6.
Goethe an Heinrich Wilhelm Gerstenberg, [16].10.1773, WA, IV, 2, 112.
Erdmut Jost, »Einführung: Das 18. Jahrhundert als Formierungsphase der Netzwerkgesellschaft«, in: Ders., Daniel Fulda (Hrsg.), Briefwechsel. Zur Netzwerkbildung in der Aufklärung, Halle 2012, 7–14, betrachtet Briefkommunikation als Element einer beginnenden Netzwerkgesellschaft. Netzwerke erscheinen hier als »Herrschaftstechnik«: »Beim Vernetzen ging – und geht es immer – um Macht« (ebd., 7). Allerdings ist das Netz bei Jost auf relativ einfache Ziele wie »Karrieremanagement« abgesteppt (vgl. ebd., 9).
Der heute kaum noch bekannte Schönborn (1737-1817), in dänischem Diplomatendienst, war zwar selbst auch Schriftsteller, ist aber vor allem aufgrund seines persönlichen Netzwerks von Bedeutung, das u. a. Klopstock, Gerstenberg und die Brüder Stolberg umfasste. 1773 lernte er Goethe in Frankfurt durch eine Empfehlung Heinrich Christian Boies kennen.
Gottlob Friedrich Ernst Schönborn an Heinrich Wilhelm Gerstenberg, 21.9.-16[?]. 10.1773, zit. nach Der junge Goethe, hrsg. Hanna Fischer-Lamberg, Berlin 1963, I, 425.
Vgl. Goethe an Heinrich Wilhelm Gerstenberg, [16].10.1773, WA, IV, 2, 112. Die Chronologie ist freilich unsicher: Ob Gerstenberg den Briefwechsel zuerst vorgeschlagen oder aus Goethes Schreiben übernommen und als vorgängig inszeniert hat, muss offen bleiben.
Wie er sich diese Verbindung gedacht hat, teilt er am Ende der kurzen Nachricht freimütig mit, und zwar in einer doppelsinnigen Formulierung, die sowohl auf die noch ausstehende Übernahme einer bürgerlichen Erwerbstätigkeit als auch auf die noch geringe literarische Reputation bezogen werden kann. Er schreibt: »[D]a ich in der Welt noch keine Rolle spiele bring [sic] meine besten Stunden, im Aufzeichnen meiner Phantasien zu, und meine grösste Freude ist wenn iemand den ich ehre und liebe mit Theil daran nehmen will. Ich hoffe noch viel auf Sie, und wünschte auch Ihnen einige Stunden dieses wetterwendischen Lebens versüssen zu können« (Goethe an Heinrich Wilhelm Gerstenberg, [16].10.1773, WA, IV, 2, 112–113).
Damit ist auch der Eintritt in einen neuen sozialen Raum verbunden, der sich aus den narrativ mit Bedeutung versehenen Beziehungen ergibt. Vgl. dazu Harrison C. White, Identity and Control. How Social Formations Emerge, second ed., Princeton, Oxford 2008, 145, der sein Konzept in funktionaler Entsprechung zu den autonomisierten Teilfeldern bei Bourdieu sieht.
Heinrich Wilhelm Gerstenberg an Goethe, 5.1.1774, zit. nach: Johann Wolfgang Goethe, Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. Georg Kurscheidt, Norbert Oellers, Elke Richter, Berlin 2009, II.2, 120.
Ebd.
Nach Koschorke (Anm. 15), 319 f., erzeugt Schriftkommunikation »auf der Ebene der Körper […] ein System der Verschiebung, der Ungleichzeitigkeit, des unaufholbaren Aufschubs; sie zerstört hier den Anspruch auf Direktheit, den das rhetorische Denken aus dem Primat der Rede bezog. Andererseits aber besorgt sie die Konversion jener ersten in eine sekundäre Präsenz, die gerade durch physische Abwesenheit gewährleistet wird und deren Modus das Imaginäre ist. Die Unterbrechung der Körperbeziehungen ist Bedingung für diese imaginäre Präsenz.« In dieser Welt des Imaginären wird Schrift zum Zeichen des Körpers, werden Wörter zum Ausdruck des Inneren. Der Text wird mit Heinrich Bosse, »Der Autor als abwesender Redner«, in: Paul Goetsch (Hrsg.), Lesen und Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert. Studien zu ihrer Bewertung in Deutschland, England, Frankreich, Tübingen 1994, 277–292, hier: 277 f., zum Stellvertreter und Zeichen.
Heinrich Wilhelm Gerstenberg an Goethe, 5.1.1774, zit. nach Der junge Goethe (Anm. 23), 120.
Goethe schreibt jedenfalls keinen weiteren Brief mehr an den wohl stets mehr als nützlich erachteten denn wirklich geschätzten Autor; vgl. Goethe an Friederike Oeser vom 13.2.1769, WA, IV, 1, 188–202, bes. 198 f.
Zum Unterschied zwischen der determinierten Laufbahn und der offenen Karriere vgl. Georg Stanitzek, Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18. Jahrhundert, Tübingen 1989, 71–82.
Vgl. Johann Gottfried Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität. Herausgegeben von J. G. Herder. Achte Sammlung, Riga 1796, 139.
Schiller an Goethe, 18.6.1796, Schillers Werke. Nationalausgabe, hrsg. Norbert Oellers, begr. Julius Petersen, fortgef. Liselotte Blumenthal, Benno von Wiese, Siegfried Seidel, Weimar 1943 ff. (im Folgenden zit. als SNA), XXVIII, 228.
Vgl. Bosse (Anm. 29) und Koschorke (Anm. 15), bes. 302–307.
