Rezensionen zu:

Christoph Steinebach, Daniel Süss, Jutta Kienbaum & Mechthild Kiegelmann (2016). Basiswissen Pädagogische Psychologie. Die psychologischen Grundlagen von Lehren und Lernen. Weinheim: Beltz. 192 Seiten, 19,95 €, ISBN 978-3-407-34217-1.

Heinrich Diekmann & Holger Zinn (2017). Geschichte des Fernunterrichts. Bielefeld: W. Bertelsmann. 283 Seiten, 29,90 €, ISBN 978-3-7639-5786-6.

Daniela Holzer (2017). Weiterbildungswiderstand. Eine kritische Theorie der Verweigerung. Bielefeld: Transcript. 578 Seiten, 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3958-2.

1 Petra Hetfleisch: Christoph Steinebach, Daniel Süss, Jutta Kienbaum & Mechthild Kiegelmann (2016). Basiswissen Pädagogische Psychologie. Die psychologischen Grundlagen von Lehren und Lernen. Weinheim: Beltz.

In gegenwärtigen Diskursen um die Professionalisierung Lehrender ist das pädagogisch-psychologische Wissen als Bestandteil professioneller Handlungskompetenz in den Fokus gerückt. Das Buch der Professorinnen und Professoren für Entwicklungs- bzw. Medienpsychologie sowie Sozialpsychologie und -pädagogik möchte vor diesem Hintergrund auf 192 Seiten einen Beitrag leisten, um das Studium dieses Wissens für professionelles Handeln in Kontexten des Lehrens und Lernens zu unterstützen (S. 7).

Konkret verfolgen die Autorinnen und Autoren den Anspruch, erstens Themen des Lehrens und Lernens (a) in den unterschiedlichen Bildungsbereichen, in Rekurs auf verschiedene behavioristische, systemtheoretisch-konstruktive bzw. entwicklungspsychologische Theorien sowie Forschungsbefunde (b) und unter Berücksichtigung von mikro- bis hin zu makrosystemischen Gegebenheiten (c) zu diskutieren (S. 7 und S. 161). Zweitens soll dabei aus der Perspektive der empirischen Wissenschaft heraus strikt zwischen Sein- und Soll-Sätzen getrennt werden, d. h. es gilt, „die Bestimmung der Ziele anderen [zu] überlassen“ (S. 164).

Drittens soll zudem angesichts des Einführungscharakters des Buches und damit verbundener didaktischer Reduktionen (S. 7) ein Suchraster zur Verfügung gestellt werden, das eine Orientierung für eine eigenständige, tiefergehende Auseinandersetzung ermöglicht. Diesen selbstformulierten Ansprüchen wird das Buch in Teilen gerecht, in Teilen aber auch nicht.

Die Autorinnen und Autoren führen im ersten Teil, „Grundfragen“, in Grundlagen ein: Neben der Klärung des Gegenstandes und Fragen des Transfers von Theorie und Praxis weisen sie zunächst zentrale Grundbegriffe aus – mit Blick auf den Buchtitel bemerkenswerterweise auch Begriffe wie Enkulturation und Erziehung – bevor sie sich dann im zweiten Kapitel in jeweils kurzen Untereinheiten den Themenbereichen Lernen, Denken, Motivation und Umwelten zuwenden. Auf Aspekte des Lehrens – immerhin mit dem Untertitel zentral gesetzt – wird nur durch kurzes Ansprechen von Instruktionen, Entdeckendem Lernen oder Begriffen wie „Lösungsbeispiele“ und „Anchored Instruction“ eingegangen. Einige Inhalte in diesen Teilkapiteln überraschen: So wird z. B. das nicht-aktive Tun Lernender auf der Sichtstrukturebene gleichgesetzt mit vermeintlicher kognitiver Nicht-Aktivierung. Über die Unterscheidung von intrinsischer vs. extrinsischer Motivation hinausgehend fehlt eine differenzierte Unterscheidung von Lern- und Leistungsmotivationsformen inklusive ihrer möglichen Relevanz für die Qualität von Lernprozessen. Auf Lernmotivation wird im Zuge der schulischen Lernwelt (Kap. 5.2) noch knapp eingegangen – wobei angesichts des bildungsbereichsübergreifenden Anspruchs des Buches unklar bleibt, warum dies nur dort thematisiert wird. Was in diesem ersten Teil leider weitestgehend fehlt, sind in Bezug auf die eingebrachten theoretisch fundierten Annahmen konkrete Angaben zu empirischen Evidenzen. Damit muss man als Leserin und Leser einigen Behauptungen glauben, anstatt sie selbst nachvollziehen zu können.

