Zusammenfassung
Mallarmés Dichtung gilt als der Höhepunkt einer selbstreferentiellen Dichtung des l’art pour l’art. In den letzten Jahrzehnten indes hat die Forschung verstärkt Mallarmés Bezug zur Alltagskultur hervorgehoben. Dieser zeigt sich besonders deutlich in der Modezeitschrift La Dernière Mode, die Mallarmé im Jahr 1874 in acht Ausgaben allein verfasst hat. Die Spannung zwischen den Autonomieanforderungen der hohen Kunst und der Populärkultur thematisiert die Zeitschrift dabei selbst. Das zeigt sich auch im Gebrauch der für Modezeitschriften zeittypischen Pseudonyme. Diese gehen über eine rein pragmatische Funktion hinaus und eröffnen ein literarisiertes Spiel der Allusionen und Verweise, das zur Deutung einlädt. Die Hermeneutik des Decknamens erweist sich als Geschlechtertravestie und reflektiert das geschlechtlich kodierte Verhältnis von Hoch- und Populärkultur.
Abstract
Mallarmé’s poetry is regarded as the summit of a self-referential poetry of l’art pour l’art. In recent decades, however, research has emphasised Mallarmé’s relationship to everyday culture. This is particularly evident in his involvement with the fashion magazine La Dernière Mode in 1874, where the tension between the autonomy requirements of high art and popular culture is itself thematised in the magazine. This is reflected in the use of pseudonyms, which were typical of the time for fashion magazines. These go beyond a purely pragmatic function and open up a poetic game of allusions and references that invites interpretation. The hermeneutics of the pseudonym proves to be a gender travesty and reflects the gender-coded relationship between high and popular culture.
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1 Einleitung
Stéphane Mallarmé gilt als der Repräsentant einer poésie pure. Umso erstaunlicher mag es erscheinen, dass er ein ausgeprägtes Interesse für die Populärkultur hatte und sich sogar beruflich in der Mode hervortat: Er fungierte als alleiniger Redakteur der Modezeitschrift La Dernière Mode von September bis Dezember 1874. Seine Beiträge firmieren unter verschiedenen, überwiegend weiblichen Pseudonymen. Die Bedeutung dieser Pseudonymenpraxis geht dabei über die bloß pragmatische Funktion – etwa des ›Personenschutzes‹– weit hinaus. Das zeigt sich schon an den gewählten Namen, die ihre Mehrdeutigkeit und ironische Brechung mehr oder weniger deutlich transparent machen. Mallarmé greift das im Pressebetrieb übliche Verwenden erfundener Namen auf, doch literarisiert er diese, indem die sprechenden Namen zu einem Deutungsspiel auffordern. Eine Analyse der Pseudogynyme macht ein Netz von Anspielungen und Korrespondenzen sichtbar. Die Namen erweisen sich als lesbar und provozieren beim Leser geradezu ein Deutungsspiel. So verfolgt Mallarmé mit seinen Pseudonymen eine regelrechte Hermeneutik des Decknamens, die zur literarischen Überformung der publizistischen Gattung beiträgt.
Mallarmé gebraucht dabei mehrheitlich weibliche Pseudonyme, die sich vor dem Hintergrund der überwiegend weiblichen Leserschaft von Modezeitschriften zunächst einer Authentifizierungsstrategie verdanken. Da die Mode als ›Ressort‹ der Frau betrachtet wird, waren Pseudogynyme für männliche Autoren gängig. Das Annehmen eines Frauennamens diente allerdings in La Dernière Mode nicht nur dazu, eine spezifisch weibliche Expertise in Modefragen zu suggerieren. Wie gezeigt wird, führt das Crossnaming verbunden mit einem Crossgender auf mehreren Ebenen zu Grenzverwischungen: Vor dem Hintergrund konventioneller Geschlechterrollen dekonstruiert die Geschlechtertravestie geschlechtlich codierte Zuschreibungen von Hoch- und Populärkultur und führt zu einer Verschränkung der Bereiche Literatur und Mode, Kunst und Alltagswelt, Unterhaltung und Ökonomie.
Mallarmés populäre Modezeitschrift wird insgesamt als literaturähnlich nobilitiert, während seine eigene Lyrik wiederum Gegenstände aus der Mode wie Schmuck, Textilien und Edelmetalle stellenweise aufnimmt. Deutlich wird in der Öffnung der Literatur für Mode und Publizistik eine schon seit dem späten Baudelaire akute Reflexion von prekärer Autorschaft im Zuge der Kommerzialisierung des Literaturmarktes. Autorschaft zeigt sich vor diesem Hintergrund von den Marktanforderungen einerseits und den Autonomieansprüchen des literarischen Feldes andererseits bestimmt. Von den Autoren des l’art pour l’art wird dies als dilemmatischer double bind reflektiert und provoziert als Reaktion verschiedenste Haltungen von der Adaption kommerzieller Muster bis hin zur exklusivistischen Marktabschottung.
Mallarmé verbindet diese beiden Pole, wie sich unter anderem in seinem Engagement in der Modezeitschrift La Dernière Mode zeigt, die die Mode als Poesie des Alltäglichen inszeniert und mit der Literatur homolog setzt. Das Spiel mit den Pseudogynymen, das er dort entfaltet, verhandelt dabei auf spielerische Weise das Changieren des Dichter-Schriftstellers zwischen Markt und absoluter Dichtung und versucht, mit der Geschlechtertravestie die institutionellen Trennungen zu unterlaufen sowie die Relation von Kunst und Warenkultur zu verkehren.
