Rezensionen zu

Miguel Zulaica y Mugica (2019). Die Sozialität der Bildung. Eine Studie zum Verhältnis von Anerkennungs- und Institutionentheorie. Bielefeld: Transcript. 284 Seiten, 59,99 €, ISBN 978-3-8376-4674‑0

Franziska Endreß (2019). Bilder des Alterns und der Lebensalter im Bildraum Erwachsenenbildung. Eine vergleichende Analyse unter Berücksichtigung angrenzender Bildräume. Wiesbaden: Springer VS. 508 Seiten, 64,99 €, ISBN 978-3-658-24987‑8

Anke Grotlüschen & Klaus Buddeberg (Hrsg.) (2020). LEO 2018 – Leben mit geringer Literarität. Bielefeld: wbv Publikationen. 400 Seiten, 49,90 €, ISBN 978-3-7639-6071‑2

1 Karin Gugitscher: Miguel Zulaica y Mugica (2019). Die Sozialität der Bildung. Eine Studie zum Verhältnis von Anerkennungs- und Institutionentheorie. Bielefeld: Transcript.

Bildung wird häufig durch individualistische Kategorien wie Selbstbildung und Selbstermächtigung beschrieben. Demgegenüber verweisen moderne Anerkennungstheorien auf die Sozialität des Menschen und legen nahe, dass persönliche Entwicklung und Bildung an Sozialität gebundenen sind. Diese Überlegungen bilden den Ausgangspunkt der Studie von Miguel Zulaica y Mugica. Er greift damit eine für die Pädagogik und Bildungswissenschaft grundlegende Frage auf, nämlich jene nach dem sozialen Gehalt von Bildung.

Theoretischer Bezugspunkt seiner Studie ist der Bildungsbegriff, den Hegel in seiner Rechtsphilosophie vertritt. Darin ist die Sozialität als genuines Begriffsmoment von Bildung ausgewiesen, so die These Zulaica y Mugicas. Sie verdeutlicht sich in der Spannung zwischen der individuellen Selbstbestimmung als Möglichkeit, von Kooperationsaufforderungen zurückzutreten und diese an individuelle Entscheidungen zurückzubinden, und der Identifikation mit dem sittlichen Wir als Bedingung für eine Orientierung am Allgemeinen. Durch eine systematische Bearbeitung der Problemstellungen von Hegels Bildungstheorie will Zulaica y Mugica das Verhältnis von Bildung und Sozialität hinterfragen und differenzieren. Dabei knüpft er auch an bildungstheoretische Diskussionen und sozialphilosophische Anerkennungstheorien an. Gesellschaftlichkeit thematisiert er institutionentheoretisch, da Institutionen das Bewusstsein über Handlungen in einem sozialen Bedeutungsraum verorten.

Nachdem im einleitenden Kapitel die zentralen Bezugspunkte der Hegelschen Bildungstheorie für die weiterführenden Überlegungen dargelegt werden, analysiert der Autor im zweiten Kapitel in einer argumentationslogischen Betrachtung dreier differenter Studien von Neuhouser, Siep und Honneth das Spannungsverhältnis von Anerkennung und Institutionen, die sich insbesondere über die Frage der Anerkennbarkeit ausdrückt.

Im dritten Kapitel verschiebt Zulaica y Mugica die Perspektive von der strukturellen Ebene der Institutionen auf das individuelle Selbst- und Weltverhältnis. Er analysiert differente sozialphilosophische Konzeptionen hinsichtlich ihres Sozialitätsverständnisses, um diese anschließend mit Hegels Bildungsbegriff bildungstheoretisch zu kontextualisieren. Während er in Honneths Institutionentheorie eine kooperative Sozialität rekonstruiert, die in der Teilhabe an der reflexiven Kooperation befreiend sein soll, zeigt er mit Butler die Ambivalenz von Sozialität als ein in sich verschlungenes und fragiles Verhältnis von Unterwerfung, Überordnung und unterbrechender Widerständigkeit. In der neopragmatistischen Perspektive von Pippin und Jaeggi rekonstruiert er eine Sozialität, die im Scheitern der habitualisierten Praxis eine kritische Selbstreflexion initiiert.