Im zweiten Teil, „Praxis“, werden die Tätigkeitsfelder der pädagogisch-psychologischen Diagnostik, Beratung, Förderung und des Trainings thematisiert (Kap. 3) sowie verschiedene Aspekte von Erziehung, Lernen resp. Bildung in unterschiedlichen Lebensphasen fokussiert (Kap. 4): Kleinkindalter und frühe Kindheit, Kindheit, Jugendalter, Erwachsenenalter und Alter. Referiert werden im fünften Kapitel schließlich jeweils ganz unterschiedliche Gesichtspunkte formalen, nicht-formalen bzw. informellen Lernens zu den vier Lebenswelten Kindergarten, Schule, Hochschule und Beruf. Liest man die Ausführungen zum Lehren und Lernen Erwachsener und Älterer, fällt auf, dass, im Gegensatz zu den anderen Lebensphasen, hier keine entwicklungspsychologischen Herausforderungen für Lernende skizziert werden (z. B. das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erikson).

Unter „Brennpunkte“, dem dritten Teil, greifen die Autorinnen und Autoren kapitelweise die Themen Migration, Gesundheit, Medien, Moral, Mitgefühl und Gender auf. Während zu den Themen Moral und Mitgefühl auch entwicklungspsychologische Ansätze dargestellt sind, werden bei den übrigen Themen vor allem Herausforderungen für unterschiedliche Akteure skizziert. Zu allen Themen werden pädagogisch-psychologische Handlungsansätze auf zum Teil unterschiedlichen Ebenen formuliert und teilweise auf gesellschaftspolitische Aspekte und Appelle ausgeweitet, wie in den Bereichen Migration und Gender. Die Auswahl und Platzierung der Themen der „Brennpunkte“ ist bemerkenswert – hier zeigt sich das Buch als „Kind seiner Zeit“, indem aktuelle Themen aufgegriffen werden (nicht jedoch: Umgang mit Heterogenität/Inklusion).

Im abschließenden vierten Teil, „Ausblick“, rücken zunächst die Bildung und Selbstbildung pädagogisch-psychologischer Fachkräfte in den Fokus. Charakteristisch für das Buch ist, dass bei der Benennung wichtiger Ausbildungsziele nicht auch auf konventionelle Kompetenzmodelle verwiesen wird, sondern als Referenzrahmen Aspekte der Theorie adaptiv selbstoptimierender bzw. selbstreferentieller Systeme dominieren. Unter Rekurs auf diese Ansätze werden zudem – etwas unerwartet – Bedingungen und Prozesse optimaler Entwicklung behinderter Kinder thematisiert.

In Bezug auf die selbstformulierten Ansprüche der Autorinnen und Autoren lässt sich konstatieren, dass sie unterschiedliche Systemebenen sowie Bildungsbereiche einbeziehen, allerdings primär mit Blick auf Kinder und Jugendliche, weniger auf Erwachsene. Durch diverse Apelle, wie z. B. zum Thema Migration, wird nicht durchgehend eingelöst, die Bestimmung von Zielen anderen zu überlassen. Die Einbindung empirischer Studien und Evidenzen fällt in den verschiedenen Abschnitten unterschiedlich aus. Im dritten Teil bieten Studien- und Quellenverweise Orientierung für eine über das Einführungsbuch hinausgehende, thematische Auseinandersetzung, ebenso die in Kap. 1.4 gegebenen Verweise auf andere Lehrbücher, fachbezogene Datenbanken und (inter-)nationale Journals.

Interessant dürfte die Einführung für (angehende) Lehrende sein, die sich in einem ersten Zugang mit Lehren und Lernen aus – teils implizit bleibenden – Perspektiven der Humanistischen Psychologie und Pädagogik sowie der kybernetischen Theorie adaptiv selbstoptimierender Systeme beschäftigen möchten. Des Weiteren empfiehlt sich das Buch für Leserinnen und Leser, die eingeführt werden möchten in eine sozialökologische Perspektive bei der Betrachtung von Einflussbedingungen auf unterschiedliche Entwicklungs- bzw. Lernprozesse und beim Aufzeigen pädagogisch-psychologischer Handlungsansätze.