Zur um 1800 habitualisierten und in der Folge sogar zum Gesetz geronnenen Verbindung von Autor und Werk vgl. die mittlerweile klassische diskurshistorische Studie von Heinrich Bosse, Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit, Paderborn u. a. 1981. Weitere Perspektiven auf die Veröffentlichung von Werken als Inszenierungspraktik eröffnet Steffen Martus, Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert mit Studien zu Klopstock, Tieck, Goethe und George, Berlin, New York 2007, 1–112.
Carlos Spoerhase, »Was ist ein Werk? Über philologische Werkfunktion«, Scientia Poetica 11 (2007), 276–344, hier: 299.
Siehe dazu Michel Foucault, »Was ist ein Autor? (Vortrag)«, in: Ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, hrsg. Daniel Defert, François Ewald, Frankfurt a. M. 2001, 1003–1041.
Exemplarisch sei hier die Verbindung des Weimarer Herzogs zu Goethe genannt, der wiederum seine Kontakte zu deutschen Gelehrten und Fürsten (als potenzielle Mäzene oder Arbeitgeber) etwa Aloys Hirt zur Verfügung stellt, von dem er sich im Gegenzug archäologische Expertise und eine stetige Verbindung zu den römischen Kunstwerken erhofft. Zum teils ängstlichen Klientel-Verhältnis zu in ihrer künftigen Bedeutung schwer einzuschätzenden Akteuren siehe auch Goethes Brief an Jakob Friedrich von Fritsch, 6.5.1783, WA, IV, 6, 158–160.
Friedrich Kittler, »Signal-Rausch-Abstand«, in: Gumbrecht, Pfeiffer (Anm. 17), 342–359, hier: 355.
Noch die neuere Forschung tradiert die von der Frühromantik konstituierte Dialogbeziehung zweier Individuen als »strukturelle Homologie zwischen dem Autor und seinem Interpreten« (Andreas Arndt, Friedrich Schleiermacher als Philosoph, Berlin, Boston 2013, 272).
Aufgrund dieser Verbindung erst gibt »ein Autor […] mit seinem Buch, es möge dies schlecht oder gut seyn, gewissermaaße einen Theil seiner Seele dem Publikum Preis« (Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Erster Theil, Riga, Leipzig 1784, unpag. Vorrede).
Johann Christian Reil, Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Dem Herrn Prediger Wagnitz zugeeignet, Halle 1803, 411.
Ebd., 417.
Gilles Deleuze, Unterhandlungen. 1972-1990, aus dem Franz. von Gustav Roßler, Frankfurt a.M. 1993, 41–54, hier: 42, weist auf das Konstruierte dieser Entitäten hin: »[V]ielleicht glaubt man zu Unrecht an die Existenz von Dingen, Personen und Subjekten.« Er betont dagegen die vielfältigen Relationen ihrer Existenz: »[J]edes Ding [hat] seine Geographie, seine Kartographie, sein Diagramm. Sogar bei einer Person sind das Interessante die Linien, von denen sie gebildet wird oder die sie bildet, die sie entlehnt oder schafft« (ebd., 53).
Nach Foucault (Anm. 38).
Begriff und Konzept der ›Verwerklichung‹ von Texten müssen an anderer Stelle ausführlicher dargestellt werden; vgl. auch den Ausblick bei Daniel Ehrmann, »Textrevision – Werkrevision. Produktion und Überarbeitung im Wechsel von Autoren, Herausgebern und Schreibern«, editio 30 (2016), 71–87, bes. 85 f. Insbesondere die Frage, was einen Text zu einem Werk der Literatur macht, muss den mechanischen Akt der Niederschrift überschreiten. Vgl. auch den Systematisierungsversuch von Spoerhase (Anm. 37).
Vgl. Hartmut Winkler, Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien, Frankfurt a.M. 2004.
Schreiben und Lesen werden über verschiedene technische und aktoriale Medien in Beziehung, genauer: in ein Rückkopplungsverhältnis gesetzt.
Zur aktuellen Debatte über die Verbindung von Medien und Akteurs-Netzwerken vgl. Erhard Schüttpelz, »Elemente einer Akteur-Medien-Theorie«, in: Tristan Thielmann, Erhard Schüttpelz (Hrsg.), Akteur-Medien-Theorie, Bielefeld 2013, 9–67; Tristan Thielmann, »Jedes Medium braucht ein Modicum. Zur Behelfstheorie von Akteur-Netzwerken«, Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 4/2 (2013), 112–127; Jens Schröter, Tristan Thielmann, »Akteur-Medien-Theorie«, in: Jens Schröter (Hrsg.), Handbuch Medienwissenschaft, Stuttgart, Weimar 2014, 148–158.
Stanitzek (Anm. 32), 81.
So Katja Frehland-Wildeboer, Treue Freunde? Das Bündnis in Europa 1714-1914, München 2010, 18.
Ebd., 24.
Bereits Johann Heinrich Zedler (Hrsg.), Großes vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften und Künste […], Halle, Leipzig 1732, 1257, hält das praktische Problem der Vielzahl an Bündnispartnern fest: »Je mehr in einer Allianz verbunden, desto schwerer ist, daß die Harmonie gut bleibt«.
Nach Gérard Genette, Paratexte [Das Buch vom Beiwerk des Buches], aus dem Franz. von Dieter Hornig, Frankfurt a.M., New York 1989.
So Thomas Wegmann, Dichtung und Warenzeichen. Reklame im literarischen Feld 1850-2000, Göttingen 2011, 19. Der dort für das Literatursystem der Moderne erstellte Befund lässt sich mit leichten medientechnischen Einschränkungen auf das 18. Jahrhundert übertragen.