Das abschließende vierte Kapitel dient Zulaica y Mugica dazu, die entwickelte Perspektive in Abgrenzung zu den bildungstheoretischen Ansätzen von Marotzki, Stojanov und Schäfer zu klären. Er kommt in einem kritischen Rekurs auf Hegel zu dem Schluss, dass ein ambivalenter Begriff der Bildung diese aus der individuellen Transformationslogik löst, die institutionelle Perspektive stärkt und eine gesellschaftstheoretische Einbettung von Bildungsbegriffen ermöglicht. Dabei muss Bildung nicht zwingend in einer kritischen Haltung oder in Kritik aufgehen und ist auch als eine Einübung gesellschaftlicher Praktiken und eine Gewöhnung an institutionalisierte Normen und Anforderungen zu verstehen, die ein objektives Selbst- und Weltverständnis sowie eine Reflexion, die im sozialen Raum verankert ist, eröffnet.

Versucht man nun, den Ansatz dieser grundlagentheoretischen und nicht leicht zugänglichen Dissertation auf bildungspraktische Fragen umzulegen, eröffnen sich damit Möglichkeiten, beispielsweise den Bildungsgehalt von Verfahren und Praktiken der Erwachsenenbildung zur Anerkennung von Kompetenzen, die in non-formalen und informellen Lernsettings erworben wurden, zu betrachten. Möglichkeiten der Bildung lägen dann bei der Validierung von Kompetenzen sowohl in der Aneignung dafür notwendiger Wissensbestände und (reflexiver, narrativer etc.) Fähigkeiten als auch in der Gewöhnung an institutionalisierte Normen und Ansprüche sowie der Reflexion institutioneller Kontexte, die eine nachhaltige Kompetenzgenese ermöglichen oder einer solchen entgegenstehen. Es ginge also auch um eine proaktive Förderung der Auseinandersetzung mit Widersprüchen innerhalb der Institutionen und sozialen Systeme der Kompetenzgenese und -validierung. Allerdings bleibt bei einem so offenen Bildungsbegriff, wie ihn Zulaica y Mugica entwirft, und der auch in einer Reflexivität ermöglichenden Gewöhnung an soziale Normen abseits von Transformation oder Kritik aufgeht, die grundlegende Frage nach der Differenzierung von Bildung, Sozialisation und Lernen weiterhin offen.

2 Sigrid Nolda: Franziska Endreß (2019). Bilder des Alterns und der Lebensalter im Bildraum Erwachsenenbildung. Eine vergleichende Analyse unter Berücksichtigung angrenzender Bildräume. Wiesbaden: Springer VS.

Dissertationen sollen die Befähigung der Autorinnen und Autoren belegen, selbstständig eine Fragestellung nachprüfbar, auf der Basis des Forschungsstandes und unter systematischer Bewältigung begründet ausgewählter bzw. erhobener Datenmengen bearbeiten zu können und damit zum Fortschritt der Disziplin beizutragen. Das ist im Fall der vorliegenden Arbeit zweifellos gelungen. Sie stellt einen wichtigen Beitrag zur Fundierung bildwissenschaftlicher Forschung in der Erwachsenenbildungswissenschaft dar, indem sie die einschlägigen theoretischen Arbeiten zuverlässig referiert, auf dieser Basis den gewählten Ansatz der dokumentarischen Methode (im Sinne von Ralf Bohnsack bzw. Burkhard Schäffer) begründet und mit Hilfe eines nachvollziehbar erhobenen Datenvolumens den Bildraum Erwachsenenbildung als Konglomerat von Abbildern, Denkbildern und Erfahrungsbildern ausmisst.

