Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen zählen zu den häufigsten Erkrankungen in diesem Alter. Waren die Prävalenzzahlen psychischer Störungen vor der Pandemie über 20 % [1], so gibt es Hinweise, dass sie zurzeit weiter angestiegen sind [2]. Dies zeigt sich auch in einer sprunghaft angestiegene Inanspruchnahme von stationären Aufenthalten [3] unter anderem auch deswegen, weil der Ausbau der Bettenkapazitäten erst bei durchschnittlich – mit starken regionalen Schwankungen – 77 % (n = 349; 4 Betten/100.000 EW; [4]) des minimalen (!) Bettensolls (448) angekommen ist. Die fachärztliche Versorgung im ambulanten Setting [5], im ambulatorischen [6] in Österreich reicht ebenfalls nicht aus und so steigt der Druck auf die Kliniken weiter. Die stationäre Verweildauer ist zurzeit bei 26,4 Tagen (BRD 36,4 Tage; [10]).

Das zweite Heft der AG Versorgung der ÖGKJP zur Versorgungslage psychisch kranker Kinder und Jugendlicher in Österreich liegt nun vor. Es zeigt sich hierbei, dass eine – an sich begrüßenswerte – Initiative der Regierung, Rehabilitationseinrichtungen für Kinder und Jugendpsychiatrie zu schaffen – in Umsetzung und Ausstattung dieser Zentren nicht den damals vorhandenen Plänen entspricht und die personelle und materielle Ausstattung ebenfalls nicht ausreichend zu sein scheint [7].

In diesem Heft gehen wir auch auf Themenbereiche ein, die im Bereich der verschiedenen Kooperationspartner unseres Faches liegen. Weindl et al. [8] hat bei einer großen Kohorte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der Kinder und Jugendhilfe doppelt so hohe Prävalenzraten an psychischen Auffälligkeiten gefunden als bei der Normalbevölkerung und gleichzeitig nachgewiesen, dass bei diesen Kinder und Jugendlichen 80 bis hundert Prozent eine akute Behandlungsindikation zu finden ist. In Bezug auf die Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen, wird ein ausgeprägter Mangel an kinder- und jugendpsychiatrischer Versorgung bei gleichzeitig extrem hohen Prävalenzzahlen festgestellt [9].

Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen haben teilweise die Tendenz ins Erwachsenenalter zu persistieren beziehungsweise beginnen die typischen psychiatrischen Erkrankungen des Erwachsenen häufig in der späten Adoleszenz. Aus diesem Grund ist eine gute Übergabe der Patient:innen aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich in die Erwachsenenpsychiatrie ein zentraler Punkt einer guten Versorgung. Unglücklicherweise sieht der Gesetzgeber eine Zuständigkeit der Kinder- und Jugendpsychiatrie nur bis zum 18. Lebensjahr vor, weswegen langjährige Betreuungssettings nur aufgrund des Alters gewechselt werden müssen – und dies obwohl entwicklungspsychologisch die Adoleszenz und das junge Erwachsenenalter ähnlicher Versorgungsstrukturen bedürfen [9].

Diese Versorgungsdefizite, die sowohl inhaltlicher als auch struktureller Natur sind, werden noch dadurch verschärft, dass ist die momentane Ausbildungssituation im Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich nicht ausreichend Nachwuchs gewährleistet. Dies wird zum einen verständlich, da das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie erst vor 15 Jahren eingeführt wurde und zum anderen durch den bis 2021 bestehenden Ausbildungsschlüssel von einem Facharzt auf einen Assistenzarzt. Das Bundesministerium für Gesundheit hat im letzten Jahr diesen Ausbildungsschlüssel auf 1 zu 2 erweitert, allerdings haben die wenigsten Bundesländer dafür Stellen vor Ort geschaffen, sodass die Ausbildungssituation nach wie vor unverändert ist. Nachvollziehbarer Weise besteht daher – neben den strukturellen Mängeln – auch ein Fachärztemangel und somit erhebliche Schwierigkeiten, die verschiedenen Positionen in Ambulatorien, Praxen und anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie ausreichend zu besetzen.