Das 18. gerät so zum ›geselligen Jahrhundert‹. Vgl. exemplarisch für die von vielen Forschungen geteilte Position Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, München 1982; Eckhardt Meyer-Krentler, Der Bürger als Freund. Ein sozialethisches Programm und seine Kritik in der neueren deutschen Erzählliteratur, München 1984; Wolfram Mauser, Barbara Becker-Cantarino (Hrsg.), Frauenfreundschaft – Männerfreundschaft. Literarische Diskurse im 18. Jahrhundert, Tübingen 1991.
August Wilhelm Schlegel, Ueber Litteratur, Kunst und Geist des Zeitalters [1803], in: Ders., Vorlesungen über Ästhetik [1803-1827], hrsg. Ernst Behler, Georg Braungart, Paderborn u. a. 2007, 197–253, hier: 229.
Freunden dürfte er »nur ein halbes Wort sagen, so verstünden sie mich«; sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie »nichts Geheimes für einander haben«, sondern sich, der gegenseitigen Verschwiegenheit gewiss, »Alles mit der offensten Aufrichtigkeit anvertrauen« (vgl. Friedrich Gottlieb Klopstock, »Von der Freundschaft«, in: Ders., Ausgewählte Werke, hrsg. Karl August Schleiden, München 1962, bes. 934–937).
Georg Jäger, »Freundschaft, Liebe und Literatur von der Empfindsamkeit bis zur Romantik: Produktion, Kommunikation und Vergesellschaftung von Individualität durch ›kommunikative Muster ästhetisch vermittelter Identifikation‹«, Siegener Periodicum zur internationalen empirischen Literaturwissenschaft 9 (1990), 69–83, hier: 72.
Steffen Martus, Friedrich von Hagedorn – Konstellationen der Aufklärung, Berlin, New York 1999, 175.
Für den Jahrhundertwechsel verzeichnet Günter Oesterle, »Diabolik und Diplomatie. Freundschaftsnetzwerke in Berlin um 1800«, in: Natalie Binczek, Georg Stanitzek (Hrsg.), Strong ties / Weak ties. Freundschaftssemantik und Netzwerktheorie, Heidelberg 2010, 93–110, hier: 94, einen »Re-Import von Formen der Diplomatie in die Gefühlsfreundschaft«.
Vgl. [Johann Gottfried] Gruber, C. M. Wielands Leben. Neu bearb. von J. G. Gruber. Mit Einschluss vieler noch ungedruckter Briefe Wielands. 4. Theil, Leipzig 1828, 12 f.; Stephan Füssel, Georg Joachim Göschen. Ein Verleger der Spätaufklärung und der deutschen Klassik, 3 Bde., Berlin, New York 1999, I, 91 f.; Peter-Henning Haischer, Historizität und Klassizität. Christoph Martin Wieland und die Werkausgabe im 18. Jahrhundert, Heidelberg 2011, 231–239.
Vgl. Wielands Brief an Göschen, November 1790, in: Christoph Martin Wieland, Wielands Briefwechsel, hrsg. Siegfried Scheibe, Berlin 1992, X.1 (bearb. von Uta Motschmann), 424: »Der bloße Gedanke, daß dieser Accord das Grab unsrer Freundschaft seyn könnte, ist mir unerträglich.«
Vgl. auch die vom Dienstverhältnis überlagerte Freundschaft Goethes zu Herzog Carl August und dazu Friedrich Sengle, Das Genie und sein Fürst. Die Geschichte der Lebensgemeinschaft Goethes mit dem Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Ein Beitrag zum Spätfeudalismus und zu einem vernachlässigten Thema der Goetheforschung, Stuttgart, Weimar 1993.
Der ›Freundschaftsbund‹ ist unzählige Male in der Forschung thematisiert worden, alleine das Goethe Jahrbuch 122 (2005) versammelt vierzehn Beiträge zum Thema »Goethes Schiller – Schillers Goethe«. Für Ernst Osterkamp, »Wir. Was Goethe und Schiller unter Freundschaft verstehen«, in: Bernhard Fischer, Norbert Oellers (Hrsg.), Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, Berlin 2011, 179–204, hier: 179, spielt hingegen »der Begriff der Freundschaft nur eine marginale Rolle«, und er kritisiert die »gewaltige Verschwendung, die in der Rezeptionsgeschichte ihres Briefwechsels mit dem Begriff der Freundschaft getrieben worden ist,« als eine »Taktlosigkeit«. Vgl. auch Michael Böhler, »Die Freundschaft von Schiller und Goethe als literatursoziologisches Paradigma«, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 5 (1980), 33–67, und ders., »Geteilte Autorschaft; Goethe und Schiller. Visionen des Dichters, Realitäten des Schreibens«, Goethe-Jahrbuch 112 (1995), 167–182; zur ›Allianz gegen die Öffentlichkeit‹ bzw. ›Bündnispolitik‹ vgl. Wilfried Barner, Eberhard Lämmert, Norbert Oellers (Hrsg.), Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik, Stuttgart 1984; zur ›öffentlichen Allianz gegen die Konkurrenz‹ vgl. Peter-André Alt, Schiller. Leben – Werk – Zeit. Eine Biographie, 2., durchges. Aufl., München 2004, 329. Einen Versuch zur terminologischen Klärung unternimmt jetzt auch Gerrit Brüning, Ungleiche Gleichgesinnte. Die Beziehung zwischen Goethe und Schiller 1794–1798, Göttingen 2015, 336: »Das Verhältnis, in dem die historischen Personen Goethe und Schiller standen, lässt sich als eine Freundschaft zweier Ungleicher begreifen, nicht aber als ein Bund von ›Geistesantipoden‹«.
Jochen Golz, »Der Publikumsfreund Schiller und sein Autor Goethe. Ein Blick in die Werkstatt der ›Venezianischen Epigramme‹«, in: Bodo Plachta (Hrsg.), Literarische Zusammenarbeit, Tübingen 2001, 121–130, hier: 121.
