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Einstellungen der Bundesbürger zum Cannabisgebrauch und zur Cannabislegalisierung

Ein Langzeitvergleich bundesweiter Bevölkerungsumfragen, 1982–2014

Attitudes of the German Population Towards Cannabis Use and Cannabis Legalization

A Long-Term Comparison of Nationwide Surveys, 1982–2014

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Soziale Probleme

Zusammenfassung

Untersucht werden die Einstellungen zur Legalisierung von Cannabis, die Bewertung von Haschisch als abweichendes Verhalten sowie die Wahrnehmung gesundheitlicher und psychischer Risiken des Cannabisgebrauchs in der deutschen Bevölkerung in den Jahren 1982 bis 2014. Grundlage sind bundesweite face-to-face und telefonische Befragungen der Bevölkerung der alten Bundesländer, 18 Jahre und älter. Die Befürwortung einer Legalisierung von Cannabis ist gestiegen, bleibt aber hinter den entsprechenden Werten der USA zurück. Nur eine Minderheit spricht sich für eine Legalisierung aus. Die Wahrnehmung von Risiken des Probier- und des regelmäßigen Konsums von Haschisch bleibt im Zeitverlauf weitgehend konstant. Die Bewertung als schwere Form abweichenden Verhaltens, gemessen am Urteil, ein Haschischkonsum sei „sehr schlimm“, hat sich erheblich reduziert. Ob man sich für eine Legalisierung ausspricht oder nicht, wird zu Beginn der 1980er Jahren in maßgeblicher Weise von der Deliktbewertung bestimmt, in neuerer Zeit von der Risikowahrnehmung. Die Beurteilung gründet sich offenbar vermehrt auf rationale Erwägungen statt auf traditionelle, moralisch gefärbte Maßstäbe.

Abstract

The focus of the paper is on attitudes towards legalization of cannabis, seriousness of cannabis use and risk perception in the German population in the years 1982–2014. The empirical basis is made up by nationwide face-to-face and telephone surveys of the West German population, 18 years and older. The number of people in favor of legalization has increased, but remains below the rate in the USA. Only a minority is in favor. The perception of risks evolving from the trial respectively the regular use of cannabis remains stable over time. The seriousness rating as deviant behavior on the other hand has declined. Whether people are in favor of legalization or not in the early 1980s primarily depends on the seriousness rating, in more recent time on risk perceptions. The frame of reference seems to be more often based on rational arguments nowadays than on traditional, moral considerations as in earlier years.

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Abb. 1

Notes

  1. Die Tatsache, dass Cannabis in einem Bundesstaat legal ist, schließt paradoxerweise nicht aus, dass Arbeitgeber Arbeitnehmer entlassen können, wenn diese in ihrer Freizeit Cannabis rauchen – so der Fall in Colorado, vgl. Süddeutsche, 18.06.2015. Internetquelle: [www.sueddeutsche.de/panorama/marihuana-legal-gekifft-trotzdem-gefeuert−1.2522835]. Dies zeigt, wie sehr Punitivität und Liberalität auf kommunaler und regionaler Ebene einander nicht ausschließen.

  2. Ähnlich die Ergebnisse von Gallup-Umfragen (mit identischer Formulierung wie Pew Research Center): Danach bejahten 58 % der US-Amerikaner im Oktober 2013 eine Legalisierung, 39 % wandten sich dagegen. Die darauf folgende Gallup-Umfrage vom Frühjahr 2014 erbrachte zwar wieder etwas geringere Werte, aber keine grundlegende Verschiebung der Mehrheitsposition. Zu den Gallup Trends (die erste Umfrage stammt von 1969), siehe Internetquelle: [http://www.gallup.com/file/poll/179240/Marijuana_Legalization_141106.pdf]; Zugriff 18.06.2015. Die Frage zur Legalisierung in der Formulierung von Gallup und Pew Research ist seit 1973 auch Bestandteil des „General Social Survey“ (GSS). Man kann die Frageformulierung der Häufigkeit der Verwendung in der US-Umfrageforschung wegen als eine Art „Standardfrage“ ansehen.

