Rezensionen zu:

Ekkehard Nuissl, Ewa Przybylska (2017): Kultur aneignen. Vom Erlernen kultureller Identität. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 244 Seiten, 19,80 €, ISBN 978-3-8340-1751-2

Getrud Siller (2018): Professionelle Bildungsberatung. Bedarfe und ungleichheitskritische Neuorientierung. Wiesbaden: Springer. 103 Seiten, 19,99 €, ISBN 978-3-658-19543-4

Wolfgang Müller-Commichau (2018): Souveränität durch Anerkennung. Überlegungen zu einer dekonstruktiven Erwachsenenpädagogik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 94 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-8340-1810-6

Rolf Arnold, Ekkehard Nuissl, Matthias Rohs (2017): Erwachsenenbildung. Eine Einführung in Grundlagen, Probleme und Perspektiven. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 271 Seiten, 19,80 €, ISBN 978-3-8340-1722-2

Sigrid Nolda (2017): Fremdsprachenlernen Erwachsener. Qualitative Zugänge. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. 274 Seiten, 34,90 €, ISBN 978-3-7639-5920-4

1 Werner Lenz: Ekkehard Nuissl, Ewa Przybylska (2017): Kultur aneignen. Vom Erlernen kultureller Identität. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 244 Seiten, 19,80 €, ISBN 978-3-8340-1751-2

Kultur ist alles, was von Menschen hervorgebracht wird – und was Menschen aus sich machen, indem sie sich die kulturellen Produktionen aneignen. Menschen sind kulturelle Wesen – schöpferisch und aneignend zugleich. Wie sich Menschen Kultur aneignen (könnten) und wie sie ihre kulturelle Identität prozesshaft erlernen (könnten), davon handelt dieses Buch.

Ewa Przybylska, Professorin für Erwachsenenbildung an der Universität Toruń, und ihr Kollege Ekkehard Nuissl verweisen einleitend auf den Wandel von regionaler und nationaler zu einer globalen Kultur. Sie lenken damit die Aufmerksamkeit der Lesenden auf größere, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Aus Sicht der Erwachsenenbildung stellen sie die Frage, wie Hervorbringen und Aneignen von Kultur als Bildungsprozesse zu gestalten sind. Dazu gibt es keine naiven Rezepte, sondern vielfältige Hinweise im Sinne einer Ermöglichungsdidaktik.

Kultureller Bildung wird die Aufgabe zugeschrieben die Menschen zu befähigen sich Kultur – nicht Hochkultur – anzueignen. In den ersten vier Kapiteln des Buches eröffnet sich ein allgemeiner Zugang zur Thematik. Begriffliche Klärungen werden vorgenommen, diskutiert und angeboten, diverse Sichtweisen und ihre Proponenten im Hinblick auf die begriffliche Vielfalt vorgestellt. Deutlich wird, welche unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugänge – Kulturwissenschaften – es bei diesem Thema gibt. Speziell die Anthropologie in ihren vielfältigen Facetten befasst sich mit den Menschen als kulturellen Wesen.

In der Diskussion und Darstellung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden der Stand aktueller Forschungsansätze referiert, aber auch weiterführende Forschungswege vorgeschlagen. Kulturelle Bildung wird in ihren Dimensionen der Vermittlung, der kulturpädagogischen und kulturpolitischen Aspekte, der Kulturarbeit und der strukturellen Bedingungen erörtert. Dies führt zum Thema „Aneignung der Kultur“, verstanden als „sich zu eigen machen“. Abgegrenzt vom „Lernen“ ist das „Aneignen“ als in Besitz nehmen, dem Subjekt gehörend zu verstehen. Ziel sollte sein – so Verfasserin und Verfasser – nicht „Aneignen“ zu lehren, sondern (S. 106) „… die Sinne, die Wahrnehmungs- und Aneignungsmöglichkeiten zu entwickeln, damit Menschen sich auch ohne Unterstützungsmodus selbstständig und selbstbewusst in ihrer kulturellen Umwelt bewegen können“.