Eckhardt Meyer-Krentler, »Freundschaft im 18. Jahrhundert. Zur Einführung in die Forschungsdiskussion«, in: Mauser, Becker-Cantarino (Anm. 57), 1–21, hier: 7.
Wolfgang Fahs, »Zum Verhältnis Goethe-Schiller«, in: Mauser, Becker-Cantarino (Anm. 57), 137–140, hier: 137.
Johannes Weber, Goethe und die Jungen. Über die Grenzen der Poesie und vom Vorrang des wirklichen Lebens, Tübingen 1989, 42.
Klaus F. Gille, »›Glückliches Ereignis‹. Zum Freundschaftsbund von Schiller und Goethe«, Weimarer Beiträge 48 (2002), 520–530.
Zur durchaus so konkret zu verstehenden Codierung von sozialer Energie in ästhetischen Objekten vgl. Stephen Greenblatt, Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England, Berkeley, Los Angeles 1988.
Ein mehr als nur metaphorischer Bündnisschluss war damit letztlich wenigen Akteuren vorbehalten. Vgl. den Eintrag ›Alliance‹, in: Zedler (Anm. 54), 1255.
Ebd., 1257.
Johann Georg Walch, Philosophisches Lexicon […], Leipzig 1726, 323.
Dies gilt im Grunde nicht nur für literarische, sondern für alle nicht-staatlichen Bünde. Vgl. etwa Martin Papenheim, »Freunde oder Brüder? Die Semantik sozialer Netze im 18. Jahrhundert«, in: Binczek, Stanitzek (Anm. 62), 39–53, bes. 40–43.
Verstärkt wird diese Unsicherheit durch den Umstand, dass die Akteure häufig selbst die Reichweite und die Anzahl der Beteiligten nicht überblickten. Es ist daher grundsätzlich die Frage zu stellen, ob Bündnissen stets volitive Vereinigungen mit festen Grenzen und Partnern zugrunde liegen. Wenn die Akteure nicht unbedingt wissen müssen, dass sie Teil eines Bündnisses sind, ist die Frage nach den Quellen historischer und vor allem literaturhistorischer Bündnisforschung, die Rückschlüsse auf die Entwicklung und die Charakteristik bestimmter persönlicher Verbindungen erlauben, neu zu stellen. Es sind gewöhnlich schriftliche Dokumente geselliger Praktiken, naheliegenderweise etwa Korrespondenzen, Berichte und Tagebücher, aus denen die Art der Beziehung erhellt werden kann. Anlässlich eines Missverständnisses schlägt etwa Goethe in einem Brief an Johann Kaspar Lavater vom 4.10.1782, WA, IV, 6, 66, vor: »Wir sollten einmal unsere Glaubensbekenntniße in zwey Columnen neben einander sezen und darauf einen Friedens- und Toleranzbund errichten.« Es wird an anderer Stelle näher zu untersuchen sein, ob man von Bündnissen auch dann sprechen kann, wenn sie nicht funktionieren, wenn sie projektiert, aber nicht hergestellt und wenn sie mit inferioren oder infamen Akteuren eingegangen werden.
Im Unterschied zum ›spezifischen Nichtwissen‹, wie es Robert K. Merton, »Three Fragments from a Sociologist’s Notebooks: Establishing the Phenomenon, Specified Ignorance, and Strategic Research Materials«, Annual Review of Sociology 13 (1987), 1–28, beschreibt.
Zu diesem Begriff, der die Situativität und Inkohärenz gegenüber der schematischen Iterierbarkeit von Handlungen betont, vgl. Pierre Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, übers. von Cordula Pialoux, Bernd Schwibs, Frankfurt a.M. 1979, 248 f.
Gerade diese schwierige Beherrschbarkeit birgt indes großes Neuerungspotenzial. Zur Innovationskraft des Nichtwissens vgl. auch Michael Gamper, »Nicht-Wissen und Literatur. Eine Poetik des Irrtums bei Bacon, Lichtenberg, Novalis, Goethe«, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 34 (2009), 92–120.
Die (mediale) Erscheinung des Autors stellt sich so als Akteurs-Netzwerk, als Hybrid aus menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren dar. Vgl. grundlegend Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, übers. von Gustav Roßler, Berlin 1995. Andréa Belliger, David J. Krieger, »Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie«, in: Dies. (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld 2006, 13–50, hier: 23, fassen das spezifisch modernekritische Programm folgendermaßen zusammen: »Zeichen, Menschen, Institutionen, Normen, Theorien, Dinge und Artefakte bilden Mischwesen, techno-soziale-semiotische Hybride, die sich in dauernd sich verändernden Netzwerken selbst organisieren. Die Moderne hat durch Reinigungsverfahren aus diesem Realitätsmix Konstrukte wie Natur und Gesellschaft, Subjekt und Objekt herauspräpariert und zu Erklärungsgründen erhoben, wobei diese Konstrukte eigentlich das sind, was einer Erklärung bedarf.« Bruno Latour, »Technology is Society Made Durable«, in: John Law (Hrsg.), A Sociology of Monsters. Essays on Power, Technology and Domination, London, New York 1991, 103–132, hier: 129, ist skeptisch gegenüber vermeintlich stabilen Entitäten – denen man auch ›den Autor‹ zurechnen könnte –, denn: »we do not have to start from stable actors, from stable statements, from a stable repertoire of believes and interests, nor even from a stable observer.« Er nimmt damit eine spezifische Verunsicherung der Relationen in Kauf: »When actors are unstable and the observers’ points of view shift endlessly we are entering a highly unstable and negotiated situation in which domination is not yet exerted.«
White (Anm. 26), 6, betont: »identities find positions in relation to other identities. Together with the stories that tie them together, structure and meaning are produced.« Daraus ergibt sich, dass die ›Identität‹ für sich genommen gar keine wahrnehmbare soziale Bedeutung hat. »One identity, and one identity’s emergence, can only be understood in relation to other identities, their emergence and existence.« So Patrik Aspers, »Relational Ontology. Being and Order Out of Heidegger’s Socioontology«, in: Jan Fuhse, Sophie Mützel (Hrsg.), Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung, Wiesbaden 2010, 257–272, hier: 261.