  3. Zur steigenden Zahl von Politikern, die auf Bundesländerebene eine Legalisierung von Drogen als Option wahrnehmen oder befürworten, siehe u. a. „die tageszeitung“ vom 23.7.2015, S. 1, 3. Auf Seiten der Parteien gibt es entsprechende Forderungen bei der Links-Partei, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP. Zur Kino Werbung des „Hanf-Verbandes“, die sich auf einen Millionen-Gewinn seines Geschäftsführers in einer Fernsehsendung von ProSieben und Sat.1 gründet, siehe Spiegel Online 26.11.2014, Internetquelle: [http://www.spiegel.de/video/hanf-spots-feiern-deutschland-premiere-legalisierung-von-cannabis-video−1538277.html].

  4. Siehe Internetquellen: [http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/cannabis-strafrechtler-lo renz-boellinger-fordert-legalisierung-a−1038647.html]; [http://www.huffingtonpost.de/2015/0 6/13/kreuzberg-cannabis-verkauf_n_7575130.html]; [http://www.wiwo.de/politik/deutsch land/legalisierung-spitzenoekonomen-fordern-die-freigabe-von-cannabis-/11652088.html].

  5. Zählt man die Zahl der Artikel in der Printausgabe bundesdeutscher Zeitungen aus, die in LEXIS-NEXIS erfasst sind (76 Zeitungen pro Jahr), kommt man für die größeren Artikel (mehr als 500 Wörter), in denen die Begriffe Cannabis, Marihuana oder Haschisch in Kombination mit dem Begriff „Legalisierung“ genannt werden, für das Jahr 2010 auf 50 Artikel, 2011 auf 38, 2012 auf 79, 2013 auf 98 und 2014 auf 247. Würde man auch kleinere Artikel einbeziehen, käme man für 2013 auf 199 und 2014 auf 620 Artikel. Für die erste Jahreshälfte 2015 (bis 15. 06. 2015) kommt man auf eine Zahl größerer Artikel von 182 und für Artikel insgesamt von 455. Geschätzt auf das Jahr 2015, würde dies eine weitere Steigerung der Berichterstattung gegenüber den Vorjahren erwarten lassen.

  6. In der Statistik der ambulanten Drogentherapie macht Cannabis als Hauptdiagnose inzwischen 15 % der Klienten aus, in der Statistik der stationären Therapie 7 % (Brand et al. 2014, S. 11, 12). Inwieweit die gestiegene Zahl einen realen Anstieg des Handlungsbedarfs, andere Therapieangebote oder einen anderen Umgang mit Therapiebedarf seitens der Konsumenten widerspiegelt, ist eine andere Frage, die der Klärung bedarf.

  7. Wo in Erhebungen die Basis 14 Jahre und älter ist, beschränken wir uns auf die Befragten 18 Jahre und älter. Bei der Beschreibung der Verbreitung der Einstellungen (Tab. 13) verwenden wir die gewichteten Daten (auf der Grundlage der Gewichtungsfaktoren der Erhebungsinstitute, in unseren Telefonbefragungen auf der Basis eines von uns konstruierten Gewichts aus den Merkmalen Geschlecht, Alter und Bildung). In den übrigen Analysen (Abb. 1 und Tab. 4) werden die ungewichtete Datensätze verwandt. Die Fallzahlen in den Tabellen beziehen sich auf die Zahl der Befragten im ungewichteten Datensatz.

  8. Es handelt sich um Eigenerhebungen des Verfassers, finanziell gefördert durch das National Institute on Drug Abuse, USA (1982), Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (1987), Volkswagen Stiftung (2003) sowie Lehrstuhlmittel (ab 2010). Die 1982er Erhebung fand im Rahmen des ZUMABUS durch Infratest statt, die Erhebung von 1987 durch Getas, 2003 durch Marplan, 2010 durch EMNID, die Telefonbefragungen durch das CATI-Telefonlabor des Institut für Sozialwissenschaften der Universität Düsseldorf (mit studentischem Interviewerstab). Die 2013er und 2014er Erhebung wurde durchgeführt in der Zeit von November 2012 bis Februar 2013 bzw. November 2013 bis Februar 2014. Sie werden hier gemäß dem Jahr, in dem die Feldphase endete, als Erhebung von 2013 bzw. 2014 bezeichnet.

