Rezensionen zu:

Faulstich, P, & Bracker, R (2015). Lernen – Kontext und Biographie. Empirische Zugänge. Bielefeld: transcript. 180 Seiten, 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3095-4

Kukovetz, B, Sadjed, A, & Sprung, A (2014). (K)ein Hindernis!? Fachkräfte mit Migrationsgeschichte in der Erwachsenenbildung. Wien: Löcker. 302 Seiten, 29,80 €, ISBN 978-3-85409-744-0

Schlüter, A (Hrsg.). (2014). Beratungsfälle – Fallanalysen für die Lern- und Bildungsberatung. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich. 217 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-8474-0185-8

Dieter Gnahs: Peter Faulstich & Rosa Bracker, Lernen – Kontext und Biographie. Empirische Zugänge

Lernen ist ein zentrales Thema in der aktuellen bildungswissenschaftlichen Debatte. Zahlreiche Veröffentlichungen belegen diese Einschätzung und verdeutlichen auch, dass es noch viele offene Fragen, theoretische und praktische Leerstellen gibt, dass heftig geführte inhaltliche Kontroversen und methodologische sowie methodische Richtungsstreitigkeiten das Bild bestimmen.

Das Buch von Faulstich und Bracker knüpft an diesen Diskurs an, nimmt genüsslich herrschende Lehrmeinungen aufs Korn, entlarvt Ideologien und stellt gesellschaftliche Gewissheiten infrage. Dies geschieht keinesfalls plakativ, sondern im Rückgriff auf ein breites Spektrum einschlägiger Literatur mit theoretischen und empirischen Bezügen.

Der Text ist Ergebnis eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts mit dem Titel „Biografizität und Kontextualität des Lernens Erwachsener“. Ausgangspunkt ist mit Rückgriff auf Holzkamp eine subjektbezogene Lerntheorie, die Lernen nicht allein als extern determiniert versteht, sondern es als Resultat des Zusammenspiels von äußeren Bedingungen und subjektiven Bedeutungszuweisungen begreift.

Einleitend wird ein prägnanter und kritisch-kontrovers zugespitzter Stand der Forschung und Theoriebildung zum Erwachsenenlernen dargeboten. Kritisch reflektiert werden zum Beispiel die Lerntypen-Konstruktion (z. B. Schrader), die Teilnahmeforschung (z. B. AES), die Milieuforschung (z. B. Barz und Tippelt) und die Biografieforschung (z. B. Alheit). Auf der Basis dieser Bezüge werden vier zentrale Fragen an die Aussagekraft von Lerntheorien gestellt. Im Besonderen geht es den Autoren darum, die Verwobenheit von Subjekt, gesellschaftlichen Bedingungen und Biografie in Bezug auf Lernen zu begreifen. Als Vermittlungskategorie zwischen diesen Ebenen wird der Begriff „Bedeutsamkeit“ eingeführt: Er beinhaltet sowohl die gesellschaftliche Seite der objektiven Bedingungen als auch die subjektive Sinngebung, die sich durch Begründungen für Handeln bzw. auch Nicht-Handeln verdeutlichen.

Der empirische Teil basiert auf dem Ansatz, dass die Lernenden im Rahmen einer forschenden Lernwerkstatt ihre Erfahrungen zur Lernthematik resümieren und reflektieren sollen. Auch dieser Methodenzugang wird ausführlich-abwägend grundgelegt und mit einschlägiger methodischer Literatur untermauert. Zum Einsatz kommt schließlich ein partizipativ-ästhetisches Methodenensemble mit Gruppendiskussion, Schreibwerkstatt, Bildcollagen, Fragebögen, Interviews etc. Die Auswertung der so gewonnenen Texte und Bilder erfolgt mit den bekannten Methoden der qualitativen Forschung (Narrationsanalyse, Grounded Theory etc.).

Die insgesamt sechs forschenden Lernwerkstätten wurden aus bestehenden Lernkontexten (Freiwilliges Soziales Jahr, berufliche Fortbildung nach SGB IX/Reha-Maßnahmen, Seniorenbildung) heraus gebildet und decken so ein breites Spektrum von Personen ab.