Die folgenden fünf Kapitel behandeln spezielle Schwerpunkte: Familiale Enkulturation, Kulturelles Erbe, Kultur im Museum, Kultur und Sprache, Vom kultivierten Menschen. Das letzte Kapitel widmet sich der Thematik „Kulturaneignung fördern“. Die Aneignung und Erzeugung von Kultur, das Hineinwachsen jeder Generation in die Kultur, die „Enkulturation“ werden als lebenslange Prozesse verstanden. Nach Meinung von Autorin und Autor können diese auf dreifache Weise unterstützt werden: durch den Blick auf die Geschichte und worauf wir heute aufbauen; durch Beachten der Leistungen – „das Geschaffene“ – die in der Gegenwart entstehen; in Hinblick auf die Zukunft, die reflexiv bearbeitet und für künftige kulturelle Produktionen vorbereitet werden kann. Der Widerspruch zwischen Förderung von Hochkultur und Marginalisierung von Alltagskultur wird hervorgehoben. Bezüglich Zukunft bleiben die Aussagen skeptisch vage: verwiesen wird auf die Veränderungen durch die virtuelle Welt und die zu erwartende zunehmende Bedeutung östlicher und südlicher Weltgegenden gegenüber bisheriger europäisch/nordamerikanischen Kulturdominanz.

Kulturen stehen heute im Gegensatz zueinander – sie berufen sich auf „Eigenes“ und wehren „Anderes“ ab. Przybylska und Nuissl meinen (S. 7): „Es geht darum, die Verständigung zwischen den Menschen zu lernen, auch und gerade, wenn sie aus unterschiedlichen Kulturen kommen.“ Die dazu emotional und rational notwendigen Lern- und Bildungsprozesse erfordern, sich die Kultur anderer anzueignen – ein wenig das zu werden, was andere sind. Das bedeutet, Kulturen und ihre Menschen in kooperativen, kreativen Entwicklungsprozessen zu einander zu bringen. Didaktisch gesprochen: weniger planen und gestalten, sondern konstruktiv ermöglichen. Vor allem: solche möglichen Prozesse nicht vorsätzlich behindern!

Die angenehm lesbare und übersichtlich strukturierte Publikation lädt zum Mit- und Weiterdenken ein. Sie empfiehlt sich zur Professionalisierung in Fachgebieten mit interkultureller Klientel. Sie regt an, die eigene Kultur als beweglich und veränderbar zu empfinden und ermutigt, sich Menschen anderer Kulturen zu nähern, sie zu kontaktieren, mit ihnen zu leben und – vielleicht – von ihnen zu lernen und sich Teile ihrer Kultur anzueignen.

2 Tim Stanik: Getrud Siller (2018): Professionelle Bildungsberatung. Bedarfe und ungleichheitskritische Neuorientierung. Wiesbaden: Springer. 103 Seiten, 19,99 €, ISBN 978-3-658-19543-4

Die Studie entwirft einen fähigkeitsorientierten Ansatz von professioneller Bildungsberatung, wobei sowohl der Bildungsbegriff als auch die professionalitätstheoretischen Implikationen für Beratung kritisch reflektiert werden.

Zunächst werden im 1. Kapitel der politisch proklamierte Stellenwert von Bildungsberatung und die in den letzten Dekaden zunehmenden wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dieser Handlungsform skizziert. Aufgrund der geringen Inanspruchnahmen folgert Siller, dass Perspektiven der Ratsuchenden auf Bildungsberatung zu wenig berücksichtigt werden.

Im 2. Kapitel werden zur Stützung dieser These Ergebnisse einer Studie der Autorin herangezogen, in der Migrantinnen und Migranten zu ihren Bildungsverständnissen, -biografien und Bildungsberatungsbedarfen und -erfahrungen befragt wurden. Mithilfe einer Fallanalyse wird u. a. aufgezeigt, dass das als unübersichtlich wahrgenommene Schul- und Hochschulsystem ein Ausgangspunkt für Bildungsberatungen sein kann und dass Bildungsberatungen „lebensweltnah, bedürfnisorientiert ohne Sprachbarrieren und empathisch“ (S. 24) zu gestalten sind. Weitere Interviewausschnitte zeigen Hindernisse für die Inanspruchnahme von Bildungsberatungen auf. Darüber hinaus leitet Siller aus den heterogenen Bildungserfahrungen und Beratungsbedarfen der Befragten ab, dass es für professionelle Bildungsberatungen eines theoretischen Verständnisses von Bildung bedarf, das es in den Beratungen lebenswelt- und alltagsbezogen zu verknüpfen gilt.