  9. Die Frage zur Bewertung des Cannabiskonsums als Delikt umspannt den breitesten Zeitraum. Sie wurde erstmals im Rahmen eines rechtssoziologischen Projekts im Jahr 1970 gestellt (Kaupen 1973). Wir beschränken uns an dieser Stelle auf die Zeit ab 1982, da nur von diesem Zeitpunkt an auch die Fragen zur Risikowahrnehmung und Legalisierung von Cannabis Bestandteil der Erhebung waren. Zu der Bewertung von Cannabis als abweichendes Verhalten in den Jahren 1970 bis 1987 – im Vergleich auch zu anderen Delikten – siehe Reuband (1988, 2011).

  10. Weil Einstellungen und Lebensstile ausgeklammert bleiben, sind die Studien auch nicht in der Lage, über die bloße Deskription hinaus eine Analyse der sozialen und kulturellen Determinanten und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu liefern. Die deutschen Studien erweisen sich damit als weitaus weniger umfassend angelegt als vergleichbare US-Studien (wie „Monitoring the Future“ oder „National Survey on Drugs and Health“). In diesen wird routinemäßig die Wahrnehmung der Gesundheitsrisiken erfasst ebenso wie die Akzeptanz von Drogen (in etwa vergleichbar mit unserer Bewertung der Deliktschwere), desgleichen die wahrgenommene Gelegenheitsstruktur. Zur Bedeutung der Risikowahrnehmung und Drogenakzeptanz für die epidemiologischen Veränderungen des Drogengebrauchs siehe für die USA u. a. Bachman et al. (1998). Auf der Mikro-/Makroebene bedarf dies sinnvollerweise der Ergänzung durch die Einbeziehung der Milieus und der Lebensstile, will man auch subgruppenspezifische Trends angemessen analysieren (vgl. u. a. Lee et al. 1998). Zur Bedeutung wahrgenommener positiver und negativer Wirkungen von Cannabis für die Herausbildung der Bereitschaft zum Cannabiskonsum im Kontext der interpersonalen Umwelt siehe für Deutschland Reuband (1994, S. 159 ff.).

  11. Es handelt sich um Festnetznummern. Angesichts der Tatsache, dass nur eine kleine Minderheit der Bundesbürger über kein Festnetz verfügt und nur über Mobiltelefon erreichbar ist (Reuband 2014), ist diese Beschränkung für Analysen auf der Ebene der Gesamtbevölkerung kein Problem.

  12. Allenfalls bei der Kontaktaufnahme durch den Interviewer wurden die Themen angesprochen, in einer beispielhaften Aufzählung der Themen, die Bestandteil der Erhebung sind.

  13. In einer Splitversion wurde 2014 eine etwas andere Formulierung verwandt: ob man den Gebrauch von Haschisch „verbieten oder nicht verbieten“ solle. Es ergab sich jedoch kein statistisch signifikanter Unterschied, weswegen die beiden Versionen zusammengefasst wurden (Die Prüfung der unterschiedlichen Fragevarianten wurde unternommen im Kontext der Forschungstradition zu den „Erlauben-Verbieten“ Frageeffekten; dazu vgl. Reuband 2003). Die Frageformulierung („Gebrauch gesetzlich erlauben oder nicht erlauben“) orientiert sich an der US-Formulierung. Streng genommen wird mit der Frage die deutsche Rechtslage nicht angemessen erfasst, denn der Konsum von Cannabis ist im Gegensatz zu Besitz, Erwerb oder Verkauf straffrei. De facto jedoch ist Konsum nur möglich, wenn man auch in den Besitz der Droge gekommen ist. Daher dürfte bei den Befragten zwischen Konsum und Besitz kein Unterschied gemacht werden.

