Üblicherweise wird ein Editorial von den Personen verfasst, die das jeweilige Heft konzipiert haben. Im vorliegenden Fall ist das leider nicht möglich. Peter Faulstich – der das vorliegende Heft geplant hat und herausgeben wollte – ist im Januar dieses Jahres verstorben. Mit Peter Faulstich ging ein Großer der deutschsprachigen Erwachsenenbildung. Er hinterlässt nicht nur ein äußerst umfangreiches und vielschichtiges Werk erwachsenenpädagogischer Wissenschaft, mit ihm verliert die Community auch einen engagierten bildungspolitischen Denker und herausragenden Kollegen. Politische Bildung gehörte zweifellos zu den Themen, die Peter Faulstich am wichtigsten waren – und zwar nicht nur im Sinne eines bestimmten thematischen und institutionellen Feldes der Erwachsenenbildung, sein Zugang war grundlegender. Politische Bildung war für ihn Standpunkt und Querschnittmaterie, Weltanschauung und Orientierungshilfe. In diesem Sinne sind alle seine Überlegungen, Reflexionen und Forschungen zur Erwachsenen- und Weiterbildung vom „Geist“ des Politischen durchdrungen.

Als nunmehrige Co-Herausgeberin habe ich mich – in Erinnerung an und Würdigung von Peter Faulstich – entschlossen, seinen ursprünglichen Text zur Heftkonzeption in weiten Teilen zu übernehmen. Darin gibt er in wenigen Sätzen eine Ist-Standanalyse der politischen Erwachsenenbildung in Deutschland ab, die uns unverwechselbar an Peter Faulstich als prägnanten Denker, Forscher und Bildungspolitiker erinnert.

Wenn man daran geht, das Thema und damit die Problematik der „Politischen Bildung“ erneut aufzugreifen, kommt man an der Ausgangslage nicht vorbei: Die herkömmliche politische Erwachsenenbildung ist zunehmend marginalisiert und wissenschaftlich athematisiert worden.

Von einer „Krise“ der politischen Bildung zu reden, ist schon lange nicht mehr originell. Die Stimmungslage bei den Akteuren und Institutionen der „Politischen Bildung“ hängt in einem Dauertief von Legitimationsdruck und Krisengerede. Das seit zwei Jahrzehnten immer wieder konstatierte „Eriwan-Syndrom“ (Faulstich 1995) als Krisensymptom der politischen Bildung ist mittlerweile chronisch geworden: Im Prinzip wird sie immer wichtiger, konkret wird sie immer mehr randständig. Die Gefahr besteht darin, in fortdauernden Lamentismus zu verfallen.

In der Kontroverse geht es um einen engen versus einen weiten Politikbegriff, bezogen auf das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, um die Reichweite der Demokratie und ansatzweise um Harmonie oder Konflikt als Legitimationsprinzipien – und selbstverständlich dann auch um den Sinn politischer Bildung. Diese Debatten setzen sich fort und brechen immer dann erneut auf, wenn Kürzungen der Finanzen für die politische Bildungsarbeit anstehen.

Nun ist nicht zu leugnen und es wird immer wieder auch ausgewiesen, dass ein Teilnahmeschwund besteht, der sich in einen Nachfragerückgang bei den Trägern umsetzt und sich letztlich in einer Angebotsverminderung niederschlägt. So entsteht ein sich selbstverstärkender Zirkel, der eine Abwärtsspirale auslöst. Dies betrifft vor allem die Sparte der Angebote zu „Rechte und Pflichten der Staatsbürger, Wissen über Politik“. Auf alle Fälle ist dies – zwar für einen eng ausgelegten Begriff von Politik und Bildungsarbeit – eine katastrophale Situation, jedenfalls kein Erfolgsbeleg.

In der Konsequenz besteht eine Verunsicherung bei Trägern und Lehrenden. Sie ergibt sich vor allem aus der Diskrepanz zwischen hochgesteckten Ansprüchen und fehlender Umsetzung in Kursen und Programmen. Dahinter stehen Entwicklungen, die es zunehmend schwieriger machen, traditionelle Politikdidaktik fortzuführen. Die Probleme sind auf verschiedenen Ebenen vorfindlich: Der Gegenstand von Politik verflüchtigt sich, ist nicht mehr institutionell zu fassen und dringt bis in die Poren der Lebenswelt; es grassiert scheinbar eine sich verbreitende „Politikverdrossenheit“, die aber nicht den Bürgern anzulasten ist, sondern der Verkommenheit vieler Politik-Nutznießer geschuldet ist; es folgt eine diffuse und riskante Situation der Institutionen politischer Erwachsenenbildung, die angesichts der Kürzungspolitik des Staates und auch der Träger unter Druck geraten oder sogar geschlossen werden (auch im kirchlichen und gewerkschaftlichen Bereich); „Politik“ findet geringe Resonanz bei den Adressaten – die Zahl der Nicht-Teilnehmenden steigt.

