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Happy End

Sibylle Bergs Poetik der Ausnahme

Happy End

Sibylle Berg’s poetics of exception

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Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht den Roman Ende gut (2004) der deutsch-schweizerischen Autorin Sibylle Berg auf die narrative Darstellung von Szenarien der Ausnahme. Dieser Text macht, um die postsouveräne Destabilisierung der Welt zu erfassen, Gebrauch von Listen, ohne dass die Ausnahmeszenarien in eine kohärente und motivierte Ereignisabfolge überführt werden. Dieses ›postsouveräne‹ Verfahren des Erzählens konstituiert eine sowohl semantische als auch funktionale »Äquivalenz der Ausnahme« im Sinne von Jean-Luc Nancys Konzept der »Äquivalenz der Katastrophen« –, die in Differenz zu dem wiederum als Ausnahme konzeptualisierten Happy End (Ende gut) des Romans steht.

Abstract

The paper analyses the novel Ende gut (2004) by the german-swiss author Sibylle Berg for the narrative representation of exceptional scenarios. The text uses lists to present the post-sovereign destabalisation of international order, but does not relate the scenarios of exception to a coherent and linked sequence of events. This post-sovereign mode of telling constitutes a both semantic and functional »equivalence of exception« which is derived from Jean-Luc Nancy’s approach to the »equivalence of disasters«. In opposition to the relation of equivalence the unexpected ›Happy End‹ (Ende gut) of the novel constitutes a further exception.

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Notes

  1. Berg, Sybille: Fragen Sie Frau Sibylle: Die Suche nach dem Sinn (21.11.2015). In: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/terror-die-welt-ist-unerklaerbar-geworden-kolumne-a-1063694.html (23.11.2015).

  2. So lautet der Begriff für die den Ausnahmezustand indizierenden Ereignisse im ersten Artikel des Gesetzes Nr. 55-385, das in Frankreich den état d’urgence regelt.

  3. Ich zitiere Ende gut mit der Sigle »Eg« im fortlaufenden Text nach der Ausgabe: Berg, Sibylle: Ende gut. Roman. Reinbek bei Hamburg 4. Aufl. 2008 [2004].

  4. Das ist keine literarhistorische Neuheit, sondern bereits Ulrich in Musils Mann ohne Eigenschaften erkennt, dass »öffentlich alles schon unerzählerisch geworden ist und nicht einem ›Faden‹ mehr folgt« (Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. I. Erstes und Zweites Buch. Hg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg 2. Aufl. 2015, S. 650).

  5. Ich orientiere mich im Folgenden an der struktural-semiotischen Definition von ›Äquivalenz‹ und ›Äquivalenzprinzip‹ im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Vgl. Titzmann, Michael: »Äquivalenz«/»Äquivalenzprinzip«. In: Klaus Weimar (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Berlin/New York 2007, Bd. 1, S. 10 f. und 12 f.

  6. Vgl. zum ›postsouveränen Erzählen‹ Schaffrick, Matthias/Weitin, Thomas/Werber, Niels: »Nicht Krieg, nicht Frieden. Postsouveränes Erzählen und Gegenwartsliteratur«. In: polar. Politik, Theorie, Alltag (2015), Heft 19, S. 85-90; sowie die von Thomas Weitin und Niels Werber herausgegebene Ausgabe dieser Zeitschrift über »Postsouveränes Erzählen«, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 42 (2012), Heft 165; daran anschließend auch Schaffrick, Matthias: »Helmut Schmidt im Nicht-Krieg. Souveräne Autorschaft und postsouveränes Erzählen bei Delius, Goetz und Strubel«. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 43 (2013), Heft 170, S. 135-153.

  7. Berg, Sibylle: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Roman. Stuttgart 2008 [1997]; dies.: Sex 2. Roman. Leipzig 1998; dies.: Amerika. Roman. Hamburg 1999. Vgl. dazu Parr, Rolf: »Normalistisches Erzählen in der Gegenwartsliteratur«. In: Silke Horstkotte/Leonhard Herrmann (Hg.): Poetiken der Gegenwart. Deutschsprachige Romane nach 2000. Berlin/Boston 2013, S. 99–114, bes. S. 111 f.

  8. Finnland, ach Finnland. Sibylle Berg spricht. Über fiese Moslems, das gute Amerika und das Glück des Weltuntergangs [Interview] (13.3.2016). In: http://www.welt.de/print-welt/article299589/Finnland-ach-Finnland.html (28.4.2016).