2 Mode und Weiblichkeit: Pseudogynymische Travestie
Die Mode, ja die Konsumkultur im Allgemeinen wird im 19. Jahrhundert mit Weiblichkeit identifiziert. Während sie im aristokratischen Milieu des 18. Jahrhunderts noch von beiden Geschlechtern gleichermaßen besetzt ist, wird sie im Zuge der bürgerlichen Geschlechterteilung mit dem weiblichen Geschlecht verbunden. In diesem Sinne stellt der Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen in seiner Schrift The Theory of the Leisure Class von 1899 fest, dass die Frau das privilegierte Subjekt des Konsums darstelle, indem der demonstrative Konsum (Veblen spricht von conspicuous consumption) im Sinne einer fortschreitenden ›Arbeitsteilung‹ an die Frau delegiert werde, die die kulturelle »Außenrepräsentation der bürgerlichen Familie«Footnote 1 zu leisten hatte.Footnote 2
Dies gilt auch für die Literatur. Die Frau wird zum eigentlichen Lesesubjekt schöner Literatur und kultiviert das Lesen als eine Form des demonstrativen Konsums, der die überschüssige Freizeit als Wohlstandszeichen zur Schau stellt. Das ist schon der Fall für die ›Konsumrevolution‹ des 18. Jahrhunderts,Footnote 3 die insbesondere vom Aufschwung des Bürgertums und der breiteren Verfügbarkeit von Waren bedingt war und Literatur als Konsum- und Freizeitgut erscheinen lässt. Die Belletristik war zumindest in der Theorie der prädestinierte Gegenstand weiblicher Lektüre, während die Männer vornehmlich Zeitschriften und Zeitungen lesen sollten. Im 19. Jahrhundert setzt sich diese Aufteilung der Geschlechterrollen fort. Während dem Mann das Lesen von Romanen nur begrenzt und im Rahmen der Ausbildung zu beruflichen Zwecken empfohlen wurde, bildeten die Frauen und Mädchen der wohlhabenden Klassen das vorzügliche Publikum der Belletristik.Footnote 4 Der demonstrative Konsum im Bereich der Kultur folgte dieser Rollenverteilung, wonach die Frau »die bürgerliche Identitätsarbeit im Bereich des literarischen Lesens, wenn nicht sogar der Kultur überhaupt«Footnote 5 leistete.
Auch der Adressatenkreis der Modezeitschriften ist überwiegend weiblich.Footnote 6 Die Ausweitung der Leserschaft von Modezeitschriften nach 1830 war dabei nicht nur durch die gesunkenen Herstellungskosten bedingt, wodurch die Basis zahlungskräftiger Kundschaft verbreitert wurde, sondern auch durch die gewachsene Alphabetisierung. Insbesondere Frauen und Mädchen finden in den Modezeitschriften die geeignete Lektüre zur Anwendung ihrer neu erlernten Lesefähigkeiten.Footnote 7
In La Dernière Mode nimmt Mallarmé diese Geschlechterzuschreibungen des Konsum- und Leseverhaltens auf: »On va répétant, non sans vérité, qu’il n’y a plus de lecteurs; je crois bien, ce sont des lectrices.« (OC, II, S. 496)Footnote 8 Unter dem Zeichen der Weiblichkeit werden entsprechend Mode und Literatur überlagert: »toutes les femmes aiment les vers autant que les parfums et les bijoux ou encore les personnages d’un récit à l’égal d’elles-mêmes«. (OC, II, S. 495)Footnote 9
Die Fiktion von weiblichen Beiträgerinnen soll vor dem Hintergrund des primär weiblichen Adressatenkreises zunächst Authentizität herstellen, die eine Kommunikation von Frau zu Frau suggeriert. Doch bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass die Pseudogynyme über diese rein pragmatische Funktion hinausgehen und eine anspielungsreiche Hermeneutik des Decknamens eröffnen. Es gibt dabei drei wiederkehrende Pseudonyme: Marguerite de Ponty, Miss Satin und Ix. Das Verkleidungsspiel der Pseudonyme kommt in der Zeitschrift dabei ausdrücklich zur Sprache. So wird etwa die einstmalige Enttarnung von Ix in Aussicht gestellt: »derrière son masque, […] Ix, qu’on reconnaîtra quelque jour«. (OC, II, S. 611)
Dabei liegt die Maskerade im Gegenstand der Modezeitschrift selbst begründet. Auf einen (fingierten) Leserinnenbrief, der das Überwiegen der Kunst beklagt, antwortet Ix:
»Qu’importe, Madame, que, dans le salon témoin de votre triomphe, le trumeau traditionnel, pour attributs sculptés, revendique un masque tragique ou bouffon, accompagné d’une flûte mêlée à des pinceaux, tandis que s’en déroule à demi un manuscrit : si tout ce vieux style français (encore de mode!) orne simplement le cadre d’une glace, où vous vous reconnaissiez.« (OC, II, S. 498)Footnote 10
Hier setzt das Trumeau, wie der ganze Salon, zu dessen Mobiliar es gehört, eine Maske auf. Verkleidet dient es dem Theater des Salonlebens, in dessen Rahmen sich die Salondame inszenatorisch spiegelt, um, wie es kurz darauf heißt, als Königin aufzutreten. Da Verkleidung und Inszenierung wesentlich der Mode eigen sind, finden sie sich in der Modezeitschrift im pseudonymischen Travestiespiel verhandelt. Das Crossnaming geht hier eine unmittelbare Verbindung mit Crossgender und Crossdressing ein.