Im 3. Kapitel wird die bildungspolitische Zielsetzung von Bildungsberatung als unterstützendes Element von selbst zu steuernden Lernprozessen als zu verkürzt kritisiert, da sich Bildungsprozesse häufig noch als soziale Prozesse zwischen Lernenden untereinander, zwischen Lehrenden und Lernenden sowie Lernenden und der Welt vollziehen. Dies wird mithilfe der Resonanztheorie von Rosa theoretisch gerahmt. Des Weiteren wird auf Disparitäten im Bildungssystem Bezug genommen, die sich auch negativ auf informelle Lernprozesse auswirken. Schließlich werden die aktuellen bildungspolitischen Forderungen – Bildungsberatung als strukturell zu verankernde lebensbegleitende Unterstützungsform – kritisch reflektiert: So fokussiere dieses Verständnis „eine leistungsbezogene, lebenslange Kompetenz- und Ressourcenorientierung“ (S. 55), berücksichtige aber weder die individuellen Sichtweisen der Ratsuchenden noch die Ungleichheitsverhältnisse des deutschen Bildungssystems.

Den eigentlichen Kern des Buches stellt das 4. Kapitel dar, in dem der Capability-Approach als theoretischer Reflexionsrahmen für eine fähigkeitsorientierte Bildungsberatung herangezogen wird, um mit dessen Hilfe auch sozialisations- und sozialstrukturellen Einflüsse bei Beratungen über Bildungsfragen einer Reflexion zugänglich zu machen. Anschließend werden Grundzüge des differenz- sowie kompetenztheoretischen Professionalitätsverständnisses dargestellt und die Stärken des differenztheoretischen den Schwächen des derzeit dominierenden kompetenztheoretischen Verständnisses für die Bildungsberatung gegenübergestellt. Siller plädiert dafür, dass professionelle Bildungsberatung einen Raum zur Verfügung stellen sollte, in dem Menschen und insbesondere Bildungsbenachteiligte aktiv unterstützt werden, „sich selbstbewusst und aktiv mit Entfaltungsmöglichkeiten in ihrer praktischen Lebensführung zu identifizieren“ (S. 95). Außerdem fordert sie eine Bildungsberatungsforschung, die eine analytische Distanz zu den politisch proklamierten Zielen von Bildung und Beratung einzunehmen habe.

Die nur gut 100 Seiten umfassende Studie liefert insgesamt einen gewinnbringenden Beitrag zur noch weitgehend ausstehenden theoretischen Fundierung von Bildungsberatung. Die kritische Annährung über einen autonomiebetonenden Bildungsbegriffs, die politischen Implikationen von Bildung und Beratung einer kritischen Revision zu unterziehen sowie der vorherrschenden kompetenz- eine differenztheoretische Professionalitätsperspektive des Beratungshandelns gegenüberzustellen, sind überzeugend.

Während sowohl der Capability-Approach als auch die professionalitätstheoretischen Zugänge ausgewogen betrachtet werden, sind die Resonanztheorie und insbesondere ihre gesellschaftskritische Position zu knapp dargestellt. Der Einblick in die biografische Studie unterstützt die Argumentation der Autorin, wenngleich es gerade für Studierende wünschenswert gewesen wäre, das Untersuchungsdesign ausführlicher darzustellen.

Aufgrund der guten Strukturierung ist die Argumentation stringent und sowohl Studierenden, Beratungsforschenden als auch Bildungsberaterinnen und Bildungsberatern zur Lektüre zu empfehlen. Insbesondere die klaren Positionierungen der Autorin in Verbindung mit empirischen Ergebnissen stoßen beim Lesen eigene kritische Reflexionen an und provozieren auch Widersprüche, die den Diskurs hoffentlich anregen werden.

3 Claudia Zimmerli-Rüetschi: Wolfgang Müller-Commichau (2018): Souveränität durch Anerkennung. Überlegungen zu einer dekonstruktiven Erwachsenenpädagogik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 94 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-8340-1810-6

Prof. Dr. Wolfgang Müller-Commichau (Honorarprofessor an der Hochschule Rhein-Main, Wiesbaden, Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Mentor für Erwachsenenbildung an der Universität Kaiserslautern) legt mit diesem Band seine dritte Reflexion zum „Assoziationskomplex Anerkennung“ in der Erwachsenenbildung vor. Ziel der vorliegenden Schrift ist es, die Überlegungen zur Anerkennung an Jacques Derridas philosophische Methode der Dekonstruktion anzuschliessen.

