1 Einleitung

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist mit ca. 14.000 täglich durchgeführten Beratungen einer der größten Anbieter dieser Dienstleistung im Kontext von Bildung, Beruf und Beschäftigung. Neben der Beratung von arbeitslosen Personen adressiert das Beratungsangebot der BA auch Menschen, die nicht im Arbeitslosengeldbezug stehen. Dies sind u. a. Jugendliche, die Unterstützungen im Hinblick auf ihre Berufswahl benötigen oder berufstätige Personen, die z. B. Anliegen im Kontext ihrer beruflichen (Weiter‑)Entwicklung haben (Enoch und Stanik 2022). Die Beratungsangebote der BA waren lange Zeit ausschließlich als Face-to-Face-Beratungen angelegt. Erst im Jahr 2018 ist das Format der Videoberatung pilotiert und im Zuge der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen nach und nach flächendeckend eingeführt worden. Die Etablierung der Videokommunikation als Beratungsformat einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung wie der BA kann damit auch als weiterer Ausdruck einer immer tiefgreifenden Mediatisierung verstanden werden, in der digitale Medien „die Basis jeglicher sozialen Praxis sind“ (Hepp 2021, S. 10).

Erste Befragungen zeigten, dass die Beratungsfachkräfte vor der Einführung der Videoberatung in dieser sowohl Chancen, z. B. für die Erreichbarkeit von jugendlichen Ratsuchenden sahen als auch die Herausforderung äußerten, inwiefern die Videokommunikation überhaupt angenommen werde (Rademacher-Bensing 2021). Eine interne Befragung kam zu dem Ergebnis, dass 96 % der Personen, die von Januar 2021 bis Januar 2022 eine Videoberatung der BA in Anspruch genommen haben, diese auch weiterempfehlen würden, wohingegen nur knapp 43 % ihre nächste Beratung als Videoberatung führen wolltenFootnote 1.

Auch wenn Videoberatungen auf den ersten Blick eine große Nähe zu Face-to-Face-Beratungen haben, legen sowohl konzeptionelle Entwürfe aus dem Feld der psychosozialen Beratung (Engelhardt und Gerner 2017, Engelhardt und Engels 2021) als auch erste Ergebnisse aus dem Feld der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung (Stanik und Rott 2021, Silfverberg 2020) nahe, dass Videoberatungen spezifische Kompetenzanforderungen für Beratende aufweisen.

Der vorliegende Beitrag macht vor diesem Hintergrund die Perspektiven von Beratungsfachkräften der BA zum Gegenstand zweier empirischer Zugänge – einer quantitativen und einer qualitativen Befragung. Zunächst wird die Videoberatung gegenstandstheoretisch definiert, indem Merkmale und formatspezifische Anforderungen skizziert werden und das Format im Leistungsspektrum der BA verortet wird (Kap. 2). Nach den Darlegungen der Designs der beiden Teilstudien (Kap. 3) werden zentrale Ergebnisse der Untersuchungen dargelegt (Kap. 4). Der Beitrag schließt mit einer Diskussion der Befunde und dem Aufzeigen von konzeptionellen Herausforderungen sowie von empirischen Desideraten (Kap. 5).

2 Merkmale und professionelle Anforderungen der Videoberatung

2.1 Merkmale von Videoberatung

Das Format der Videoberatung als „bildgestützte, synchrone Kommunikation von räumlich getrennten Akteuren im Rahmen eines personenbezogenen Beratungsprozesses“ (Engelhardt und Gerner 2017, S. 20) weist – wie andere Formate der Online-Beratung – insbesondere aufgrund der Ortsungebundenheit eine hohe „äußere Niederschwelligkeit“ (Knatz und Dodier 2021, S. 84) auf. So kann das Beratungsangebot aus vertrauter Umgebung, ohne Anfahrtswege in Anspruch genommen werden. Dabei sind Videoberatungen aufgrund ihrer Synchronizität jedoch zeitgebunden und Ratsuchende können aufgrund der Bildübertragungen nicht anonym bleiben: Ein konstitutives Merkmal von Videoberatungen ist eine „digitale Kopräsenz zwischen räumlich Abwesenden“ (Rübner 2022, S. 6). Mit Videoberatungen sind immer auch technische Voraussetzungen (z. B. leistungsstarkes Internet) verbunden und beratende sowie ratsuchende Personen müssen die Bereitschaft haben, auch komplexere Problemlagen in dem Format zu besprechen (Stanik 2023). Hinsichtlich der medialen Reichhaltigkeit erhalten Beratungsfachkräfte mehr soziale Hinweisreize (z. B. über das Alter, das Geschlecht) sowie non- und paraverbale Kommunikationsmerkmale (Mimik, Gestik) als beispielsweise bei schriftbasierten Online-Beratungsformaten. Dennoch sind Videoberatungen auch kanalreduzierte Kommunikationen, da Mimik und Gestik aufgrund der kleinen Bildausschnitte meist nur eingeschränkt wahrzunehmen sind (Engelhardt und Gerner 2017; Engelhardt 2018; Silfverberg 2020). Auch haben sowohl die Bildauflösungen als auch Bildwiederholungsraten Einflüsse darauf, inwiefern beispielsweise flüchtige Gesichtsausdrücke und deren Änderungen überhaupt wahrzunehmen sind (Held 2018). Zudem sind Ratsuchende und Beratende in der Videokommunikationen mit dem sogenannten Eye-Contact-Dilemma konfrontiert, da es nicht möglich ist, sich gegenseitig in die Augen zu schauen und gleichzeitig die Mimik und Gestik des anderen wahrzunehmen. Dies ist insofern eine Herausforderung, als mit Hilfe des Blickkontakts Gesprächsbereitschaft signalisiert, gegenseitiges Verständnis überprüft oder Rederechtübergaben koordiniert werden (Kendon 1967).

2.2 Professionelle Anforderungen der Videoberatung

Da die Videoberatung aufgrund ihrer medialen Reichhaltigkeit und ihrer Quasi-Synchronität eine große Nähe zu Face-to-Face-Interaktionen hat, scheint es einerseits plausibel, dass sich professionelle Anforderungen vom und Beratungskompetenzen für Beratungsinteraktionen auf Videoberatungskommunikationen übertragen lassen (Engelhardt und Engels 2021; Knatz und Dodier 2021, Rübner 2022, Stanik und Rott 2021). Andererseits sehen sich Beratende aufgrund der digitalen Vermittlung auch neuen professionellen Anforderungen gegenüber.

Während bei Face-to-Face-Beratungen die Beratungseinrichtungen und/oder die -fachkräfte allein für die Gestaltung und Herstellung eines störungsfreien, vertrauensvollen, funktionalen, räumlichen Beratungssettings verantwortlich sind, finden Videoberatungen in hybriden, digital-vermittelten Räumen sowohl der Beratenden als auch der Ratsuchenden statt. Hiermit sind neue Möglichkeiten, aber auch neue professionelle Anforderungen verbunden. Auf der einen Seite werden die Beratungen nicht durch „symbolisch-institutionelle“ (z. B. Erwartungen an ein Geschehen) oder durch „materiell-infrastrukturelle“ Raumdimensionen (z. B. Gestaltung des Raumes) der Beratungseinrichtungen beeinflusst (Kraus 2010, S. 48). Auf der anderen Seite müssen Beratende dafür Sorge tragen, dass Ratsuchende die Videoberatung in einer möglichst störungsfreien Umgebung wahrnehmen. Ein Vorteil ist es, dass private Gegenstände aus dem häuslichen Umfeld oder Dokumente (z. B. Zeugnisse) im Beratungsprozess verwendet werden können (Rübner 2022). Auch erhalten Beratungsfachkräfte Einblicke in Lebenssituationen/Lebensräume der Ratsuchenden, sodass man hier auch von einer Kanalerweiterung der Videoberatung gegenüber der Face-to-Face-Beratung sprechen kann. Damit ist zugleich auch die professionelle Anforderung verbunden, die darüber gewonnenen Informationen und Eindrücke zu reflektieren, um sich hiervon nicht vorschnell beeinflussen zu lassen (Stanik und Rott 2021, Stanik 2023).

Daneben benötigen die Fachkräfte insbesondere digitale Kompetenzen, die sich in Anlehnung an das Modell medienpädagogischer Handlungskompetenz von Lehrenden der Erwachsenenbildung (Schmidt-Hertha et al. 2020) wie folgt differenzieren lässt: Im Hinblick auf die Dimension der medienbezogenen Einstellungen und Selbststeuerung müssen Beratende ihre Haltungen gegenüber der Videoberatung reflektieren, um entscheiden zu können, inwiefern das Format überhaupt oder für welche Anliegen zu nutzen ist. So zeigte eine Befragung von knapp 700 Beratenden aus dem Feld der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung, dass knapp 49 % gegenüber Online-Beratungsformaten aufgrund „atmosphärischer Einschränkungen“ und über 40 % wegen „methodischer Einschränkungen“ Vorbehalte haben (Blaich und Knickrehm 2021). Im Hinblick auf die Dimension einer beraterischen medienbezogenen Feldkompetenz müssen die Fachkräfte einschätzen, inwiefern das Format der Videoberatung für bestimmte Zielgruppen anschlussfähig ist. Hierbei wäre es jedoch verkürzt, alleine vom Alter oder vom Bildungshintergrund auf die (Nicht‑)Eignung des Formats zu schließen. Die Dimension der medienbezogenen Fachkompetenz umfasst nicht nur den eigenen kompetenten Umgang mit den Videokommunikationstools oder die Einbindung weiterer Applikationen (z. B. digitale Whiteboards), sondern z. B. auch die Fähigkeit Ratsuchende bei technischen Schwierigkeiten Hilfestellungen geben zu können (Engelhardt und Gerner 2017; Silfverberg 2020). Zudem bedarf es in Analogie zur mediendidaktischen Kompetenz einer medienbezogenen Beratungskompetenz. Diese umfasst Wissen über die beraterischen Vor- und Nachteile des Formats, ein Bewusstsein über die Kanalreduzierungen und wie diese kommunikativ zu kompensieren sind. Schließlich müssen die Beratenden in der Lage sein, Gesprächs- und Beratungsmethoden auch im digitalen Raum einzusetzen (Stanik 2023), um auch bei Videoberatungen mit den Ratsuchenden in Kontakt zu kommen, Anliegen zu klären und Lösungs‑, Entscheidungsmöglichkeiten gemeinsam entwickeln zu können. Hierzu gehört es auch, Videoberatungen im Sinne eines Blended-Counselling mit Face-to-Face, Telefon-Beratungen oder mit anderen Online-Beratungsformaten (Chat, Mail, Messenger) zu verknüpfen.

2.3 Videoberatung in der BA

Mit der sogenannten Strategie 2025 verfolgt die BA das Ziel, die Digitalisierung ihrer Dienstleistungen weiterzuentwickeln. In diesem Kontext wurde im Jahr 2018 auch die Videoberatung zunächst in der Arbeitsvermittlung in 18 Agenturen pilotiertFootnote 2. Aufgrund der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen im Jahr 2020 ist die Videoberatung dann zunächst in der Berufsberatung von Schülerinnen und Schülern und anschließend auch in der Arbeitsvermittlung umgesetzt worden. Das Format wurde aufgrund seiner medialen Reichhaltigkeit als geeignete Alternative zur Präsenzberatung betrachtetFootnote 3. Dass die Videoberatung im Angebotsspektrum der BA nunmehr verstetigt worden ist, zeigt sich u. a. an gesetzlichen Änderungen. So ist zum 01.01.2022 im § 38 des SGB III festgehalten worden, dass sowohl Erst- als auch Folgegespräche von arbeits- und ausbildungssuchenden Personen im Format der Videoberatung durchgeführt werden können. Technisch benötigen die Ratsuchenden für die Teilnahme an einer Videoberatung der BA keine Software oder Applikation, sondern sie erhalten einen Zugangslink für ein webbasiertes Videokanaltool. Während in internen Handreichungen, Selbstlernmodulen und Schulungen zunächst insbesondere technische und datenschutzrechtliche Fragen der Videoberatung thematisiert worden sind, ist im August 2022 ein Leitfaden für die Gestaltung von Videoberatungen im BA-Kontext erschienen. In diesem wird Videoberatung als Online-Beratungsformat verortet, spezifische Merkmale aufzeigt und Praxis-Tipps sowie Erfahrungsbeispiele zur beraterischen Umsetzung gegeben (Rübner und Pintschka-Vögeli 2022).