Der Name Ix ist als das kryptischste unter den Pseudonymen sprechend, indem es als ausgeschriebene Stellvertretervariabel ›x‹ metareflexiv auf die Pseudonympraxis im Allgemeinen deutet. Zudem ist durch den Ix-Laut auch ein intertextueller Verweis innerhalb des Mallarmé’schen Œuvres auf das Gedicht Ses purs ongles zu erkennen, das durch den eigentümlichen Endreim auf die Silbe ›ix‹ charakterisiert ist und in der späteren Fassung daher als Sonnet en yx bzw. Sonnet en X bezeichnet wird. Mallarmé hatte das Gedicht unter dem Titel Sonnet allégorique de lui-même in einem Brief vom 18. Juli 1868 an Henri Cazalis geschickt, es aber erst in den Poésies von 1887 in einer überarbeiteten Fassung veröffentlicht.Footnote 11 Der ursprüngliche Titel ist mehrdeutig: Das Gedicht erscheint als eine Allegorie seiner selbst (»lui-même«) oder aber als Allegorie des Dichters bzw. Verfassers, der durch das Personalpronomen »lui-même« andeutungsweise auf sich selbst verweist. Das Pseudonym Ix rekurriert also auf ein Gedicht, das seinerseits den Verfasser im Titel in unbestimmter Weise aufruft.
Eine Verschlüsselungs- und Verweisstruktur, die zugleich andeutet und verhüllt, eignet auch dem Netz der Pseudonyme in La Dernière Mode. Damit eignet sich die Modezeitschrift Merkmale an, die wesentlich literarisch sind, übernimmt diese aber nur so weit, wie es den Maßgaben des Genres angemessen ist.
Während das Pseudonym Ix sich selbst explizit als Chiffre zu erkennen gibt, kann Marguerite de Ponty als authentischer Name gelesen werden. Dazwischen ist das Pseudonym Miss Satin verortet, das zwar sprechend ist, sich aber nicht zwangsläufig als realer Name ausschließt. Zunächst bezieht es sich ganz offen auf die Mode. Doch eröffnet der Name auch eine andere Referenzebene, indem er die Initialen (MS) mit dem Autor Stéphane Mallarmé (SM) teilt. Mit der anagrammatischen Anspielung von Miss Satin auf seinen eigenen Namen überträgt Mallarmé seine eigene Signierungspraxis – Autographe signiert er mit seinen InitialenFootnote 12 – auf das Pseudonym. Deren charakteristische Einprägsamkeit zeigt sich noch in Stefan Georges Würdigung, der in den Blättern für die Kunst die Handschrift des Dichters, den »jähen aufstrich in handbewegung« mit »den endhaken der schrift«,Footnote 13 hervorhebt. Nicht nur also gibt sich Mallarmé im Pseudonym zu erkennen, sondern er ›signiert‹ per Pseudonym die Texte der Modezeitschrift auch. Durch die chiffrierte Signierung wird, wie Claire Chi-Ah Lyu feststellt, ein Spiel um Autoridentität, Pseudonymität und Travestie getrieben.Footnote 14
Ein Verweisspiel entfalten die Pseudonyme auch untereinander. So kann »Ix« bzw. X auch als Ikon für einen Chiasmus gelesen werden, der die anagrammatische Vertauschung zwischen MS und SM aufnimmt.Footnote 15 Darüber hinaus ist der Chiasmus für das gesamte Pseudonymspiel bedeutsam, indem er die Verschränkung von einer Reihe von Gegensätzen, insbesondere von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie Hoch- und Populärkultur andeutet.Footnote 16 Dies soll im Folgenden Gegenstand sein.
3 Konzession an Publizistik und Mode: Der Chiasmus von Kunst und Lebenswelt
Mallarmés Modezeitschrift kollidiert in zweifacher Hinsicht mit den autonomieästhetischen Anforderungen des l’art pour l’art: sowohl in Hinblick auf den Gegenstand der Mode als auch das Engagement in einer Zeitschrift. Sich publizistisch zu betätigen, gehört im 19. Jahrhundert indes zur Wirklichkeit des Schriftstellerberufs. Insbesondere im Jahrzehnt von 1850 bis 1860 erlebt die Presse eine enorme Expansion,Footnote 17 die durch den hohen Konkurrenzdruck infolge der Senkung der Produktionskosten und der Abonnementpreise bedingt ist und durch den Übergang von der Wochen- zur Tageszeitung verstärkt wird. Der erhöhte Bedarf an Hilfsschreibern wird von nicht-professionellen Kräften gedeckt, zu denen häufig Historiker, Ökonomen, (werdende) Politiker und Literaten gehören.Footnote 18
Solche Auftragsarbeiten, die dem Auskommen dienten, standen im offenen Widerspruch zum Literaturmodell des l’art pour l’art. Dabei entstand dieses zur selben Zeit der Ausbildung des modernen Pressesystems und in Abgrenzung von ihm. Die l’art pour l’art-Bewegung ist geradezu eine Reaktion auf Hegemonialisierungs- und Nivellierungsprozesse in der Presse und auf dem Literaturmarkt. Während das politische Regime des Zweiten Kaiserreiches repressive Mittel, allen voran die Zensur, einsetzt, um die Presse zu homogenisieren, fördert es zugleich das Wettbewerbsprinzip. So durchläuft die Presse einen Prozess der Industrialisierung, der den Literaturmarkt im Ganzen erfasst und nach Pierre Bourdieu »die beispiellose Expansion des Marktes der kulturellen Güter« sichtbar macht,Footnote 19 während die Orientierung am Publikumsgeschmack auf dem Literaturmarkt die Unterhaltungsliteratur begünstigt und die Kluft zwischen Populär- und Höhenkammliteratur verstärkt. Mit dem Markterfolg der tonangebenden Schriftsteller-Journalisten, die für die Zeitung schreiben, wird die literarische Mediokrität institutionalisiert.Footnote 20 Die Presse wird mithin von vielen Literaten als eine Bedrohung und Zerstörung der kulturellen Wertschöpfung betrachtet. Journalistisches Schreiben wird geradezu als das Gegenteil von Literatur, als Gewerbe, erachtet und allenfalls als Brotverdienst gebilligt.
