Offenheit ist ein in der Geschichte der Erwachsenenbildung fest verankertes Prinzip. Volks- und Erwachsenenbildung begleiten die Etablierung moderner Gesellschaften seit der „Epochenwende“, die in Europa zumeist auf das Ende des 18. Jahrhunderts datiert wird. So zeigt sich die Volks- und Erwachsenenbildung von Beginn an offen für soziale Gruppen und „Hörer“ jenseits etablierter Stände, die Lernen im Erwachsenenalter als ein Instrument der Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung in Prozessen der Industrialisierung und der Demokratisierung nutzten, als Arbeiter, Bauern, Handwerker, Bürgerinnen oder Mitglieder religiöser Gemeinschaften. Ihre programmatischen Wurzeln liegen in Deutschland insbesondere in der Aufklärung, aber auch in der Romantik. Ihre Themen und Arbeitsweisen entwickelte die Erwachsenenbildung in Differenz zu schulischen Curricula und zeigte sich offen nicht nur für die Popularisierung von Wissenschaft, sondern auch für Angebote zur Vermittlung politischer und religiöser Überzeugungen und zum Austausch persönlicher und beruflicher Erfahrungen. Institutionell haben sich in diesem Bildungsbereich sowohl Einrichtungen etabliert, deren Anspruch wie bei den Volkshochschulen auf ein für alle offenes Bildungsangebot zielt, aber auch Anbieter, die sich an bestimmte soziale Gemeinschaften, wie z. B. Kirchen, „gebunden“ sehen.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung zunächst der Arbeits-, dann der Lebens- und schließlich auch der Bildungswelten gehen heute Hoffnungen für einen weiteren Abbau von Zugangsschranken zu Wissen und Bildung einher. Das gilt etwa dann, wenn Massive Open Online Courses das Forschungswissen führender Universitäten weltweit auch Nicht-Akademikerinnen zugänglich zu machen versprechen oder bildungspolitisch favorisierte Open-Access-Strategien die Rezeption von Forschungswissen und Forschungsdaten beschleunigen und erweitern. Der digitale Transformationsprozess vollzieht sich teils kontinuierlich, teils in Schüben, zuletzt im Zuge der Corona-Pandemie, und hat neue Möglichkeiten für die Etablierung von Themen und die Ansprache von Adressatinnen und Adressaten aufgezeigt. Interessanter Weise hat diese Pandemie aber auch zu neuen Schließungen im Feld der Erwachsenenbildung geführt, insbesondere in den Phasen von Lockdowns, als präsenzförmige Angebote aufgegeben, abgebrochen oder unterbrochen werden mussten, häufig verbunden mit der Unsicherheit, ob sie nach der Aufhebung von Einschränkungen für soziale Kontakte wieder aufgenommen werden können. Die Corona-Pandemie hat zu drastischen Einbrüchen in Angebot und Beteiligung an Erwachsenenbildung geführt, von den Volkshochschulen bis zur betrieblichen Weiterbildung, die Existenz von Weiterbildungseinrichtungen bedroht und die Beschäftigungsrisiken des pädagogischen Personals, insbesondere der Kursleiterinnen, Trainer und Beraterinnen, verschärft, je nach fachlicher Domäne in unterschiedlicher Weise.

Wie offen bzw. wie geschlossen die Erwachsenen- und Weiterbildung zukünftig sein wird für Adressatinnen und Adressaten, für Themen und Arbeitsformen, für Organisationen und Beschäftigte, ist noch nicht abzusehen. Umso wichtiger schien es uns, aktuelle Entwicklungen aus der Perspektive eines Prinzips von „Offenheit“ zu betrachten, das ihre Geschichte von Beginn an begleitet. In dem seinerzeitigen Call for Papers hatten wir zu Beiträgen eingeladen, die sich mit der Idee offener Praktiken, mit Open Educational Resources bis hin zu Perspektiven und Fallstricken von Open Science beschäftigen. Auch Fragen der Offenheit in Bezug auf die Teilnahme und Zugehörigkeit von Erwachsenenbildung zu sozialen Netzwerken sollten thematisiert werden können, ebenso wie politische und kulturelle Erwartungen bezüglich Geheimhaltung und Zugang zu Informationen oder die Herausbildung neuer sozialer Bewegungen, die bereit und fähig sind, etablierte ökonomische und politische Akteure herauszufordern. Mehrere dieser Aspekte finden sich in den eingereichten bzw. angenommenen Aufsätzen wieder.

Der Beitrag von Tim Vetter und Michael Schemmann untersucht die internationale Erwachsenenbildungsforschung vor dem Hintergrund des Aufkommens so genannter Predatory Journals. Sie wenden sich damit den Schattenseiten eines weltweit stattfindenden Transformationsprozesses im wissenschaftlichen Publikationswesen zu. Im Kern zielt die politisch, national wie international, favorisierte Open Access-Strategie darauf ab, dass wissenschaftliches Wissen schneller und breiter bereitgestellt, rezipiert und nachgenutzt werden kann, als dies bislang möglich war. Damit gehen grundlegend veränderte Geschäftsmodelle für die Bereitstellung von Forschungswissen einher: Referierte Zeitschriften erzielen Einnahmen künftig nicht mehr für das Lesen, gesichert über institutionelle und individuelle Subskriptionen, sondern für das Schreiben und Publizieren von Open-Access-Beiträgen, durch Article Processing Charges, die Autorinnen und Autoren bzw., im günstigen Fall, ihre Institutionen bereitstellen.