  14. Siehe Internetquelle: [http://www.stern.de/panorama/gesellschaft/stern-umfrage-bei-marihuana-kennen-die-deutschen-kein-pardon-3135000.html]. Die Frageformulierung lautete „Im US-Bundesstaat Colorado wurde nun der Verkauf von Marihuana freigegeben. Was denken Sie: Sollte auch in Deutschland der Verkauf von Marihuana und Haschisch freigegeben werden oder sollte er wie bislang verboten sein?

  15. Ein gewisser suggestiver Charakter kommt dadurch zum Tragen, dass zunächst gefragt wird, ob der bisherige Kampf der Staaten gegen illegale Drogen, der mit aller Härte durchgeführt wäre, erfolgreich sei (woraufhin 77 % meinten, er wäre nicht erfolgreich). Nicht gefragt wird, ob sich die Frage eher auf den Drogenhandel oder die Konsumverbreitung und die Konsumnachfrage bezieht und ob dies auch für die Bundesrepublik gilt. Auch wird nicht explizit Cannabis erwähnt. Der Bezugsrahmen des Befragten wird durch den Verweis auf den allgemeinen Kampf gegen Drogen vermutlich vor allem auf vergebliche Versuche (wie etwa in Mexico) hin aktiviert. Damit ist eine negative Antwort in gewissem Umfang vorprogrammiert, und eine alternative Drogenpolitik erscheint vor diesem Hintergrund naheliegend. Im Anschluss an die Eingangsfrage wird auf die neuen Konstellationen in den USA verwiesen: „Über den gesetzlichen Umgang mit Hanf, auch bekannt als Cannabis oder Marihuana, wird international diskutiert. In Deutschland gibt es bislang ein strenges Verbot. In den USA können dagegen volljährige Personen in einzelnen Bundesstaaten Cannabis legal erwerben und zum Eigenbedarf anbauen. Ich nenne Ihnen nun einige Aussagen hierzu und Sie sagen mir bitte, ob Sie ihnen jeweils eher zustimmen oder eher nicht zustimmen … Der Besitz geringer Cannabis-Mengen zum Eigenverbrauch sollte weiterhin strafrechtlich verfolgt werden“ (Infratest-dimap 2014).

  16. Die Frageformulierung lautet: „Über den gesetzlichen Umgang mit Hanf, auch bekannt als Cannabis oder Marihuana, wird seit längerem diskutiert. In Deutschland gibt es bislang ein strenges Verbot. Was meinen Sie: Sollte Cannabis für Personen ab 18 Jahre legal erhältlich sein, zum Beispiel über Fachgeschäfte, oder sollte der Besitz weiterhin strafrechtlich verfolgt werden?“ Neben den genannten Umfragen gibt es noch einige wenige weitere Erhebungen, die sich z. T. auf für die Bevölkerung nicht repräsentative Online-Befragungen stützen oder aus Gründen der Fragekonstruktion methodisch problematisch sind. Auf diese wird in unserer Übersicht verzichtet.

  17. Fragen zur Kenntnis von Drogenkonsumenten wurden in unserer Erhebung von 1982 gestellt. Auf die Frage „Kennen Sie persönlich in Ihrem Verwandten- oder Bekanntenkreis jemanden, der schon einmal Drogen, wie z. B. Haschisch oder Heroin genommen hat oder noch nimmt?“ gaben seinerzeit 20 % der Befragten an, dies sei der Fall. In einer späteren Getas-Erhebung aus dem Jahr 1989 (durchgeführt für das „Bundesministerium des Innern“), in die unsere Frage Eingang fand, lag der Wert bei 23 % (Gesis Datenarchiv, ZA 1879, eigene Analyse). Insgesamt ist dies nur ein leichter Zuwachs, was auch Folge einer (womöglich zunehmend) selektiven Geheimhaltung im Verwandten- und Bekanntenkreis sein könnte.