In seiner Einführung legt der Autor die für sein Verständnis zentralen Begriffe der Souveränität, der Ankerkennung sowie der Erwachsenenbildung/-pädagogik dar. Dabei greift er auf ein Menschenbild zurück, welches durch die europäische Aufklärung geprägt ist sowie auf den Anerkennungsbegriff von Axel Honneth. Seine zentrale These besteht darin, dass Menschen ihr Leben lang vom Wunsch nach Anerkennung begleitet werden. Die Paradoxie, die damit zwischen dem Wunsch der Lernenden nach Anerkennung und dem Bildungsziel der Souveränität entsteht, löst er auf, indem er von einem dialektischen Verhältnis ausgeht: „Das Erleben von Anerkennung hat eine Selbstwahrnehmung zur Folge, die durch Souveränität gekennzeichnet ist“ und damit nicht zu einer emotionalen Abhängigkeit führt (S. 11). Auf diesem Anerkennungsbegriff baut er in der Folge sein Lehr-Lern-Konzept auf.

Müller-Commichau wirft der heutigen Bildungslandschaft vor, dass sie „den Verwertungsmechanismen des Kapitalismus zum Opfer fällt“ (S. 16). Die moderne Erwachsenenpädagogik sei zu ökonomistisch, zu rational, latent systemstabilisierend sowie körperfern. Der Effizienz und Effektivität des Outputs, der Verwertbarkeitslogik und dem Zwang zu lebenslangem Lernen setzt Müller-Commichau mit seiner Schrift ein leidenschaftliches Plädoyer für einen humanistischen Bildungsbegriff entgegen, der sich der Aufklärung verpflichtet und die Autonomie des Einzelnen zu erhöhen weiss, „dass er oder sie sich in die Lage versetzt sieht, ein, ganzheitlich konnotiert, gutes Leben zu führen“ (S. 41). So entwirft er in der Folge ein Lehr-Lern-Konzept, das auf Anerkennung, Dekonstruktion und Ästhetik beruht: „Erstrebenswert erscheint mir für eine Erwachsenenpädagogik mit ganzheitlichem Bildungsideal, den Lernenden Angebote zu unterbreiten, die ihnen die Möglichkeit geben, sich von einem alltäglichen Utilitarismus in der Ausrichtung des Handelns, Denkens und Fühlens zu emanzipieren“ (S. 45).

Um Menschen für ein kritisches Befragen, bzw. Hinterfragen zu qualifizieren, brauche es eine wertschätzende Haltung zwischen Lehrenden und Lernenden, Zuwendung und Interesse für das Gegenüber. Müller-Commichau plädiert für eine Haltung, die durch Authentizität getragen ist und einen Dialog ermöglicht. Der Lehrende soll sich als Gastgeber verstehen, als ein Geber, ohne eine Gegengabe zu beanspruchen. In die Argumentation nimmt er nun den Dekonstruktivismus hinzu. Dieser bedeute Wachheit „gegenüber allem vermeintlich Alternativlosen in den öffentlichen Diskursen“ (ebd.) und rege zum Hinterfragen der Normen und Regeln an, die Menschen auf ein Rollenverhalten reduzieren. Als drittes Element greift er auf die Ästhetik zurück, um eine Perspektiverweiterung bei den Lernenden zu erwirken, denn: „Wo Ästhetik ‚geortet‘ werden kann, ist ein innovatives Wahrnehmen nicht weit“ (S. 17). Entsprechend dieser Überzeugung hat der Autor seine Texte durch von ihm gestaltete Gemälde illustriert, die zum Weiterdenken anregen sollen. Der Bezug zu den Texten erschliesst sich aus Lesersicht jedoch nicht eindeutig.

Seine Schrift schliesst mit dem Kapitel „Dekonstruktive Erwachsenenpädagogik“, in welchem er eine konkrete Didaktik skizziert. Dabei will er Lehr-Lernprozesse weg von der Rationalität hin zu einer Erwachsenenbildung als „sinnliche Resonanzfläche“ initiieren, ohne dabei die Grenzen zum Esoterischen zu überschreiten.