Die Dichter sehen sich vor diesem Hintergrund jedenfalls einem double bind gegenüber, weil sie auf die von ihnen verachtete Presse angewiesen sind. Die systemische Verflechtung von Literatur und Markt als conditio sine qua non moderner Literaturproduktion findet aber nun Reflexion bei den Autoren. Baudelaire, als der seiner Zeit radikalste Verfechter des l’art pour l’art und rigorose Verächter der Presse,Footnote 21 adaptiert in seinen späten Prosastücken, den poèmes en prose, die in verschiedenen Journalen, von literarisch affinen bis hin zu klassischen Tages- und Wochenzeitungen, erscheinen, feuilletonistische Schreibweisen. Zwar wird die Adaption ironisch gebrochen und lässt einen subversiv-kritischen Gestus erkennen, doch besteht die zentrale Einsicht der poèmes en prose – als Sammlung 1869 posthum unter dem Titel Le spleen de Paris veröffentlicht – darin, dass eine Abkoppelung der Dichtung vom literarischen Markt den Bedingungen der Literatur in der modernen Gesellschaft nicht gerecht werde. Mit der Adaption journalistischer Schreibweisen wird die irreduzible Verstrickung der Literatur in Marktzusammenhänge offengelegt. Die Öffnung für die Presse korrespondiert bei Baudelaire auch mit einer Öffnung für die Alltagskultur. In seinem Essay Le Peintre de la vie moderne von 1863 hatte Baudelaire darunter auch die Mode gezählt, die das Gegenwärtige idealtypisch verkörpere und zugleich das Zeitbedingte der Kunst darstelle, das sich mit deren überhistorischem Anspruch verbinde.
Mallarmés Zeitschriftenprojekt muss vor diesem Hintergrund der doppelten Öffnung der hohen Literatur sowohl für die Presse als auch die Alltagskultur, darunter insbesondere die Mode, gesehen werden. Mallarmé führt dabei die Einsicht in die Verflechtung von Literatur und Markt weiter als Baudelaire und verschärft sie, indem er sie auf die Identifikation von Kunst und Konsum, des Hohen und des Trivialen zuspitzt – während er anderenorts den gängigen autonomieästhetischen Absagen an den Literaturmarkt folgt, etwa in dem Essay Étalages.
Die Modezeitschrift bietet sich für die Verbindung der beiden Kulturregister an, indem neben den Modeangelegenheiten auch literarische Texte aufgenommen werden können. So folgt auf den Modeteil von La Dernière Mode jeweils ein Abschnitt mit Texten von Dichterfreunden Mallarmés, darunter von Théodore de Banville, Catulle Mendès, Sully Prudhomme und anderen. Während die Beiträge des Modeteils sämtlich unter Pseudonymen erscheinen, wirbt der Literaturteil gerade mit den Eigennamen. Die Dichotomie von fiktiven und realen Verfassernamen geht so mit der Dichotomie von Mode und Literatur, von Populär- und Hochkultur einher.
Dieser Gegenüberstellung entspricht auch einigermaßen diejenige der Geschlechter: Die Mode wird dem Weiblichen zugeordnet, die Hochkultur dem Männlichen. Doch geht diese Dichotomie nicht ganz auf, denn Ix ist männlichen Geschlechts, wie stellenweise deutlich wird, etwa wenn er sich als »Serviteur« (OC, II, S. 499) betitelt. Da der Name selbst jedoch geschlechtlich neutral ist, erscheint Ix als geschlechtlich unbestimmt, gewissermaßen als ›trans‹. Diese Zwischenstellung entspricht ganz dem Ressort von Ix, in dessen Zuständigkeit die »Chronique de Paris« fällt. Bei der Chronique handelte es sich um ein feuilletonistisches Genre in der französischen Publizistik des 19. Jahrhunderts, das Aktuelles aus dem kulturellen Leben der Stadt behandelte. Sie gehörte zum Repertoire der männlichen Schreiber, vielfach aus der Feder von Literaten stammend. Mit dem kulturellen Leben befasst, behandelt die Chronique eine gesellschaftliche Sphäre zwischen Populär- und Hochkultur. Als Gegenstand der »Chronique de Paris« zählt La Dernière Mode auf: »Théâtres, Livres, Beaux-Arts; Échos des salons et de la plage« (OC, II, S. 495).
Ix und seine Chronique stehen also insgesamt zwischen beiden kulturellen und geschlechtlichen Registern: Ix selbst ist männlich, aber mit geschlechtsneutralem Pseudonym; die Chronique ist zwar im ersten Teil der Zeitschrift angesiedelt, doch dem kulturellen Leben gewidmet und weist damit eine Tendenz zum männlich konnotierten Literaturteil auf. In der ersten Lieferung bringt Ix die Zwischenstellung der Chronique »entre le Courrier de la Mode et notre partie littéraire« (OC, II, S. 495)Footnote 22 ausdrücklich zur Sprache und hebt die Verbindung von Kunstgeschmack und Mode (diese auch im Sinne von Tagesaktualität verstanden) hervor: »parler, certes, des œuvres de l’esprit, mais toujours selon le goût du jour« (OC, II, S. 495).Footnote 23 Die eingelassenen literarischen Texte sowie die Neuigkeiten des kulturellen Lebens – als Erzählungen des Halbmonats (»Conte de quinzaine« [OC, II, S. 495]) bezeichnet – werden insgesamt angenähert. Mithin heißt es in Form einer rhetorischen Frage: »ces produits de la dernière heure (et d’autres encore) sont-ils à la Mode ou doivent-ils l’être?« (OC, II, S. 495)Footnote 24 Literatur und Warenkultur, Kunst und Mode erscheinen in La Dernière Mode nur als unterschiedliche Grade ein- und desselben Kultur- und Geschmackskontinuums.