  18. Zu früheren Befragungen in der Erwachsenenbevölkerung und Problemen der Messung siehe Reuband (1986). Vorteil der Umfrage, auf die sich Kraus et al. (2014) stützen, ist, dass der Grad der Anonymität durch Wahl eines schriftlichen Befragungsmodus erhöht ist. In den USA stützen sich die Erhebungen im Auftrag der „Substance Abuse Administration“ in der Erwachsenenbevölkerung auf face-to-face-Befragungen in Kombination mit ACASI-Erhebungsmodalitäten, durch die das Gefühl von Anonymität erhöht ist.

  19. Dies lässt sich z. B. anhand unserer Umfrage von 1982 belegen. Selbst bei den Jüngeren ist dies nicht der Fall. So geben unter den 18−29-jährigen, die jemals Cannabis zu sich nahmen, lediglich 38 % an, sie seien für eine Legalisierung, 51 % waren dagegen. Unter den Befragten ohne Cannabiserfahrungen in dieses Altersgruppe lagen die entsprechenden Werte bei 8 bzw. 86 %.

  20. Freunde und Bekannte sind im Allgemeinen geeignet, Einstellungsdispositionen zu fördern und bestehende Dispositionen zu verstärken. Je höher bei ihnen der wahrgenommene Konsumentenanteil ist, desto mehr ist dies der Fall. Dies gilt nicht nur für die Bereitschaft zum Probierkonsum und für den fortgesetzten Drogengebrauch (Reuband 1994, S. 159 ff.), es dürfte auch für die Wahrnehmung der Drogenwirkungen gelten und für die Bereitschaft, einer Legalisierung das Wort zu reden. Je mehr man sich darin in der Umwelt bekräftigt fühlt, desto eher – so unsere Vermutung – eine Befürwortung.

  21. Fragt man die Legalisierungsbefürworter nach den Gründen, werden in den USA vor allem positive Gesundheitsaspekte genannt, an zweiter Stelle folgt, dass Cannabis weniger gefährlich sei als andere Drogen (Pew Research Center 2015, S. 3). Inwieweit die medizinische Verschreibungspraxis diese Perspektive geprägt hat, wird in dem Beitrag nicht untersucht. Offen ist auch, ob sie Effekte auf die Drogenverbreitung hat. In den Bundesstaaten, in denen es ärztlich verschriebenes Cannabis gibt, liegt der Anteil der Cannabiskonsumenten war höher als in den übrigen Teilen der USA. Aber es gibt aus Untersuchungen unter Jugendlichen derzeit keine Hinweise dafür, dass sich durch die Einführung medizinisch veranlasster Marihuana-Verschreibungen der Anteil der Konsumenten überproportional erhöht hat (Hasin et al. 2015; Lynne-Landsmann et al. 2013).

  22. Zur Frage der Auswirkungen von Cannabis gibt es eine breite, z. T. kontroverse Literatur, siehe aus neuerer Zeit u. a. Kleiber/Soellner (2004), Hoch et al. (2015).

  23. Zur Drogenberichterstattung in der Frühzeit der Drogenwelle (1970/1971) finden sich Ergebnisse quantitativer Inhaltsanalysen von Zeitungen in Gaedt et al. (1976) sowie Wormser (1976), für den Zeitraum 1967–1977 in Meudt (1979). Daneben gibt es einige weitere Studien, die sich allerdings in der Regel auf einzelne Zeitpunkte beschränken und untereinander nicht vergleichbar sind. Trendstudien, die Aussagen über die Darstellung gesundheitlicher Folgen erlauben, gibt es für einen längeren Zeitraum, der sich mit unserer Erhebungsperiode partiell oder ganz deckt, nicht. Es gibt allenfalls Hinweise dafür, dass zu Beginn der 1970er Jahre Drogen in den Zeitungen häufiger ein Thema waren als zu Beginn des neuen Millenniums (1999–2001), vgl. Reuband (2004, S. 95).