Es sind damit zwei Ebenen der Praxis zu unterscheiden, die nicht voneinander getrennt, sondern zwar verbunden, aber nicht in einem Verhältnis einfacher Abbildung aufeinander zu sehen sind.
Es bietet sich daher auch die Beschreibungsmetapher des Rhizoms an, wie sie von Gilles Deleuze, Félix Guattari, Tausend Plateaus, Berlin 1992, verwendet wird.
Vgl. etwa Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1797), in: Ders., Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900 ff., VI, 203–493, hier: 273.
Bosse (Anm. 36), 101.
Bereits wenige Monate nach Erscheinen des Dramas wendet sich Goethe im Juli 1773 einigermaßen resigniert mit der Bitte an seinen Freund Johann Christian Kestner, ihn beim Verkauf zu unterstützen. Denn: »Der Verlag hört Mercken, der ist aber in Petersburg, ich schicke mich nicht zum Buchhändler, ich fürchte es bleibt hocken« (WA, IV, 2, 97–98). Das Geld, das Goethe für das Papier des Drucks ausgelegt hatte, konnte er – nicht zuletzt aufgrund früh unternommener Nachdrucke – über solche Verkäufe im Bekanntenkreis nicht wieder hereinwirtschaften. Er blieb mit den Restexemplaren auf den Schulden für das Papier sitzen. Die Erstausgabe des Werther im Verlag von Johann Friedrich Weygand in Leipzig brachte dagegen zwar keinen wirtschaftlichen Verlust, sie war aber aufgrund der schlechten Konditionen auch kein wirklicher finanzieller Erfolg. Mehrere Raubdrucke und unautorisierte Übersetzungen sowie heimliche Doppeldrucke von Weygand selbst taten ein Übriges.
Siegfried Unseld, Goethe und seine Verleger, Frankfurt a.M. 1991, 16. Von den zunächst vom Vater, nach dessen Tod auch von der Mutter gewährten finanziellen Zuwendungen hat Goethe noch zur Zeit seiner Weimarer Anstellung profitiert.
So Unseld (Anm. 88), 49. Auch Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, München 32011, 176, spricht von einer »Enttäuschung mit dem Selbstverlag«.
Durch den Erfolg des Götz hatte Goethe durchaus Wahlmöglichkeiten, die Wittmann (Anm. 89), 176, sogar als »verlegerische[s] Wettrennen« bezeichnet.
Jäger (Anm. 3), 69: »Auf diese Weise entsteht das gedruckte Buch, das auf der einen Seite seinen kulturellen (oder im engeren Sinne literarischen, wissenschaftlichen etc.) Wert und auf der anderen Seite seinen wirtschaftlichen Wert hat. Der kulturelle (bzw. literarische, wissenschaftliche) Wert Wird in der Kritik, der wirtschaftliche auf dem Markt festgestellt.«
Goethe an Sophie von La Roche, 23.12.1774, WA, IV, 2, 219.
WA, IV, 2, 219; Hervorhebung D.E.
Im Unterschied zum Autor Goethe dürfte der Verleger Weygand indes auch finanziell profitiert haben. Vgl. Marianne Henn, »Goethes erster Verleger Weygand. Eine Richtigstellung«, Goethe-Jahrbuch 117 (2000), 275–277, hier: 276.
Mix (Anm. 3), 296.
Johann Heinrich Merck, Briefwechsel, hrsg. Ulrike Leuschner u. a., Göttingen 2007, I, 599.
Schlegel (Anm. 58), 229.
Karl Philipp Moritz, »Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten«, in: Berlinische Monatsschrift 5 (1785), Märzheft, 225–236, hier: 233.
Ebd., 234.
Diese Aufmerksamkeit unterliegt freilich einer strengen Hierarchie, sie ist sozial und zeitlich begrenzt, wenn der »falsche[ ] Schimmer vielleicht eine Zeitlang das Auge des Pöbels blendet, aber vor dem Blik des Weisen wie Nebel verschwindet.« (ebd.).
Zur Trennung der beiden Subfelder der ›hohen‹ und ›niederen‹ Literatur vgl. auch Norbert Christian Wolf, »Goethe als Gesetzgeber. Die struktur- und modellbildende Funktion einer literarischen Selbstbehauptung um 1800«, in: Eckart Goebel, Eberhard Lämmert (Hrsg.), »Für viele stehen, indem man für sich steht«. Formen literarischer Selbstbehauptung in der Moderne, Berlin 2004, 23–49.
Moritz (Anm. 98), 233.
Vgl. Klopstock (Anm. 8), 13.
Diese Blickrichtung führt dazu, dass die Beteiligung weiterer Akteure zur Störung der imaginierten ›Normalkommunikation‹ zwischen Autor und Verleger gerät. Die Vermittlungsleistung von Seidel, Herder und Bertuch wird etwa von Füssel (Anm. 63), I, 111 f. akribisch und völlig korrekt dokumentiert, sie erscheint darin aber nicht als konstitutiver und unhintergehbarer Teil der Ausgabe, sondern als ständiger Quell von »Mißverständnisse[n]« zwischen den privilegierten Akteuren Goethe und Göschen. Die Neuperspektivierung des Bekannten soll also keineswegs den Anschluss an »mühsam akkumulierte Wissensbestände« verlieren und »ein neues Spiel« mit ganz anderen Gegenständen eröffnen (vgl. Lutz Danneberg, »›Ich habe nichts Neues zu sagen…‹«, Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 39 [1995], 434–438, hier: 437 f.), sondern lediglich eine Veränderung des ›epistemischen Dings‹ der Göschen-Ausgabe anstoßen (zum Begriff siehe Hans-Jörg Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Frankfurt a.M. 2006, 27, und zum Potenzial des Begriffs in den Geisteswissenschaften Steffen Martus, »Epistemische Dinge der Literaturwissenschaft?«, in: Andrea Albrecht, Lutz Danneberg, Olav Krämer, Carlos Spoerhase [Hrsg.], Theorien, Methoden und Praktiken des Interpretierens, Berlin, Boston 2015, 23–51).
