Rezensionen zu:

Breyer, Lisa (2020): Das Spannungsfeld von Erwachsenenbildungswissenschaft und europäischer Bildungspolitik. Eine lexikometrische Analyse am Beispiel der Konzepte Lebenslanges Lernen und Kompetenzen. Bielefeld: wbv Publikation (Reihe: Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 41). 304 Seiten, 49,90 €, ISBN 978-3-7639-6107‑8.

Bolten-Bühler, Ricarda (2021): Medialer Habitus von Lehrenden in der Erwachsenenbildung. Biografische Analysen medienpädagogischer Professionalisierung. Bielefeld: wbv Publikation (Reihe: Erwachsenenbildung und Lebensbegleitendes Lernen. Grundlagen und Theorien, Bd. 40). 252 Seiten, 49,90 €, ISBN 978-3-7639-6172‑6.

Koziol, Klaus; Vogel, Norbert; Steib, Rainer (2020): Bildung und Medienkompetenz. Wege zur digitalen Souveränität. München: kopaed. 97 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-86736-584‑0.

1 Philipp Assinger: Lisa Breyer (2020). Das Spannungsfeld von Erwachsenenbildungswissenschaft und europäischer Bildungspolitik. Eine lexikometrische Analyse am Beispiel der Konzepte Lebenslanges Lernen und Kompetenzen. Bielefeld: wbv Publikation.

Die Wissenschaft der Erwachsenenbildung und die Bildungspolitik gehen ein Verhältnis ein, so hat Lisa Breyer zusammengefasst, dessen Verflechtungen und gegenseitige Bezüge unzureichend thematisiert und rekonstruiert seien. Die bestehende Literatur lasse den Schluss zu, dass bisher tendenziell eine Beeinflussung der Wissenschaft durch die Politik oder die Nützlichkeit der Wissenschaft für die Politik argumentiert wurden. Arbeiten, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Felder herausgearbeitet hätten, gäbe es sehr wenige. Ausgehend von dieser Problemstellung und unter Anwendung eines innovativen Forschungsdesigns stellt Lisa Breyer die Frage, wie sich das Verhältnis von Erwachsenenbildungswissenschaft und europäischer Bildungspolitik gestaltet. Sie fokussiert dabei die beiden Konzepte Lebenslanges Lernen und Kompetenz und erhebt den Anspruch, einen Beitrag für „verschiedene Forschungsstränge der Erwachsenenbildungsforschung“ zu leisten, „die sich mit internationaler Bildungspolitik, der Konstitution der Disziplin und den Gegenständen Lebenslanges Lernen und Kompetenz“ auseinandersetzen (S. 22).

Nach der Einleitung, in der das Spannungsfeld zwischen Erwachsenenbildungswissenschaft und Bildungspolitik eröffnet wird, folgt ein Überblick über den Forschungsstand. Dieser enthält sowohl die Diskussion bestehender Arbeiten zur Bildungspolitik wie auch der Forschung rund um Lebenslanges Lernen und Kompetenz. Daran schließt die Autorin einen theoretischen und methodologischen Bezugsrahmen an. Unter Bezugnahme auf die Feldtheorie von Pierre Bourdieu und die Diskursanalyse von Michel Foucault gelingt es Breyer in überzeugender Art und Weise, einen Bezugsrahmen aufzuspannen, den sie anschließend in ein methodisches Design überführt.

Um das Verhältnis von Erwachsenenbildungswissenschaft und europäischer Bildungspolitik zu untersuchen, wurde die Methode der lexikometrischen Analyse herangezogen. Dazu wurden zwei Korpora erstellt und verglichen, einerseits aus wissenschaftlichen Texten, andererseits aus politischen Dokumenten. Die beiden Korpora enthalten Texte aus dem Zeitraum 1994 bis 2016. Wie die Autorin ausführt, „wurde ein eigenständiges Vorgehen entwickelt, um die in der Sprachwissenschaft entstandene lexikometrische Analyse auf die Erwachsenenbildungswissenschaft mit ihren disziplinspezifischen Fragen und Gegenständen übertragen zu können“ (S. 126).

