Zusammenfassung
In dem Beitrag werden das Vertrauen in die Polizei sowie das gegenseitige Vertrauen in einer Nachbarschaft als sicherheitsrelevante Aspekte im städtischen Raum diskutiert. Polizeivertrauen stellt die Voraussetzung dafür dar, dass die formale Kontrolle durch die Institution Polizei Akzeptanz und Unterstützung innerhalb der Bevölkerung erfährt. Nachbarschaftsvertrauen wird als Grundlage für die Wirksamkeit kollektiven Handelns im Sinne einer gemeinsam praktizierten informellen sozialen Kontrolle im Stadtteil angesehen. Unter Bezugnahme auf die Procedural Justice-Theorie und den Collective Efficacy-Ansatz wird der Einfluss des Polizeivertrauens auf das Nachbarschaftsvertrauen beleuchtet. Die angenommenen Zusammenhänge werden anschließend anhand von Daten einer postalischen Bewohner*innenbefragung in den deutschen Großstädten Wuppertal und Stuttgart (N = 2939) im Rahmen eines Mehr-Gruppen-Strukturgleichungsmodells empirisch überprüft. Stuttgart dient dabei als Beispiel für eine wohlhabende und Wuppertal als Beispiel für eine strukturschwache Stadt. Im Strukturgleichungsmodell bestätigen sich Effekte von verschiedenen Dimensionen des Polizeivertrauens (Effektivität, Fairness) auf die individuell wahrgenommene kollektive Wirksamkeit (Collective Efficacy) der Nachbarschaft (Nachbarschaftsvertrauen, informelle Sozialkontrolle). Die empirischen Befunde geben einen Hinweis darauf, dass Polizeivertrauen und Nachbarschaftsvertrauen unabhängig von den wirtschaftlichen und sozialstrukturellen Voraussetzungen innerhalb von Städten miteinander in Beziehung stehen.
Abstract
The article discusses the relevance of perceptions of police trustworthiness and interpersonal trust within neighbourhoods for establishing security in urban areas. Trust in the police is an essential precondition for the acceptance of formal social control activities by the police within the population. Neighbourhood trust provides the basis for collective action in the sense of collaborative informal social control activities by the residents. With reference to Procedural Justice Theory and to Collective Efficacy Theory we examine the influence of confidence in the police on trust among neighbours. Hypothesized relationships are then tested in a multigroup structural equation model using data from a postal survey in the two German cities of Wuppertal and Stuttgart (N = 2939). Stuttgart serves as an example for a wealthy city and Wuppertal is considered as a deprived city. The findings confirm an influence of various dimensions of police trustworthiness (effectiveness and fairness) on perceived neighbourhood collective efficacy (neighbourhood trust, informal social control). The empirical results indicate that trust in the police and trust within neighbourhoods are linked independent from socioeconomic preconditions in the cities.
Notes
Zwar sind die gesellschaftlichen Anforderungen an die Polizei formalrechtlich auf die Gefahrenabwehr und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit festgelegt (Kugelmann 2012, S. 76 ff.), subjektive Bewertungen der Polizei sind allerdings von individuellen Erwartungen an Polizeiarbeit abhängig, die über den Schutz von Rechtsgütern und Rechtsnormen sowie die Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung hinausgehen mögen.
Wells et al. (2006) zeigen demgegenüber, dass sich Zufriedenheit mit der Polizei eher negativ auf die persönliche Bereitschaft auswirkt, im Problemfall die Polizei zu rufen oder andere lokale Akteure zu verständigen.
Aspekte einer gerechten Verteilung von Sicherheit in der Stadt (VERSS), gefördert vom BMBF seit Juni 2014 bis September 2017 (http://www.izew.uni-tuebingen.de/forschung/ethik-und-kultur/sicherheitsethik/verss.html).
Bundesagentur für Arbeit (31.12.2015); Anteil von Personen in Bedarfsgemeinschaften.
Vertrauen wird allgemeinhin als eine wichtige Komponente des sozialen Zusammenhalts verstanden.
Die Reihenfolge der Antwortkategorien wurde bei den Items jeweils so umcodiert, dass eine höhere Angabe auf der Antwortskala für ein höheres Polizeivertrauen bzw. eine höhere kollektive Wirksamkeit steht. Dies erleichtert die spätere Interpretation der statistischen Zusammenhänge.
Um die durchschnittliche Antworttendenz der Befragten auf den Itemskalen zu erfassen, wurden deren Items jeweils zu einem Mittelwertindex verrechnet.
Der Befund eines hohen Polizeivertrauens entspricht dabei dem allgemein hohen Polizeivertrauen in Deutschland (Reuband 2012).
Einzig das Item „Dauer bis zum Eintreffen am Tatort bei Gewaltverbrechen“ weist in beiden Städten eine nur schwache Faktorenladung auf (≤0,40), was sich aufgrund der niedrigen Korrelationen mit den anderen Items der Skala bereits andeutete (Tab. 1).
Zu den verschiedenen Stufen der Messinvarianz siehe ausführlich Temme und Hildebrandt (2008).
Die Überprüfung der Strukturkoeffizienten auf signifikante Gruppenunterschiede erfolgte ebenfalls durch hierarchische Modellvergleiche über den χ2-Differenztest.
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Hecker, M., Starcke, J. Sozialer Zusammenhalt und Polizeivertrauen. SozProb 28, 223–239 (2017). https://doi.org/10.1007/s41059-017-0033-8
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