Rezension zu:

Martha Friedenthal-Haase (2023): Fritz Borinski und die Bildung zur Demokratie. Geschichte eines Lebens zwischen Pädagogik und Politik. Bad Heilbrunn: J. Klinkhardt. 411 Seiten, 49,00 €, ISBN 978-3-7815-2568‑9.

M. Sc. Matthias Teine (2022): Zur partizipativen Gestaltung von (digitalen) Lernangeboten in der betrieblichen (Weiter‑)Bildung: eine empirische Modellentwicklung. Paderborn: Universität Paderborn. 294 Seiten. https://doi.org/10.17619/UNIPB/1-1576.

1 Horst Dräger: Martha Friedenthal-Haase (2023): Fritz Borinski und die Bildung zur Demokratie. Geschichte eines Lebens zwischen Pädagogik und Politik. Bad Heilbrunn: J. Klinkhardt.

Die Geschichte der Erwachsenenbildung der Nachkriegszeit in Westdeutschland ist geprägt von einzelnen Persönlichkeiten, die auf kommunaler Ebene in den unterschiedlichen Besatzungszonen der Alliierten den Wiederaufbau der Erwachsenenbildung leisteten; unter ihnen ist Fritz Borinski eine Persönlichkeit von historischem Rang geworden durch sein Werk und seine Wirkung. Um dieses Werk in angemessener Weise zu verstehen, was in der Historiographie weithin nicht geschah, ist die Kenntnis der unterschiedlichen Stadien seines Lebenslaufs im Zeitalter der Extreme als junger Erwachsenenbildner in der von Krisen geschüttelten Weimarer Republik, dann als Emigrant in Großbritannien, der die subjektiven Krisen in den politisch-sozialen Krisen der Gesellschaft als Herausforderung der Erwachsenenbildung im Sinne einer lebbaren Daseinsform interpretierte, und schließlich als Rückkehrer ins Nachkriegsdeutschland, der den Wechsel von der Praxis zur Wissenschaft vollzieht, eine unablässige Voraussetzung. Dies leistet nun Martha Friedenthal-Haase in ihrer groß angelegten, detailreichen und mit Akribie gearbeiteten Biografie: Sie zeigt uns seine Denkformentfaltung als stets reflektierender Praktiker in seinen unterschiedlichen Handlungsfeldern.

In der Phase der Weimarer Republik wird deutlich, wie Borinski in seiner geistigen Entwicklung über politische Jugendgemeinschaften und den Leuchtenberger Kreis und die Reflexion über die dort entfaltete Praxis von Begegnung und Dialog im Austausch mit wissenschaftlicher Literatur (im Besonderen der von Th. Litt und H. Heller) eine dialektische Denkbewegung entfaltete, die nicht auf dogmatische Synthese, sondern auf die Vermittlung anerkannter differenzierter Positionen abzielte. Nach Abschluss seines Jurastudiums mit einer Dissertation über den Romantiker Joseph Görres wird Borinski Lehrer an einem Volkshochschulheim in Leipzig für junge proletarische Arbeiter, die ihrerseits bildend wirken sollten in den Arbeitsfeldern, aus denen sie kamen. Borinski machte die Erfahrung, dass man die Teilnehmer bei ihrem naiven Selbstverständnis abholen und ihnen bildend zeigen musste, wie dieses zu überschreiten war hin zu einer begriffenen politischen Einsicht, sodass sie das Verfahren ihrer Bildung zugleich als Bildungsmethode erkannten: Inhalt und Verfahren der Bildung sind gleichermaßen Bildungsgegenstand. Von dem Volkshochschulheim in Leipzig wechselte Borinski auf die Heimvolkshochschule Sachsenburg, einer Einrichtung, die sich auf die aktive Schicht der Arbeiter, die für die Bedeutung von Wissenschaft und Weltanschauung im Bemühen um gesellschaftliche Reformen und Demokratie aufzuklären war. Borinskis entfaltetes didaktisches und methodisches Lehrtalent führte dazu, dass Theodor Litt, Professor für Philosophie und Pädagogik an der Leipziger Universität, Borinski an sein 1923 gegründetes „Seminar für Freies Volksbildungswesen“ holte. Hier war der reflektierende Praktiker vor die Herausforderung gestellt, die Theorie seiner Praxis zu entfalten, galt es doch in diesem Seminar Erwachsenenbildner professionell auszubilden.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verlor Borinski seine universitäre Anstellung und entschied sich 1934 zur Emigration nach Großbritannien: Hier lebte er, was er gelehrt hatte: in der Situation einer prekären Anstellung als Deutschlehrer in einem Settlement und als freier Publizist arrangierte er sich gleichzeitig an Vorarbeiten, die die Situation zu überschreiten versprachen für neue Handlungsfelder. Er entschloss sich für eine Dissertation über „Staatstheorie in der Staatskrise: C. Schmitt und H. Heller“ an der „London School of Economis and Politcal Science“, um bessere Berufsmöglichkeiten zu gewinnen. Das Promotionsverfahren wurde nicht abgeschlossen und das Manuskript der Arbeit gilt heute als verschollen. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die Emigranten in Großbritannien als Enemy Alien behandelt und Borinski wurde in ein Emigrantenlager nach Australien verbracht. Die existenzielle Krise der Gefangenen in einer nicht verschuldeten weltpolitischen Krise hinter Stacheldraht erweckte in Borinski, ein typisches Merkmal, sein pädagogisches Ethos. In Begegnungen, Dialog und Reflexion im kleinen Kreis wurde an einer „Volkshochschule“ gearbeitet in der Intention, durch Bildung die Lagerinsassen auszurichten auf selbstbestimmte Aktivitäten in ihren Heimatländern nach dem Ende des Krieges.

Dieser Gedanke, Emigranten dafür zu rüsten, durch notwendige Bildung den Wiederaufbau mitzugestalten, führte Borinski nach seiner Rückkehr nach Großbritannien dazu, mit Dritten gleicher Intention die Organisation „German Education Reconstruction“ (GER) zu gründen, um gemeinsam Pläne und Konzepte für den Wiederaufbau des Erziehungswesens in Deutschland zu entwickeln und Ausbildungskurse für bereitwillige Emigranten durchzuführen. Gut vernetzt bis in Regierungskreise, wurde GER dann indirekt durch ihre Beratung an Maßnahmen der Reconstruction der Briten in Deutschland beteiligt.

Eine Erfahrung besonderer Art brachte für Borinski seine Mitarbeit mit der GER an der Reeducation in den britischen Lagern für deutsche Kriegsgefangene: Hier galt es, die Menschen durch Bildung aus der ideologischen Verblendung zurückzuführen, um die intendierte demokratische und kulturelle Bildung zu ermöglichen, die von einer Dialektik von Individuum und Gesellschaft getragen wird. Dies waren dann weithin die Maxime seiner Arbeiten an der Heimvolkshochschule Göhrde zwischen 1947 und 1954, die er in steter Sorge um deren pädagogische Autonomie in der Programmgestaltung zu einer weithin anerkannten Einrichtung machte, anerkannt auch im Ausland durch ihre interkulturellen und internationalen Veranstaltungen. Die Heimvolkshochschule war für ihn die paradigmatische Erwachsenenbildungseinrichtung, der er sich verpflichtet fühlte. Doch das in der Göhrde geschriebene Werk „Der Weg zum Mitbürger“, das er als Habilitationsschrift geplant hatte und das eine geschlossene, in sich stimmige Theorie der Erwachsenenbildung darstellt, zeigte, dass er im Vollzug seines praktischen Werkes hinaus strebte zur Wissenschaft seines Gegenstandes; das Buch ist das eines wissenschaftlich gebildeten Staatslehrers und eines durch stete Reflexion des dialektischen Verhältnisses von Praxis und Theorie gebildeten Theoretikers. Nach einer Zwischenzeit als Leiter der Volkshochschule Bremen (1954–1956), in der er das Bild einer auf einem dezidiert pädagogischen Konzept basierende Einrichtung in kritischer Absetzung von einem abnehmerorientierten Haus mit breiter Akzeptanz entwarf, erhielt er 1956 den Ruf auf den Lehrstuhl für Pädagogik an der Freien Universität Berlin, dessen Auftrag Lehrerbildung war. Erst mit dem Ausbau des Instituts für Pädagogik und in Kooperation mit dem „Otto-Suhr-Institut“ konnte er sich dem Auf- und Ausbau der Wissenschaft von der Erwachsenenbildung zuwenden in Ausrichtung auf eine Akademisierung und Professionalisierung der Erwachsenenbildner, die auf die drei Bereiche – 1. Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland, 2. Phänomenbetrachtung der Erwachsenenbildung im internationalen Raum und 3. Dialektik von Didaktik und Methodik in Forschung und Lehre – ausgerichtet sein sollte.

Es sei hier angemerkt, dass aus seinem Schülerkreis die Historiographie der Erwachsenenbildung, in Besonderheit auf die Weimarer Republik konzentriert, einen bedeutsamen Entwicklungsimpuls empfing. Was er wissenschaftlich erarbeitete, transformierte er in Empfehlungen für die Bildungspolitik. Das Gutachten „Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung“ den „Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen Erwachsenenbildung“, das weithin Borinskis Handschrift trägt, lässt dies deutlich erkennen, denn die aufgelisteten Problemfelder von Wissenschaft und praktischer Pädagogik, von Freiheit und Bildung, von Ausbildung und Bildung sowie von Anpassung und Widerstand zeigen Borinskis Problemfelder in dialektischer Denkform, die stets auf Vermittlung orientiert war, und lassen sich aus seinem universitären Wissenschaftsprogramm insgesamt herleiten. Im Schlusskapitel ihrer Untersuchung wendet sich die Autorin dem Zusammenhang von Werk und Wirkung zu. Doch dies ist eine andere Geschichte.

Auch die Bonität eines Werkes kann seine Rezeption nicht bestimmen und leiten. Rezeptionen sind zumeist geprägt von zeitgeistlichen Perspektiven und Paradigmen, terminologischem Wechsel und partikularer Akzeptanz nach dem Steinbruchprinzip. Es zeichnet nun die Arbeit aus, dass sie der Rezeptionsgeschichte weder in affirmativer noch in kritischer Weise nachgeht, sondern quellenbasiert das geistige Porträt Borinskis darstellt, so dass der Leser zu einer genuinen Auseinandersetzung angeregt wird, die ihm unverfälscht ein Moment historischer Wirklichkeit zur eigenen Beurteilung präsentiert. Die Lektüre kann zu manchen Entdeckungen führen – so beispielsweise, dass Interkulturalität und Internationalität in der Göhrde in den 1950er-Jahren gepflegt wurde, und dass aus den Arbeiten im GER und in den Kriegsgefangenenlagern sich für eine Emigrantenbildung unserer Tage nicht unbedeutende Anregungen für die wechselseitige Anerkennung der einander Fremden gewinnen lassen. Borinski wird uns als ein Erwachsenenbildner dargestellt, der auf die konkreten Herausforderungen seiner Zeit theoriegeleitet und zugleich pragmatisch reagierte.

2 Johannes Schäfers: M. Sc. Matthias Teine (2022): Zur partizipativen Gestaltung von (digitalen) Lernangeboten in der betrieblichen (Weiter‑)Bildung: eine empirische Modellentwicklung. Paderborn: Universität Paderborn.

Matthias Teine zeigt in seiner Monographie aus berufs- und wirtschaftspädagogischer Sicht, wie durch eine Mischung qualitativer und quantitativer Erhebungsinstrumente die Entwicklung eines Modells zur Gestaltung von digitalen Lernangeboten erstellt und beispielhaft eingesetzt werden kann. Auf Basis der gewonnen Erkenntnisse lassen sich Gestaltungsempfehlungen für „Praktiker*Innen v. a. in der betrieblichen (Weiter‑)Bildung“ (S. 42), ableiten und in einem zugrundeliegenden Modell für digitale Lernangebote einbringen.

Die Arbeit von Matthias Teine, die in der Evaluationsforschung zu verorten ist, lässt sich in drei Teile gliedern. Der erste Teil beschreibt die grundlegende Einführung in das Thema des Wandels zur Informations-gesellschaft. Des Weiteren bietet dieser Teil eine gute Übersicht methodischer Ansätze, die in der Forschungsarbeit verwendet werden und zur Erarbeitung eines Modells zur Gestaltung von digitalen Lernangeboten beitragen. Den Kern der Studie bildet der zweite Teil des Gesamtwerks, welcher die zugrunde-liegenden Begriffsverortungen sowie theoretische Bezugspunkte, auf die im Laufe der Dissertation hin-gewiesen wird, betrachtet. Im weiteren Verlauf werden von der Ergebnisdarstellung der Datenauswertung sowie der Überarbeitung und Nutzung des Ausgangsmodells die Forschungsergebnisse abgebildet. Dieser Teil stellt auch die Charakteristika entwicklungsorientierter, benutzer- bzw. menschzentrierter sowie partizipativer Gestaltung dar. Abschließend lässt sich im letzten Teil eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Erkenntnisse der Dissertation in Form einer Handlungsempfehlung für die betriebliche Weiterbildung vorfinden.

Im Einzelnen geht es in der Arbeit von Matthias Teine im ersten Kapitel um die Entstehungskontexte und das Erkenntnisinteresse. Zudem wird erläutert, welche Dimensionen des Wandels zur Informationsgesellschaft behandelt werden und wie die OECD diesen Begriff definiert. Auch die Auswirkungen des Wandels auf die Schichtung der Gesellschaft sowie ein pädagogisch-psychologisches Kompetenzverständnis werden hierbei aufgezeigt (vgl. S. 17). Das zweite Kapitel beantwortet die Frage nach dem methodischen Vorgehen in dieser Forschungsarbeit mit einem qualitativen sowie quantitativen Anteil. Es werden verschiedene Methoden vorgestellt, die dem Erkenntnisinteresse und Untersuchungsgegenstand entsprechend angepasst werden. Die Betonung liegt auf der Transparenz des Anpassungsprozesses, um eine hohe Objektivität und intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Obwohl die Arbeit einen überwiegend qualitativ explorativen Charakter besitzt, wurde die quantitative Erhebung an den entsprechenden Gütekriterien gemessen (vgl. S. 73). Im dritten Kapitel geht es um grundlegende Begriffsverortungen, relevante theoretische Bezugspunkte und den aktuellen Stand der Forschung zur Modellgestaltung und -entwicklung anhand von Theorien, Prinzipien und Schemata (vgl. S. 132). Die Ergebnisse der Datenerhebungen stellt Teine wiederrum im vierten Kapitel vor. Konkret werden die Auswertungsergebnisse der sechs Expertinnen- und Experteninterviews darin zum Teil angesprochen und entlang von drei Oberkategorien kodiert wiedergegeben (vgl. S. 200). Kapitel fünf handelt von der Überarbeitung des Ausgangsmodells, welche nach Teine als Hypothese verstanden wird. Die Überarbeitung erfolgt auf Basis der vorausgegangenen, ausgewerteten Interviewergebnisse. Darin werden auch Gestaltungsempfehlungen zur Modellüberarbeitung abgeleitet und entlang der drei etablierten Oberkategorien deduktiv angegliedert. Dieses Kapitel beschäftigt sich zudem mit der Umsetzung ebendieser Gestaltungsempfehlungen in der Modellüberarbeitung und der Erarbeitung des partizipativen Gestaltungsprozesses für digitale Lernangebote (vgl. S. 241). Im letzten Kapitel fasst Teine wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse, die er in seiner Studie erhoben und ermittelt hat, zusammen. Er geht dabei auf den Bedarf an digitalen Lernangeboten und deren bedarfsgerechter Gestaltung im Kontext der digitalen Transformation und der Veränderungen in der Arbeitswelt ein. Außerdem weist er auf die Notwendigkeit von Modellen und Theorien zur partizipativen Gestaltung digitaler Lernangebote hin und gibt in seiner kritisch-reflexiv abschließenden Betrachtung auch Hilfestellungen zur Zusammensetzung eines Gestaltungsteams (vgl. S. 259).

Mit der Beantwortung der Forschungsfrage (vgl. S. 262f. u. 264ff.) lässt sich ein erster Stand eines empirischen Entwicklungsmodells zur „Bereitstellung von Handlungsempfehlungen für die Anwendung des partizipativen Gestaltungsprozesses für (digitale) Lernangebote 2021 im Kontext der betrieblichen (Weiter‑)Bildung“ (S. 264) ableiten. Aufgrund der geringen Anzahl von befragten Expertinnen und Experten stellt die Forschungsarbeit von Matthias Teine bislang lediglich eine erste Annäherung an die Frage, wie digitale Lernangebote modelliert werden können, dar.