  24. Es handelt sich um eine Frage, die erstmals 1970 in einer bundesweiten Studie zur Rechtssoziologie eingesetzt wurde (Kaupen 1973) und aus Gründen einer Längsschnittanalyse in unsere Befragungsserie aufgenommen wurde. Insbesondere die Zahl und Benennung der Antwortkategorien ist nicht optimal. Für die Analyse von Zusammenhängen und Trends, ist dies jedoch nicht problematisch. Natürlich könnte man sich fragen, wie sehr sich in der Schwerebewertung eine Wahrnehmung gesundheitlicher Gefahren niederschlägt und es sich lediglich um einen anderen Ausdruck für die Wahrnehmung gesundheitlicher und psychischer Folgen handelt. In der Tat gibt es Korrelationen mit der Risikowahrnehmung, diese halten sich aber in Grenzen (in der OLS-Regression beta = 0,12 bei Probierkonsum und 0,22 bei mehrmaligen Konsum, unter Kontrolle von Geschlecht, Alter und Bildung in der Erhebung von 1982). Angesichts dieser schwachen Beziehungen halten wir es für gerechtfertigt, in der Schwerebeurteilung eine eigenständige Dimension zu sehen, die Variable wird im Folgenden als „Deliktbewertung“ bezeichnet.

  25. Im Rahmen einer Splitversion des Fragebogens in der Erhebung von 2013, in der eine alternative, präzisere Formulierung eingesetzt wurde („Studenten rauchen Haschisch auf einer Party“), ergab sich kein signifikanter Effekt. Etwas anderes verhält es sich, wenn man den Begriff „Studenten“ durch „Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren“ ersetzt (wie wir dies in Form eines Splits 1982 und 2013 getan haben): Während es im Jahr 1982 keinen Unterschied gab, erwies sich der Effekt 2013 statistisch als signifikant: gegenüber Jugendlichen urteilte man strenger (Korrelation zwischen Skala der Bewertung und Frageformulierung r = 0 ,19, p < 0,001). Aus Gründen strikter Vergleichbarkeit beschränken wir uns beim Langzeitvergleich auf die Originalfassung der Frage mit der Nennung von Studenten. Ob die unterschiedlichen Reaktionen auf die Fragespezifikation je nach Erhebungsjahr Folge eines Periodeneffekts ist, Folge einer veränderten Interviewkonstellation (2013: Erhebung durch Universität mit Studenten als Interviewern, zuvor Umfrageinstitute mit herkömmlichem, meist älteren Interviewerstab) oder andere Gründe dafür verantwortlich sind, muss ungeklärt bleiben. Desgleichen muss offen bleiben – sofern Interviewereffekte verantwortlich sind –, welche Folgen daraus erwachsen: Wird der Haschischkonsum von Studenten bei einer studentischen Interviewerkonstellation milder beurteilt, oder werden die Nicht-Studenten per Kontrastsetzung strenger beurteilt? An dem Grundbefund einer schwindenden Bewertung des Haschischkonsums als „schlimm“ würde sich freilich selbst im Fall von Interviewereffekten nichts ändern: Die Tatsache, dass sich sowohl zwischen den Jahren 1982 und 2010 als auch zwischen 2013 und 2014 – bei jeweils konstanten Rahmenbedingungen der Befragung – der Anteil derer kontinuierlich erhöht hat, die den Haschischkonsum „nicht so schlimm“ finden, ist ein Beleg dafür.

  26. Die Frageformulierung lautet „Und jetzt hätte ich gern gewusst, welche Strafe Sie persönlich verhängen würden, wenn Sie Richter wären?“ Als Antwortkategorien wurden vorgelesen: „Keine Strafe – eine Verwarnung – eine Geldstrafe – eine Gefängnisstrafe“. Sonstige Nennungen wurden in einer getrennten Kategorie erfasst. Gegenüber den früheren face-to-face Umfragen (mit Listenvorgabe) wurden einige Kategorien (wie Gefängnis mit und ohne Bewährung) zusammengefasst. Zu früheren Befunden und den Antwortkategorien siehe Reuband (1988).