  9. Berg, Sibylle: Fragen Sie Frau Sibylle: Unsere geile globale Katastrophe (19.9.2015). In: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fluechtlinge-klima-und-andere-katastrophen-was-hilft-die-hysterie-a-1053266.html (22.10.2015).

  10. Die Szenarien kennt man aus Filmen: »[D]as tut man heute alles, wie man es aus Filmen kennt« (Eg, 192); »Zumindest in den Filmen folgt dann immer eine Explosion oder stampfende Godzillatapser« (Eg, 242). Zur Bedeutung des Films für die Popularisierung von Szenarien der Ausnahme vgl. die Einleitung zu diesem Heft.

  11. Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand (Homo sacer II.1). Frankfurt a.M. 2004, S. 23.

  12. Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand (Homo sacer II.1). Frankfurt a.M. 2004, S. 8.

  13. Berg, Sibylle: Fragen Sie Frau Sibylle: Unsere geile globale Katastrophe (19.9.2015). In: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fluechtlinge-klima-und-andere-katastrophen-was-hilft-die-hysterie-a-1053266.html (22.10.2015).

  14. Vgl. Beck, Ulrich: Weltrisikogesellschaft. Frankfurt a.M. 2008, S. 146-150.

  15. Horn, Eva: Zukunft als Katastrophe. Frankfurt a.M. 2014, S. 19 f.; vgl. ebd., S. 378.

  16. Benjamin, Walter: »Zentralpark«. In: Ders.: Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1974, S. 151–186, hier S. 179. Zu Benjamin vgl. Horn, Eva: Zukunft als Katastrophe. Frankfurt a.M. 2014, S. 16 f.

  17. Vgl. Briese, Olaf/Günther, Timo: »Katastrophe. Terminologische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«. In: Archiv für Begriffsgeschichte 51 (2009), S. 155-195, hier S. 157.

  18. Horn, Eva: Zukunft als Katastrophe. Frankfurt a.M. 2014, S. 20.

  19. Mit Umberto Eco kann man die Listen bei Berg daher auch als unendliche, poetische Listen bezeichnen, deren Unendlichkeit darin besteht, poetische Potenzialität zu erzeugen. Sie unterscheiden sich auf diese Weise von endlichen praktischen Listen, die in der Regel einen abgeschlossenen Bestand verzeichnen. Vgl. Eco, Umberto: Die unendliche Liste. München 2009, S. 113-118.

  20. Der Essay handelt von der Situation »nach Fukushima«. Vgl. Nancy, Jean-Luc: Äquivalenz der Katastrophen (nach Fukushima). Zürich/Berlin 2013.

  21. Ebd., S. 36.

  22. Alt, Constanze: Zeitdiagnosen im Roman der Gegenwart. Bret Easton Ellis’ American Psycho, Michel Houellebecqs Elementarteilchen und die deutsche Gegenwartsliteratur. Berlin 2009, S. 348.

  23. Vgl. Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2. Aufl. 2005.

  24. Folgt man Slavoj Žižeks Verwendung von Heideggers Ereignisbegriff sind die Bedingungen, die als Rahmen der Ermöglichung katastrophischer Ereignisse fungieren, die eigentliche Katastrophe – und nicht das Ereignis selbst: »Die Katastrophe geschieht also vor dem (F)Akt: Die Katastrophe ist nicht die atomare Selbstzerstörung der Menschheit, sondern das Verhältnis zur Natur, das sich auf ihre technowissenschaftliche Ausbeutung reduziert. […] Die Katastrophe ist nicht, dass wir auf biogenetisch manipulierte Automaten reduziert werden, sondern genau der Ansatz, der diese Sichtweise möglich macht. Selbst die Möglichkeit vollständiger Selbstzerstörung ist nur eine Konsequenz unseres Verhältnisses zur Natur als Ansammlung von Objekten zur technologischen Ausbeutung.« (Žižek, Slavoj: Was ist ein Ereignis? Frankfurt a.M. 2014, S. 36).

  25. Vgl. Schaffrick, Matthias: »Listen als populäre Paradigmen. Zur Unterscheidung von Pop und Populärkultur«. In: KulturPoetik 16 (2016), Heft 1, S. 109-125, besonders S. 110 f.

