Kompensation von pandemiebedingten Lernlücken: Welche Rolle sollte die Diagnostik spielen?

Zusammenfassung

Als Reaktion auf pandemiebedingte Lernlücken wurden bildungspolitische Maßnahmen ergriffen, die zu einem Schließen dieser Lücken beitragen sollen. In diesem Think Piece ergänzen wir vorliegende Analysen der Kompensationsprogramme um eine Diskussion der Rolle, die Diagnostik sowohl auf Ebene eines Systemmonitorings als auch zur Steuerung individueller Fördermaßnahmen in den jeweiligen Programmen spielt. Zwar ist positiv hervorzuheben, dass die Maßnahmen – zumindest in Deutschland – prinzipiell eine Erfassung der Lernausgangslage der Schüler*innen vorsehen. Unserer Ansicht nach fehlt jedoch eine bildungspolitische Gesamtstrategie, mit der systematisch die Lernrückstände von Schüler*innen erfasst sowie zukünftige Entwicklungen valide evaluiert werden können. Hinsichtlich der Diagnostik zum Zwecke individueller Förderung wären verbindlichere Vorgaben zur Nutzung standardisierter und psychometrisch geprüfter Diagnoseinstrumente sowie insbesondere in der Grundschule eine stärkere Nutzung einer lernprozessbegleitenden Diagnostik wünschenswert. Auch die mit den Maßnahmen einhergehende Voraussetzung, dass Lehrkräfte im Allgemeinen über ausreichende Kompetenzen verfügen, um diagnostische Informationen zu lesen, zu interpretieren und basierend auf diesen Informationen Fördermaßnahmen abzuleiten, erscheint vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Befunde fraglich. Abschließend werden Ansatzpunkte für eine Verbesserung diagnosebasierter Förderung zur Kompensation von pandemiebedingten Lernlücken beispielhaft skizziert.

Abstract

In response to pandemic-related learning gaps, educational policies have been put in place to help close those gaps. In this Think Piece, we complement existing analyses of the compensatory programs with a discussion of the role that student assessment plays both at the level of system monitoring and in guiding instructional decisions in the respective measures. It is positive that the assessment of students’ achievement after the pandemic is considered—at least in Germany—in principle in the compensatory program. In our view, however, there is no overall educational strategy to systematically record the learning deficits of students and validly evaluate future developments. With regard to assessments for instructional decision-making, more binding guidelines for the use of psychometrically sound instruments would be desirable, as would greater use of progress monitoring assessments, especially in elementary school. The assumption that teachers generally have sufficient competencies to read and interpret assessment information and to make data-based instructional decisions appears questionable in light of scientific findings. Finally, we outline examples of approaches for improving assessment-based instructional decisions to address pandemic learning deficits.