Im Hauptteil der Arbeit erfolgen die Darlegung der empirischen Befunde sowie deren Diskussion und Reflexion. Was die Ergebnisse der empirischen Untersuchung betrifft, so konnte Breyer aufzeigen, dass trotz der wechselseitigen Bezüge das Feld der Erwachsenenbildungswissenschaft und jenes der europäischen Bildungspolitik durch aktive Grenzziehung autonom bleiben und die Bereiche Lebenslanges Lernen und Kompetenz entsprechend ihrer eigenen feldspezifischen Logiken thematisieren. Sowohl eine unidirektionale Beeinflussung durch die Politik als auch die fehlende Beachtung von politischen Anforderungen durch die Wissenschaft werden kontextualisiert. Es folgt daraus der Schluss: „Vor dem Hintergrund von Forderungen nach Evidenzbasierung politischer Entscheidungen zeigt sich somit, dass die Erwachsenenbildungswissenschaft nicht nur Auftragnehmerin der Politik ist, sondern eigenständige Positionen in die Politik einbringt.“ (S. 200). Es konnte jedoch auch gezeigt werden, dass feldinterne Diskurse eine Wirkung auf das jeweils andere Feld ausüben, was die Autorin dazu veranlasst, „eine Neubestimmung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik in der Erwachsenenbildung“ zu indizieren (S. 200).

Dem Anspruch, einen Beitrag zu verschiedenen Forschungssträngen der Erwachsenenbildungswissenschaft zu leisten, wird die Arbeit gerecht. Liegt der Mehrwert bezogen auf die empirischen Befunde darin, heuristische Annahmen anhand eines elaborierten und kohärenten Forschungsvorgehens nachvollziehbar zu rekonstruieren, ist insbesondere der Versuch, mit der lexikometrischen Analyse eine bisher wenig beachtete Methode in der Erwachsenenbildung zu etablieren, hoch einzuschätzen. Das Buch ist daher empfehlenswert und für zwei Lesergruppen besonders geeignet. Zum einen finden diejenigen, die sich für theoretisch-methodologische Überlegungen sowie neue Forschungsmethoden interessieren, Anregungen und Anknüpfungspunkte, die von der Autorin auch ausführlich benannt werden (S. 200–204). Zum anderen ist das Buch, das auf der Dissertation der Autorin basiert, für Forscherinnen und Forscher in Qualifizierungsarbeiten eine Empfehlung, da es ein sehr gutes Beispiel für die Gestaltung empirischer Forschungsvorhaben bietet.

2 Anne Strauch: Ricarda Bolten-Bühler (2021). Medialer Habitus von Lehrenden in der Erwachsenenbildung. Biografische Analysen medienpädagogischer Professionalisierung. Bielefeld: wbv Publikation.

Die Professionalität von Lehrenden in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung ist seit Jahren ein vielbeforschtes Thema. Fragen und Forschungen zur medienpädagogischen Professionalisierung haben durch die Coronakrise an Relevanz gewonnen. In einer kaum zu überbietenden Dynamik waren Lehrende im vergangenen Jahr herausgefordert, ihre Lehrangebote über digitale Medien zu gestalten – nicht alle waren auf diese Aufgabe vorbereitet und angemessen medienpädagogisch professionalisiert.

In ihrer Arbeit geht Frau Bolten-Bühler der Frage nach, wieso manche Lehrende eine hohe medienpädagogische Handlungskompetenz aufweisen und andere nicht und wie diese Unterschiede im Professionalisierungsgrad mit den grundsätzlichen Einstellungen gegenüber digitalen Medien und einem digitalen Habitus in Zusammenhang gebracht werden können.

Da die Bemühungen zur Professionalitätsentwicklung von Lehrenden in der Erwachsenen- und Weiterbildung zum Ausbau von Digitalkompetenzen gerade die Forschung und Praxis gleichermaßen beschäftigen, erschließt die Arbeit von Frau Bolten-Bühler einen Bereich, der nicht nur für die Digitalisierungs- und Professionalisierungsforschung Grundlagen liefert, sondern auch für Entwicklungsprozesse in der Praxis aktuell von hoher Bedeutung ist.

Das Buch ist klar gegliedert und bietet eine gute Struktur, um ggf. auch punktuell in Fragestellungen zur erwachsenenpädagogischen Professionalisierung und Medienpädagogik hineinzulesen. Im ersten Teil der Arbeit (Kapitel 2–4) nimmt Bolten-Bühler eine gegenstandstheoretische Verortung des Forschungsbereichs vor, die auch unabhängig von den nachfolgenden Ausführungen zur qualitativen Untersuchung eine gute Zusammenfassung des relevanten Forschungsstands vornimmt. Die Ausführungen zum Medienverständnis, zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Erwachsenenbildung sowie zu den Anforderungen an Lehrende in einer mediatisierten Welt werden sowohl historisch eingeordnet als auch im Hinblick auf aktuelle Anforderungen resümiert (Kapitel 2). Die Professionalisierungswege in der Erwachsenenbildung werden allgemein beschrieben, Habitus und Professionalisierung in Kontext zueinander gebracht und medienpädagogische Kompetenzanforderungen für eine medienbezogene Professionalisierung zusammengefasst (Kapitel 3). Das zentrale gegenstandstheoretische Konzept des medialen Habitus wird differenziert betrachtet und dargelegt (Kapitel 4).

Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der Darstellung der qualitativen Untersuchung und der Ergebnisse. Nach einer Beschreibung des Forschungsdesigns und -vorgehens (Kapitel 5) werden die Ergebnisse der zehn Fallportraits von Lehrenden und die Ergebnisse der durchgeführten Interviews beschrieben, analysiert und gegenstandstheoretisch verortet (Kapitel 6). In einem abschließenden Kapitel (Kapitel 7) werden Handlungsbedarfe und Forschungsdesiderate in der medienpädagogischen Erwachsenenbildung aufgezeigt.

Bolten-Bühler zeigt in ihrer Arbeit auf, dass der mediale Habitus einen Einfluss auf die medienpädagogische Professionalisierung hat. So beeinflusst z. B. – wie wahrscheinlich zu erwarten war – Offenheit im Gesamthabitus eine medienpädagogische Professionalisierung positiv. Insgesamt bietet die Analyse zum medialen Habitus neue Erkenntnisse über die unterschiedliche Bereitschaft zur Nutzung von digitalen Unterrichtsmedien und über formale und non-formale Weiterbildung. Beim Lesen der Lektüre fällt auf, dass die qualitative Erhebung als Basis der Arbeit vor dem coronabedingten Digitalisierungsschub durchgeführt wurde. Da „der mediale Habitus […] als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlage für das mediale Handeln gesehen werden (kann)“ (Kommer & Biermann, 2012, S. 90; Bolten-Böhler, 2021, S. 20), wären ansonsten Rückschlüsse auf den Einfluss des medialen Habitus zur Bewältigung der coronabedingten ad-hoc-Herausforderungen einer medienbezogenen Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen eine interessante Ergänzung der Studienergebnisse. Interessante Anschlussfragen wären auch, inwiefern der Einsatz digitaler Medien in der Weitbildung auch von allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartungen der Lehrenden abhängt und nicht nur von ihren Orientierungen über Medien und Technologien. Nichtsdestotrotz schließt die Arbeit eine Lücke und die Erkenntnisse können sinnvoll in Bestrebungen zum Aufbau von medienpädagogischen Kompetenzen einfließen und Mehrwehrt stiften, um Fortbildungsangebote dem Habitus entsprechend zielführend zu gestalten.

Insgesamt ein gelungenes Buch zu einem wichtigen und sehr aktuellen Thema der Professionalisierung des Lehrpersonals in der Erwachsenen‑/Weiterbildung, welches sowohl für Praktiker als auch für die Wissenschaft neue und interessante Erkenntnisse bringt.

3 Johannes Wahl: Klaus Koziol, Norbert Vogel, Rainer Steib (2020). Bildung und Medienkompetenz. Wege zur digitalen Souveränität. München: kopaed.

Klaus Koziol, Norbert Vogel und Rainer Steib thematisieren in drei komplementären Beiträgen Herausforderungen, mit denen die Subjekte in einer digitalisierten Umwelt konfrontiert sind. Sie vertreten die Position, dass in der gegenwärtigen Diskussion um die Digitalisierung ein deutlicher Fokus auf ihren technischen Dimensionen liege. Im Kontrast dazu stellen sie in ihren Beiträgen Rückbezüge zu bildungstheoretischen bzw. philosophischen Positionen her, die auf die Subjekte und deren Bedürfnisse ausgerichtet sind.

Im ersten Kapitel geht Norbert Vogel der Frage nach, welche Rolle Bildung als normative Kategorie zur Entfaltung von digitaler Souveränität spielen kann. Dazu analysiert er ausgewählte bildungspolitische Digitalisierungskonzepte auf kompetenz- und bildungsbezogene Konstrukte. Als Resultat dieses Prozesses, bei dem das methodische Vorgehen intransparent bleibt, zeigt sich, dass die Wertedimension eines bildungstheoretisch gesättigten Konstrukts in den Dokumenten nicht durchgängig berücksichtigt werde. Hier setzt Vogel an, der für ein bildungsaffines Kompetenzverständnis und dialogische Organisationsformen der Bildung und des Lernens plädiert, um digitale Souveränität zu erreichen. Es geht dem Autor um das Subjekt in einer digitalisierten Umwelt und um dessen Mitbestimmung im kollektiven Umgang mit Phänomenen wie der Datafizierung. Die relativ hohen Anforderungen an die Subjekte zur Teilnahme an diesen Aushandlungen werden dabei abgedunkelt. Durch den Fokus auf Bedürfnisse und Potenziale der Einzelnen und ihre stärkere Berücksichtigung in bildungstheoretisch fundierten Bildungs- und Lernkontexten werde es möglich, Bedingungen, Kontexte und Folgen der Digitalisierung umfassender als bisher zu akzentuieren und gleichzeitig Bezüge zu Traditionen der Erwachsenenbildung/Weiterbildung herzustellen.

Das zweite Kapitel von Rainer Steib thematisiert die Reichweite von Kompetenzmodellen. Ausgehend von der Kritik an einem Verständnis von Medienkompetenzen als wichtigster Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe plädiert er für ihre Einbindung in eine umfassendere kulturelle Kompetenz. Durch die Konstruktion medialer Dystopien über die lebensweltliche Rolle von Medien für Kinder und Jugendliche werden aktuelle Herausforderungen im Umgang mit der digitalen Transformation pointiert umrissen. Zur Abwendung einer Gefahr der Überforderung plädiert der Autor für ein Konzept von Medienkompetenz, das über die kompetente Mediennutzung hinausgeht und in alle Schulfächer integriert werden solle. Den Endpunkt der Argumentation bildet die Konstruktion einer kulturellen Kompetenz. Hierfür werden sowohl basale Verständnisebenen als auch konkrete Methoden beschrieben, die primär auf Kommunikation, Kritik und Kreativität abzielen. Der mit Blick auf die Erwachsenenbildung/Weiterbildung instruktive Bezug zu existenten Medienkompetenzmodellen oder dem medialen Habitus wird nicht hergestellt, stattdessen wird die Relevanz einer lebenslangen Förderung der kulturellen Kompetenz betont.

Klaus Koziol fokussiert im dritten Kapitel die Orientierungskraft der hellenistischen Philosophie zur Positionierung der Subjekte in der digitalen Moderne und zur Bearbeitung von Unüberschaubarkeit. Ausgehend vom Postulat, dass Menschen aktuell zunehmend außengeleitet handeln, sucht er nach einem Weg, wie Subjekte wieder mehr Verantwortlichkeit für das eigene Leben übernehmen können. Als Angebot arbeitet er Selbstkultivierung als Suche nach sich selbst durch die Orientierung an Epikur und der Stoa heraus und stellt zentrale Praktiken und Werkzeuge bzw. Lehrsätze zur Orientierung in Zeiten des Wandels vor. Dabei werden verschiedene Prinzipien der hellenistischen Philosophie reinterpretiert, die zur Stärkung der Autonomie gegenüber heteronomen Entwicklungen führen sollen. Sie weisen teils deutliche Bezüge zu aktuellen Diskursen auf, die jedoch nicht durchgängig hergestellt werden. Vielmehr erfahren die Lesenden Impulse für informelle Bildungs- und Lernkontexte, die aus den Dogmen ableitbar sind. Die für Selbstkultivierung notwendigen Voraussetzungen werden dabei ebenso wenig reflektiert wie die Frage berührt, inwiefern Autonomie angesichts intransparenter digitaler Architekturen konturiert ist.

Gemein sind den drei Beiträgen zwei Schwerpunktsetzungen. Sie zeigen erstens auf, dass die Herausforderungen der Digitalisierung keine kategoriale Neuerung, sondern ein gesellschaftliches Dauerthema darstellen. Zweitens verdeutlichen sie, dass bildungstheoretisch sowie philosophisch verankerte Perspektiven auf die digitale Transformation geeignet sind, die in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung konstitutive Fokussierung auf das Subjekt und dessen Bedürfnisse angemessen zu rahmen. Dabei werden Bezüge zu zentralen Fragen der empirischen Bildungsforschung und der erwachsenenpädagogischen Digitalisierungsforschung erkennbar. Angesichts des Gegenstandsbereichs wären auch Bezüge zur Medienbildung mit ihrem Fokus auf Selbst- und Weltverhältnisse instruktiv. Darüber hinaus zeigt das Werk Optionen einer subjektorientierten Gestaltung von formalen wie informellen Bildungs- und Lernkontexten auf, indem es konkrete Methoden, Organisationsformen und Lehrsätze benennt. In Kombination mit dem über weite Strecken für Wissenschaft und Praxis gut verständlichen Argumentationsbogen bildet das Werk von Klaus Koziol, Norbert Vogel und Rainer Steib eine lesenswerte Ergänzung zu aktuellen Studien, die sich auf kollektive und technische Dimensionen der digitalen Transformation beziehen.