Damit bewegt sich Müller-Commichau auf einem schmalen Grat. Kunst kann durchaus ein sinnvolles Mittel sein, um sich Themen utilitarismuskritisch anzunähern. Ob der vom Autoren vorgeschlagene Ausdruckstanz ein probates Mittel für die Umsetzung in der Praxis darstellt, erscheint eher fragwürdig. Der Zugang über das Schreiben als Medium der kreativen Aneignung von Wissen und Kompetenz ist da wohl praxisnaher umsetzbar.

Müller-Commichau setzt sich mit seiner Monografie „Souveränität durch Anerkennung“ explizit von einer konstruktivistischen Pädagogik in Anlehnung an Reich, Arnold und Siebert ab. Die pädagogische Annäherung an Derrida als Teil einer poststrukturalistischen Bildungstheorie verstanden, ist ein anspruchsvolles Unterfangen, für den bildungstheoretischen Diskurs der Erwachsenen- und Weiterbildung aber durchaus bereichernd. Mutig verbindet der Autor verschiedene Ansätze zu einem eigenen didaktischen Konzept. Über weite Strecken gelingt ihm auch eine stringente Argumentation. Durch seine zirkuläre Schreibweise beleuchtet er seine Hauptargumente immer wieder von verschiedenen Sichtweisen her. Er kommt damit zu prägnanten Aussagen. Sein Buch ist sprachlich sehr gut lesbar, verständlich und einprägsam. Auch seine eingängigen Erklärungen zu Derridas Leben und Werk sind ohne Weiteres nachvollziehbar. Insgesamt bleiben die angerissenen Argumentationsstränge jedoch unterkomplex und oberflächlich. Gerade dem Dekonstruktivismus wohnt inne, dass ihm vertieft methodisch und theoretisch noch vertiefter nachgegangen werden müsste, bevor sich darauf eine Didaktik abstützen lässt.

Müller-Commichau versteht seinen Text als Denkanstoss. Als solcher ist er durchaus interessant und lesenswert. Empfehlenswert ist dieses Buch für Studierende der Erwachsenen- und Weiterbildung, Dozierende in der Hochschullehre aber auch in der Erwachsenen- und Weiterbildung.

4 Steffi Robak: Rolf Arnold, Ekkehard Nuissl, Matthias Rohs (2017): Erwachsenenbildung. Eine Einführung in Grundlagen, Probleme und Perspektiven. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 271 Seiten, 19,80 €, ISBN 978-3-8340-1722-2

Im Fokus der stark überarbeiteten Neuauflage der Einführung steht (nach wie vor) die Betrachtung von „Erwachsenenlernen als identitäts- und kompetenztransformierender Prozess vor dem Hintergrund lebensweltlicher Eingebundenheit im Kontext gesellschaftlicher Zumutungen und Möglichkeiten“ (S. 7). Hintergrund ist eine Vorstellung von Selbstbildung, die vom Subjekt und von der Gesellschaft ausgeht, um Erwachsenenbildung als Teil einer reflexiven Modernisierung zu begreifen, in der Erwachsenenlernen als eine Transformationsbewegung verstanden wird, die das Subjekt in die Lage versetzt, die eigenen Kompetenzen und Potentiale hervorzubringen und für die aktive Gestaltung der Lebenswelt und der Biographie zu nutzen (S. 9).