Eine Evaluation bei der Einführung der Videoberatung im Bereich der Arbeitsvermittlung zeigte u. a., dass die befragten Fachkräfte die Videoberatung insbesondere für Personen geeignet hielten, zu denen bereits eine gute Arbeitsbeziehung bestand, die sich in Maßnahmen befanden oder die besonders technikaffin waren. Die eigene Beratungsqualität wurde nicht als schlechter als bei den Präsenzberatungen eingeschätzt, wenngleich es den Fachkräften schwerer fiel, eine Verbindlichkeit in Bezug auf Eingliederungsvereinbarungen bzw. Maßnahmenangebote herzustellenFootnote 4. Im Kontext der Berufsberatung wurden insbesondere Jugendliche und Personen mit engem Zeitbudget wie Berufstätige mit Erziehungsverpflichtungen als Zielgruppen der Videoberatung betrachtetFootnote 5. In diesen Begleitstudien wurde auch deutlich, dass sich Beratungsfachkräfte unterschiedlich gut auf die Videoberatungen vorbereitet gefühlt haben. Während Mitarbeitende in der Arbeitsvermittlung keinen Schulungsbedarf sahen, äußerten Berufsberatende sowohl Bedarfe an technischen als auch an beraterischen Qualifizierungen. Eine jüngst erschienene rekonstruktive Analyse zur Medienaneignung auch von der Videoberatung im Kontext der BA stellt u. a. heraus, dass Aneignungsprozesse auf individuellen Medienrepertoires basieren oder dass das Format als Metapher der Modernisierung der Behörde betrachtet wird (Mocigemba et al. 2023).

3 Untersuchungsdesign

Ausgehend von den dargelegten professionellen Anforderungen (Abschn. 2.2) und den skizzierten Studienergebnissen (Abschn. 2.3) fokussiert die vorliegende Untersuchung die Perspektive von Beratungsfachkräften sowohl in der Vermittlungs- als auch in der Berufsberatung. Dabei sind folgende Fragestellungen leitend:

  • Welches Kompetenzempfinden und Kompetenzanforderungen nehmen die Beratungsfachkräfte der BA im Hinblick auf die Durchführung von Videoberatungen wahr?

  • Welche Erfahrungen haben Beratende mit den Videoberatungen in der BA gesammelt?

  • Welche Herausforderungen und professionelle Anforderungen nehmen Beratende bei der Nutzung der Videokommunikation im Kontext der BA wahr?

  • Welche Einstellungen haben die Beratenden der BA gegenüber der Videoberatung?

Es wurde ein Mixed Methods-Ansatz gewählt, bei dem eine quantitative Fragebogenerhebung mit einer qualitativen Interviewstudie verknüpft worden ist. Hierbei handelt es sich insofern um einen daten- sowie methodentriangulativen Zugang, als beide Teilstudien zunächst unabhängig voneinander durchgeführt wurden, um sie nach Erhebung und Auswertung aufeinander zu beziehen (Flick 2011). Dieser methodische Zugang ist gewählt worden, um einerseits das Kompetenzempfinden der Beratungsfachkräfte standardisiert zu erfassen und andererseits die Videoberatungserfahrungen qualitativ zu explorieren. Zudem ermöglichte die Interviewstudie Befunde der Fragebogenerhebung zu erklären und Typen von Videoberatende zu unterscheiden.

Die quantitative Teilstudie basiert auf einer Studie zur Erfassung von Online-Beratungskompetenz (Rott und Stanik in Vorbereitung), die von Mitte Februar bis Ende Mai 2022 durchgeführt wurde. Von 515 Beratenden aus dem Feld der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung liegen vollständige Datensätze vor. Die Stichprobe setzt sich insofern heterogen zusammen, als die befragten Beratenden für unterschiedliche Einrichtungen tätig werden. So beraten über ein Viertel im Kontext von Weiterbildungseinrichtungen bzw. von Bildungsträgern, 22,9 % sind in der Agentur für Arbeit beschäftigt, gefolgt von den Hochschulen (16,7 %) und sonstigen Beratungseinrichtungen (31,0 %). Von diesen Einrichtungen werden unterschiedliche Zielgruppe adressiert (z. B. weiterbildungsinteressierte oder arbeitslose Personen), unterschiedliche Beratungsformate prozessiert (z. B. Kurswahl- oder Berufswahlberatungen), die wiederum verschiedenen Regelungen (gesetzlichen oder institutionellen) unterliegen können.

Die im Rahmen dieses Beitrags betrachtete Substichprobe setzt sich zum einen aus etablierten Beratungsfachkräften (n = 62) und zum anderen aus Dual-Studierenden der BA (n = 86) zusammen (gemeinsam n = 148). Im Vergleich zu den anderen befragten Beratenden ist in dieser BA-Substichprobe der Frauenanteil etwas höher (81,0 %; andere: 77,5 %). Aufgrund des Anteils an Studierenden (58,2 %) ist sowohl das Durchschnittsalter mit 32,5 Jahren als auch die durchschnittliche Berufserfahrung mit 8,9 Jahren in der Stichprobe deutlich geringer als bei den anderen befragten Beratenden (Durchschnittsalter: 50,7 Jahre; Berufserfahrung: 16,2 Jahre), wobei sich die Berufserfahrung über eine Spanne von 0 bis 44 Jahren erstreckt.