Die Lage der Bezugswissenschaften sowohl der Politikwissenschaft als auch der Erwachsenenbildungswissenschaft verstärkt die Probleme. Es wird immer noch – die militärische Formel sei mir verziehen – an der Front von Prinzipien und Programmen gestritten, während die sichernde Nachhut erfahrungsbezogener Forschung zurückbleibt.

Politische Bildung kann aber keinesfalls weiter als Postulatspädagogik, mit Lehrzielen von der Art „Die Lernenden sollen …“, betrieben werden. Die gute Absicht schlägt durch. Schönklingende Sprüche beeindrucken – gleichzeitig entziehen sich die zu beglückenden Adressaten. In der Folge ist die Bestimmung, was unter politischer Bildung zu verstehen sei, offen geworden. Dies gilt sowohl bezogen auf mögliche Intentionen, was denn die Adressaten lernen wollen und sollen, als auch bezogen auf mögliche Themen, aus denen sich die Gegenstände beziehen lassen.

Es wäre fatal, wenn ausgerechnet die Erwachsenenbildungswissenschaft die Veränderungen gesellschaftlicher Realität gar nicht mehr wahrnimmt. Wenn man sich jedoch der Ausgangssituation vergewissern will, stößt man auf viele Leerstellen und Hohlräume. Viele Annahmen politischer Erwachsenenbildung sind durch wissenschaftliche, systematische und methodisch belegte Forschung nicht oder nur schwach gestützt.

Nachdem in den 1970er und 1980er Jahren einige große wissenschaftliche Projekte in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit – besonders getragen durch die IGM in ihrer zentralen Bildungsstätte in Sprockhövel – durchgeführt worden waren, blieb eine weitere empirische Aufarbeitung zunächst aus. Erst mit der 2002 vorgelegten Marktforschungsstudie von Rudolph, der Evaluation der politischen Erwachsenenbildung durch Bönisch et al. und für Nordrhein-Westfalen durch Alheim/Heger liegen punktuelle Ergebnisse vor. Ihre Zahl ist aber überschaubar (Faulstich 2015).

Ziel des konzipierten Heftes war es deshalb, solche Beiträge aufzunehmen, die auf eigene empirische Materialien zurückgreifen können. Die noch von Peter Faulstich vorweg getroffene Diagnose, dass solche Forschung eher rar ist und programmatische Texte dominieren, kann nun nach Abschluss des Peer-Review-Verfahrens und nach Schlussredaktion des Heftes nur unterstrichen werden. Letztendlich besteht der Schwerpunktteil des Heftes aus zwei Artikeln. Der Forumsteil steuert vier Beiträge bei.

Der Bedeutung von Zeit in der politischen Erwachsenenbildung spürt Michael Görtler nach. Er geht von der These aus, dass die aktuellen soziokulturellen und soziökonomischen Herausforderungen – besonders die Ökonomisierung und Beschleunigung von Bildungs- und Lernprozessen – viele Fragen im Zusammenhang mit dem Umgang und der Konstituierung von Zeitphänomenen aufwerfen. Diese fanden bisher im Diskurs und der Forschung zur politischen Erwachsenenbildung jedoch wenig Beachtung. In einem theoriegestützten systematischen Überblick arbeitet der Autor drei analytische Ebenen heraus, welche Bedeutung Zeit in der politischen Erwachsenenbildung hat. Beim ersten Zugang wird auf den prozesshaften Charakter der politischen Bildung über die Lebensspanne fokussiert. Politische Bildung braucht nicht nur insgesamt Zeit, besonders die dafür notwendige Ausbildung von Reflexions- und Urteilsfähigkeit ist zeitintensiv. Einen anderen Blickwinkel bietet der zweite Zugang. Danach kann politische Bildung auch zeitverzögernd wirken und damit eine hohe Sprengkraft im Sinne kritisch-emanzipatorischer Bildung entfalten. Drittens wird Zeit als Gegenstand politischer Bildung diskutiert, wobei der Autor vor allem auf Oskar Negt mit seinem Zugang der soziologischen Fantasie und des exemplarischen Lernens zurückgreift.

Wilhelm Filla stellt in seinem Beitrag die historische Entwicklung der politischen Erwachsenenbildung in Österreich dar. Dabei greift er vor allem auf eigene Forschungsarbeiten im Kontext historisch-systematischer Analysen sowie auf vergleichende Aspekte – zum Nachbarland Deutschland – zurück. Ausgangspunkt bildet die in der Zweiten Republik aufgestellte Marginalisierungsthese, wonach die institutionell generierte politische Erwachsenenbildung in Österreich eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Diese These wird allerdings dahingehend relativiert, dass politische Erwachsenenbildung vor allem durch Großorganisationen – wie Parteien und den Gewerkschaftsbund – getragen wird. Neben einem allgemeinen historischen Rückblick werden beide Stränge der österreichischen politischen Erwachsenenbildung – die gewerkschaftliche und die Parteiakademien – näher dargestellt und ihre Grundlagen, Ziele und Finanzierung analysiert. Überlegungen zu Perspektiven für politische Bildung im institutionalen Kontext der Erwachsenenbildung runden den Artikel ab.