  27. Die Telefonbefragung stützt sich auf eine Festnetz-Stichprobe. Dass der Verzicht auf Einbeziehung einer Mobilfunkstichprobe das Ergebnis verzerrt hat, ist unwahrscheinlich. Denn auch in der Umfrage des „Hanf-Verbandes“ vom Herbst 2014, die sich auf eine Infratest-Telefonbefragung mit Dual-Frame Ansatz stützt, sind es (in den bivariaten Analyse) nicht die Jüngeren, sondern überproportional die Befragten im mittleren Alter (30–44 Jahre und 45–59 Jahre), die sich für eine Legalisierung aussprechen (Infratest-dimap 2014, S. 4). Im Fall unserer Untersuchung ergibt sich in der bivariaten Analyse eine ähnliche Tendenz. Auffällig bei unserer Untersuchung ist, dass der Anteil der Unentschiedenen bei den Jüngeren überproportional hoch ist (weitaus höher auch als in der Infratest-dimap Umfrage). Würde man diese Gruppe aus der Berechnung ausklammern, würde sich gleichwohl an dem Tatbestand nichts ändern, dass die 18−29-jährigen nicht zu denen zählen, die sich überproportional häufig für eine Legalisierung aussprechen.

  28. Ob die Wahrnehmungen objektiv rational sind, ist eine andere Frage. Entscheidend ist hier, dass subjektive Rationalitäten das Urteil bestimmen und nicht allein die bloße Tatsache abweichenden Verhaltens. In welchem Umfang die Beurteilung des Haschischkonsums als „schlimm“ nicht nur durch traditionelle, moralische Maßstäbe, sondern auch durch eigene Erfahrungen beeinflusst ist und dies den Wandel in der Schwereeinschätzung mit erklärt, muss ungeklärt bleiben. Denn nach eigenen Konsumerfahrungen wurde nur 1982 und 1987 gefragt. Analysen auf der Basis dieser Erhebungen belegen, dass eigene Erfahrungen mit Cannabis (jemals im Leben) mit einer weniger negativen Beurteilung als „schlimm“ einhergehen: bei den 18−29-jährigen des Jahres 1987 z. B. liegt die Korrelation bei r = − 0,41 (p < 0,001). Gleichartige Beziehungen gelten für die Einschätzung der Risiken eines Probierkonsums und eines regelmäßigen Konsums (r = − 0,44 bzw. r = − 0,49, p < 0,001, jeweils 18−29-jährige). Der Effekt eigener Erfahrungen bleibt (wenngleich reduziert) auch dann statistisch signifikant erhalten, wenn man die Risikowahrnehmungen und die Merkmale Geschlecht, Alter und Bildung als Kontrollvariablen in eine Regressionsanalyse einbezieht. Offen bleiben muss, in welchem Umfang der Zusammenhang Ursache und/oder Folge der Konsumerfahrungen ist. Vermutlich wirken beide Einflüsse ein, womöglich bei der Deliktbeurteilung auch etwas anders akzentuiert als bei der Risikowahrnehmung.

  29. In den USA zeichnet sich in neuerer Zeit ein Rückgang des Tabakkonsums bei Jugendlichen ab, der so weit geht, dass er inzwischen unter das Niveau der Erfahrungen mit Cannabis gefallen ist. So nahmen 2013 unter den 12−17-jährigen in den letzten 30 Tagen 7,1 % Marihuana und nur 5,6 % rauchten in dieser Zeit Zigaretten (Substance Abuse and Mental Health Administration 2014, S. 22, 49). Dass Jugendliche aus Gesundheitserwägungen direkt mit Cannabis beginnen, statt den üblichen Weg (Kandel und Faust 1975) zunächst über den Tabakkonsum zu nehmen, zeigte sich in vereinzelten Studien in Kalifornien bereits in den 1980er Jahren (so bei Baumrind 1985).

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Reuband, KH. Einstellungen der Bundesbürger zum Cannabisgebrauch und zur Cannabislegalisierung. SozProb 26, 29–45 (2015). https://doi.org/10.1007/s41059-015-0005-9

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