  26. Vgl. Briese, Olaf/Günther, Timo: »Katastrophe. Terminologische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«. In: Archiv für Begriffsgeschichte 51 (2009), S. 155-195, zu den ersten Auflistungen vieler kleiner örtlicher Katastrophen bei Karl Ernst Adolf von Hoff vgl. ebd., S. 185 f.

  27. Nancy, Jean-Luc: Äquivalenz der Katastrophen (nach Fukushima). Zürich/Berlin 2013, S. 33.

  28. Insofern weist der Roman trotz der Destruktion übergeordneter Sinnhorizonte auch Merkmale des Apokalyptischen auf: »Das Besondere am apokalyptischen Narrativ ist […], daß es keinen eigentlichen Helden kennt.« (Müller-Funk, Wolfgang: Die Kultur und ihre Narrative. Einführung. Wien/New York 2. Aufl. 2008, S. 289).

  29. Luhmann, Niklas: »Die Autopoiesis des Bewußtseins«. In: Alois Hahn/Volker Kapp (Hg.): Selbstthematisierung und Selbstzeugnis. Bekenntnis und Geständnis. Frankfurt a.M. 1987, S. 25-94, hier S. 65, zum Helden insgesamt S. 62-66. Vgl. zu den Heldenfigurationen der Moderne Früchtl, Josef: Das unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne. Frankfurt a.M. 2004.

  30. Alt, Constanze: Zeitdiagnosen im Roman der Gegenwart. Bret Easton Ellis’ American Psycho, Michel Houellebecqs Elementarteilchen und die deutsche Gegenwartsliteratur. Berlin 2009, S. 344.

  31. Houellebecq, Michel: Plattform. Köln 2015 [2001], S. 282.

  32. Die »Werke von Houellebecq« weisen zwar eine »bemerkenswerte inhaltliche«, aber keinesfalls die von einer Einführung in die Popliteratur behauptete »formale Nähe zu den Arbeiten von Berg« auf. Vgl. Hecken, Thomas/Kleiner, Marcus S./Menke, André: Popliteratur. Eine Einführung. Stuttgart 2015, S. 149.

  33. Vgl. Baßler, Moritz: »Die Unendlichkeit des realistischen Erzählens. Eine kurze Geschichte moderner Textverfahren und die narrativen Optionen der Gegenwart«. In: Carsten Rohde/Hansgeorg Schmidt-Bergmann (Hg.): Die Unendlichkeit des Erzählens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld 2013, S. 27-45, besonders S. 27 f., 44 f.

  34. Ähnlich wie Eva Horn argumentiert Hans Ulrich Gumbrecht. In der ›breiten Gegenwart‹ sei die Zukunft »kein offener Horizont von Möglichkeiten mehr«, sondern verschließe sich verlässlichen Prognosen und wirke daher bedrohlich. (Gumbrecht, Hans Ulrich: Unsere breite Gegenwart. Berlin 2010, S. 16).

  35. Mit dieser Abweichung von den gängigen katastrophischen Zukunftsszenarien erklärt sich, dass Bergs Roman, der im Hinblick auf die Darstellung aller möglichen Formen von Ausnahme- und Katastrophenszenarien mehr als einschlägig ist, in Horns Studie keine Beachtung findet. Ende gut grenzt sich jedoch deutlich vom konventionellen Hollywood-Katastrophen-Blockbuster ab, in dem der Protagonist und seine Familie als happy few am Ende überleben und die moralischen und sozialen Grenzen von gut und böse, Freund und Feind, Zivilisation und Natur, Ausnahme und Normalität restituiert werden.

  36. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. München 5. Aufl. 2003, S. 108–119.

  37. Vgl. Lugowski, Clemens: Die Form der Individualität im Roman. Mit einer Einleitung von Heinz Schlaffer. Frankfurt a.M. 1976, S. 77.

  38. Ebd., S. 75.

  39. Nancy, Jean-Luc: Äquivalenz der Katastrophen (nach Fukushima). Zürich/Berlin 2013, S. 54.

  40. Nancy, Jean-Luc: Äquivalenz der Katastrophen (nach Fukushima). Zürich/Berlin 2013, S. 55.

  41. Ebd., S. 56.

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Schaffrick, M. Happy End. Z Literaturwiss Linguistik 46, 423–438 (2016). https://doi.org/10.1007/s41244-016-0033-3

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