Die Ausweitung von Geschmacksbildungsprozessen wird dabei durch die Industrialisierung bedingt. War Geschmacksbildung vorher nur bestimmten Wohlstandsschichten erlaubt, die sich die jeweiligen Güter und Freizeit leisten konnten, um Waren- sowie Kunstgeschmack auszubilden, so können mit der Ausweitung der Warenkultur auch weitere Bevölkerungsschichten zwischen Produkten eines gestiegenen Warensortiments wählen, was die Ausbildung von Geschmack befördert.Footnote 25 Ermöglicht wird dies auch durch die Expansion eines Kunstgewerbes, das kunstvolle Designs für Gegenstände des Alltagsgebrauchs erprobt und die herkömmliche Grenzziehung zwischen Kunst und Warenwelt infrage stellt. Die ›dekorativen Künste‹ stellen daher einen zeitgenössisch wichtigen Gegenstand kunsttheoretischer Debatten dar. Vor diesem Hintergrund hatte Mallarmé um 1871 die Idee einer Zeitschrift mit dem Titel »L’Art décoratif«, die die dekorativen Künste besprechen sollte, bevor er 1874 mithilfe seines Nachbarn Charles Wendelen und mit einem geringen Betriebskapital das Zeitschriftenprojekt La Dernière Mode in acht Nummern verwirklichen konnte, das sich mit dem Auslaufen des Erstabonnements – offensichtlich hat die Zeitschrift die Erwartung der Abonnenten nicht erfüllt – als nicht mehr rentabel erwies und an eine Baronin de Lomaria (womöglich ein Pseudonym) abgetreten werden musste, die die Zeitschrift scheinbar nicht hinreichend neu aufstellen konnte und sie daher ihrerseits nach nur einer Ausgabe einstellen musste.Footnote 26 Während einerseits generische Inhalte einer Modezeitschrift zum Besten gegeben werden, ist andererseits auch eine metareflexive Ebene zu erkennen, die das Verhältnis von Mode und Literatur bzw. von Leben und Kunst bedenkt.
Im ersten Heft wird in der Chronique die fiktive Beschwerde einer Leserin über das Überwiegen von Kunst und Kultur gegenüber den Alltagsdingen wiedergegeben: »Livres, théâtre et simulacres obtenus avec la couleur ou les marbres: l’Art, toujours, mais la vie, immédiate, chère et multiple, la nôtre avec sens riens sérieux, n’en sera-t-il, dans votre discours, pas question?« (OC, II, S. 498)Footnote 27 Als Antwort beschreibt Ix den Salon als den Zweck, zu dem die schönen Künste dienen: als Staffage der darin auftretenden Dame. So erscheinen Konzertprogramme und Tischkarten als eine besondere Literatur von einer Zweiwochen-Ewigkeit (»une littérature particulière, ayant en soi l’immortalité d’une semaine ou de deux« [OC, II, S. 498]). Und wenn es heißt, dass der Geschmack für das Schöne sich aus dem Leben erlernt wie das Tragen des Hauptes, das man der allgemeinen Praxis entlehnt wie das Tragen einer Robe (»Tout s’apprend sur le vif, même la beauté, et le port de la tête, on le tient de quelqu’un, c’est-à-dire de chacun, comme le port d’une robe« [OC, II, S. 499]),Footnote 28 so wird die der fiktiven Leserin in den Mund gelegte Dichotomie von Kunst und Leben dementiert. Die Chronique stellt insgesamt ein Scharnier zwischen Mode- und Literaturteil dar und leistet die Verschränkung von Populärkultur und Kunst, auf die das Pseudonym Ix hinweist.Footnote 29
Doch über die Chronique hinaus interferieren Kunst und Warenkultur in der Modezeitschrift. Mithin ist die Sprache, zumal für eine gewerbliche Zeitschrift, eigentümlich literarisiert. In diesem Sinne wurde von der Forschung schon die Nähe der preziösen Diktion zwischen La Dernière Mode und der Lyrik Mallarmés betont.Footnote 30 Auch die Vorliebe für Waren und Luxus findet sich im literarischen Werk wieder. Ihr wurde ein weiblicher Zug zugesprochen, der, hier konkret in Fortführung der Brüder Goncourt, als »génie féminin qui raffine sur les mots comme sur les meubles, les étoffes, les bijoux« in »un monde de bibelots« beschrieben wurde.Footnote 31
Vor diesem Hintergrund ist auch das Pseudonym Miss Satin nochmal zu akzentuieren. Der fließend-glatte Satinstoff könnte in diesem Sinne als Chiffre für die gleitende Kontinuität zwischen Kunst und Konsumwelt gedeutet werden. Dass im Sinne von Mallarmés Assoziationsfreude damit auch ein Übergang von der Textilie zum Text, vom Stoff zur sprachlichen Textur angedeutet sein mag, wäre nicht verwunderlich. So stünde Miss Satin ebenso wie Ix für den fließenden Übergang der Bereiche Kunst und Mode. Das Spiel der Pseudonyme führt deren Kontiguität und graduelle Kontinuität, mithin die Aufhebung ihrer Grenzen, vor.