Die Verwendung des Begriffs „Erwachsenenbildung“ (EB) wird besonders im ersten Kapitel über die geschichtlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der EB deutlich; EB müsse im Kern den Menschen dienen, insbesondere denen, die von Bildung ausgeschlossen oder zurückgelassen werden. Das Kapitel setzt sich, jeweils zeithistorisch eingeordnet, beginnend bei der Aufklärung und den Anfängen der Arbeiterbildung, mit den gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, Funktionen von EB, den Anforderungen an Lernen und der Entstehung eines organisierten Systems auseinander. Die Einteilung in neun Phasen, die jeweils einer fokussierten Lesart folgen, bietet Studierenden eine gute komprimierte Grundlage der systematischen Beschäftigung mit der Geschichte der EB. Sehr gut nachvollziehbar sind der Zusammenhang der Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse, etwa die Bedeutung von Aufklärung und Autonomie, die von Anfang an eine besondere Bedeutung für Erwachsenenbildung haben, und die folgenden, daran anschließenden anfänglichen Institutionalisierungsbemühungen. Zentrale gesellschaftliche Entwicklungen, Spannungsfelder, Institutionalisierungsformen, wichtige Vertreter werden unter den folgenden zwei Bündelungen vorgestellt: Von der Volksbildung zur Erwachsenenbildung: Auf dem Weg zur Institutionalisierung (S. 19 ff.), von der Erwachsenenbildung zur Weiterbildung (S. 31 ff.). Phase neun endet mit „Europäisierung, Entgrenzung und Kompetenzorientierung“. Als wichtige Zukunftsthemen platzieren die Autoren nachvollziehbarerweise die Themen Ökologie/Umwelt sowie Digitalisierung. Dabei entwickeln sie aus ihrer Sicht Funktionen der (zukünftigen) EB wie Anpassung von Qualifikationen, etwa zur Befähigung zur sozialen Mitgestaltung der neuen Technologien sowie Identitätslernen als selbstreflexiven und mündigen Umgang mit Digitalisierung (S. 71 ff.). Diese beiden Perspektiven, Qualifizierung und Identitätslernen, werden an verschiedenen Stellen des Buches als gleichzeitige Notwendigkeit aufgegriffen. Kapitel eins endet, vor dem Hintergrund des Hinweises auf eine fehlende Theorie der EB, mit Forschungsfragen zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen der EB auf den vier soziologischen Ebenen Makro‑, Institutions‑, Interaktions- und Individualebene (S. 75). Dieses Kapitel scheint von den Autoren weniger aktualisiert worden zu sein, die präsentierten Forschungszugänge und Forschungsergebnisse bleiben teils in den 1970er Jahren stehen. Konkrete erwachsenenpädagogische Fragestellungen mit eigenen Begrifflichkeiten werden nur selektiv und exemplarisch dargestellt.

In Kapitel 2 werden rechtliche, institutionelle und finanzielle Aspekte erörtert, um zu einer Darstellung des Weiterbildungssystems zu gelangen. Die Teilkapitel über die rechtlichen und finanziellen Regelungen geben einen konzentrierten Einblick, die „Zersplitterung“ der rechtlichen Situation wird herausgearbeitet (S. 93).

Deutlich wird anhand der ausgewählten gängigen Beschreibungszugänge institutioneller bzw. Trägerstrukturen die Schwierigkeit die Pluralität der Weiterbildungslandschaft damit noch abzubilden. Hier könnten neuere Ergebnisse zur Institutionen‑, Programm- und Lernkulturforschung Aufschluss geben. Das Teilkapitel „selbstorganisiertes und informelles Lernen“ unter dieser Rubrik Recht, Institutionen und Finanzierung weist auf eine Entwicklung des Erwachsenenlernens, vor allem vor dem Hintergrund steigender Qualifikationen der Bevölkerung hin. Diese kann u. a. mit Interesse im Hinblick auf die Ausweitung von Lernorten verfolgt werden, hinterlässt aber eine Erkenntnislücke, was deren Beitrag zur Konstituierung und Institutionalisierung von Weiterbildung(sinstitutionen) betrifft.

Die Konstitution von Erwachsenendidaktik wird in Kapitel 3 strukturell in einer eigenen Perspektivierung, nämlich als grundlegende Aspekte einer transformativen Erwachsenendidaktik angelegt. Die Darstellung folgt einer sozialpsychologischen Orientierung mit der Unterscheidung objektiver und subjektiver Formen als anthropologische Sicht auf Erwachsenenbildung. Von besonderem Interesse ist es für die Autoren die Rolle von Erwachsenenbildung für den Lebenslauf zu platzieren und dabei etwa das Verhältnis Identität, Kompetenz und Emotionen besser zu verstehen. So sind Ursprünge der wissenschaftlichen Arbeiten von Rolf Arnold etwa im Ausgangspunkt der Anknüpfung an Deutungsmuster für die Begründung von Didaktik herausgearbeitet sowie sein Anliegen damit Identitätslernen und Kompetenzentwicklung zu ermöglichen (S. 115). Grundlage für die weiteren Beschreibungen „objektiver“ und „subjektiver“ Faktoren ist eine sozialwissenschaftliche Fundierung (S. 117), welche im Spannungsbogen des Verstehens der gesellschaftlichen Verhältnisse einerseits und biographischer, sozialisatorischer und lerntheoretischer Bezüge andererseits ausgearbeitet wird. In Kapitel 3.5 werden qualitative Zugänge der Erschließung von Lern- und Bildungsprozessen herausgestellt, ein sehr lesenswerter Teil, auch vor dem Hintergrund der Bedeutungszunahme quantitativer Studien mit hohem Evaluationsanteil.

In Kapitel 4 wird die lange vernachlässigte Herausforderung der Bedarfserschließung eingeführt und diese mit exemplarischen Strategien als ein wichtiges professionelles Handlungsfeld platziert. Begriffliche Unterscheidungen zwischen Profession, Professionalisierung und Professionalität sowie eine Auswahl an wichtigen Diskursen bis hin zu aktuellen Vorstellungen über Kompetenzprofile werden in Kapitel 5 präsentiert.

Das Buch schließt unter der Überschrift „Arbeiten und Lernen“ mit einem guten Überblick über aktuelle Aspekte und Entwicklungen in der Beruflichen Weiterbildung.

Insgesamt ist die Einführung als Grundlage für ein Studium der Erwachsenenpädagogik zu empfehlen. Besonders der historische Teil und das Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und deren Analyse einerseits sowie die biographisch-sozialisatorische und anthropologische Gebundenheit und die deutungs- und emotionsbezogene Konstitution von Lern- und Bildungsprozessen andererseits können fokussierte Perspektiven bieten, um notwendige Institutionalisierungsprozesse von EB sowie damit verbundene professionelle Herausforderungen besser zu verstehen.

5 Irene Cennamo: Sigrid Nolda (2017): Fremdsprachenlernen Erwachsener. Qualitative Zugänge. Bielefeld: Bertelsmann Verlag. 274 Seiten, 34,90 €, ISBN 978-3-7639-5920-4

Warum die Fachlichkeit der Erwachsenenbildung so „wenig genuines Interesse“ (S. 9) für das Fremdsprachenlernen Erwachsener zeigt, obwohl der Sprachbereich in der Praxis ein so bedeutender Faktor ist, versucht die Autorin über mehrere – theoretisch und empirisch verankerte – Wege zu erörtern. Das Buch versteht sich grundsätzlich als „Plädoyer für eine theoretische Fundierung und eine empirische, prinzipiell das Spektrum von quantitativen zu qualitativen Ansätzen ausmessende Erforschung des Fremdsprachenlernens Erwachsener“ und betrachtet den Bereich des erwachsenengerechten Sprachenlernens „als eine Aufgabe der Erwachsenenbildungsforschung“ (S. 14).

Im ersten Teil des Buches wird im Rahmen einer grundlagentheoretischen Aufarbeitung der (Erwachsenen‑)Bildungstheorie aufgezeigt, wie eingebunden das Fremdsprachenlernen in vergangene und gegenwärtige erwachsenenpädagogische, erziehungs- und sozialwissenschaftliche Theorien sowie in unterrichtstechnologische Ansätze ist. So versteht sich das (Fremd‑)Sprachenlernen jeweils zeittypisch mal stärker an den humanistischen Bildungsbegriff gekoppelt, in dem ein das Denken beförderndes Sprachverständnis postuliert wird, während andersrum – im Zuge der realistischen Wende – „der klassisch (elitäre) Bildungsgedanke zugunsten einer Berufs- und Qualifikationsorientierung zurückgedrängt“ (S. 17) und darüber Spracherwerb als Teil beruflicher Qualifizierung gesehen wird.

Es folgen in einem eigenen Kapitel auf Deutschland bezogene Statistiken zu erhobenen Fremdsprachenkenntnissen Erwachsener und speziell die deutsche VHS betreffende Daten, die feststellen, dass das Sprachangebot den stärksten Anteil an Kursveranstaltungen ausmacht. Sie bestätigen somit das Bild, dass aktuell der florierende Bereich Deutsch als Fremdsprache – nicht zuletzt aufgrund der Pflichtkurse für neu zugewanderte Bürgerinnen und Bürger – „mit fast 50 % der stärkste ist“ (S. 27).

