Rezension zu:

Olaf Eigenbrodt/Richard Stang (Hrsg.) (2014). Formierungen von Wissensräumen. Optionen des Zugangs zu Information und Bildung. De Gruyter Saur, Berlin, Reihe: Age of Access. Grundfragen der Informationsgesellschaft, Band 3, 248 Seiten, 79,95 €, ISBN 978-3-11-030577-7

Hat Wissen einen Wert oder klärt uns der Wissensbegriff über den theoretischen Status eines Wertes auf, der eine Formierung von Wissensräumen erforderlich macht? Wissen scheint eine besondere Bedeutung zu haben, die schon Aristoteles formuliert hat: Ein Grundmerkmal der menschlichen Natur sei es, nach Wissen zu streben. Im vorliegenden Sammelband werden Möglichkeiten aufgezeigt, in der heutigen Gesellschaft Wissenszugänge zu schaffen, die jenseits eines technischen Anschlusses liegen. Dabei stehen Möglichkeiten im Vordergrund, die die Raumdimensionen von Bibliotheken, Archiven, Bildungseinrichtungen und Institutionen miteinander verbinden. Damit wird durch die Herausgeber eine Vision formuliert, die eine physische und eine digitale Dimension von Informationen miteinander kombiniert und bisher bestehende Anschlussbarrieren zu überwinden versucht. Es geht um Raumangebote, „die Technik nicht nur optisch integrieren, sondern eine Konvergenz zwischen den digitalen und den physischen Umgebungen herstellen, die es den Nutzern/innen erlaubt, frei zwischen beiden hin und her zu wechseln“ (S. 3).

Die Autoren des Bandes greifen dazu soziologische, technologische und kulturwissenschaftliche Diskurse auf, so dass eine spannungsreiche Bandbreite von spekulativ-theoretischen Zugängen bis zu konkreten Praxiserfahrungen abgedeckt wird. Für den erwachsenenpädagogischen Betrachter könnte zunächst irritierend wirken, dass häufig auf die Begriffe ‚Bibliothek‘ und ‚Architektur‘ zurückgegriffen wird. Doch scheint für den erwachsenenpädagogischen Diskurs die Auseinandersetzung mit der Raumdimension als unerlässlich, um multifunktionale Lernräume entwickeln zu können, die sowohl den technologischen als auch den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen der Lebens-, Arbeits- und Lerngestaltung Rechnung tragen. In den Beiträgen wird deutlich spürbar, dass sich in einem zeitgemäßen Lehr-Lernverständnis – so die Vision der Autoren und zahlreicher vorgestellter Praxisprojekte – sowohl die Lernenden als auch die Lehrenden in Räumen einer „multifacettierten Lernlandschaft“ (S. 6) bewegen.

Begriffe wie ‚Lebenslanges Lernen‘ und ‚Lernraum‘ werden in den Beiträgen nicht als Schlagworte und Worthülsen verwendet, sondern explizit auf Strategieperspektiven einer beteiligungsorientierten Entwicklung bezogen. Die Rolle zukunftsweisender pädagogischer Konzepte und die Rolle der pädagogischen Profession werden als Schnittstelle einer veränderten Lern- und Arbeitskultur in den Einrichtungen und Institutionen sichtbar. Für Pädagogen sind die Themen als „Lernraumarchitekten“ von besonderem Wert, insbesondere wenn es darum geht, gemeinsam Antworten auf die Fragen zu finden, wie Wissen in einer globalisierten Welt kontextualisiert und auch eher bildungsfernen Zielgruppen zur Verfügung gestellt werden kann (S. 233).

Insgesamt ist der Sammelband in vier Teile gegliedert und umfasst 17 Aufsätze. In Teil I geht es um die Analyse und Wirkung gesellschaftlicher Veränderungen und um die Frage, welche Konsequenzen daraus für die Formierung von Wissensräumen zu ziehen sind. (Bildungs-)Räume dienen als Rahmung und können ihren Niederschlag in „Learning Ressource Centres“ (S. 57) finden. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass veränderte methodisch-didaktische Zugänge veränderte Lernorte benötigen. Anhand konkreter Projekte, wie zum Beispiel Learner Lab (S. 84) oder Idea Stores (S. 125), wird in Teil II dargestellt, wie multifunktionale Gebäude gestaltet werden können, die Lernen, Soziales und Arbeit verbinden (S. 113). In Teil III wird die technologische Ebene angesprochen und der Frage nachgegangen, wie die Konvergenz physischer und digitaler Räume beschaffen sein muss, um einen Zugang für die Nutzer zu schaffen. Dabei spielt die Gestaltung von Interfaces eine zentrale Rolle, die neben den Erkenntnissen aus der pädagogischen Forschung zu den Virtual Learning Environments sogenannte Virtual Learning Spaces (S. 155) in den Blick nehmen und die zahlreichen Werkzeuge sowie Social Media zu integrieren versuchen. Ziel ist es, ganzheitliche Erfahrungen zu stiften, die als angenehm, attraktiv und zugänglich erlebt werden (S. 155).

Bildungsräume brauchen Raum. Es stellt sich nun aber die Frage, „(…) wie Strategien aussehen könnten, die weder anachronistisch wirken, indem sie digitale Inhalte über Stellvertreter oder ähnliches wie Analoge zu präsentieren suchen, noch den Übergang zwischen den beiden Sphären durch zu komplizierte Interfaces verhindern“ (S. 6). In Teil VI werden innovative und dynamische Bibliothekskonzepte präsentiert, die als zukunftsweisend für die Formierung von Wissensräumen angesehen werden.

Ein wichtiges Fazit dieses Sammelbandes ist, dass die Bibliothek ihre traditionelle Funktion als Verwahrraum für Bücher und Zeitschriften verliert und einen anspruchsvollen Shift zu einem Lern- und Bildungsraum vollzieht. Dieser Umstand wird sicher in naher Zukunft noch zum Thema werden, wenn es um die Frage geht, wie Hochschulen, Städte und Unternehmen als Wissensräume gestaltet werden können, damit sie ihren Wert als zeitgemäße Wissensräume entfalten können.

Thomas Prescher