„Was ist Migration?“ – dieser Frage widmet sich der Artikel von Malte Ebner von Eschenbach. Der Autor nimmt damit eine Kategorie in den Blick, die zwar tagespolitisch aktuell, aber im Diskurs der Erwachsenenbildungswissenschaft bisher wenig beleuchtet wurde. In einem ersten Schritt werden diverse Ansätze und Begrifflichkeiten rund um die Kategorie Migration in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen analysiert. Dabei wird deutlich, dass eine epistemologische Begriffsklärung des gesellschaftspolitisch hochsensiblen Gegenstandsbereiches äußerst schwierig ist und vor allem einer wissenschaftstheoretischen Begründung bedarf. Vor diesem Hintergrund werden in einem zweiten Schritt exemplarisch Migrationsdiskurse in der Erwachsenenbildung identifiziert und diese auf ihre begrifflichen Argumentationsstränge hin analysiert. Der vom Autor selbst titulierte „Streifzug“ durch die Begriffsbildung soll dazu inspirieren, Migration in der Erwachsenenbildung weiter zu fassen als unter den bisher vorherrschenden identitätslogischen Aspekten. Dazu bedarf es weiterer begriffsanalytischer Arbeit, die auch wichtige Impulse für eine erwachsenenpädagogische Migrationsforschung liefern könnte.

Im Mittelpunkt des Beitrags von Aiga von Hippel und Tina Röbel steht die Programmplanung in der betrieblichen Weiterbildung. Es werden Ergebnisse aus einem gegenständlichen DFG-Projekt (StePrA – Steuerung der Programm- und Angebotsplanung in der betrieblichen Weiterbildung) vorgestellt, das zwischen Juni 2013 und Mai 2015 von den Autorinnen durchgeführt wurde. Anhand von drei Unternehmensfallstudien wurde untersucht, welche Wechselwirkungen zwischen Teilnahme und Strukturen im betrieblichen Weiterbildungskontext bestehen und wie diese bei der Programmplanung künftig stärker Berücksichtigung finden können. Zwei Fragestellungen waren zentral: Zum einen wurde dem Einfluss der unterschiedlichen Akteure auf die Programmplanung und Angebotsgestaltung nachgegangen; zum anderen standen die spezifischen Programmplanungsstrategien, die zu bestimmten Angeboten führen, im Fokus. Als Ergebnis werden theoretisch-empirisch fundierte Erkenntnisse zur Rolle der Akteure und zur Ausdifferenzierung unterschiedlicher Programmarten der betrieblichen Weiterbildung vorgelegt.

Im Beitrag von Tobias Jaschke wird eine explorative Interviewstudie vorgestellt, in der Absolventen einer allgemeinpädagogischen Lehrerfortbildung zu ihren Wirksamkeitsvermutungen Auskunft geben. Es wird der Frage nachgegangen, welche subjektiv wahrgenommenen Auswirkungen die Lehrerfortbildung auf das Unterrichtshandeln der Lehrpersonen hatte. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass es empfehlenswert ist, Lehrerfortbildungen fachspezifisch zu ergänzen.

Susanne Wißhak und Sabine Hochholdinger stellen Ergebnisse einer Studie vor, die der Frage der potenziellen Qualifikation erziehungswissenschaftlicher Studiengänge für eine Tätigkeit in der berufsbezogenen Erwachsenenbildung nachgeht. Tatsache ist, dass die deutsche Professionalisierungsforschung bisher den Bereich der beruflichen bzw. berufsbezogenen Erwachsenen- und Weiterbildung eher ausgeblendet hat. Die explorativ angelegte Studie nimmt sowohl grundständige als auch weiterbildende Angebote an deutschen Hochschulen, die den Namen „Erziehungswissenschaft“, „Pädagogik“, „Bildungswissenschaft“, „Erwachsenenbildung“, „Weiterbildung“ oder vergleichbare Titel tragen, in den Blick. In einem zweistufigen Verfahren wurde in einem ersten Schritt eine Curriculum-Analyse anhand von Modulhandbüchern mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse durchgeführt. Es folgten in einem zweiten Schritt leitfadengestützte Interviews mit ausgewählten Expertinnen und Experten an Hochschulen. Das Ergebnis verweist auf die Notwendigkeit weiterer Studien – es bescheinigt den erziehungswissenschaftlichen Studiengängen zwar eine hohe Bedeutung für die Grundlegung, aber keine hinreichende Qualifizierung für eine Trainertätigkeit in der berufsbezogenen Erwachsenenbildung.

Peter Faulstich, Hamburg (verstorben)

Elke Gruber, Graz

Mai 2016