Gestützt auf Annahmen des Neo-Institutionalismus, insbesondere auf Konzepte der Institution, Legitimität und Mimese, analysieren die Autoren das Publikationswesen zur Erwachsenenbildung im Blick auf Autoren, Organisationen, ihre Umwelt und dort beobachtbare Umwelterwartungen, wie etwa die internationale Sichtbarkeit von Forschung. Methodisch legen Vetter und Schemmann ihre Studie als Journal-Analyse an. Mittels eines integrativen Reviews identifizieren die Autoren zehn distinkte Merkmale, auf deren Basis mögliche Predatory Journals bestimmt werden. Der integrative Review zeigt, dass der Standort der Predatory Journals sich mit den Standorten der Forschungseinrichtungen der Autorinnen und Autoren überschneidet und dass die Article Processing Charges im Durschnitt signifikant unter denen von anerkannten Zeitschriften im Bereich der Erwachsenenbildung liegen.

Bei der Analyse werden die sozio-demografischen Merkmale der Autorinnen und Autoren, die Inhalte und die Qualität sowie die Themen der Beiträge näher beleuchtet. Vetter und Schemmann zeigen, dass die meisten Autorinnen und Autoren aus Entwicklungsländern sowie den USA stammen, dass aber auch Forschende aus Ländern mit einer hochentwickelten Forschungsinfrastruktur in Predatory Journals publizierten. Dabei handelt es sich auch um erfahrene Forschende, oftmals mit Doktor- oder Professorentitel. Es zeigt sich weiter, dass sich einige Autorinnen und Autoren auch bewusst für eine Publikation in einem Predatory Journal entscheiden und dass es weniger bestimmte Themen als vielmehr bestimmte Zielgruppen sind, die für Predatory Journals interessant sind. Insgesamt spielen Predatory Journals zwar eine quantitativ marginale Rolle in der internationalen Erwachsenenbildung. Aus neo-institutionalistischer Perspektive wird jedoch erkennbar, dass Predatory Journals nicht nur unerfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler täuschen können, sondern auch einen Bedarf an niedrigschwelligen Publikationsmöglichkeiten abdecken, die in der Umwelt der Autorinnen und Autoren auf Anerkennung rechnen können.

Der Beitrag von Sabine Schöb, Carmen Biel und Lars Killian adressiert die Herausforderungen, die sich bei der Etablierung einer durch einen freien Austausch von Offenen Bildungsmaterialien (Open Educational Resources, OER) geprägten Community von Lehrenden der Erwachsenen- und Weiterbildung ergeben. Konkret untersuchen die Autorinnen und der Autor das Potenzial von OER für die Weiterbildungspraxis und identifizieren Erfolgsfaktoren für die Etablierung einer durch einen freien Austausch von OER geprägten Kultur. Der Fokus liegt dabei auf der Sicht der Lehrenden, insbesondere auf der Bedeutung vorhandener Kompetenzen, persönlicher Einstellungen und sozialer Werthaltungen für den Umgang mit OER. Die sachliche (Können), persönliche (Wollen) und soziale (Dürfen) Dimension der Produktion und Nutzung von OER bilden die Grundlage für die Bewertung ihres Potenzials für die Weiterbildungspraxis.

Methodisch stützt sich der Beitrag auf eine Online-Befragung von Lehrenden der Erwachsenenbildung. Zielgruppe der Befragung sind Lehrkräfte aus verschiedenen institutionellen Kontexten, die über den wb-web-Unterstützerkreis sowie über Netzwerke der Universität Tübingen angefragt wurden. Die subjektiven Einschätzungen zum Können, Wollen und Dürfen der Lehrenden im Umgang mit OER wurden mit einer Evaluation des tatsächlichen Nutzungsverhaltens beim Umgang mit OER auf dem Portal wb-web gerahmt. Die Befunde der Studie bestätigen bereits bestehende Annahmen über die Relevanz der Qualität(ssicherung) bei der Produktion und Verwendung von OER sowie über die Notwendigkeit eines Wertewandels im Umgang mit Bildungsmaterialien im Sinne eines flexiblen Wachstums statt starrer Traditionen. Darüber hinaus zeigen die Autorinnen und der Autor, dass Bedarf bei der Qualifizierung der Lehrenden im rechtlichen und technischen Umgang mit OER sowie bei der Schaffung von Infrastrukturen für die Erstellung, Teilung und Nachnutzung von OER besteht.

Der Beitrag von Regina Egetenmeyer, Stefanie Kröner und Anne Thees richtet sich auf die Frage, wie Digitalisierung in Angeboten klassischer Einrichtungen der Erwachsenen- und Weiterbildung gelingt. Die Autorinnen legen ihren Fokus auf den Einsatz digitaler Medien im Alltag und berücksichtigen dabei fünf Merkmale: die Angebotsentwicklung für Adressatinnen und Adressaten sowie Teilnehmende, die medienbezogenen Inhalte, die Lehr- und Lernarrangements mit digitalen Medien, den Einsatz digitaler Medien sowie die Zugänglichkeit von Lehr- und Lernmaterialien.

Die Untersuchung basiert auf den im Rahmen des BMBF-Projekts Digitalisierung in der Erwachsenenbildung und beruflichen Weiterbildung (2019–2021) erhobenen Daten bezüglich der Ebene „Programme und Angebote“. Die Autorinnen orientieren sich methodisch an der Critical Communicative Method nach Gómez und an einer gestaltungsorientierten Bildungsforschung nach Tulodziecki et al. Für die Datenanalyse richten sich die Autorinnen an der Identifizierung von einrichtungsübergreifenden Gelingensbedingungen aus und nutzen eine fallübergreifende Analyse, die sich an der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring und Kuckartz orientiert. Die Analyse der aufbereiteten Daten erfolgt zunächst als deduktive Kodierung der formalen Kategorien entlang der fünf Untersuchungsmerkmale. Auf der Ebene der formalen Kategorien werden anhand einer induktiven Kodierung Gelingensbedingungen als materiale Kategorien identifiziert. Anschließend werden axiale Codes entwickelt, welche auf die Identifikation von Wechselwirkungen zwischen den Ebenen abzielen.

Insgesamt zeigt der Beitrag, dass digitale Medienarten, Werkzeuge und Medienangebote variantenreich und aus Sicht der Lehrenden auch gelingend eingesetzt werden. Als wichtig für einen gelingenden Einsatz hat sich die Anpassung an die jeweiligen Adressatinnen, Adressaten und Teilnehmenden erwiesen. Auch eine einfache technische Handhabung, inklusive einer schnellen Internetverbindung, hat sich als zentral für einen gelingenden digitalen Einsatz herausgestellt. Somit weist der Beitrag darauf hin, dass das Gelingen von Digitalisierung in Angeboten der Erwachsenen- und Weiterbildung stark von der didaktischen Entwicklung abhängt, weshalb ein gelingender Einsatz digitaler Medien auch eine Erweiterung der didaktischen Aufgaben in der erwachsenenpädagogischen Arbeit erfordert.

Der abschließende Beitrag von Carol Azumah Dennis und Gill Clifton widmet sich den Herausforderungen, die die Öffnung des Hochschulwesens für Studierende mit sich bringt. Ziel des Beitrags ist es, die persönlichen, professionellen und akademischen Lernverläufe von Studierenden eines Online-Masterstudiengangs zu analysieren, die ihr Studium unterbrochen oder gar abgebrochen haben. Insbesondere geht es um die Erfahrungen, Herausforderungen und Möglichkeiten, die sich dabei für die Studierenden ergeben haben, zumal in der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Ausweitung des Social Distancing.

Dennis und Clifton stützen sich auf insgesamt 33 Interviews. Zu Beginn wurden die Studierenden eingeladen, ihre Erfahrungen im Studium in einem Bild zu illustrieren. Daraufhin wurde ein offenes, unstrukturiertes Interview via Microsoft Teams geführt, bei dem die Konversationen so fließend wie möglich gestaltet wurden. Anschließend wurden die transkribierten Interviews in narrative Portraits übertragen. Für die Datenanalyse wurden die Daten mehrfach gelesen und verschiedene Interpretationen im Zweiwochenrhythmus diskutiert. Dennis und Clifton experimentieren dabei mit einem Analyse-Ansatz, der sowohl ein reading up (from data to theme) als auch ein reading down (from dialogue to data) involviert.

Die Analyse der Interviewdaten verdichten die Autorinnen zu vier „Statements“, die zentrale Themen in den Vordergrund rücken, welche die Studierenden unter den Bedingungen des (ausgeweiteten) Distanzlernens bewegten: Fragen der Identität, der Zugehörigkeit, der digitalen Pädagogik und der „unheimlichen Räume“. Insgesamt brachten die narrativen Portraits ein großes Verlangen der Studierenden nach einer Fortführung des Studiums zum Ausdruck. Darüber hinaus zeigte sich, dass der Wunsch zum Lernen weder vollständig erfüllt noch vollständig negiert wurde. Auch Studierende, die ihr Studium unterbrachen, fühlten sich weiterhin der akademischen Umwelt zugehörig.

Die hier versammelten Beiträge zeichnen ein insgesamt vielfältiges und differenziertes Bild von Prinzipien der Offenheit unter den Bedingungen der digitalen Transformation auch der Erwachsenenbildung, die nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch neue Risiken der Schließung und des Ausschlusses mit sich bringt. Wie man das Erwünschte fördern und das Unerwünschte verhüten kann, wird man auch in Zukunft nicht nur programmatisch, sondern auch auf der Grundlage empirischer Erfahrungen entscheiden können und müssen.