Grundlage der vom Projekt „Weiterbildungsbeteiligung und Altersbilder der Babyboomer“ geprägten empirischen Studie bilden Bilddokumente, die unter den Suchbegriffen Erwachsenenbildung, Weiterbildung und Lebenslanges Lernen zum Erhebungszeitpunkt 2009 und in einer kleinen Nacherhebung 2016 im Internet verfügbar waren, aber natürlich teilweise schon früher entstanden sind. Dabei richtete sich das Interesse auf die dort vorgefundene bildliche Darstellung des Alterns und der Lebensalter, die bisher eher an exemplarischen Einzelfällen untersucht worden ist. Auf der Basis inhaltlicher und formeller Analyseschritte gelingt es der Autorin, anhand der knapp 200 digitalen Bilder zentrale Bildmuster der Erwachsenenbildung zu benennen und diese mit zahlreichen historischen und zeitgenössischen Bildern zum Altern, zur Bildung und zum Lernen vor allem von Erwachsenen aus anderen Zusammenhängen zu kontrastieren. Die sehr ausführliche Darstellung des theoretischen Hintergrunds und des Forschungsstandes sowie die Menge an behandeltem Bildmaterial (zum großen Teil in Schwarz-Weiß-Zeichnungen transponierte Fotografien) haben ein umfangreiches Buch entstehen lassen, das auch als Skript für ein ein- oder besser mehrsemestriges Seminar dienen könnte.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind nach Darstellungen alltäglicher Situationen der Erwachsenenbildung (Medien, Protagonisten, Raumsituation), aber auch nach metaphorischen Bildmotiven (Weg, Wegweiser, Horizont u. a.) und symbolischen Bildern zu den Begriffen Erwachsenenbildung, Weiterbildung, Lebenslanges Lernen und ihren Akteuren gegliedert. Die jeweils behandelten Bilddokumente sind (bei unterschiedlicher Detailschärfe) gut erkennbar gestaltet, aber nicht in jedem Fall leicht zu finden – das parallel erschienene E‑Book erleichtert die Suche und ermöglicht zudem eine Vergrößerung der Bilder.

Die Entscheidung für die Behandlung großer Datenmengen muss gegenüber Einzelfallanalysen den Vorteil der Reliabilität mit dem Nachteil der demgegenüber oberflächlicheren, den Kontext nur bedingt berücksichtigenden und weniger originellen Interpretation bezahlen. Was theoretisch gefordert wird, nämlich eine Berücksichtigung des Eigensinns von Bildern im Sinne von Max Imdahls Ikonik, kommt dabei nicht immer zum Tragen. Es spricht für die Autorin, dass sie sich dieser Problematik durchaus bewusst ist, es aber trotzdem unternommen hat, eine sorgfältige Untersuchung durchzuführen, die es erlaubt, nachvollziehbar einen komplexen zeitgenössischen Bildraum zu beschreiben, der kollektive Erfahrungen und Vorstellungen von Akteuren in diesem Bereich systematisch ordnet und anhand ausgewählter Dokumente im Wortsinn sichtbar macht. Dass dieser Bildraum einerseits erstaunliche Stabilitäten aufweist, sich aber auch weiterhin mit realen Veränderungen wandelt, wird am offensichtlichsten beim Bereich Medien. So wirkt auch das in anderen Publikationen des Projekts unter dem Titel „Senior“ bzw. „Der Quotenalte“ verwendete, inzwischen im Netz nicht mehr verfügbare Bild einer intergenerationellen Lehr-Lernsituation vor einem Computer angesichts eines veränderten digital gap mittlerweile fast veraltet.

Solchen und anderen Veränderungen sowie Unterschieden hinsichtlich der einzelnen Bereiche der Erwachsenenbildung auch im internationalen Vergleich nachzugehen erscheint sinnvoll. Die Studie bietet dazu theoretische und methodische Grundlagen und könnte zur Etablierung einer bildwissenschaftlich informierten Erwachsenenbildungsforschung beitragen. Zu empfehlen wäre bei der weiteren Verfolgung bildwissenschaftlicher Ansätze eine stärkere – wechselseitige – Verbindung zur textorientierten Diskurs- und zur Videoforschung.

3 Ekkehard Nuissl: Anke Grotlüschen & Klaus Buddeberg (Hrsg.) (2020). LEO 2018 – Leben mit geringer Literarität. Bielefeld: wbv Publikationen.

Bei Filmen ist man meist in Sorge, ob der zweite, einem erfolgreichen ersten folgend, das Niveau halten kann. Und nur zu oft ist diese Sorge nur zu berechtigt. Bei Büchern ist das seltener, allenfalls bei Bestsellern, aber die gibt es als Massenprodukte im wissenschaftlichen Bereich ohnehin kaum. Bei der hier angezeigten Folgestudie, LEO II, wird das Niveau der ersten nicht nur gehalten, sondern übertroffen.