Bourdieu (Anm. 79), 218.
Vgl. Gerhard R. Kaiser, Siegfried Seifert (Hrsg.), Friedrich Justin Bertuch (1747–1822): Verleger, Schriftsteller und Unternehmer im klassischen Weimar, Tübingen 2000; Walter Steiner, Uta Kühn-Stillmark, Friedrich Justin Bertuch. Ein Leben im klassischen Weimar zwischen Kultur und Kommerz, Köln, Weimar, Wien 2001.
Vgl. auch Füssel (Anm. 63), I, 105.
Waltraut Hagen (Hrsg.), Quellen und Zeugnisse zur Druckgeschichte von Goethes Werken, Berlin 1966 (im Folgenden zit. als QuZ), I, 4.
QuZ, I, 4.
QuZ, I, 5. Unberechenbarkeit geht bereits von der Selbstermächtigung Bertuchs aus, der eben nur »theils auch mit Göthes Willen« handelte.
Vgl. noch Goethes Brief an F. J. Bertuch und G. J. Göschen, [Ende Juni] 1787, in dem er zwar die, später noch leicht veränderte, »Vertheilung meiner sämmtlichen Arbeiten in acht Bänden« mitteilt, unter denen sich aber auch noch einige ›unvollendete‹ und ›fragmentarische‹ finden (WA, IV, 7, 235).
Zur schleppenden Subskription siehe Unseld (Anm. 88), 125.
Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 129, 31.5.1786, 411.
Es bietet sich hier in besonderer Weise an, von einem Bündnis zu sprechen, da bereits wenige Tage nach Bertuchs Brief an Göschen ein erster Vertragsentwurf niedergeschrieben wurde, der das Verhältnis und die Verpflichtungen der beiden Parteien regeln sollte. Wenngleich schriftliche Vereinbarungen zumal bei größeren verlegerischen Unternehmungen üblich waren, hat Goethe nicht immer einen solchen förmlichen Vertrag geschlossen (so etwa mit Cotta).
QuZ, I, 5. Göschen übernahm dabei zwei Drittel, da er für seinen »Aßocié« Christian Gottfried Körner mitunterschrieb. Vgl. dazu auch Füssel (Anm. 63), I, 107.
Boris Holzer, Netzwerke, Bielefeld 2006, 18–21. Trotz dieser erkennbaren Funktionäre scheint eine Netzwerkanalyse als zu optimistisch, die solche »komplexe[n] Beziehungsgefüge« in »berechenbare Grundelemente – z. B. ties: Knoten, Maschen, Zweige oder Kanten – zerleg[en]« zu können glaubt (Natalie Binczek, »Einleitung«, in: Binczek, Stanitzek [Anm. 62], 7–14, hier: 8).
Mark S. Granovetter, »The Strength of Weak Ties«, American Journal of Sociology 78 (1973), 1360–1380.
Vgl. auch Papenheim (Anm. 76), 42.
Zu Göschens Bemühungen um Absatz durch Differenzierung in der Ausstattung sowie zu Auflagenhöhe und Verkaufszahlen siehe Waltraut Hagen, »Goethes Werke auf dem Markt des deutschen Buchhandels. Eine Untersuchung über Auflagenhöhe und Absatz der zeitgenössischen Goethe-Ausgaben«, Goethe-Jahrbuch 100 (1983), 11–58, bes. 22–27.
Goethe an Göschen, 25.6.1790, QuZ, I, 191.
Da durch die niedrigen Verkaufszahlen »eine empfindliche Beschränkung« von »Goethes Wirkung« angenommen werden kann, geht Norbert Christian Wolf, »Gegen den Markt. Goethes Etablierung der ›doppelten Ökonomie‹«, in: Thomas Wegmann (Hrsg.), MARKT. literarisch, Bern u. a. 2005, 59–74, hier: 63, davon aus, dass für Deutschland ein »Subfeld der eingeschränkten Produktion« bereits für die Zeit um 1800 anzunehmen ist. Zu den Teilfeldern der kulturellen Produktion siehe Bourdieu (Anm. 7), 344 f.
Vgl. Johann Wolfgang Goethe, »Schicksal der Handschrift«, WA, II, 6, 131–136, bes. 133 f.
Goethe an Göschen, 25.6.1790, QuZ, I, 191.
Er reagiert daher zunächst nicht auf Göschens Anfrage und antwortet erst ein Jahr später auf eine neuerliche Anfrage des Verlegers mit der Benennung jener Werke, die ihm dadurch entgingen, »daß Sie den kleinen Versuch der Metamorphose ausschlugen«. Goethe war dadurch »genötigt mich nach einem andern Verleger umzusehen und Verbindungen einzugehen die ich sogleich nicht lösen kann. […] Ich kann Ihnen aufrichtig versichern daß ich sehr gewünscht hätte alles in Einer Hand zu sehen« (WA, IV, 9, 276–277).
WA, IV, 9, 276–277.
WA, IV, 9, 277.
1791 kommt es daher auch zur formalen Beendigung der Allianz, nicht nur zwischen Goethe und dem Verleger; auch Bertuch lässt sich von Göschen auszahlen und steigt aus dem Investitionsbündnis aus. Zwar nicht formell vollzogen, aber deutlich merkbar distanzieren sich in der Folge auch Goethe und Bertuch.
Zur Genealogie dieser Verbindung vgl. Gerrit Brüning, »Glückliches Ereignis im Zeichen der Kunst. Die ›Propyläen‹ als Frucht der Zusammenarbeit Goethes und Schillers«, in: Daniel Ehrmann, Norbert Christian Wolf (Hrsg.), Klassizismus in Aktion. Goethes ›Propyläen‹ und das Kunstprogramm der Weimarer Klassik, Wien, Köln, Weimar 2016, 371–385.
Beide Zitate Cotta an Schiller, 3.10.1797, SNA, XXXVII.1, 148.
Cotta an Schiller, 3.10.1797, SNA, XXXVII.1, 148 f.
Cotta an Schiller, 3.10.1797, SNA, XXXVII.1, 149.
Diese Strategie verfolgte Cotta bereits ab 1793, als er sich auf das verlegerisch riskante Horen-Projekt einließ, dadurch aber nicht zuletzt das Vorkaufsrecht auf weitere Schriften der Beiträger erwarb (vgl. Stephan Füssel, »Johann Friedrich Cottas ›Neuerfindung‹ des Verlages seit 1787 vor dem Hintergrund des Strukturwandels im Buchhandel«, in: Helmuth Mojem, Barbara Potthast [Hrsg.], Johann Friedrich Cotta. Verleger – Unternehmer – Technikpionier, Heidelberg 2017, 13–31, bes. 27–31).
Cotta an Schiller, 3.10.1797, SNA, XXXVII.1, 149.
Dies führt letztlich dazu, dass Cotta trotz anfänglich hoher ökonomischer Verluste von der Unternehmung am Ende auch finanziell profitiert hat, indem er sich erfolgreich bemühte, »mit Goethe den bedeutendsten deutschen Autor zu gewinnen und damit auf dem Weg, aus seinem kleinen Tübinger Unternehmen einen ›national‹ operierenden Verlag zu machen« (vgl. Bernhard Fischer, Johann Friedrich Cotta. Verleger – Entrepreneur – Politiker, Göttingen 2014, 114).
Diese Dynamik der relationalen Erzeugung von Autor- und Verlegernamen vermisst man weitgehend in den ansonsten anregenden Überlegungen zur ›Werkpolitik‹ Goethes bei Martus (Anm. 36). Angedeutet wird der Zusammenhang aber immerhin ebd., 462–467.
Die Überarbeitungen durch die Herders sind ebenso weitreichend wie diffus. Insbesondere den an der Ausgabe Beteiligten fiel es bisweilen schwer, den Grad der Überarbeitung einzuschätzen. Herder wird aber im Rahmen der Drucklegung zum wichtigen Akteur, da er häufig die letzte Instanz auf Autorseite war, die die Manuskripte dann an den Verlag weiterreichte. Vgl. etwa F. J. Bertuch an G. J. Göschen, 19.11.1787: »Die Bücher, welche Sie der Angelika [i. e. Kauffmann, D.E.] für die Zeichn[ung] zum Frontispice des 5ten Bandes schicken sollen, sind doch wohl immer ein Object von 25rh? Fordern Sie doch nun Herdern den Egmont ab. Sie haben nun Veranlaßung dazu« (zit. nach Katharina Mommsen [Hrsg.], Die Entstehung von Goethes Werken in Dokumenten, Berlin, New York 2006, III, 200).
So Goethe in seinem polemischen Aufsatz Litterarischer Sanscülottismus, in dem Wielands »stufenweise[ ] Korrekturen« als Ausdruck der Entwicklung »eines Mannes« erscheinen (MA, 4.2, 18, Hervorhebung D.E.).
Vgl. etwa Goethes Brief vom 13. Jänner 1787 aus Rom an Herder, mit dem er ihm ein Manuskript der Iphigenie übersandte: »Auch wünscht ich daß es Wieland ansähe der zuerst die schlotternde Prosa in einen gemeßnern Schritt richten wollte und mir die Unvollkommenheit des Wercks nur desto lebendiger fühlen ließ. Macht damit was ihr wollt, dann laß es abschreiben und schaff es mit dem übrigen zur rechten Zeit und Stunde an Seidel u. s. w. und verzeih der Plage.« (WA, IV, 8, 134) Noch deutlicher schreibt er am 13. Juli 1787 an Herder: »Ich gebe dir volle Macht und Gewalt.« (WA, IV, 8, 134) Die Bearbeitungsrechte, die er den Freunden hier einräumt, gehen über Redaktionelles hinaus und nähern sie gefährlich der Mitautorschaft an.
Vgl. Rüdiger Campe, »Die Schreibszene, Schreiben«, in: Hans Ulrich Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, Frankfurt a.M. 1991, 759–772; zur expliziten Differenzierung von ›Schreibszene‹ und ›Schreib-Szene‹ siehe Martin Stingelin, »›Schreiben‹. Einleitung«, in: Martin Stingelin u. a. (Hrsg.), »Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte, München 2004, 7–21.
Größere Bedeutung erhält die Beziehung aktuell bei Claudia Keller, Lebendiger Abglanz. Goethes Italien-Projekt als Kulturanalyse, Göttingen 2018.