2 Thomas Dostal: Heinrich Diekmann & Holger Zinn (2017). Geschichte des Fernunterrichts. Bielefeld: W. Bertelsmann. 283 Seiten, 29,90 €, ISBN 978-3-7639-5786-6. Bielefeld: W. Bertelsmann.

Der große Vorteil der allgemeinen, aber auch der berufsbezogenen Erwachsenenbildung – das Alleinstellungsmerkmal, wie man es heute formulieren würde – liegt in der Face-to-Face-Kommunikation zwischen den Lehrenden und Lernenden im Laufe eines Lernprozesses. Gerade in Zeiten informationstechnologischer Innovationen wurde und wird dies immer wieder von den unterschiedlichen Anbietern im weiten Feld der Erwachsenenbildung betont. Ein Bereich der Erwachsenenbildung verzichtet jedoch von Beginn an auf diese quasi „pädagogische Selbstverständlichkeit“: der Nischenbereich des Fernunterrichts, der sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mittels postalisch zugestellter Fernlernbriefe, später ergänzt durch Radio, Telefon, Schallplatte, Audiokassette, Fernsehen sowie durch audiovisuelle und neue digitale Medien wie E‑Mail und Internet an seine Kundschaft wendet. Und dies im wörtlichen Sinne: Denn wie keine andere Branche in der Erwachsenenbildung ist der Fernunterricht eine zumeist privatwirtschaftlich organisierte, ökonomische Unternehmung (vom historischen Familienunternehmen bis hin zum großen Medienkonzern), welche die Teilnehmenden primär als Kundinnen und Kunden sieht und adressiert und das Feld der Volks- und Erwachsenenbildung respektive der beruflichen Aus- und Weiterbildung demgemäß als einen Markt auffasst.

In diesem Sinne kann eine Geschichte des Fernunterrichts als eine Geschichte der Ökonomisierung und Kommerzialisierung der „Ware Bildung“, als eine Geschichte des kundenwerbenden Marketings und erfolgreichen Verkaufs von allgemeinbildenden und insbesondere von berufsbezogenen Informationen und Wissensbeständen, als eine Geschichte von Produktinnovation einzelner Marktteilnehmer, aber auch als eine Geschichte von Marktrivalität, staatlicher Marktbeeinflussung sowie von „Marktbereinigung“ im Sinne des privatwirtschaftlichen Bankrotts von Fernlerninstituten erzählt werden.

Und in diesem Sinne wird die „Geschichte des Fernunterrichts“ – so der Titel der im Jahre 2017 bei W. Bertelsmann erschienenen Studie – von ihren beiden aus der Fernunterrichtsbranche stammenden Autoren Heinrich Dieckmann und Dr. Holger Zinn auch erzählt. In ihrer Rekonstruktion der 150-jährigen Entwicklungsgeschichte wurden die Spezifika des Fernunterrichts dabei auch stets besonders herausgearbeitet: Die – quasi als Definitionskriterium des Fernunterrichts – in den meisten Fällen vorhandene räumliche Trennung von Lehrenden und Lernenden bedingte und bedingt den Einsatz verschiedenster Medien, um diese pädagogische Kluft zu überbrücken: Zunächst waren dies Briefe und Skripte, später audiovisuelle sowie elektronische Medien – ergänzt durch Fragen und Aufgaben, die vom jeweiligen Fernlerninstitut gestellt und von den Lernenden zur Korrektur an dieses zurückgesandt werden. Ausgehend von diesen Strukturmerkmalen ergab und ergibt sich einerseits eine enge Gebundenheit der Fernunterrichtsbranche an die jeweils technologisch avancierten Kommunikationsmedien, andererseits die Notwendigkeit eines hohen Maßes an Motivation, Disziplin und Selbstkontrolle bei den Lernenden, die – betrachtet man die von den Autoren für die unterschiedlichen Zeitabschnitte immer wieder dargelegten sehr hohen Abbruchraten respektive Kündigungsquoten – wohl nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden können.