Herausgearbeitet werden über einen mehrstufigen Analyseprozess Begründungsperspektiven von Lernen (Identität, Erwerbsarbeit und Biografie) und Begründungsmuster des Lernens (z. B. Leistung, Lebensstandard, Neustart, Widerstand, Lernlust). Dazu werden immer wieder Textpassagen aus den 35 Lerngeschichten und Gesprächen herangezogen. Manche Passagen sind schwer zu lesen, andere wiederum überraschen durch ihren Tiefgang, zuweilen sogar durch ihre Weisheit. Zusammenfassend wird dargelegt, wie sich die gewonnenen empirischen Ergebnisse mit der skizzierten kontextualen Lerntheorie verbinden lassen. Die Autoren lassen aber keinen Zweifel daran, dass ihre Untersuchung nur der Anfang sein kann einer langen Reihe von weiteren inhaltlichen und methodischen Verbesserungen, die nötig sind, um die Theorie weiter zu fundieren: „Das setzt das Wagnis voraus, die eingefahrenen Methodendebatten des wissenschaftlichen Mainstreams aufzubrechen“ (S. 164).

Das Buch ist klar strukturiert und ist – trotz seiner inhaltlichen Komplexität – sprachlich nicht überfrachtet. Der Textfluss bleibt dadurch erhalten, dass die Autoren nicht jedes Argument breit ausführen, sondern auf weiterführende Literatur verweisen. Das Buch ist für den Leser eine Herausforderung, ja, zuweilen vielleicht sogar provozierend. Es platziert sich neben den sonst üblichen bildungswissenschaftlichen Vorgehensweisen, ist methodisch innovativ und inhaltlich herausfordernd. Es bürstet gegen den Strich, ist gesellschaftskritisch. Es liefert zudem vielfältige Impulse, über das eigene Lern- und ggf. Lehrverhalten nachzudenken. Die Praxis der Erwachsenenbildung findet kein Rezeptwissen vor, sondern Ankerpunkte zur Reflexion und zur didaktischen Vorsicht. Der Text ist sehr gut geeignet, den wissenschaftlichen und politischen Diskurs über Lernen produktiv zu befeuern und daher für eine breite Leserschaft aus Wissenschaft und Praxis interessant. Insbesondere auch Studierende und Absolventen finden reichlich inhaltliche und methodische Anknüpfungspunkte für die Gestaltung eigener Qualifizierungsarbeiten jenseits der meist unerreichbaren Großforschung.

Veronika Fischer: Brigitte Kukovetz, Ariane Sadjed & Annette Sprung, (K)ein Hindernis!? Fachkräfte mit Migrationsgeschichte in der Erwachsenenbildung

Gegenstand des Buches sind die Ergebnisse einer von 2012–2014 durchgeführten Studie,Footnote 1 die sich mit den beruflichen Erfahrungen und Strategien von Erwachsenenbildnern mit Migrationsbiografien und den daraus resultierenden Herausforderungen für die (österreichische) Erwachsenenbildung beschäftigt hat. Die Autorinnen gingen der Frage nach, „inwiefern Migrationserfahrungen – oder besser gesagt: deren gesellschaftliche Bewertung – den Zugang zu Beschäftigung in der Erwachsenenbildung/WeiterbildungFootnote 2 beeinflusst“ (S. 9).

Erwachsenenbildung wird in diesem Kontext unter drei Aspekten betrachtet: als Beitrag zur Erhöhung von Partizipationschancen, als politische Bildung und schließlich als ein Berufsfeld, in dem sich die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegeln sollte, womit der Anspruch der „Repräsentation“ verbunden ist. Es gehört eben noch nicht zur „Normalität“ im Berufsfeld, dass Erwachsenenbildner mit Migrationsgeschichte tatsächlich einen gleichberechtigten Zugang zu den Kernbereichen professioneller Erwachsenenbildung (Lehre/Training, Beratung, Bildungsmanagment/Konzeption und Bibliothekswesen/Informationsmanagement) haben. Die Forscherinnen widmeten sich dabei zwei Perspektiven: zum einen dem Blick auf die Betroffenen und den spezifischen Einflüssen von Sprache oder Rechtsstatus auf die beruflichen Chancen; zum anderen dem Blick auf die Institutionen, die durch eine Organisationsentwicklung („interkulturelle Öffnung“) für alle gleichermaßen zugängig sein müssten. Im Mittelpunkt der Forschung standen daher Fragen nach den Beschäftigungsbereichen, Positionen und Ausbildungsgängen von Migranten und Angehörigen der zweiten Generation; nach den Zugangsbarrieren bzw. förderlichen Faktoren sowie strukturellen Bedingungen für eine Beschäftigung in ausgewählten Einrichtungen; nach den Bildungskarrieren, Berufsperspektiven und Handlungsstrategien der Akteure und nach geeigneten Ansätzen für eine Öffnung der Erwachsenenbildung im Sinne einer Antidiskriminierungsstrategie.