Goethes Werk war immer schon geprägt von Kollaborationen, die sich insbesondere in den beiden Jahrzehnten um 1800 strukturell verändern, sich experimentell dynamisieren, und die geprägt sind von der ›fundamentalen Kränkung‹, die von Friedrich August Wolfs Prolegomena ad Homerum (1795) ausging. Für die Kollektivierung, Assoziation und Dissoziation von Werken vgl. etwa das Sammelwerk Winckelmann und sein Jahrhundert (1805) und dazu Daniel Ehrmann, »Wir. Prekäre Erscheinungsweisen kollektiver Autoren und Werke um 1800«, in: Martin Gerstenbräun, Nadja Reinhard (Hrsg.), Paratextuelle Politik und praxis. Dynamiken der Genese von Werk und Autorschaft, Wien u. a. 2018, 127–150.
MA, 6.2, 12.
MA, 6.2, 10.
WA, IV, 14, 98.
Siehe dazu auch Daniel Ehrmann, »›unser gemeinschaftliches Werk‹. Zu anonymer und kollektiver Autorschaft in den Propyläen«, Goethe-Jahrbuch 131 (2014), 30–38.
Dieses und die folgenden Zitate aus: A. W. Schlegel und Friedrich Schlegel, »Vorerinnerung«, in: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Berlin 1798, I.1, o. S.
Zu diesem Verfahren, das die ›Erkenntnisweise der Literaturwissenschaft‹ bis heute entscheidend prägt, vgl. Peter Szondi, »Über philologische Erkenntnis«, in: Ders., Schriften I, hrsg. Jean Bollack u. a., Frankfurt a.M. 1978, 263–286. Stephan Kammer, »Netzwerke edieren, oder: Was wäre der ›Text‹ von Korrespondenzen? Einige Anmerkungen aus Anlass zweier Briefeditionen zu E. R. Curtius«, editio 31 (2017), 233–246, hier: 236, plädiert jetzt dafür, unter dem Signum der ›Netzwerkphilologie‹ »das (editions-)philologische Privileg des einzelnen Textes zur Verhandlung« zu stellen.
Steffen Martus, »Literaturwissenschaftliche Kooperativität aus praxeologischer Perspektive – am Beispiel der ›Brüder Grimm‹«, in: Vincent Hoppe, Marcel Lepper, Stefanie Stockhorst (Hrsg.), Symphilologie. Formen der Kooperation in den Geisteswissenschaften, Göttingen 2016, 47–72, hier: 59.
Johann Gottfried Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität. Hrsg. von J. G. Herder, vierte Sammlung, Riga 1794, 88.
Deutlich formuliert dieses Entsprechungsverhältnis Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, Berlin 1851, II, 429, § 282: »Der S t i l ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher, als die des Geistes. Fremden Stil nachahmen heißt eine Maske tragen.«.
Herder (Anm. 149), 89.
Zum Kontext einer Poetik der Reinheit um 1800 vgl. allgemein Cornelia Zumbusch, Die Immunität der Klassik, Berlin 2012, hier bes. 103.
August Wilhelm Schlegel, Vorlesungen über Encyklopädie [Berlin 1803], kommentiert und hrsg. Frank Jolles, Edith Höltenschmidt, Paderborn u. a. 2006, 53.
Vgl. Harald Weinrich, »Der Leser braucht den Autor«, in: Odo Marquard, Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, München 1979, 722–724, hier: 724.
White (Anm. 26), 116.
Wenn es stimmt, dass Autoren sich nur mit Mühe aus dem Netz, aus dem sie hervorgingen, schneiden lassen, dann sind vielleicht auch die Philologen, die über sie arbeiteten, ebenso wenig selbstständig wie ›modern‹ gewesen. Zur Kritik an einer solchen Reinigungsarbeit vgl. auch Latour (Anm. 81).
Er erscheint dann als ein »Hybrid-Akteur«, wie ihn Bruno Latour, Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, aus d. Englischen von Gustav Roßler, Frankfurt a.M. 2002, 219 und passim, entworfen hat. Die Konsequenz der Einführung dieser Kompositinstanz ist für ihn folgende: »Wir müssen lernen, Handlungen sehr viel mehr Agenten zuzuschreiben – auf sie zu verteilen –, als es in materialistischen oder soziologischen Erklärungen annehmbar ist. Außer menschlichen gibt es nichtmenschliche Agenten […], und beide können Ziele haben«.
Vgl. etwa die aus der Kanzleipraxis stammende Verwendung von vertikal gefalteten Bögen, die die Überarbeitung von mehreren Akteuren begünstigt.
Autortexte können so als Kollektivwerke lesbar gemacht werden. ›Goethes‹ Text Ueber Laokoon etwa erweist sich als Kollaboration eines Akteurs-Netzwerks, das sich über ganz unterschiedliche Bereiche spannt und Autoren oder Konkurrenten ebenso wie Mäzene, Herausgeber und Zeitschriften umfasst. Nur durch die schwer zu bändigenden Dynamiken mehrerer sich überschneidender Bündnisse, als Akteurs-Netzwerk erscheint der Aufsatz als »kunstpolitisch gezielte[s] Manifest« (Wilhelm Voßkamp, »Goethes ›Über Laokoon‹ oder die Verzeitlichung der Wahrnehmung als Literatur«, in: Gisela Fehrmann, Erika Linz, Cornelia Epping-Jäger [Hrsg.], Spuren, Lektüren: Praktiken des Symbolischen. Festschrift für Ludwig Jäger zum 60. Geburtstag, München 2005, 243–257, hier: 248). Vgl. dazu auch das Promotionsprojekt des Verfassers, das sich mit kollaborativen Praxisformen und kollektiver Autorschaft um 1800 befasst.
Vgl. Andrea Seier, »Von der Intermedialität zur Intermaterialität. Akteur-Netzwerk-Theorie als ›Übersetzung‹ post-essentialistischer Medienwissenschaft«, Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 4/2 (2013), 149–165, hier: 149.
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Ehrmann, D. Dichter Bund – loses Netz. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 92, 463–492 (2018). https://doi.org/10.1007/s41245-018-0068-0
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