Wie breit gefächert und wie vielfältig allerdings Ansätze, Angebote, Lernende und Lehrende im Sprachbereich und in der Sprach(lern)beratung sind, bearbeiten sodann die Kapitel zur Sprachlehr/-lernforschung und Zweitspracherwerbsforschung. Diese stellen gleichzeitig eine wertvolle Quelle für sprachtheoretisch und -pädagogisch relevante Fachliteratur dar. So werden darin beispielsweise lerntheoretische bzw. spracherwerbstheoretische Differenzierungen zwischen Lernen und Erwerben von Erst‑/Zweit‑/Fremd‑/Sprache/n vorgenommen, wobei im Buch mehr auf das organisierte formale und non-formale als auf das autonome, informelle Sprachenlernen Bezug genommen wird (S. 13).

Schließlich fasst ein Zwischenfazit (S. 66) zusammen, wie stark das Fremdsprachenlernen Erwachsener interdisziplinär angelegt bzw. mit Sprachandragogik, Didaktik des Deutschen als Fremdsprache und mit schulpädagogisch geprägten Lehr- Lernformaten verschränkt ist. Umso mehr fordert die Autorin die Erwachsenenbildungswissenschaft auf, „statt allein auf Ergebnisse der allgemeinen (vor allem an der Schule orientierten) Fremdsprachenforschung und ihre Didaktik zu setzen“, den Fremdspracherwerb Erwachsener „fachlich informiert“ (S. 66) zu untersuchen.

So versteht sich auch der gesamte zweite Teil des Buches, der „exemplarische Möglichkeiten, die durch qualitative Zugänge offenstehen“ (S. 66), aufzeigen will, wie nah eine wissenschaftliche Auseinandersetzung der Erwachsenenbildungsforschung zu diesem Themenbereich ist. Anhand qualitativer Beispiele werden Sprachprogramm‑, Sprachkurs- und Sprachbiografieforschung sowie Kursinteraktion behandelt. Besonders interessant sind dabei die bildrekonstruktiven Forschungsverfahren, die im Rahmen der Programmanalysen angewandt werden. Bewusst ausständig (oder nur am Rande erwähnt) bleiben Bereiche wie „die Profession, die Organisation und die Bildungspolitik“ (S. 241), sowie eine erwachsenengerechte Lehrwerkanalyse, digitale Angebote und Lernmedien. Die (u. a. aus Sicht einer machtkritischen Erziehungswissenschaft) definitorische Problematik der Wortzusammensetzung Fremdsprachen wird im Buch kurz angedacht, nicht aber weiter ausgeführt. Sie hebt sich allerdings in der weiteren Lektüre des Buches auf, wenn – nicht zuletzt anknüpfend an historische Sprachbildungskonzeptionen u. a. der Weimarer Erwachsenenbildung (S. 159) – Sprachliche Bildung (auch in der Erstsprache) in Form von Rhetorikkursen und/oder „Arbeitsgemeinschaften“ erwähnt werden, wo zielgerichtete Gesprächsführungskurse oder Kurse zu kommunikativen Sprechstrategien Beiträge zur Verbesserung sozialer und politischer Teilhabe geleistet haben und damit Teil einer politischen Erwachsenbildung gewesen sind.

In einem eigenen Kapitel werden zusätzlich Sprachbildungskonzepte aufgerollt, die in Zusammenhang mit politischen Umbruchsituationen in Deutschland entstanden sind, wie z. B. die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg in West- und Ostdeutschland. Im Buch bleiben – eine kritische Anmerkung – Bezüge zu Grundbildungs- oder Alphabetisierungskursen in L1 und DaZ unerwähnt.

Sigrid Nolda leistet mit diesem Buch einen wesentlichen Beitrag zur Verknüpfung von Wissen aus der eigenen Disziplin mit fremddisziplinärem Wissen. Fremdsprachenlernen Erwachsener regt die Diskussion innerhalb der Erwachsenenbildungsforschung an und fordert letztere nachdrücklich auf, sich mit dem Gegenstand des Sprachenlernens Erwachsener mittels qualitativer Zugänge zu befassen. Damit plädiert das Buch eindeutig „für eine Rehabilitierung der Fachlichkeit in der Erwachsenenbildung“ (S. 240) hinsichtlich der sprachlichen Bildung bzw. des Fremdsprachenlernens Erwachsener.