4 Zwischen Brotberuf und Dichterberufung: Das Transparentwerden des Autors im Namen des anderen
Die fiktive Verfasserin Miss Satin wird erst ab der vierten Lieferung vom 18. Oktober 1874 Marguerite de Ponty an die Seite gestellt, die bisher das Moderessort allein besorgte. Sie wird eingeführt als Engländerin (»Une Anglaise!«) mit einem fremden Namen (»un nom étranger«) (OC, II, S. 562). Zur sozialen Gegenüberstellung (Mme de Ponty ist eine verheiratete, Miss Satin eine unverheiratete Frau) tritt eine nationale hinzu. England war damals das Zentrum der Industrialisierung und der Wareninnovationen, London die größte Stadt Europas und zusammen mit Paris die Modemetropole. So verleiht Mallarmé seiner Zeitschrift einen kosmopolitischen Anstrich.
Doch auch auf der Ebene der Autorinszenierung ist diese Besetzung signifikant. Seinen Lebensunterhalt bestritt Mallarmé bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1893 als Englischlehrer. Die eigene Situation zwischen Dichterberufung und Lehrerberuf wird auf den allgemeinen Gegensatz von Kunst und Markt bezogen, der in La Dernière Mode durch die Gegenüberstellung von Kunst und Mode zur Geltung kommt. Mallarmé thematisiert dadurch die im Zeitschriftenprojekt für ihn wirksame Spannung zwischen Wirtschaftlichkeitszweck und Herzensangelegenheit.Footnote 32
Es wurde gesagt, dass mit der Verwischung der Geschlechterrollen auch die gängige Grenzziehung der Pole Kunst und Mode aufgehoben wird. Dies gilt nicht nur für das geschlechtlich indefinite Kürzel Ix und für den Namen Miss Satin, dessen Initialen mit denen Mallarmés deckungsgleich sind, sondern auch für Marguerite de Ponty, die ebenfalls männlich bestimmt wird. Die Modelieferungen erscheinen, wie es heißt, »sous la signature d’une femme du monde qui est aussi un littérateur distingué« (OC, II, S. 610). Das scheint zunächst zu heißen, dass Marguerite de Ponty nicht nur modekundig, sondern auch eine stilsichere Schreiberin ist, wie sich in ihren Modebeiträgen zeigt; der Ausdurck »littérateur distingué« wäre so ein generisches Maskulinum. Doch in der für Mallarmé typischen anspielungsfreudigen Mehrdeutigkeit kann der Satz auch als Verweis auf das ›Doppelleben‹ der Marguerite de Ponty verstanden werden, die als alter ego des männlichen Literaten Stéphane Mallarmé ausgewiesen wird; nach dieser Lesart wäre der Ausdruck »littérateur distingué« also als echtes Maskulinum zu verstehen.Footnote 33 Mallarmé versteckt sich hinter den Pseudo(gy)nymen und möchte sich zugleich durch subtile Andeutungen zu erkennen geben.
Mallarmés eigener Name kommt in La Dernière Mode nur ein einziges Mal vor, und zwar in der vierten Ausgabe vom 18. Oktober 1874 als Übersetzer des Gedichts »Mariana« von Alfred Tennyson. So erscheint Mallarmé nur mittelbar. Als Person tritt er hinter dem Autor zurück und ist gleichwohl als Übersetzer präsent. Man ist geneigt zu sagen, er erscheint in der Gestalt Tennysons bzw. seines Textes, wie er es auch in den Pseudonymen tut. In der sechsten Lieferung werden die bisherigen sechs Ausgaben der Zeitschrift rekapituliert. Bei der Aufzählung der Literaten und ihrer Texte fehlen aber sowohl Tennyson als auch Mallarmé. Mallarmés Name, der durch Tennyson also in der Zeitschrift erschien, wird damit gewissermaßen wieder ausgelöscht.Footnote 34 Diese doppelte Struktur von Sichtbarmachung und Kaschierung ist als ein Spiel der Verkleidung und Repräsentation (buchstäblich) im Namen des anderen zu begreifen.
Sowohl durch die Pseudonyme als auch durch den Eigennamen, der pseudonymartig im Namen des anderen erscheint, zeigt sich ein vielschichtiges Verweisungsnetz, durch das Mallarmé seine eigene Person verschleiert und ein Spiel der (geschlechtlichen) Travestie treibt.Footnote 35 Dieses bezieht sich, wie deutlich wurde, nicht bloß auf seine Person, sondern auf das Verhältnis von (hoher) Kunst und (trivialem) Leben im Allgemeinen. Die Aufhebung von Geschlechtergrenzen durch das Pseudonymspiel soll die Auflösung herkömmlicher Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur, zwischen high und low sichtbar machen. Das Interesse an der Person des Autors steht dabei in scheinbarem Widerspruch zu dessen Auslöschung im Rahmen einer selbstreferentiellen Sprachförmigkeit. Diese wird etwa im Essay »Crise de vers« in der Formel von der »disparition élocutoire du poëte, qui cède l’initiative aux mots« gefasst, die sich auf das reine Werk, »[l]’œuvre pure«, bezieht. (OC, II, S. 211)Footnote 36 Die Autonomieforderungen, die in der Sprachartistik von Mallarmés Lyrik Gestalt annehmen, kollidieren indes mit der Marktrealität und den Grenzverwischungen zwischen Kunst und Ware im Zuge eines expandierenden Kunstgewerbes. Das Transparentwerden der Autorperson markiert das Partikuläre und Heteronome gegenüber der Behauptung literarischer Eigengesetzlichkeit. Die Autorpersona macht gewissermaßen die Brüchigkeit des Postulats poetischer Selbstreferentialität sichtbar. Solche Verhandlung der Autorposition, die sich im Rahmen autonomieästhetischer Reflexionen bewegt, projiziert Mallarmé, wie gezeigt wurde, auch auf solche ›minoren‹ Publikationsformate, wo die Verfasserschaft den Rang von Autorschaft nicht reklamieren kann, etwa in der Modepublizistik. Gerade hier scheint sich ihm indes ein Feld zu bieten, das Verhältnis von Onymität und Anonymität, von bedeutendem Autornamen (bei literarischen Werken) und marginalem Decknamen (bei publizistischen Texten) zu verhandeln.