Das beginnt schon mit dem Titelzusatz „Leben mit geringer Literalität“. Der Abschied vom jahrzehntelang verwendeten Topos des „funktionalen Analphabetismus“ überrascht zunächst, wird aber reflektiert begründet: „Die heutige Studie spricht vom Leben mit geringer Literalität“. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Erwachsene durchaus auch bei eingeschränkter Schriftsprachkompetenz ein wirtschaftliches Auskommen finden, familiär eingebunden sind und ihr Leben eigenständig gestalten. Die neuen Fragen richten sich insofern eher darauf, „wie sich das Leben unter der Bedingung geringer Literalität gestaltet“ (S. 6). Auch der Begriff der „geringen Literalität“, so räumen die Autorinnen ein, sei ein Defizitbegriff, aber geeigneter als der „funktionale Analphabetismus“, weil er im Sinne des strategischen Existenzialismus besser geeignet sei hinsichtlich der einzigen Legitimität für Defizitbegriffe, den „Nachteilsausgleich“. In der Präsentation der Forschungsergebnisse wird auch die Grundlage für einen solchen Nachteilsausgleich gelegt: es werden wesentliche Elemente des Alltagslebens, „der Vierspänner der Grundbildungsdomänen“ (S. 17), diskutiert, Fragen zur Digitalität, zur politischen Teilhabe, zu Finanzen und Gesundheit; und selbstredend kommen auch Arbeit und Familie in den Blick.

Etwa 7000 Personen werden befragt, die Ergebnisse seien daher repräsentativ für Menschen mit geringer Literalität im Alter von 18 bis 64 Jahren. Zur Beantwortung der Frage des „Wie“ berichten die Befragten mit Selbstauskünften „über die Häufigkeit entsprechender Praktiken“. Hier zeigt sich überwiegend, dass trotz eingeschränkter Literalität eine recht beeindruckende Lese- und Schreibleistung erbracht wird. Die Fragen, die auf kritische Einschätzung alltäglicher Angelegenheiten zielen, reichen anschließend über das Funktionieren hinaus. Hier geht es um kritisch-hinterfragende Grundkompetenzen. Erfragt wird, ob alltägliche Zusammenhänge beurteilt werden können, beispielsweise die Glaubwürdigkeit einer Nachricht im Internet. In richtiger Selbsteinschätzung formulieren die Autorinnen: „LEO 2018 ist damit auf internationalem Gebiet – unbescheiden gesagt – bahnbrechend. Eine andere Literalitätsstudie mit vergleichbar umfassender Hintergrundbefragung liegt derzeit nicht vor“ (S. 8). Im Verlauf des Textes werden immer wieder die eigenen Vorgehensweisen und Ergebnisse auch mit internationalen ähnlichen Studien abgeglichen, insbesondere aus Großbritannien und Frankreich. In der Tat sind der Zugriff auf die Lebenspraxis der Menschen mit geringer Literalität und die dazu entwickelte und angewandte Methode ein auch forschungssystematisch in die Zukunft weisender Verdienst der Untersuchung.

Naheliegend ist zunächst die Frage, ob denn in den Bereichen, in denen LEO I im Jahr 2010 Daten lieferte, zehn Jahre später nun Veränderungen festgestellt wurden. Die wichtigste Zahl war damals die Anzahl der Menschen auf den Literalitätsstufen 1 bis 3 und 4. In der Tat ist deren Anteil zurückgegangen: 12,1 % der Bevölkerung (in absoluten Zahlen: 6,5 Mio. Menschen) gehören heute zu dieser Gruppe. 2010 waren es noch 7,5 Mio. Nimmt man noch die Personen hinzu, die dem Levels 4 (fehlerhaftes Schreiben) zugeordnet werden, so hat fast ein Drittel der Bevölkerung Probleme mit dem Lesen und Schreiben. Detaillierte Ergebnisse bestätigen sich: cum grano salis sind Männer, Ältere, Personen mit niedrigem Schulabschluss und jene, die in einer anderssprachigen Familie aufwuchsen, stärker vertreten.

Interessant ist, wie die Autorinnen die zunächst naheliegende Frage beantworten, wie denn der Rückgang der Menschen im unteren Literalitätsniveau erklärt werden kann. Nach der wichtigen (!) Vorbemerkung, es handele sich um eine Beschreibung, keine Kausalitätsanalyse, erörtern sie drei mögliche Einflussfaktoren: die Bildungsaktivitäten, die Zusammensetzung der Bevölkerung, die politischen Entscheidungen.