In unserem Nachbarland Deutschland ist die Versorgungssituation wesentlich besser, es gibt im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und mehr Betten pro Einwohner (8/100.000 EW oder 64 auf 100.000 K + J). Allerdings kämpft auch die Bundesrepublik mit einem ausgeprägten Fachärzt:innenmangel. An den kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen der Bundesrepublik bleiben im Durchschnitt 2,68 Stellen unbesetzt. Die Arbeitsgruppe um Bachmann [10] hat dies zum Anlass genommen, zu überlegen, welche Handlungsmöglichkeiten es denn gäbe, um trotz des Ärztemangels weiterhin eine hochwertige flächendeckende Versorgung im Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie aufrecht zu erhalten. Es werden zum Teil sehr weitreichende Lösungsvorschläge mit entsprechenden pro und contra Argumenten gebracht. Die österreichische Situation böte den gewissen Vorteil, dass der Bettenausbau noch nicht zu hundert Prozent erfolgt ist und so eventuell bei der neu zu denkenden Versorgungsplanung eventuell Vorschläge der bundesdeutschen Arbeitsgruppe auch in Österreich Einzug finden könnten. Ein Vorschlag dabei wäre, die stationären Kapazitäten und den Ausbau ambulanter Versorgungs- und aufsuchender Behandlungsmodelle oder stationsäquivalenter Behandlung besser abzustimmen. Diese Modelle haben den Vorteil, dass die Ärzte nur für die kinder- und jugendpsychiatrische Tätigkeit im engeren Sinne eingesetzt wären und ansonsten ein ganzes multidisziplinäres Team die Patientinnen vor Ort betreuen könnte. Die Nutzung telemedizinischer Behandlungsformen wird ebenfalls als ein Modell zur optimalen Nutzung der fachärztlichen Ressourcen vorgeschlagen. Dieses Modell hat durch die Covid-Pandemie ja ohnehin schon einen ordentlichen Schub bekommen. Ebenfalls wird vorgeschlagen, die Verantwortung der Kinderpsychiaterinnen und Kinderpsychiater im stationären Bereich zugunsten von Psychologen oder in Österreich eventuell auch zugunsten von Psychotherapeutinnen zu verschieben. Ein ganz wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Fachärzt:innen-Situation ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. In Österreich verdienen Kinder- und Jugendpsychiater:innen über ihre Berufslebenszeit gerechnet deutlich weniger als andere Fächer der Medizin – ein Missstand, der bisher kaum zu verändern war. Kreative Teilzeitmodelle, gute Weiterbildungsstrukturen, Wissenschaftsförderung und Verbesserung der Work Life Balance werden als mögliche Interventionen angeführt. Abschließend wird auch noch eine verbesserte Rekrutierung von Studentinnen der Medizin vorgeschlagen, für Österreich hieße das, die Lehrveranstaltungen zur Kinder- und Jugendpsychiatrie an allen medizinischen Universitäten verpflichtend zu machen. Gleichzeitig könnten entsprechende Förderprogramme durch die Fachgesellschaft (kostenloser Zugang zu Kongressen oder Fort‑/Weiterbildungen und ähnliches) hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Die ÖGKJPP hat diesen Prozess bereits begonnen.

Wie anhand dieser beiden Hefte deutlich wird, besteht in Österreich dringender Handlungsbedarf, will man nicht ein Drittel der Bevölkerung einfach sich und ihren psychischen Krankheiten überlassen. Unser weiterhin aufrechter Vorschlag ist, dass wir aufgrund der komplexen, Alters- und Ressort-übergreifenden Problemstellungen ein Mental Health Ministerium fordern.

Für die Arbeitsgruppe „Versorgung“ der ÖGKJP

Leonhard Thun-Hohenstein (Vizepräsident)