Das Buch kann als ein wertvoller Beitrag in einem bisher stark vernachlässigten Forschungsbereich der Erwachsenenbildungswissenschaft verstanden werden. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern auch für die deutsche Erwachsenenbildungswissenschaft. Die Autorinnen nehmen mit ihrer Forschung Bezug auf aktuelle Diskussionen, die in der „Interkulturellen Pädagogik“ bzw. „Migrationspädagogik“ zu Themen wie „Diversity“, „rassismuskritische Bildungsarbeit“, Antidiskriminierungsstrategien oder institutionelle (interkulturelle) Öffnung geführt werden. Inhaltlich knüpfen ihre Ausführungen dabei an Theorien institutioneller Diskriminierung, der Bourdieuschen Kapital- und Habitustheorie, Theorien sozialen Kapitals, Erkenntnissen aus den Critical Whiteness Studies und der kritischen Migrationsforschung an (S. 24). Die Autorinnen thematisieren – im Unterschied zu gängigen polemischen und polarisierenden Debatten – ausgesprochen differenziert das Dilemma zwischen Dekonstruktion und „Othering“: Einerseits gilt es Differenzordnungen wie die Unterscheidung von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund aufzulösen, weil sie mit der Gefahr kulturalisierender/ethnisierender Zuschreibungen verbunden sind und den sogenannten „Migrationsanderen“ konstruieren. Andererseits besteht ein Forschungsinteresse an den Erfahrungen und Strategien von Erwachsenenbildnern, deren Migrationsstatus z. B. Auswirkungen auf den Zugang zum professionellen Feld hat. Insofern wird der Blick allein durch den Forschungsgegenstand auf ein bestimmtes biografisches Merkmal gelenkt. Die Autorinnen machen deutlich, dass der Forschungsprozess aus diesem Grund eine konsequente reflexive Auseinandersetzung mit diesem Spannungsfeld erfordert. Die Untersuchung kommt zu interessanten Ergebnissen, die auch der Weiterbildungsforschung hierzulande Anstöße geben können: So sind Erwachsenenbildner mit Migrationserfahrung in Aus- und Weiterbildungsgängen, die ins Berufsfeld führen, unterrepräsentiert. Karrierewege scheitern sowohl an strukturellen Barrieren der Institutionen als auch an diskriminierenden Zuschreibungen bei der Personalauswahl.

Was die Darstellung der Forschungsergebnisse betrifft, haben sich die Autorinnen nicht für eine durchgehende Gesamtdarstellung, sondern für fünf Teilberichte entschieden. Das hat zwar den Vorteil, dass die Forscherinnen der jeweiligen Teilprojekte die Eigenständigkeit ihrer Forschungen so zum Ausdruck bringen können und auch die Vielfalt der Methoden (Analyse von Tagebucheinträgen, quantitative und qualitative Fallstudien, qualitative Interviews und die Auswertung eines Dokumentarfilms) profiliert dargestellt werden kann. Es hat aber den Nachteil, dass die Darstellung unübersichtlicher wird. Abschließend ist positiv festzuhalten, dass die Autorinnen auch einen Praxistransfer berücksichtigt haben, um der österreichischen Erwachsenenbildung Impulse zu geben.

Cornelia Maier-Gutheil: Anne Schlüter (Hrsg.), Beratungsfälle – Fallanalysen für die Lern- und Bildungsberatung

Es ist allenthalben bekannt, dass Beraten, neben Lehren und Organisieren, eine der zentralen Handlungsformen in erwachsenenbildnerischen Kontexten ist. Allerdings sind empirische Einblicke in das konkrete Beratungshandeln nach wie vor eher die Ausnahme. Diese Lücke möchte Anne Schlüter mit dem Herausgeberband verkleinern und „fallbasiertes Lernen für Weiterbildungsberatung als Handlungsfeld der Erwachsenenbildung ermöglichen“ (S. 7). Dies geschieht über drei Zugänge.

In Kapitel 1 wird in den drei Beiträgen die biografische Spezifizität (potenzieller) Ratsuchender betont und es werden fallspezifisch unterschiedliche Barrieren am Beispiel von Lern-, Bildungs- bzw. Studienberatung skizziert.