Im Fokus der Befragung stand die Einschätzung der Online-Beratungskompetenz, die mit einer selbstentwickelten Skala (α = 0,872) mittels Selbstwirksamkeitserwartungen (SW) erfasst wurde (Rott und Stanik in Vorbereitung). Diese Skala kann in drei zuvor theoretisch und empirisch herausgearbeitete Bereiche (Stanik und Rott 2021) untergliedert werden, welche sich in die Durchführung von Videoberatungen (SW Videoberatung, α = 0,801, 8 Items); von Mailberatungen (SW Mailberatung, α = 0,740, 8 Items) sowie medienübergreifenden Beratungsanforderungen (SW Onlineberatung, α = 0,743, 8 Items) differenziert. Die Erfassung mittels SW wurde gewählt, da diese auch von Personen eingeschätzt werden können, die noch keine konkrete Erfahrung mit bestimmten Online-Beratungsformaten haben. So umfassen SW nach Bandura (1997) die Überzeugungen einer Person, auch neue Anforderungssituationen aufgrund eigener Fähigkeiten erfolgreich bewältigen zu können. Dabei konnte die Relevanz von SW für andere Konstrukte belegt werden. Studien bestätigen u. a. Zusammenhänge zwischen SW und Professionswissen (Schulte et al. 2008) oder der Nutzung von Lerngelegenheiten (Kunter et al. 2011). Hohe wahrgenommene SW fördert außerdem das Setzen anspruchsvoller beruflicher Ziele (Speier 1994). Bei Lehrerinnen und Lehrern zeigen sich zudem positive Zusammenhänge von SW mit der Berufszufriedenheit, dem Arbeitsengagement, der Berufsverbundenheit und der Realisierung von kognitiv anspruchsvollem Unterricht. Zudem konnten positive Effekte der SW auf die wahrgenommene Nützlichkeit, Benutzerfreundlichkeit und die Verwendung von Information und Kommunikationstechnologien im Unterricht nachgewiesen werden (für einen umfassenden Überblick zu Forschungsbefunden von SW bei Lehrerinnen und Lehrer vgl. Bach (2022)).

Neben soziodemografischen Angaben und Aspekten zur beraterischen Tätigkeit wurden drei weitere Skalen eingesetzt: das Selbstkonzept der allgemeinen Beratungskompetenz (Schwanzer und Frei 2014), vier Facetten des ICT-Self-Concept Scale (Schauffel et al. 2021) sowie die allgemeine Selbstwirksamkeit (Schwarzer und Jerusalem 1999). Um für die Teilnehmenden ein möglichst einfaches Ausfüllen des Fragebogens zu ermöglichen, wurde für alle Skalen eine einheitliche vierstufige Antwortskala verwendet (von (1) trifft gar nicht zu bis (4) trifft voll und ganz zu) (übernommen aus Schwanzer und Frei 2014). In dem Beitrag wird auf die Einschätzung von Herausforderungen der Online-Beratung sowie auf Selbsteinschätzungen der Online-Beratungskompetenz (insbesondere hinsichtlich der Videoberatung) und des Umgangs mit digitalen Endgeräten sowie Anwendungen (ICT Self-Concept Scale) fokussiert. Dabei werden deskriptive Kennwerte sowie Gruppenunterschiede mittels t‑Tests bzw. Welch-Tests berichtet. Zur Schätzung von Effektgrößen wird Cohen’s d genutzt (Cohen 1988).

Das Sample der qualitativen Teilstudie setzt sich aus 18 etablierten Beratungsfachkräften der BA von unterschiedlichen Standorten zusammen. Acht der Befragten sind in der Arbeitsvermittlung und zehn in der Berufsberatung tätig. Die Beratungsfachkräfte wurden in den Jahren 2022 und 2023 im Rahmen von studentischen Abschlussarbeiten der Hochschule der BA mit Hilfe leitfadengestützter Expertinnen- und Experteninterviews befragt (Meuser und Nagel 2009).Footnote 6 Expertinnen und Experten sind die befragten Beratungsfachkräfte, da sie über „Prozess- und Deutungswissen [verfügen], welches sich auf sein spezifisches professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht“ (Bogner und Menz 2005, S. 46.). Zehn der Interviewten sind männlich und acht weiblich. Sowohl die Alterspanne (26 Jahre die jüngste und 59 Jahre die älteste Befragte) als auch hinsichtlich der Beratungserfahrung (0,5 bis zu 32 Jahren) ist das Sample heterogen.Footnote 7 Die Leitfäden fokussierten u. a. die Erfahrungen mit der Videoberatung, die Einschätzungen der Vor- und Nachteile des Formats sowie die wahrgenommenen (professionellen) Anforderungen.Footnote 8

Die vollständig transkribierten Interviews wurden einer Sekundäranalyse mit Hilfe einer strukturierenden Inhaltsanalyse unterzogen, wobei sowohl deduktiv anhand der Interviewleitfäden als auch aus den Aussagen der Befragten induktiv (Sub‑)Kategorien gebildet worden sind. Ausgehend von der kategoriebezogenen Auswertung wurde zudem eine typenbildende Inhaltsanalyse mit Hilfe der Merkmalsausprägungen der professionellen Anforderungen, der Vor- und Nachteile der Videoberatung, Fortbildungsbedarfen und der Einschätzung der zukünftigen Nutzung des Formats vorgenommen (Kuckartz und Rädiker 2022).

4 Zentrale Ergebnisse

4.1 Quantitative Teilstudie

Im Folgenden werden zunächst ausgewählte Befunde der quantitativen Befragung bezüglich (a) der Bewertung von Herausforderungen der Online-Beratung und (b) der Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten im Hinblick auf Online-Beratung, Videoberatung sowie dem Umgang mit digitalen Medien präsentiert. Da die Videoberatungen in der BA im Unterschied zu anderen Beratungsanbietern im Feld von Bildung, Beruf und Beschäftigung systematisch eingeführt worden sind (z. B. begleitet durch interne Fortbildungen) werden die Ergebnisse der Teilstichprobe in Beziehungen zu den anderen Befragten gesetzt. Auch sind aufgrund weiterer Merkmale der Beratungen der BA (z. B. Erfüllung eines gesetzlichen Auftrags, zuweilen unfreiwillige Beratungen) Gruppenunterschiede zu erwarten.

4.1.1 Einschätzung von Herausforderungen der Online-Beratung

Im Rahmen der Online-Befragung wurde standardisiert nach der Einschätzung von Herausforderungen der Online-Beratung gefragt (Blaich und Knickrehm 2021). Die meisten Beratenden der BA schätzen insbesondere die technische Ausstattung der Ratsuchenden (70,1 %) sowie den Beziehungsaufbau (65,1 %) als (sehr) große Herausforderungen der Online-Beratung ein (siehe Tab. 1). Im Vergleich mit den anderen Befragten der Erhebung stechen diese beiden Einschätzungen bei der Teilstichprobe hervor: So werden sie mit 56,5 % (t (245,09) = 2,705, p = 0,004, d = 0,932) bzw. mit 53,6 % (t (261,31) = 1,942, p = 0,027, d = 1,052) von einem signifikant geringerem Anteil der anderen Beratenden als (sehr) große Herausforderung angesehen. Diese Gruppenunterschiede haben jeweils eine große Effektstärke. In allen weiteren Aspekten gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen Beratenden der BA und anderen Beratenden. Insgesamt fällt bei den Beratenden der BA auf, dass drei der vier am häufigsten als (sehr) hohe Herausforderungen der Online-Beratung eingeschätzten Aspekte im direkten Zusammenhang mit den Ratsuchenden stehen (Beziehungsaufbau zu den Ratsuchenden, deren technische Ausstattungen und Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien). Aber auch Datenschutzfragen und die Entwicklung neuer bzw. der Transfer etablierter Beratungskonzepte werden von über der Hälfte der Befragten als große Herausforderungen wahrgenommen (Tab. 1).

Tab. 1 Einschätzung von Aspekten der Online-Beratung als (sehr) hohe Herausforderungen getrennt nach Beratenden der BA und anderen befragten Beratungsfachkräften (Angaben in Prozent)

4.1.2 Einschätzung der eigenen Fähigkeiten

Um Videoberatung anbieten zu können, sind der kompetente Umgang mit Endgeräten und digitalen Anwendungen notwendige Fähigkeiten. Eine Selbsteinschätzung dieser Fähigkeiten wurde mit vier Facetten des ICT Self-Concept Scale (Schauffel et al. 2021) erfasst (Tab. 2). In den abgefragten Facetten zeigen sich eher hohe Ausprägungen (\(\overline{x}\) = 2,69 bis \(\overline{x}\) = 3,31), die sich zu den anderen befragten Beratenden nicht signifikant unterscheiden.

Tab. 2 Mittelwerte und Standardabweichungen der Online-Beratungskompetenz sowie vier Facetten des ICT Self-Concept Scale getrennt nach Beratenden der BA und anderen Beratenden (Skala von (1) geringe Ausprägung bis (4) hohe Ausprägung)

Hinsichtlich der Nutzung von Online-Beratungsformaten hat mit 58,4 % der größte Anteil der BA-Beratenden (n = 134) Erfahrung mit der Videoberatung und schätzt sich in diesem Format auch am kompetentesten ein (\(\overline{x}\) = 3,13, SD = 0,433) (Tab. 2). Bei der Betrachtung der Online-Beratungskompetenz und deren Subfacetten fällt auf, dass die Mittelwerte der Skalen sowohl bei Beratenden der BA als auch die der anderen Beratungsfachkräfte insgesamt eher hohe Ausprägungen aufweisen (\(\overline{x}\) = 2,91 bis \(\overline{x}\) = 3,37). Auffällig ist dabei, dass die Mittelwerte der Beratenden der BA dennoch durchweg etwas geringer ausfallen und diese Unterschiede sowohl bei der Online-Beratungskompetenz (t (513) = −6,640, p < 0,001, d = 0,377) als auch bei den Subfacetten der Video- (t (513) = −5,871, p < 0,001, d = 0,475), der Mail- (t (231,74) = −4,922, p < 0,001, d = 0,458) und der medienübergreifenden Onlineberatung (t (513) = −5,871, p < 0,001, d = 0,475) zwischen den beiden untersuchten Gruppen mit jeweils mittleren Effektstärken signifikant sind.

Um zu prüfen, inwiefern diese Unterschiede zwischen den Beratenden der BA und den anderen Beratenden auf die Substichprobe der Dual-Studierenden zurückzuführen sind, wird im Folgenden differenziert nach diesen Gruppen, um sie dann auch mit den anderen Beratenden zu vergleichen.

Die Mittelwerte der etablierten Beratenden der BA fallen durchweg um ca. 0,2 höher aus als bei den Dual-Studierenden (siehe Tab. 3): Hinsichtlich der Online-Beratungskompetenz (t (451) = 7,199, p < 0,001, d = 0,377) sowie deren Subfacetten SW Videoberatung (t (150,59) = 6,513, p < 0,001, d = 0,451), SW Mailberatung (t (451) = 5,899, p < 0,001, d = 0,480) und SW medienübergreifende Onlineberatung (t (451) = 5,940, p < 0,001, d = 0,458) sind die Mittelwerte der Dual-Studierenden signifikant geringer als von den anderen Beratenden (siehe Tab. 2 und 3). Nach Cohen (1988) kann hier von mittleren Effekten gesprochen werden. Es zeigen sich auch signifikante Gruppenunterschiede mit mittleren Effektstärken bei der Online-Beratungskompetenz (t (427) = 2,486, p = 0,007, d = 0,372), der SW Videoberatung (t (427) = 2,431, p = 0,008, d = 0,469) und der SW Mailberatung (t (427) = 2,576, p = 0,005, d = 0,476) zwischen den Beratenden der BA und den anderen Beratenden.

Tab. 3 Mittelwerte und Standardabweichungen der Online-Beratungskompetenz getrennt nach Beratenden der BA und dual Studierenden der BA (Skala von (1) geringe Ausprägung bis (4) hohe Ausprägung)

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Beratenden der BA insbesondere ihre Fähigkeiten in der Videoberatung als (sehr) hoch einschätzen, die Dual-Studierenden etwas geringer. Auch zeigt sich, dass Herausforderungen bei der Nutzung des Formats nicht bei sich selbst, sondern auf Seiten der Ratsuchenden verortet werden.

4.2 Qualitative Teilstudie

Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der strukturierenden Inhaltsanalyse (a bis c) und der typenbildenden Inhaltsanalyse (d) dargelegt. Die dargelegten Ergebnisse geben neben Antworten auf die Fragestellungen nach den gesammelten Erfahrungen, den wahrgenommen professionellen Anforderungen und den Einstellungen gegenüber der Videoberatung auch eine mögliche Erklärung für die Befunde der quantifizierenden Teilstudie.

4.2.1 Vor- und Nachteile der Videoberatung

Die von den Interviewten wahrgenommenen Vor- und Nachteile der Videoberatung decken sich zu großen Teilen mit denen in der Literatur beschriebenen. So wird auf der einen Seite der Nachteil der Kanalreduktion der Videoberatung im Vergleich zu Face-to-Face-Beratungen genannt. Auf der anderen Seite wird jedoch auch die mediale Reichhaltigkeit der Videoberatung im Vergleich zu telefonischen Beratungen hervorgehoben. Als zentraler Vorteil der Videoberatung gegenüber der Face-to-Face-Beratung wird insbesondere die Ortsungebundenheit erwähnt, die den Ratsuchenden Anfahrtswege ersparen (äußere Niederschwelligkeit). Hierdurch könne insbesondere die Attraktivität der Berufsberatung als freiwilliges Angebot der BA gesteigert werden. Während in der Literatur ausschließlich die Niederschwelligkeit für Ratsuchende thematisiert wird, finden sich in den Interviews auch Aussagen, die die Niederschwelligkeit für die Beratungsfachkräfte hervorheben. So ließe sich die Videoberatung mit dem Homeoffice vereinbaren oder Anfahrtswege zu Schulen entfielen. Die Berufsberatenden sprechen in diesem Zusammenhang auch die Eltern an, die sich über Videoberatungen leichter in Prozesse der Berufsorientierung einbinden ließen. Eine weitere Beobachtung von einigen der Befragten ist, dass die Videoberatungen im Vergleich zu den Face-to-Face-Beratungen kürzer sind. Dies wird mit atmosphärischen Einschränkungen begründet: „zum Punkt zur Lösung zu kommen und nicht sich in der Situation länger als notwendig aufzuhalten, erscheint mir mehr in der Videokanalberatung als wenn sie gemeinsam mit den Leuten am Tisch sitzen und eine gewisse Atmosphäre und Gesprächssituation aufbauen zu können“ (I6, Z. 66–69).

4.2.2 Professionelle Anforderungen

Auch die von den Interviewten beschriebenen professionellen Anforderungen decken sich zu großen Teilen mit denen der Fachliteratur. Insbesondere der sichere Umgang mit der Technik wird als basale Voraussetzung angeführt. Während einige Fachkräfte des Samples keine weiteren Anforderungen benennen, wird insbesondere aus der Gruppe der Berufsberatenden die Fähigkeit angesprochen, Methoden der Face-to-Face-Beratung für die Videoberatung zu adaptieren, zu modifizieren oder neue entwickeln zu können. Zudem erfordere die Gesprächsführung auch vor dem Hintergrund der Kanalreduktion mehr Aufmerksamkeit: „genaueres Beobachten, also sich konzentrieren auf den Bildschirm, damit man eben das visuell besser erfassen können oder möglichst gut erfassen kann, was einfacher ist, wenn man miteinander am Tisch sitzt“ (I6, Z. 9–12).

Ein weiterer in der Literatur kaum erwähnte Aspekt ist die digitale Präsenz der Beratenden: Diese umfasst die eigene Körpersprache zu kontrollieren (z. B. sich nicht ständig ins Gesicht zu fassen), passende Kleidung auszuwählen oder sich deutlicher zu artikulieren.

4.2.3 Voraussetzungen der Ratsuchenden und Zielgruppeneignung

Neben eigenen Kompetenzen werden auch Voraussetzungen der Ratsuchenden angesprochen. Diese umfassen das Vorhandensein einer E‑Mail-Adresse zur Terminvereinbarung sowie die technischen Vorrausetzungen für die Videokommunikation selbst (Computer mit Kamera und leistungsstarke Internetverbindung). Weitere Anforderungen sind eine störungsfreie Umgebung sowie hinreichend kommunikative Fähigkeiten der Ratsuchenden. Diese seien sowohl bei Jugendlichen in der Berufsberatung als auch bei Personen in der Vermittlung nicht immer gegeben.

In der Wahrnehmung der Interviewten sind insbesondere jüngere Personen eine Zielgruppe für die Videoberatung. Jedoch wird auch von den Berufsberatenden angesprochen, dass einige Jugendliche persönliche oder telefonische Gespräche den Videoberatungen vorziehen. Eine Befragte vermutet, dass die Videokommunikation sich bei Jugendlichen im privaten Umfeld etabliert habe, aber nicht für formale Gesprächsanlässe genutzt werde: „also ich bewege mich ja auf denke ich schon eher auf einem privaten Kanal ne, das ist ja was sonst eigentlich nur privat genutzt wird und das machen wir jetzt in so einem ganz offiziellen Rahmen“ (I7, Z. 181–184). Dies ist insofern ein spannender Hinweis, als er eine Schwelle für die Inanspruchnahme digitaler Beratungsangebote andeutet, die z. B. bei der Einführung von Messenger-Beratungen zu beachten ist.

Neben Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen sei die Videoberatung insbesondere für sogenannte Job-to-Job-Kundinnen und -KundenFootnote 9, für Fach- und Führungskräfte, die in ihrem beruflichen Alltag Videokommunikation nutzen sowie für Personen mit Mobiltätseinschränkungen geeignet.

4.2.4 Typen von Videoberatenden in der BA

Es konnten zudem drei Typen von Videoberatenden der BA unmittelbar aus den Daten gebildet werden. Ein vierter Typ lässt sich mittelbar aus den Aussagen der Interviewten ableiten.

Typ 1: Technikaffine reflektierte Videoberatende

Dieser Typ ist der Videoberatung positiv gegenüber eingestellt. Vertretende des Typs charakterisieren sich als technikaffin und gegenüber digitalen Entwicklungen aufgeschlossen. Aspekte der Kanalreduktion werden zwar als Nachteile der Videoberatung genannt, Vorteile der medialen Reichhaltigkeit im Vergleich zu anderen digitalen Formaten und der Telefonberatung hervorgehoben. Man ist sich darüber bewusst, dass die Videoberatung neue professionelle Anforderungen bereithalte. So ist Typ 1 auch in der Lage, professionelle Kompetenzen differenziert nach deklarativem Wissen (z. B. Vor- und Nachteile des Formats kennen), prozeduralem Wissen (z. B. Hilfestellung bei technischen Schwierigkeiten leisten können) und Einstellungen (z. B. mediale neugierig sein) zu benennen. Beratende dieses Typus suchen Wege, wie sie Beratungsmethoden der Face-to-Face-Beratung auf Videoberatungen übertragen oder modifizieren können: „Also gerade die Methoden, die wir angewendet haben, ja die waren eigentlich wirklich in den seltensten Fälle zu übertragen. Da musste man sich Konzepte neu überlegen, digitale Möglichkeiten erarbeiten“ (I12, Z. 249–251). Genannte Qualifikationsbedarfe beziehen sich auf den Einsatz von weiteren technischen Anwendungen wie z. B. digitale Whiteboards. Dieser Typ findet sich ausschließlich in der Gruppe der Berufsberatenden.

Typ 2: Funktional-kritische Videoberatende

Der Typ 2 ist der Videoberatung funktional gegenüber eingestellt. Beratende dieses Typs nutzten das Format insbesondere während der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen. Die Videoberatung wird als Beratungsangebot betrachtet, das sich vornehmlich für informative Beratungsanliegen und für Folgeberatungen eigne. Insbesondere eine äußere Niederschwelligkeit für Ratsuchende wird als zentraler Vorteil gesehen. Problematisch sei es jedoch, dass Ratsuchende sich nicht öffnen und ihre Antworten kurzhalten. Kompetenzanforderungen können kaum differenziert benannt werden, da viele Aspekte der Face-to-Face-Beratung auf die Videoberatung übertragbar seien. Im Unterschied zu Typ 1 wird die Kanalreduktion problematisiert, wohingegen die mediale Reichhaltigkeit kaum angesprochen wird. Eine zentrale Anforderung sei der Umgang mit der Technik. Vertreterinnen und Vertreter dieses Typs stehen der Videoberatungen insgesamt eher kritisch gegenüber und betrachten sie als Surrogat: „Letztendlich würde ich sagen, dass eine Videoberatung, eine richtige Beratung, ein Beratungsgespräch mit wirklichem Beratungsanliegen und Fallkonstellation meistens nicht ersetzten kann“ (I6, Z. 263–265). Dieser Typ findet sich sowohl in der Gruppe der Vermittlungsfachkräfte als auch in der der Berufsberatenden.

Typ 3: Pragmatisch-unreflektierte Videoberatende

Typ 3 nutzt die Videoberatung pragmatisch. Er fühlt sich medienkompetent wie Typ 1, sieht aber wie Typ 2 kaum Unterschiede zu Face-to-Face-Beratung. Aspekte der medialen Reichhaltigkeit der Videoberatungen werden zwar angesprochen, dienen aber ausschließlich zur Begründung, dass es keine Unterschiede zu Face-to-Face-Beratung gebe. Lediglich die äußere Niederschwelligkeit wird als zentrale Differenz benannt. Dieses Merkmal wird aber eher abgewertet, da Ratsuchende aus ihrer „Komfortzone“ (I17, Z. 21) die Termine bei der BA wahrnehmen könnten. Folglich müssten auch nur technische Voraussetzungen (Videokamera, Mikrofon und Computer) gegeben sein, um eine professionelle Videoberatung durchführen zu können. Professionelle Anforderungen werden nicht benannt: „Herausforderungen sehe ich eigentlich keine Besonderen. Ich mach da keinen großen Unterschied zu der regulären Beratung“ (I19, Z. 143–144). Vertretende dieses Typus finden sich ausschließlich in der Gruppe der Vermittlungsfachkräfte.

Typ 4: Nicht-Videoberatende

Ein weiterer möglicher Typ, der nicht durch die Interviewten repräsentiert ist, der aber sowohl von Vermittlungsfachkräften als auch von Berufsberatenden erwähnt wird, sind Beratungsfachkräfte der BA, die keine Bereitschaft zeigen, Videoberatungen anzubieten. Vertretende dieses Typs seien in der Regel älter, hätten „Angst vor der Technik“ (I4, Z. 400) und Vorbehalte, die bis dahin reichten, mit digitalen Medien auf „Kriegsfuß [zu] stehen“ (I16, Z. 307 f.). Für diese Personen müsse die BA spezielle Fortbildungen anbieten, damit auch diese Personen sich der Videoberatung öffnen.

5 Limitation, Diskussion und Desiderate

Bei beiden empirischen Zugängen ist einschränkend zu sagen, dass wahrscheinlich eher Personen erreicht werden konnten, die sich selbst (hohe) Kompetenzen in der Onlineberatung im Allgemeinen und in der Videoberatung im Besonderen zusprechen. Damit könnten auch die insgesamt hohen Werte der SW hinsichtlich der Videoberatung und der Online-Beratungskompetenz in der quantitativen Teilstudie erklärt werden. Ein interessanter Befund bleibt jedoch, dass sich sowohl Dual-Studierende als auch etablierte Beratende der BA signifikant weniger gut einschätzen als Beratungsfachkräfte aus anderen Beratungseinrichtungen. Bei den Dual-Studierenden kann dies mit der nicht abgeschlossenen Ausbildung sowie den geringeren Beratungserfahrungen erklärt werden. Bei den etablierten Beratenden könnte eine Erklärung darin liegen, dass Beratungen in der Arbeitsverwaltung einerseits stärker reguliert und andererseits auch konfliktbesetzter sind als in anderen Bereichen. So sind diese Beratungen nicht immer freiwillig, die Beratenden müssen einen gesetzlichen Auftrag erfüllen, haben jedoch auch Ermessungsspielräume z. B. bei Finanzierungen von Weiterbildungsmaßnahmen. Ob diese Anforderungen dazu führen, eigene Kompetenzen in neuen, digitalen Formaten kritischer zu sehen, wäre jedoch weiter empirisch zu prüfen. Insgesamt zeigt sich auch, dass Anforderungen und benötigte Kompetenzen für die Videoberatung von der Gruppe der Beratungsfachkräfte der BA unterschiedlich wahrgenommen werden. Dementsprechend ist anzunehmen, dass die in der quantitativen Teilstudie eingeschätzten Selbstwirksamkeitserwartungen hinsichtlich der Online-Beratung im Allgemeinen und der Videoberatung im Besonderen vor dem Hintergrund der jeweiligen Erfahrungen und Bewertungen im Vergleich zu Face-to-Face-Beratungen und zu Telefonberatungen stehen. Hierfür liefern die Typen der qualitativen Teilstudie Hinweise. Auch findet sich hier eine weitere potenzielle Erklärung für den Befund, dass die Beratenden ihre eigenen Fähigkeiten hinsichtlich der Videoberatung als eher hoch einschätzen. So sehen sich alle drei rekonstruierten Typen in der Lage, Videoberatungen professionell durchzuführen – entweder auf Basis ihrer Kompetenzen (Typ 1) oder aufgrund der wahrgenommenen Nähe zur Face-to-Face-Beratungen (Typ 2, Typ 3). Es lässt sich jedoch auch schließen, dass eine medienbezogene Beratungskompetenz bei Typ 2 und Typ 3 nicht hinreichend gegeben ist, da die Videoberatungen mit Face-Face-Beratungen gleichgesetzt werden und kaum Vor- und Nachteile oder Unterschiede benannt werden können. Dies könnte auch erklären, warum lediglich 55,2 % der quantitativen Teilstudie es als Herausforderung betrachten, Konzepte von Face-to-Face-Beratungen auf Online-Beratungsformate zu übertragen.

Vor dem Hintergrund der skizzierten Befunde zur SW wird durch die vorliegende Studie auch deutlich, dass hohe SW in Bezug auf Videoberatung nicht immer dazu führen muss, dass deren Einsatz positiv gesehen wird oder dass Videoberatung als besonders zugänglich für alle Zielgruppen wahrgenommen wird. Eine Passung von Zielgruppe und dem Format der Videoberatung ist in der Wahrnehmung der Beratungsfachkräfte der beiden Teilstudien im Gegenteil eine zentrale An- bzw. Herausforderung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Ratsuchenden die Wahl des Beratungsformats überlassen werden oder ob dies der professionellen Entscheidung der Beratungsfachkräfte obliegen sollte. Wie sich anhand der Typen der Videoberatenden erkennen lässt, scheint eine solche Einordnung und Bewertung unterschiedlich zu sein. Vor diesem Hintergrund bedarf es u. a. empirischer Analysen von (Nicht‑)Nutzerinnen und (Nicht‑)Nutzern von Videoberatungsangeboten der BA (für Mail-Beratungen siehe Weinhardt 2009), um Erwartungen an das Format und an Beratende sowie Hemmschwellen zu identifizieren.

Im Zuge voranschreitender Mediatisierung im Allgemeinen und der jüngsten gesetzlichen Verankerung im Besonderen scheint es plausibel, dass sich die Videoberatung in der BA weiter etablieren wird. Während mittlerweile eine Vielzahl an Gesprächsanalysen von Beratungsprozessen vorliegen (Überblick bei Käpplinger und Maier-Gutheil 2015) sind Kommunikationsanalysen von Videoberatungen ein Desiderat. Entsprechende Untersuchungen müssten sowohl unterschiedliche Beratungsangebote (Berufsberatung, Förderberatungen, Kurswahlberatungen etc.) als auch die Nutzung unterschiedlicher Endgeräte (Desktop-PC, Tablet, Smartphone) berücksichtigen. Auch fehlen Wirkungsstudien von Videoberatungen, die deren Output (z. B. Informiertheit der Ratsuchenden) und deren Outcome (z. B. Verbesserung der Entscheidungsfähigkeit) betrachten. Mit Hilfe der Verbindungen von Prozessanalysen und Wirkungsstudien ließen sich dann auch Merkmale „guter Videoberatung“ identifizieren und weitere professionelle Anforderungen explorieren (Stanik 2023).

Außerdem wäre zu prüfen, inwiefern die hier dargelegte Typologie auch für Beratende von anderen Beratungseinrichtungen im Feld von Bildung, Beruf und Beschäftigung trägt. Darüber hinaus wäre in standardisierten Befragungen neben SW auch Einstellungen und Wissen der Beratenden zur bzw. über das Format der Videoberatung zu erfassen, um die entwickelte Typologie zu quantifizieren und um medienbezogene Beratungskompetenz empirisch fassbarer zu machen. Auf Basis dieser skizzierten Zugänge könnten auch empirisch fundierte Fortbildungskonzepte entwickelt werden, die prozessbezogene Videoberatungskompetenzen vermitteln und dabei Gruppen von Beratenden mit unterschiedlichem Wissen und Einstellungen zur Videoberatung differenzieren und adressieren.