Notes
Schön, Erich: »Geschichte des Lesens«. In: Bodo Franzmann/Klaus Hasemann/Dietrich Löffler/Erich Schön (Hg.): Handbuch Lesen. München 1999, S. 1–85 [Reprint Berlin/Boston 2013], S. 47.
Nach Veblen kultivieren höhere Gesellschaftsschichten (im Zuge der durch Arbeitsteilung entstandenen Wertdifferenzierung von Tätigkeiten, etwa arbeitenden und kriegerischen oder priesterlichen, und im Zuge der Entstehung des Privatbesitzes) ›demonstrativen Müßiggang‹ (conspicuous leisure) und ›demonstrativen Konsum‹ (conspicuous consumption), um sich sozial abzugrenzen. Im Laufe der kulturellen Entwicklung differenziert sich der demonstrative Müßiggang weiter aus, sodass er gleichsam arbeitsteilig organisiert wird. Insbesondere die Frau spielt hier die zentrale Rolle, die sich als wohlhabende immer weniger mit Haustätigkeiten beschäftige, die nun an Bedienstete delegiert werden, sondern sich der »stellvertretenden Muße« widme. Veblen, Thorstein: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Übersetzt von Suzanne Heintz/Peter von Haselberg. 6. Aufl., Frankfurt a.M. 2000, S. 71.
Vgl. zur These Vries, Jan de: The Industrious Revolution: Consumer Behavior and the Household Economy, 1650 to the Present. Cambridge, MA/New York, NY 2008.
Vgl. Schön (s. Anm. 1), S. 46.
Schön (s. Anm. 1), S. 47.
Doch Modezeitschriften werden auch von Berufstätigen in der Modebranche, etwa Schneidern, rezipiert. Mehr als ein Drittel der Modezeitschriften adressiert das Berufspublikum. Vgl. Kleinert, Annemarie: »La Dernière Mode: une tentative de Mallarmé dans la presse féminine«. In: Lendemains 5 (1980), S. 167–178, hier S. 171.
Vgl. Kleinert, Annemarie: Die frühen Modejournale in Frankreich. Studien zur Literatur der Mode von den Anfängen bis 1848 [erweiterte Internetfassung der Monographie: Berlin 1980], S. 226. https://annekleinert.de/documents/modejournale/AnnemarieKleinert_Modejournale_ISBN3503016147.pdf.
Zitate aus der Ausgabe Mallarmé, Stéphane: Œuvres complètes. 2 Bde. Hg. von Bertrand Marchal. Paris 1998–2003 werden im Fließtext in Klammern unter der Angabe der Sigle OC, der Bandnummer und der Seitenzahl wiedergegeben. Sofern eine deutsche Übersetzung der jeweiligen Textstelle vorliegt, wird diese in der Fußnote beigefügt. »Man wiederholt beständig, nicht ohne Wahrheit, es gebe keine Leser mehr; ich glaube es wohl, es sind Leserinnen.« Mallarmé, Stéphane: Kritische Schriften. Französisch und Deutsch. Hg. von Gerhard Goebel und Bettina Rommel. Übersetzt von Gerhard Goebel unter Mitarbeit von Christine Le Gal, Gerlingen 1998, S. 41.
»[…] daß alle Frauen Verse lieben ebensosehr wie Parfüms oder Bijoux, oder die Gestalten einer Erzählung in gleichem Maße wie sich selbst.« Mallarmé (s. Anm. 8), S. 41.
»Was verschlägt’s, gnädige Frau, wenn in dem Salon, der Zeuge wurde Ihres Triumphes, das traditionelle Trumeau als gemeißelte Attribute eine tragische oder komische Maske in Anspruch nimmt, begleitet von einer Flöte, die sich unter Pinsel mischt, indes sich darunter ein Manuskript halb entrollt: wenn all dieser alt-französische Stil (der noch Mode!) einfach den Rahmen eines Spiegels schmückt, in dem Sie sich erkannten!« Mallarmé (s. Anm. 8), S. 47.
Vgl. etwa den Kommentar von Bertrand Marchal in: OC, I, S. 1189.
Zu Mallarmés Signatur, die zum »Markenzeichen« gereicht, vgl. Ortlieb, Cornelia: »Papierflügel und Federpfau. Materialien des Liebeswerbens bei Stéphane Mallarmé«. In: Jörg Paulus/Renate Stauf (Hg.): SchreibLust. Der Liebesbrief im 18. und 19. Jahrhundert. Berlin/Boston 2013, S. 307–329, hier S. 326.
George, Stefan: Werke. Ausgabe in zwei Bänden. München/Düsseldorf 1958, Bd. 1, S. 505.
Vgl. Lyu, Claire Chi-Ah: A Sun within a Sun. Pittsburgh, PA 2007, S. 53.
Vgl. Lyu (s. Anm. 14), S. 52 f.
Lyu weist auf die Serie von Gegensätzen hin, die Mallarmé aufstellt: »authenticity versus pseudonymic disguise, truth versus simulation and travesty«, was sich in der Dichotomie der Schreibweisen fortsetzt: »high versus low, literary versus journalistic, poetry versus fashion« sowie in der Geschlechterteilung »male versus female«. Lyu (s. Anm. 14), S. 48.
Vgl. Gouvard, Jean-Michel: »Le Spleen de Paris de Charles Baudelaire. Des ›petits genres journalistiques‹ aux ›petits poèmes en prose‹«. In: Mémoires du livre. Studies in Book Culture 8,2 (2017), S. 1–20, hier S. 2.