Dazu kommt die bereits erwähnte kommerzielle Dimension: War die volksbildnerische Tätigkeit – sei es nun im pädagogischen, sei es im organisatorisch-administrativen Bereich – für viele Volksbildnerinnen und Volksbildner des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts eine zumeist unbezahlte „Mission“, so war es für die Inhaberinnen und Inhaber sowie die Angestellten von Fernlerninstituten von Anfang an eine Profession: ein Gewerbe oder ein bezahlter Beruf. In diesem Zusammenhang ist es wohl auch kein Zufall, dass viele der führenden Unternehmerinnen und Unternehmer der Fernunterrichtsbranche in Deutschland aus dem Verlagswesen oder aus der Werbewirtschaft stammen.

Trotz des seltsam anmutenden ersten historischen Unterkapitels, das „erste Wurzeln“ des Fernlernens in der griechischen und römischen Antike konstatiert, und dabei lediglich auf belehrende Briefwechsel antiker Philosophen und Honoratioren verweist, handelt das Buch vom Fernunterrichtswesen in Deutschland – und zwar von dessen dortigem Beginn in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur unmittelbaren Gegenwart. Zweifellos fruchtbringende internationale Vergleiche und Querbezüge auf das Fernunterrichtswesen, etwa mit Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz oder Österreich, werden – abgesehen von wenigen, flüchtigen Andeutungen – leider vollkommen ausgespart. Dafür gilt der Bedeutung und Entwicklung des Fernunterrichtswesens in der DDR ein besonderes Augenmerk, was der Kontrastierung der Verhältnisse und Entwicklungen zu Westdeutschland durchaus dienlich ist: hier die Tradition der unternehmerischen Pioniere (beginnend bei Gustav Langenscheidt, gefolgt von Ernst Kamprath, Simon Müller, Franz Onken, Wilhelm Mayer-Gentner, Paul Christiani, u. a.), der marktwirtschaftlichen Konkurrenzverhältnisse sowie der lange Zeit fehlenden staatlich-rechtlichen Regelungen, dort eine auch gesetzlich anerkannte und abgesicherte, tragende Säule des zweiten Bildungswegs, die Berufstätigen des „Arbeiter- und Bauernstaats“ die Möglichkeit einer Hochschulbildung bieten und zugleich dem Aufbau der DDR sowie der Ausbildung von Fachkräften und Kader dienen sollte, so die Autoren.

Für die Geschichte der unter Marktverhältnissen sich entwickelnden Fernunterrichtsbranche stellen die beiden Autoren die These auf, dass Umorientierungen und Neustrukturierungen im Arbeitsleben stets zu neuen Bildungsbedürfnissen, und damit auch zu neuen Angeboten der Fernlerninstitute führten. Dies erkläre den Anstieg der Zahl von Fernlerninstituten in Deutschland um 1900, den Aufschwung des Fernunterrichts nach dem Ersten Weltkrieg zur Zeit der Weimarer Republik, jenen im Kontext einer beruflichen „Aufstiegsfortbildung“ während der ersten Jahre des sogenannten „Wirtschaftswunders“ in der Nachkriegszeit und sein Bedeutungszuwachs in den letzten Jahrzehnten im Zuge der Propagierung des „lebenslangen Lernens“, wobei – so die Autoren – eine genaue Quantifizierung der Teilnahme am Fernunterricht aufgrund der schlechten Quellenlage (lückenhafte oder überhaupt fehlende Unternehmensarchive), zweifelhafter (weil propagandistisch überhöhter) Teilnahmeangaben respektive überhaupt fehlender statistischer Gesamterhebungen oft gar nicht möglich ist.

Bleiben die genauen Teilnahmezahlen oft unklar, so scheint man über die Teilnahmestruktur besser unterrichtet zu sein: In der Anfangszeit waren dies (zumeist junge) Männer, weit mehr als Frauen, wobei der Anteil der Handwerker- und Arbeiterschaft überdurchschnittlich war, und die Schwerpunkte des Interesses auf den kaufmännischen, mathematischen und (elektro-)technischen Fächern lag.

Eine zentrale Frage in der Geschichte des Fernunterrichts ist jene nach dem „Output“, nach dem Erfolg, die je nach Position unterschiedlich beantwortet werden kann: Meint Erfolg den Lernerfolg bei den Teilnehmenden im Sinne des Erreichens eines vorgegebenen Ziels oder das Erreichen von Kundenzufriedenheit? Ist Erfolg gleichzustellen mit ökonomischem Erfolg im Sinne der Erlangung eines besser bezahlten Berufs beziehungsweise einer besseren beruflichen Stellung aufgrund der Teilnahme am Fernunterricht? Oder ist unter Erfolg der ökonomische Erfolg eines Fernlerninstituts am Markt zu verstehen? Die Perspektive der Autoren scheint letztere zu sein, was durch die von ihnen erwähnte, aber nicht näher ausgeführte pädagogische Kritik am Fernunterricht verstärkt wird. Nur ein Beispiel: Bei der Darlegung der Pionierrolle von Gustav Langenscheidt vermeinen die Autoren, dass das Konzept seiner Studienhefte wirtschaftlich sehr erfolgreich gewesen wäre, und dass sie dank einer neuen Lautschriftmethode inhaltlich und thematisch ausreichend geeignet gewesen wären, „Sprachen so gut zu erlernen, dass man auf allen Gebieten des täglichen Lebens kommunizieren konnte“ (S. 29) – womit sie sich kritiklos der Werbeversprechung Langenscheidts – „Sicherer Erfolg ohne Vorkenntnisse“ – anschließen.

Insgesamt gesehen bietet die vorliegende Studie einen Ein- und Überblick über die Geschichte des Fernunterrichts in Deutschland, ihrer Akteure und Spezifika, Vorzüge und Defizite, Möglichkeiten und Grenzen – und auch Einblicke in die teilweise heftig geübte mediale Kritik an unlauteren Werbe- und Geschäftsmethoden innerhalb der Branche. Dabei stützen sich die Autoren auf sporadische Quellen in den teilweise vorhandenen Unternehmensarchiven sowie auf Interviews mit führenden Akteuren der Branche; vorwiegend jedoch wird aus einem engen Pool der Sekundärliteratur geschöpft und auf die Auswertung zeitgenössischer Zeitschriften – wie etwa der „Volkshochschule im Westen“ oder den „Hessischen Blättern für Volksbildung“ – fast vollkommen verzichtet. Der Text ist stellenweise eher in der Sprache der Betriebswirtschaft und des Marketings verfasst, denn in der einer kritischen Historiografie. Zudem beeinträchtigen Wiederholungen bereits getätigter Aussagen den Lesefluss. Eine Zusammenfassung am Schluss, welche die Entwicklungen konzise bündelt, hätte dem Buch gutgetan, eine sorgfältigere Redaktion des äußerst lückenhaften Abkürzungsverzeichnisses im Anhang ebenso.

3 Ulla Klingovsky und Laurence Sauter: Daniela Holzmann (2017). Weiterbildungswiderstand. Eine kritische Theorie der Verweigerung. Bielefeld: Transcript.

Daniela Holzers Habilitationsschrift erweist sich als durchgehend ambitioniertes, anspruchsvolles sowie mutiges Unterfangen. Mutig deshalb, weil sie sich mit ihrem Versuch einer kritischen Theorie des Widerstands gegen Weiterbildung den bisherigen wissenschaftlichen Bearbeitungen des Gegenstands des Weiterbildungswiderstands entgegensetzt und sich, indem sie die negative Dialektik als methodische Werkzeugkiste gebraucht, in Anlehnung an Adorno „ketzerisch“ verhält. Vielleicht lässt sich das Werk selbst – etwas plakativ formuliert – als Widerstand lesen, denn mit ihrem Ansatz macht Holzer auf Lücken, Vergessenes, Vernachlässigtes aufmerksam, wenn es darum geht, Widerstand auch als solchen gegen Weiterbildung und ihre verwertbarkeitsorientierten Formen und Inhalte zu sehen.

Weiterbildungswiderstand markiert bisher einerseits das Phänomen, wonach Menschen sich der Weiterbildung verweigern, andererseits wird Widerstand auch als Ziel und Inhalt von Bildung diskutiert und als „sehnsuchtsgeladene Metapher“ (S. 366) vorgestellt, um zu erkunden, wie Widerstand durch Bildung und als kritische politische Praxis gefördert werden kann. Holzer grenzt sich mit ihrem gesellschaftstheoretischen Blick auf Weiterbildungswiderstand als kollektivierter Praxis von der Perspektive auf individualisierte Lernbarrieren, -blockaden oder -widerstände ab. Damit wendet sich die Autorin mit ihrem Werk gegen die gegenwärtige Hypostasierung des subjektiven Faktors innerhalb der Erwachsenenbildung sowie der Widerstandsforschung im Besonderen.