In einer sehr detaillierten Analyse stellen sie zunächst fest, dass die Teilnahme an Alphabetisierungskursen keine Rolle spielt, die Kurse des BAMF zur Integration und Alphabetisierung bedeutender sind, das Potenzial der betrieblichen Grundbildung als wichtig einzuschätzen ist und die Aktivitäten zur arbeitsmarktorientierten Grundbildung nach Sozialgesetzbuch II und III eine gewisse Rolle spielen könnten (alles basierend auf Angebots- und Teilnahmedaten).

Hinsichtlich der Bevölkerungsstruktur analysieren die Autorinnen anhand der Faktoren Herkunftssprache, Schulabschluss, Erwerbsstruktur und Alter die vorliegenden Daten. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass ein Wechsel in den untersuchten Geburtsjahrgängen vorliegt. In LEO I schlugen die Geburtsjahrgänge 1946 bis 1952 mit 17 % statistisch zu Buche, sie wurden in LEO II aber nicht mehr erfasst. Erfasst wurden hingegen die jüngeren Geburtsjahrgänge 1993 bis 2000, die nur einen Anteil von 10,9 % geringer Literalität aufweisen. Mittels einer künstlichen Annahme zur Bevölkerungsstruktur von LEO I stellen die Autorinnen fest, dass der Unterschied des Gesamtanteils im Wesentlichen auf den „Kompositionseffekt“ zurückzuführen ist – in der plausiblen Annahmerechnung ergibt sich eine nahezu identische Gesamtmenge.

Die politischen Entscheidungen als Faktoren werden von den Autorinnen als einflussreich vermutet, was sich allerdings nicht anhand von Daten belegen lässt. Immerhin, dies wird wiederholt betont, hat in Deutschland der politische Wille im „Alphabetisierungsjahrzehnt“ zahlreiche Impulse in ökonomischer, politischer, sozialer und bildungsmäßiger Hinsicht gebracht, nicht zuletzt auch die vorgelegte Untersuchung.

Mit großem Gewinn lesen sich die spezifischen Befunde der Untersuchung, die im Verlaufe des Buches dargelegt werden. Dazu gehören die sehr elaboriert dargelegten Entscheidungen hinsichtlich Ansatz und Methode der Forschung, die innovative und vorwärtsweisende Elemente enthalten. Die Kapitel zu Migration und Mehrsprachigkeit, Lebenssituation, Arbeit, Digitalität, Finanzen und Gesundheit zeichnen sich durch akribisch recherchierte, nachvollziehbare Erkenntnisse vor allem in Bezug auf die Praktiken aus – etwa die benutzten Verkehrsmittel, den Kauf von Fahrkarten, die Übernahme ehrenamtlicher Aufgaben, die Nutzung des PC, das Regeln von Überweisungen, das Lesen von Beipackzetteln von Medikamenten, das Lesen von Zeitungen, die Beteiligung an Wahlen, das Ausfüllen von Formularen. Hier ist nicht der Platz, die Ergebnisse im Einzelnen widerzugeben, nur so viel: Es gibt viele Anknüpfungspunkte zur Reflexion über die eigene Praxis!

Hinsichtlich der Weiterbildung sind die Ergebnisse der Untersuchung ernüchternd. Bei der Verbesserung der literalen Kompetenzen spielen die gezielten Angebote offenbar nur eine geringe Rolle. Mit 28 % sind gut halb so viele Menschen mit geringer Literalität in der Weiterbildung als im Schnitt der Bevölkerung, aber offenbar weniger in zielgruppenspezifischen Kursen. Hier mag es, was die Weiterbildungspraxis angeht, einiges zu reflektieren geben. Was die Forschung (zur Weiterbildung) angeht, gibt die Studie zahlreiche Anregungen zur Klärung weiterer Forschungsfragen. Alle Probleme, Fragen und Aufgaben der Weiterbildung finden sich verdichtet in der „Alphabetisierung“ (um hier noch einmal den alten Begriff zu gebrauchen), gewissermaßen Weiterbildung in a nutshell. LEO II ist zweifellos ein Schritt vorwärts und ein Meilenstein in der Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung.