Rezension zu: Ellu Saar, Odd Bjørn Ure und John Holford (Hrsg.) (2013). Lifelong Learning in Europe. National Patterns and Challenges. Edward Elgar, Cheltenham/Northhampton, 432 Seiten, 136,63 €, ISBN 978-0857937353

Der vorliegende Band ist aus dem EU-finanzierten Großprojekt „Towards a Lifelong Learning Society in Europe: The Contribution of the Education System“ (LLL 2010, durchgeführt zwischen 2005 und 2011) hervorgegangen. Untersucht wurden Teilnahmestrukturen am Lebenslangen Lernen im Kontext von europäischer und nationaler Strategie und Politik, institutionellen Dynamiken und individuellen Voraussetzungen der Lernenden in 13 Ländern. Zu 12 dieser Länder bzw. Teilen von diesen gibt es ein Buchkapitel: Schottland, Irland, flämischer Teil von Belgien, Norwegen, Österreich, Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Russland, Litauen und Estland.

Den Länderkapiteln voraus geht ein konzeptioneller Teil: Kap. 1 widmet sich der Erörterung des Zusammenhangs zwischen europäischer und nationaler Politik auf dem Feld des Lebenslangen Lernens. Kap. 2 liefert eine kritische Diskussion verschiedener Ländertypologien zum Lebenslangen Lernen. Aus einer institutionalistischen Perspektive kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass Ländertypologien generell ihre Schwachstelle darin haben, zu allgemein sowie zu wenig angepasst an nationale Eigenheiten zu sein und gleichzeitig zu wenig sensibel für intranationale Unterschiede. Kap. 3 macht einen Vorschlag zu einer eigenen Typologie der formalen Erwachsenenbildung in verschiedenen organisationalen Feldern anhand der sechs folgenden Kriterien: Hauptfunktion („core issues“), „isomorphe Prozesse“ (an welchen organisationalen Strukturen ist dieser Typ orientiert, z. B. Erstausbildungssystem), Anbieterstruktur und organisationale Rahmung, Finanzierungsquellen, Hauptteilnahmegruppen und typische ISCED-Levels (S. 91 ff.). Die sieben verschiedenen Typen reichen von Grundbildungsprogrammen und Programmen des Zweiten Bildungswegs über Umschulungen bis hin zu spezifischen professionellen Weiterbildungen.

Die Typologie stellt einen Versuch dar, das Phänomen der formalen Bildung Erwachsener jenseits von historisch gewachsenen, nationalen Strukturen beschreibbar und vergleichbar zu machen. Diese Idee erscheint angesichts der Vielfalt nationaler Systeme und der Verortung verschiedener Funktionen in unterschiedlichen Institutionen sehr plausibel, sowohl für Zwecke der Forschung als auch für bildungspolitische Strategieentwicklung. Gerade für Länder, in denen es keine nationale Strategie für LLL gibt (als Beispiel wird Österreich genannt), könnte sie helfen, die vielfältigen institutionellen Geflechte zu systematisieren. Es ist sozusagen der Versuch, die Idee der institutionellen Komplementarität für einen spezifischen Gegenstand (formale Bildung Erwachsener) zu beschreiben und nutzbar zu machen. Damit wird an ein Desiderat der international vergleichenden Forschung angeknüpft, in der immer noch viel konzeptionelle Grundlagenarbeit nötig ist. Es wird jedoch nicht hinreichend deutlich, ob diese Typologie neben der Theorie auch auf einer empirischen Basis (etwa durch die Erkenntnisse aus dem LLL 2010-Projekt) gründet, bzw. ebenfalls zu wenig erläutert, inwiefern diese sieben Typen für diese oder andere Länderstudien strukturbildend sein könnten.

Teil II des Buches widmet sich in insgesamt 13 Kapiteln der formalen Bildung Erwachsener in den genannten 12 Ländern bzw. Landesteilen. Eine Sonderstellung nimmt Kap. 5 zu „New Labour’s Learning Age“ und dessen Zielen und Ergebnissen in Großbritannien ein. Die übrigen Kapitel richten ihre Darstellung an je spezifischen Fragestellungen aus und orientieren sich dabei mehr oder weniger stark an der im Kap. 3 vorgestellten Typologie. Der Schwerpunkt der Länderauswahl liegt auf ehemals sozialistischen Ländern Ost- und Südosteuropas, was im Vorwort mit dem Mangel an Daten und Informationen zu diesen Ländern begründet wird. Für Leserinnen und Leser, die sich zu einzelnen Ländern informieren wollen, sind diese Kapitel eine Fundgrube an Hintergrundinformationen und -daten zu LLL-Prozessen in den jeweiligen Ländern in Interaktion mit der europäischen Politik, die sich – gerade in den postsozialistischen Ländern – sehr unterschiedlich entwickelt haben. Insgesamt sind in der Tat unterschiedliche Typen von Wohlfahrtsstaats- und Kapitalismusvarianten vertreten, einzig die mittel- und südeuropäischen Länder tauchen nicht auf.

Im Abschlusskapitel erläutern die Herausgeberin und die Herausgeber nochmals die Bedeutung des Feldbegriffes für die formale Erwachsenenbildung, da er aus ihrer Sicht ermöglicht, die (in nationalen Kontexten möglicherweise voneinander unabhängigen) Felder der Bereitstellung von Bildungsangeboten für Erwachsene zu fassen und den Blick für alle Phänomene der formalen Erwachsenenbildung zu weiten und damit auch für Policy-Entscheidungen zu übergeordneten Strategien von LLL zugänglich zu machen. Dabei beurteilen sie ihren eigenen Anspruch, Mehrebenenanalyse und institutionelle Perspektiven zu verknüpfen, als theoretische Herausforderung (S. 399). Die Kapitel für sich leisten diese Diskussion jeweils für ihre Länder in unterschiedlicher, immer jedoch unter der spezifischen Fragestellung einleuchtender Weise. Zum Abschluss wäre noch eine Reflexion über die Tragfähigkeit des gewählten theoretischen Ansatzes sowie eine übergreifende Diskussion der Gesamtergebnisse im Lichte der sieben Typen formaler Erwachsenenbildung hilfreich gewesen.

Insgesamt ein sehr lohnenswerter Band, der „alte“ Erkenntnisse infrage stellt und zum Weiterdenken und -forschen anregt.

Elisabeth Reichart