Vgl. Thérenty, Marie-Ève: La littérature au quotidien. Poétiques journalistiques au XIXe siècle. Paris 2007, S. 11–18.
Vgl. Bourdieu, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a.M. 1999, S. 92 f. Vgl. dazu auch Cassagne, Albert: La Théorie de l’Art pour l’Art en France chez les derniers Romantiques et les premiers Réalistes. Paris 1906, S. 115.
Vgl. Bourdieu (s. Anm. 19), S. 92.
Um zwei beispielhafte Äußerungen Baudelaires zu zitieren: »Je ne comprends pas qu’une main pure puisse toucher un journal sans une convulsion de dégoût.« (Baudelaire, Charles: Œuvres complètes. Hg. von Claude Pichois. Paris 1975, Bd. 1, S. 706) An anderer Stelle bezeichnet er die »directeurs de journaux« als »canailles« (Baudelaire, Œuvres complètes, Bd. 1, S. 694).
»zwischen Modekurier und unserem literarischen Teil«, Mallarmé (s. Anm. 8), S. 41.
»von den Werken des Geistes zu reden, gewiß, doch immer gemäß dem Geschmack des Tages«, Mallarmé (s. Anm. 8), S. 41.
»sind diese Erzeugnisse der letzten Stunde (und andere noch) MODE oder sollen sie es werden?« Mallarmé (s. Anm. 8), S. 41.
Vgl. dazu etwa König, Gudrun M.: »Die Fabrikation der Sichtbarkeit. Konsum und Kultur um 1900«. In: Heinz Drügh/Christian Metz/Björn Weyand (Hg.): Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst. Frankfurt a.M. 2011, S. 158–174.
Ob der stark literarisch überformte Schreibstil für das Scheitern der Zeitschrift mitverantwortlich zeichnet, lässt sich nur spekulieren. Neben vereinzelten Leserbriefen, die das Ausbleiben eines bestimmten Modeartikels beklagen, lässt sich sicherlich der spezielle und begrenzte Adressatenkreis als ein Umsatzhindernis nennen: Anders als andere Zeitschriften, die sich primär an das mittlere Bürgertum und Berufstätige in der Modebranche wenden, ist La Dernière Mode an eine Kundschaft aus der höheren Gesellschaft adressiert. Vgl. zum letzteren Kleinert (s. Anm. 6), S. 171.
»Bücher, Theater und täuschender Schein, mit Farbe oder Marmor erzielt, KUNST noch immer, aber das Leben, das unmittelbare, teure und vielfältige, unseres mit seinen ernsthaften Nichtigkeiten, wird davon in Ihren Ausführungen keine Rede sein?« Mallarmé (s. Anm. 8), S. 47.
»Alles lernt man im Hier und Jetzt, selbst die Schönheit, und die Kopfhaltung hat man von jemandem, das heißt von jedem, wie das Tragen eines Kleides.« Mallarmé (s. Anm. 8), S. 49.
Vgl. Lyu (s. Anm. 14), S. 53 f.
Vgl. Meer, Kathrin van der: »Symbol und Dekor – Der Symbolismus als problematische epochale Bewegung (Verlaine, Mallarmé u. a.)«. In: Heinz Thoma (Hg.): 19. Jahrhundert. Lyrik. Tübingen 2009, S. 303–365, hier S. 359.
Thibaudet, Albert: La Poésie de Stéphane Mallarmé. Étude littéraire. Paris 1926, S. 455.
Auch in der autobiographischen Notiz an Verlaine kommt dies zur Geltung: Wenn das Zeitschriftenprospekt zwar dem ökonomischen Auskommen dient, so bringt es als Herzensangelegenheit Mallarmé in der Rückschau nichtsdestotrotz zum Träumen: »J’ai dû faire, dans des moments de gêne ou pour acheter de ruineux canots, des besognes propres et voilà tout (Dieux Antiques, Mots Anglais) dont il sied de ne pas parler : mais à part cela, les concessions aux nécessités comme aux plaisirs n’ont pas été fréquentes. Si à un moment, pourtant, désespérant du despotique bouquin lâché de Moi-même, j’ai après quelques articles colportés d’ici et de là, tenté de rédiger tout seul, toilettes, bijoux, mobilier, et jusqu’aux théâtres et aux menus de dîner, un journal, La Dernière Mode, dont les huit ou dix numéros parus servent encore quand je les dévêts de leur poussière à me faire longtemps rêver.« Brief an Verlaine, 16.11.1885, in: OC, I, S. 789. Dabei erscheint in der für Mallarmé charakteristischen Mehrdeutigkeit nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern das Vergnügen als die eigentliche Notwendigkeit (»pour acheter de ruineux canots«, »concessions aux nécessités comme aux plaisirs«), sodass beide dialektisch verwoben werden und nicht mehr trennscharf sind.
Vgl. dazu auch Lyu (s. Anm. 14), S. 59.
Vgl. Lyu, An Sun within a Sun (s. Anm. 14), S. 63.
Zur Travestie in Bezug auf weiblichen Narzissmus vgl. Frappier-Mazur, Lucienne: »Narcisse travesti. Poétique et idéologie dans La Dernière Mode de Mallarmé«. In: French Forum 11,1 (1986), S. 41–57.
»Das reine Werk impliziert das kunstvoll beredte Verschwinden des Poeten, der die Initiative an die Wörter abtritt«. Mallarmé (s. Anm. 8), S. 225.
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Mohagheghi, Y. Hermeneutik des Decknamens. Z Literaturwiss Linguistik 53, 23–35 (2023). https://doi.org/10.1007/s41244-023-00280-8
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