Die eigentlichen Beratungsanalysen erfolgen in Kapitel 2, das zugleich mit fünf Beiträgen das Hauptkapitel darstellt. In method(olog)isch stark differierender Weise werden unterschiedliche Beratungsformate (Studien-, Kurswahl-, Gutschein- und Bildungsberatung sowie Mentoring) betrachtet. Hervorheben möchte ich die drei Beiträge, die anhand authentischer Gesprächsdaten das Beratungsgeschehen analysieren. Der methodische Zugriff mittels Dialogmusteranalyse (Gieseke et al.) bzw. Interaktionsanalyse (Stanik; Käpplinger und Stanik) eröffnet den Blick auf die komplexen Dynamiken im Beratungsgespräch. Erst durch die Analyse der realen Handlungspraxis kann zum Beispiel das (Lern- und Bildungs-)Potenzial auch solcher Beratungsformate aufgezeigt werden, die von außen betrachtet etwa nur als formaler Akt (z. B. Gutscheinberatung) eingestuft werden können. Ebenso kann auch das Wechselspiel zwischen steuernden und Raum gebenden Aktivitäten auf seine Funktionalität hin untersucht bzw. der Einfluss des institutionellen Settings (hier: trägergebundenes Beratungsangebot) auf Begrenzungen und Chancen hin analysiert werden. Etwas unklar bleibt, weshalb die Beiträge zum Mentoring sowie zur Bildungsberatung im Unternehmen in diesem Kapitel untergebracht wurden, da hier der Beratungsfall lediglich aus einer Perspektive betrachtet wird (Perspektive der Klientin bzw. des Anbieters). Dies ist auch bei Beiträgen im ersten Kapitel der Fall; es wird also gerade nicht das Beratungsgespräch als Interaktion mit mindestens zwei Beteiligten analysiert.

Den Band beschließen zwei weitere Beiträge in Kapitel 3, die zum einen die gesellschaftspolitische Bedeutung von Bildungsberatung (regionaler Ausbau) und zum anderen das Lernen aus (Video-)Fällen beleuchten.

Resümierend werden potenziellen Leserinnen und Lesern mit den vielfältigen Fallbeispielen durchaus Lerngelegenheiten eröffnet. Vor allem die auf authentischem Gesprächsmaterial basierenden Beiträge bieten die Möglichkeit, einen Einblick in reales Beratungshandeln zu bekommen, jenseits vorverurteilender oder auch idealisierender Vorstellungen von dem Geschehen. Dabei geht es weniger um die Frage, wie denn „ideale Beratungen“ (S. 18) aussehen (könnten), sondern vielmehr darum, welche kommunikativen Aufgaben und Herausforderungen mit den hier vereinten Beratungsformaten jeweils verbunden sind.

Der Band offeriert somit ein weites Spektrum an Fällen und analytischen Fallzugängen, wobei eine systematische und theoriegeleitete Gesamtbetrachtung den Nutzen hätte steigern können. So sind die Beiträge durch differierende Ansichten darüber, was jeweils als Beratung beschrieben und verstanden wird, gekennzeichnet. Beispielsweise lassen sich die Vorstellungen von Beratung bezogen auf das Merkmal der Zielklärung dahingehend unterschiedlich verorten, inwiefern Ziele von den Ratsuchenden festgelegt oder gar – vorab – von den Beratenden oder dritten externen Instanzen vorgegeben werden (vgl. zu Letzterem v. a. den Beitrag von Lacher und Dombrowski). Möglicherweise entstehen hier Differenzen aufgrund einer eher professionstheoretischen Verortung einerseits und einer eher praxis- bzw. handlungsorientierten Anwendung andererseits. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, die Beiträge jeweils durch einen kommentierenden Beitrag zu flankieren, der – aus einer stärker theoretisch-reflexiven Perspektive – vor allem das mit dem jeweiligen Beratungsfall verbundene Lernpotenzial pointiert und diskutiert. Auf diese Weise hätten nicht nur die Beratungsfälle im Kontext des je spezifischen Formats, sondern auch die Falldarstellungen und -analysen eingeordnet werden können. Betrüblich ist die Lektorierung. So gibt es, abgesehen von vielen Tippfehlern, in unterschiedlichen Beiträgen unvollständige bzw. missverständliche Sätze (z. B. fehlen Wörter oder es gibt Wortverwechslungen) wie auch mehrfache oder falsche Literaturhinweise, die das Leseverständnis strapazieren.

Insgesamt ermöglicht der Band einen bunten Einblick in potenzielle Beratungsfelder und es wäre zu wünschen, dass weitere Bände mit Fallanalysen realer Beratungsgespräche folgen.