Die Autorin entfaltet zunächst die eigene Forschungsperspektive. Auf ihrer Suche nach den Möglichkeitsbedingungen einer kritischen Erwachsenenbildungswissenschaft akzentuiert sie stets erkennbare Widersprüche im Rahmen kollektiver gesellschaftlicher Verhältnisse. In Kap. 3 legt Holzer ihre erkenntnisleitende Methode der negativen Dialektik Adornos ausführlich dar und ergänzt ihre „naive“ Herangehensweise (S. 56) mit dem Bezug zu weiteren Theoretikerinnen und Theoretikern, um anhand der Metapher der „Navigationsstützen“ (S. 150) nachvollziehbar zu erklären, wie negativ-dialektisches Denken sich denken lässt.

In Kap. 4 rekonstruiert die Autorin die Geschichte der Widerstandsforschung in (Weiter‑)Bildungskontexten systematisch und erkundet auf diese Weise zentrale Entwicklungslinien für eine negativ-dialektische, kritische Theorie von Weiterbildungswiderstand. Ausgehend von einschlägigen Widerstandstheorien (Tolstoi, Willis, Giroux, Axmacher, Bolder/Hendrich, Holzer) setzt sie sich mit den Widerstandskonzeptionen in der Erwachsenenbildung (Jarvis, Illeris, Holzkamp, Faulstich, Haug) auseinander und dechiffriert schließlich die problematischen Verkürzungen in der gegenwärtigen Diskussion von Widerstand.

Basierend auf Axmacher (1990) wird der Spur der gesellschafts- und kulturkritischen Funktion des „Unterlassungshandelns“ als potentiell kritischem Gegen-Handeln systematisch gefolgt, um nicht mehr nur Widerstandsformen von Teilnehmenden in institutionalisierten Weiterbildungsveranstaltungen oder Fragen von Bildungsabstinenz als lediglich strukturell verursacht in den Fokus zu rücken, sondern Äußerungsformen von Widerstand in ihrer ganzen Breite analytisch und empirisch fassbar zu machen. Angereichert wird diese Suche durch theoretische und konzeptionelle Einsätze aus Nachbardisziplinen (Kap. 5).

Derart theoretisch informiert, werden in Kap. 6 neun Eckpunkte skizziert, mit denen die Autorin die Leerstellen der bisherigen Widerstandsforschung in der Erwachsenen- und Weiterbildung füllen und den Begriff des Weiterbildungswiderstands theoretisch fassen will. Der Clou der in der Arbeit eingenommenen Perspektive besteht darin, das kritische Potential von Weiterbildungswiderstand eben gerade nicht vorauszusetzen, sondern dieses zuallererst sichtbar machen zu wollen. Was die Autorin an kritischem Potential aufzuspüren beabsichtigt scheint dabei weder an bestimmte Widerstandsformen noch an bestimmte Personen(-gruppen) oder Handlungsräume gebunden zu sein (S. 473).

Die Pionierleistung der Arbeit besteht vorrangig in der Sichtbarmachung eines Widerstandspotentials, das grundlegende „Anfragen“ an die im Rahmen der Ökonomisierung der Weiterbildung sich etablierenden Erscheinungs- und Gestaltungsformen von Weiterbildung artikulieren könnte. Es ist der besondere Verdienst der von Daniela Holzer vorgelegten Analyse, dem Drang einer positiven Wendung des Weiterbildungswiderstands bis zum Ende zu widerstehen. Auf diese Weise leistet die Arbeit zwar keinen definitorischen Beitrag zu der Frage, „wofür sich dieser Widerstand einsetzt“ (vgl. Holzer 2004), sondern bleibt in seiner Anlage durchgängig der Kraft der Negation verpflichtet – zugleich eröffnet die negativ-dialektische Suchbewegung über die Denk- und Sichtbarmachung möglicher Erscheinungsformen eines kritischen „Weiterbildungswiderstands“ allerdings Aufschlüsse über die vorhandenen Machtverhältnisse im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung.