1 Einleitung

Lehrkräftekooperation wird häufig als Instrument verstanden, das Lehrkraftkompetenz und Schulentwicklung positiv beeinflusst (Fussangel und Gräsel 2014). Betrachtet man jedoch die Befundlage, so stellt sich diese allgemein durchaus unterschiedlich bis gar widersprüchlich dar (Fussangel und Gräsel 2014; Trumpa et al. 2016; Vangrieken et al. 2015). Die (positive) Wirksamkeit von Lehrkräftekooperation ist nach wie vor empirisch kaum belegt, Trumpa et al. (2016, S. 84) sprechen von einem „persistierende[n] Erkenntnisdefizit“. Zudem lassen sich Arbeiten finden, die von negativen Effekten berichten (Achinstein 2002; Horn 2015). „Teacher collaboration should not be seen as a magic solution that solves all problems as it can entail negative consequences“ (Vangrieken et al. 2015, S. 36).

Die Frage, die sich dabei stellt, ist, wie ein Konstrukt, mit dem große Hoffnungen auf Schul- und Kompetenzentwicklung der beteiligten Lehrkräfte durchaus berechtigterweise verknüpft sind – denn die theoretisch wie empirisch positiven Befunde (bspw. Bonsen und Rolff 2006; Halbheer und Kunz 2009; Kullmann 2009; Louis et al. 1996) bleiben ja bestehen – gleichzeitig auch negative Konsequenzen haben kann. Die (mögliche) Erklärung, welche in diesem Beitrag gegeben wird, verschiebt die Perspektive auf Lehrkräftekooperation und der sich daraus entwickelnden Kompetenz der Lehrkräfte, indem systematisch die Praxeologie Pierre Bourdieus (Bourdieu 1979) auf den Gegenstand Lehrkräftekooperation angewandt und diese somit als soziale Praxis verstanden und von einem technischen Kooperationsverständnis differenziert wird (Abschn. 2). Der zu dieser Konzeption passende Kompetenzbegriff wird in Abgrenzung derzeit dominanter (Pfadenhauer 2010) erziehungswissenschaftlich-psychologischer Kompetenzmodelle (bspw. Klieme und Hartig 2007) entwickelt und baut wesentlich auf dem Konzept der „Handlungsorientierung“ (Asbrand 2008; Nohl et al. 2015) auf (Abschn. 3). Die empirischen Befunde, welche mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2008, 2017; Nohl 2017; Przyborski 2004) (Abschn. 4) ausgewertet wurden, basieren auf videographierten Kooperationssitzungen sowie berufs-biographisch narrativen Interviews mit den beteiligten Lehrerinnen und verweisen auf die Bedeutung einer praxeologischen Perspektive auf Lehrkräftekooperation sowie auf das Potenzial des Konstrukts der Praxiskompetenz (Abschn. 5).

2 Technisches und praktisches Kooperationsverständnis

Entsprechend der positiven Stimmungslage zu Lehrkräftekooperation gibt es nicht nur ein breites Spektrum an Arbeiten, die sich dem Konstrukt Lehrkräftekooperation und möglichen Folgen widmen (vgl. Bloh 2021, S. 14), sondern auch einige Überblicksartikel und Metaanalysen, welche Arbeiten zusammenfassen und ordnen (Fussangel und Gräsel 2014; Lomos et al. 2011; Vescio et al. 2008). Jenseits konkreter thematischer Zuordnungen lassen sich Ansätze zu Lehrkräftekooperation m. E. vor allem zwei grundlegenden Ideen zuordnen:

  • einem technischen Kooperationsverständnis, zu welchem m. E. auch die viel zitierten Ansätze von Bonsen und Rolff (2006), Steinert et al. (2006) und Gräsel et al. (2006) zählen, sowie

  • einem praktischen Kooperationsverständnis, welches sich eher im anglo-amerikanischen Raum finden lässt (Grossmann et al. 2001; Horn und Little 2010; Horn 2015).

Diese Differenzierung ist deshalb bedeutsam, da sie nicht nur auf eine grundlegend andere Idee und entsprechend auch auf grundlegend andere Konsequenzen in Bezug auf Lehrkräftekooperation verweist, sondern auch einen ersten Schritt zur Erklärung der einleitend erwähnten widersprüchlichen Befunde darstellen kann.

2.1 Zu einem technischen Kooperationsverständnis

Lehrkräftekooperation wird in einem technischen Verständnis als etwas konstruiert, das herzustellen ist (bspw. Rolff 2015), für das Zeit und Räume bereitgestellt werden müssen (bspw. Richter und Pant 2016), kurz, das man tun oder lassen kann. Damit einher schwingt entsprechend immer die Annahme, dass man Lehrkräftekooperation durch Bereitstellung struktureller Rahmenbedingungen herstellen könnte. Lehrkräftekooperation wird hier als ‚Instrument‘ (bspw. Fussangel 2008; Kansteiner et al. 2020) gesehen und Kooperation ist eine Technik, die, richtig angeregt und angewandt, den erhofften Fortschritt (bspw. Kompetenzsteigerung) bringt oder zumindest begünstigt.

In einer solchen Perspektive werden jedoch unterschiedliche soziale Praxen, welche Kooperation rahmen, nicht berücksichtigt, sondern unter dem Oberbegriff ‚Lehrkräftekooperation‘ subsumiert und egalisiert. Denn so ist bspw. mit der Tatsache, dass kooperiert wird, wie häufig (bspw. Richter und Pant 2016) und mit wem (bspw. Järvinen et al. 2012) dies geschieht, oder auch welche Form (bspw. Gräsel et al. 2006) oder welches Niveau (bspw. Steinert et al. 2006) bedient wird, nichts über die praktische Rahmung der Interaktion gesagt. Während Kollegium A eventuell darüber spricht, wie man den besten Unterricht gestaltet, kooperiert Kollegium B, wie man mit möglichst wenig eigenem Arbeitsaufwand den Unterricht gestalten kann – beide planen, aus theoretisch-abstrakter Perspektive, jedoch kooperativ Unterricht, sogar ‚guten‘ Unterricht aus ihrer Perspektive. Ob in beiden Varianten jedoch gleichwertiger Unterricht als Produkt erzeugt wird, wäre eine andere, letztlich empirische Frage. Und eine Möglichkeit, diese Frage theoretisch zu rahmen, bietet die Praxeologie Bourdieus bzw. ein darauf aufbauendes praktisches Kooperationsverständnis.

2.2 Zu einem praktischen Kooperationsverständnis

Zu einem praktischen Kooperationsverständnis zählen bspw. die Arbeiten der Arbeitsgruppe um Little (Horn 2005, 2015; Horn und Little 2010), die sich vorrangig mit den Effekten von Communities auf Schule, Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler befasst. Dabei wird u. a. auch auf das Konzept der Community of Practice (CoP) (Lave und Wenger 1991) verwiesen, welches zwar nicht explizit auf Lehrkräftekooperation bezogen ist, allerdings von einigen Autoren (Bloh und Bloh 2016, 2020; Hodkinson und Hodkinson 2004; Horn 2005) in dieser Hinsicht heuristisch brauchbar gemacht wurde. Vor allem in seiner ursprünglichen Form (Lave und Wenger 1991) ist das Konzept der Community of Practice – wissenssoziologisch interpretiert – für die Analyse von Lehrkräftekooperationsprozessen fruchtbar. Im Kontext des Konstrukts CoP stellt sich nicht die Frage, wie diese implementiert und nutzbar gemacht werden können, sondern eher welche Effekte hiermit verbunden sind. „The research task is not to see whether they exist or not, but to identify their characteristics in relation to learning“ (Hodkinson und Hodkinson 2004, S. 29). Somit wird in einem praktischen Kooperationsverständnis auch die Idee eines (steuerbaren) Instruments verlassen und die Idee einer eigenlogisch-sozialen Praxis zentral gestellt.

CoPs zeichnen sich allgemein durch verbindendes, kollektiv-implizites Wissen aus (bspw. Vorstellungen zu gutem Unterricht). Dieses Wissen ist in Praktiken (bspw. eine Art und Weise zu Unterrichten), Artefakte (bspw. Unterrichtsmaterial) und Diskursen (bspw. Unterrichtsplanungen, in der auch Vorstellungen über guten Unterricht einfließen, ohne explizit thematisiert zu werden) eingeschrieben (Lave und Wenger 1991, S. 105 ff.). Es geht also weniger darum was getan bzw. worüber gesprochen wird, sondern – in Anlehnung an Bohnsack (2008) und die Grundprinzipien der Dokumentarischen Methode (s. unten) – wie über das gesprochen wird, worüber gesprochen wird, in welchem Rahmen die Handlung stattfindet. Damit sind nun nicht abstrakte Interaktionsformen gemeint, sondern ein „Orientierungsrahmen“ (Bohnsack 2011, 2017), welchen Bohnsack (2011) synonym zum „Habitus“ (Bourdieu 1979) begreift, also „Wahrnehmungs‑, Bewertungs- und Handlungsschemata“ (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 37), durch welche Praxis und Kompetenz konstituiert werden (siehe genauer in Abschn. 3.3) und welche in einer CoP gelernt werden (können). Entsprechend ist Lernen nicht einfach ‚Wissenserwerb‘, sondern Teilhabe an einer sozialen Praxis und der „Erwerb der in dieser Gruppe gültigen Denkweisen und Problemlösemechanismen“ (Gruber 1999, S. 165). Kompetenz ist damit „historically and socially defined“ (Wenger 2000, S. 226).

Begreift man, wie Hodkinson und Hodkinson (2004), eine CoP als Feld (vgl. dazu ausführlich Bloh 2021, S. 72 ff.), also als ein Spiel, das „viel fließender und komplexer ist als jedes nur denkbare Spiel“ (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 135), dann sind es die in diesem Spiel geltenden Regeln, welche die Bedeutungen von Handlungen festlegen (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 127). Die Regeln sagen also nicht, was getan werden muss, sondern was gewisse Taten bedeuten (Bourdieu 1992, S. 81 ff.) und geben damit Bedeutungsstrukturen vor, die von den Akteurinnen und Akteuren inkorporiert werden (können), was der Fähigkeit, letztlich der Kompetenz zum Mitspielen entspricht. Kompetenz entwickelt sich und wirkt also relational zum Feld bzw. zur CoP. „Wir gehören zu einer Gruppe nicht bloß, weil wir in sie hinein geboren sind, nicht nur, weil wir behaupten, zu ihr zu gehören, noch schließlich, weil wir ihr unsere Loyalität und Anhänglichkeit schenken, sondern hauptsächlich weil wir die Welt und bestimmte Dinge in der Welt so wie sie sehen, d. h. durch die Sinndeutungen der fraglichen Gruppe hindurch“ (Mannheim 1995, S. 20). Das Feld (die CoP) bestimmt somit letztlich, welche Spielstile, welche Handlungen anerkannt werden und somit auch, was ‚kompetent‘ ist und was nicht (Alkemeyer und Buschmann 2017) – und strukturiert darüber die Bedeutungs‑, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata der Akteurinnen und Akteure.

Im Feld existiert demnach eine „implizite[] Pädagogik“ (Bourdieu 1979, S. 200), die dazu führt, dass die Akteurinnen und Akteure lernen, die soziale Logik des Feldes anzuerkennen, zu inkorporieren – oder eben nicht, was aber nur um den Preis des Spielausschlusses funktioniert (bspw. ‚Wegbewerben‘, wie es von manchen Lehrkräften genannt wird). Ein Spiel mitspielen zu können, stellt eine Kompetenz dar, Spielen zu lernen, ist Kompetenzentwicklung.

3 Praxiskompetenz

Fällt der Begriff ‚Kompetenz‘ wird dieser häufig nicht wie in diesem Artikel bisher gebraucht, sondern mit dem Namen Weinert (Weinert 2001) und den darauf aufbauenden Arbeiten (bspw. Klieme und Hartig 2007) verbunden. An dieser Stelle soll auf diesen Begriff nicht genauer eingegangen, sondern vornehmlich auf Probleme verwiesen werden, die dieser erziehungswissenschaftlich-psychologische Kompetenzbegriff – so funktional und wertvoll er in anderen Bereichen auch sein mag – dann bekommt, wenn er auf Lehrkräftekooperation als CoP, also als soziale Praxis, angewandt wird. Eine Abgrenzung, aber auch ein Verweis auf Gemeinsamkeiten, ist notwendig, um die Konturen einer praxeologischen Perspektive auf Kompetenz (bspw. Martens 2010; Windeler 2014) zu schärfen und gleichzeitig fruchtbar innerhalb eines bestehenden Kompetenzdiskurses zu verorten.

3.1 Gemeinsamkeiten

Grundlegend für den Begriff der Kompetenz nach Weinert ist zunächst die u. a. auf Chomsky zurückgehende Differenz zwischen Kompetenz und Performanz (Chomsky 1992). Chomsky unterscheidet zwischen (Sprach)Kompetenz als generativem Prinzip und der (Sprach)Performanz, also der konkreten Anwendung (Chomsky 1992, S. 14). Der entscheidende Gedanke ist, dass durch die Sprachdisposition (Kompetenz), die eine (begrenzte) Anzahl an Wörtern, Regeln, etc. beschreibt, unendlich viele Sätze (Performanz), also auch solche, die vorher noch nie gesprochen wurden, entwickelt bzw. generiert werden können. In diesem Sinne ist Kompetenz ein generatives Prinzip.

Im Gegensatz zu Chomsky (1992), der die Sprachkompetenz als zumindest zum Teil angeboren betrachtet hat (Krais und Gebauer 2014, S. 31), werden Kompetenzen nach Weinert (und auch praxeologisch) jedoch prinzipiell als erlernbar konzeptualisiert. LernbarkeitFootnote 1 (1) ist auch eine von drei Komponenten, die nach Klieme und Hartig (2007, S. 17) jede Kompetenzdefinition beinhalten muss. Daneben sind Kompetenzen kontext- bzw. bereichsspezifisch (2) und sie sind funktional (3), das heißt die „Frage ‚kompetent wofür?‘ ist notwendiger Bestandteil jeder Kompetenzdefinition“. Eine praxeologische Kompetenzperspektive – die hier als Praxiskompetenz bezeichnet wird – wird diesen Kriterien gerecht und erlaubt es gleichzeitig Kompetenzen grundlegend anders zu fassen, da einige Differenzen zum ‚klassischen‘ Kompetenzbegriff vorliegen.

3.2 Differenzen

Greift man die oben ausgeführte Konzeptualisierung von Lehrkräftekooperation als soziale Praxis, also als CoP auf, dann stehen dort zwei ‚Wissensformen‘ (vgl. generell zu Wissensformen auch Eraut 2000) im Vordergrund – das kollektive sowie das implizite Wissen. Beides ist im Kontext des Weinertschen Kompetenzbegriffs jedoch problematisch.

Denn hier werden funktional-pragmatische Kompetenzen als „Einheit von Wissen und Können“, also als „deklaratives und prozedurales Wissen aus einem jeweils umschriebenen Gegenstandsbereich“ (Wilhelm und Nickolaus 2013, S. 25) bezeichnet. Dabei ist das Verhältnis von deklarativem, also explizitem, und prozeduralem, also implizitem Wissen, jedoch stets ein gerichtetes. Ausgehend von deklarativem Wissen, das per Instruktion gelehrt werden kann, wird durch Erfahrung, also durch Prozeduralisierung von deklarativem Wissen, prozedurales Wissen erzeugt.

Das Problem solcher „Prozeduralisierungsmodelle“ (Neuweg 2001, S. 7) ist, dass hier implizites Wissen lediglich „als der nur durch Erfahrung erwerbbare Anteil oder Reifegrad von Kompetenz [erscheint; T.B.], als das, was dem ‚Theoretiker‘ fehlt und hinzutreten muß, um explizites Wissen ‚zum Laufen‘ zu bringen“ (Neuweg 2001, S. 6). Allerdings können Kompetenzmodelle, die von einem solchen Prozeduralisierungsgedanken ausgehen, den Kompetenzerwerb nicht umfassend abbilden, „weil wir viele Kompetenzen, ja vielleicht die meisten, erwerben, ohne jemals sprachliche Instruktion erhalten zu haben“ (Neuweg 2001, S. 7).

Der entscheidende Gedanke im Konstrukt der Praxiskompetenz ist, implizites Wissen nicht als (erfahrungsbasiertes) prozeduralisiertes deklaratives Wissen zu denken, sondern als ein eigenständiges Wissen, das immer implizit bleibt, niemals explizit war und auch „‚implizit‘ erworben wird“ (Polanyi 2016, S. 16). So ist Sprache bspw. regelgeleitet, ohne dass diese Regeln notwendigerweise benannt werden können (Neuweg 2001, S. 5) und auch ohne, dass die theoretische Benennung der Regel ein praktisches Beherrschen der Sprache bedingt. Sprachkompetenz verweist auf unser Vermögen, „eine unbegrenzte Zahl von Sätzen als grammatikalisch richtig zu erkennen oder solche Sätze hervorzubringen“ (Neuweg 2001, S. 5) und nicht darauf, diese Regeln zu explizieren oder explizit anwenden zu können. Zudem, und das ist entscheidend, funktioniert das Lernen grammatikalisch korrekter Sprache nicht, sicherlich aber nicht ausschließlich, über (sprachliche) Instruktion. Die Regeln wurden also nicht explizit erlernt und dann prozeduralisiert (wodurch sie unter Umständen ‚vergessen‘ werden). (Mutter)Sprachkompetenzerwerb wäre dann nur schwer mit Prozeduralisierungsmodellen in Verbindung zu bringen. ‚Korrekt‘ Sprechen-Können ist also von der Fähigkeit der Explikation der Regeln ‚korrekter‘ Sprache zu trennen.

Greift man die Idee einer ‚korrekten‘ Sprache auf, lässt sich daran auch die Differenz zu einem individual geprägten Kompetenzbegriff, „which is the usual psychological perspective“ (Weinert 2001, S. 51), verdeutlichen. Die ‚Anforderungen‘ werden hier aus der Aufgabe gedacht, und die Kompetenz auf Seiten des Individuums verortet (bspw. korrekt sprechen können). Letztlich erinnert dieses Konstrukt der Kompetenz an das technische Verständnis von Lehrkräftekooperation. Es geht hier um (sozial-dekontextualisiertes) Wissen und Können (bspw. ‚Sprache‘), das das Individuum (per Instruktion) erwirbt und in verschiedenen (und möglichst vielen) Situationen anwenden, die aus der Situation hervorgebrachten Aufgaben also erfolgreich lösen kann, sprich kompetent handelt.

Was aber heißt ‚korrekt‘ sprechen können? Knoblauch (2010) weist in seiner begriffsgeschichtlichen Analyse von ‚Kompetenz‘ auf die Unterscheidung von Chomsky (1992) zwischen Performanz und Kompetenz hin. Allerdings, so Knoblauch (2010, S. 241), ist die Performanz nicht einfach das Ergebnis von Kompetenz, sondern eine „abweichende und unvollständige Verwirklichung des idealen Regelwerks“. Kompetenz hat bei Chomsky also einen idealen, reinen Charakter, „die die Performanz des Realen nie erfüllt“ (Knoblauch 2010, S. 241). In diesem Sinne ist die Performanz und somit das ‚korrekte‘ Sprechen immer schon ‚fehlerhaft‘. (Sprach)Kompetenz und (Sprach)Performanz bleibt jedoch auch in dem Sinne ‚unvollständig‘, als dass es das Regelsystem und die regelgeleitete Performanz nicht gibt. Die Regeln sind eben „keine abstrakten Regeln der Sprache, sondern Regeln des Sprechens in sozialen Situationen“ (Knoblauch 2010, S. 243). Das bedeutet, dass der soziale Kontext bedingt, was angemessenes und damit korrekt Sprechen bedeutet, weshalb dann auch „die fehlerhafte Verwendung der Sprache durchaus regelkonform“ sein kann (Knoblauch 2010, S. 243), bspw. in einem Jugendslang. Es geht also immer darum, was „in eben diesem sozialen Zusammenhang als angemessen und korrekt angesehen wird und häufig [als; T.B.] eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur entsprechenden sozialen Gruppe gelten kann“ (Knoblauch 2010, S. 243).

Wenn eine so interpretierte Kompetenz das individuelle „Vermögen zum angemessenen Handeln“ (Knoblauch 2010, S. 247) darstellt, verweist der Terminus „angemessen“ gleichzeitig auf die konstitutiv kollektive Dimension des individuellen Vermögens. Kompetenz steht somit immer in einem Spannungsverhältnis, in einer Relation zwischen individueller Disposition und kollektiver Rahmung.

3.3 Konzeption von Praxiskompetenz

Auf dieses Spannungsverhältnis – sowie auf die weiter oben dargestellte Idee eines impliziten Wissens – verweist der Term der Praxiskompetenz, welcher wesentlich auf dem Konzept des Habitus (Bourdieu 1979) bzw. der Handlungsorientierung (Nohl et al. 2015) aufbaut.

Der Habitus ist „sozialisierte Subjektivität“ (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 159) und zeigt sich in „Gestalt der geistigen und körperlichen Wahrnehmungs‑, Bewertungs- und Handlungsschemata in den individuellen Körpern“ (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 37). Er ist als „strukturierte Struktur[]“ (Bourdieu 1987, S. 98) einerseits das Produkt des gesellschaftlichen bzw. praktischen Kontexts seiner Hervorbringung. Andererseits ist er als Inkorporation stark an den Akteur, die Akteurin gebunden, was auch bedeutet, dass „das Individuelle und selbst das Persönliche, Subjektive, etwas Gesellschaftliches ist, etwas Kollektives“ (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 159). Dabei bleibt der Habitus wandelbar, in ihm ist immer „schon eine gewisse Modifikations- und Transformationsfähigkeit angelegt“ (El-Mafaalani 2017, S. 122).

Als „strukturierende Struktur[]“ (Bourdieu 1987, S. 98) ist der Habitus ein generatives Prinzip, das im Sinne seiner eigenen Geschichte generiert – und in diesem Sinne eine Kompetenz. Denn der Habitus kann unbegrenzt viele Handlungen hervorbringen, die aber „innerhalb der Grenzen der besonderen Bedingungen seiner eigenen Hervorbringung liegen“ (Bourdieu 1987, S. 102). Er ist ein „sozial konstituiertes System […], das durch Praxis erworben wird und konstant auf praktische Funktionen“ ausgerichtet ist (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 154) – und somit Praxiskompetenz.

Nun spricht Bourdieu selbst meist von ‚dem‘ Habitus, räumt aber prinzipiell die Möglichkeit eines „doppelten Habitus“ (Bourdieu 2015, S. 193) ein. Es muss also betont werden, dass der Habitus „keine völlig homogene Struktur bildet, sondern selbst u. U. agonal angelegt ist […], so ist sogar denkbar, dass sich im Habitus eines Akteurs einander widersprechende oder entgegenstehende“ Strukturen finden lassen (Nohl et al. 2015, S. 165). Darauf verweist letztlich auch der Begriff der „Handlungsorientierung“ (Nohl et al. 2015). Handlungsorientierung knüpft terminologisch an den im Rahmen der Dokumentarischen Methode üblichen Begriff des Orientierungsrahmens an, welcher auf den Habitus verweist (Bohnsack 2011, S. 132), bezieht sich jedoch nicht auf ein ganzheitliches Konstrukt – eben den Habitus – sondern auf unterhalb dieses ganzheitlichen Konstrukts liegende, gegenstandsbezogene ‚Habituierungen‘. Handlungsorientierungen sind demnach „Sedimentierungen von Erfahrungs- und Bedeutungsstrukuren“ (Nohl et al. 2015, S. 217), die zwar auf einen Gegenstand, also einen Ausschnitt von Welt bezogen sind, allerdings situationsübergreifend auf der Ebene der Akteurinnen und Akteure wirken. Es geht um „modi operandi, mit denen Themen und Problemstellungen des Lebens bewältigt werden“ (Nohl et al. 2015, S. 217).Footnote 2

Geht man davon aus, dass in beruflichen Settings niemals die Welt als Ganzes, sondern immer nur ein Ausschnitt von Welt, ‚thematisiert‘ wird, dann sind es vornehmlich Handlungsorientierungen, welche die individuelle berufliche Kompetenz auf kollektiv-impliziter Ebene ausmachen, sofern sie zum Feld bzw. zu den in der CoP verhandelten Bedeutungsstrukturen passen. Zu einer Kompetenz bzw. zu Praxiskompetenz werden Handlungsorientierungen also erst in ihrer je konkreten Relation zum Feld.

3.4 Lehrkräftekooperation und Praxiskompetenz

Versteht man Lehrkräftekooperation als soziale Praxis (CoP), in der kollektiv-implizites Wissen (re)produziert wird, und entsprechend individuelle Kompetenz als Handlungsorientierung(en) und damit als (zumindest zum Teil) durch dieses kollektiv-implizite Wissen geprägt, welche gleichzeitig erst im sozialen Kontext ‚Gültigkeit‘ gewinnt (Praxiskompetenz), dann lassen sich damit zum einen die eingangs widersprüchlichen Befunde zu Lehrkräftekooperation theoretisch fassen und auch ggf. empirisch nachzeichnen, also letztlich begründen, warum Kooperation funktionieren kann, aber scheinbar nicht muss. Zum anderen lässt sich der Modus der Kompetenzentwicklung durch Lehrkräftekooperation neu denken und begreifen – eben als ein gegenstandsbezogenes Umlernen habitueller Strukturen (Nohl et al. 2015) und nicht mehr ein Hinzu-Lernen von Wissen. Gleichzeitig lässt sich an bestehende (psychologische) Kompetenzvorstellungen (s. oben) anknüpfen, da auch Praxiskompetenzen erlernt werden, bereichsspezifisch (auf einen Gegenstand von Welt bezogen) und funktional (sie generiert die zur Praxis passenden Handlungen) sind. Die Frage, die sich nun stellt, ist wie sich Lernsituationen, verstanden als Relation zwischen Community und Akteurin bzw. Akteur, gestalten können?

4 Methodik und Datengrundlage

Zur Beantwortung der Frage nach der Relation zwischen Akteurin bzw. Akteur sowie Community wurden videographierte Sitzungen von Lehrkräftekooperationsteams – insgesamt drei Teams bei mindestens 4 Sitzungen pro Team – sowie elf berufs-biographisch narrative Interviews mit den an diesen Teams beteiligten Lehrerinnen erhoben und mittels der Dokumentarischen Methode ausgewertet. In diesem Artikel beschränkt sich die Darstellung der Analyse auf eines der erhobenen Interviews (vgl. zur Interpretation aller Daten Bloh 2021).

Allgemein zeichnet sich die Dokumentarische Methode durch einen Fokus auf implizites, nicht explizierbares und daher eben zu rekonstruierendes Wissen aus. Dieses handlungspraktische Wissen, welches sich der Explikation entzieht, kann im Kontext der Dokumentarischen Methode sowie im Kontext der hier dargelegten Überlegungen auch als „Praktische[r] Sinn“ (Bourdieu und Wacquant 2013, S. 43) bezeichnet werden (Nohl 2017, S. 6).

Forschungspraktisch vollzieht sich die Rekonstruktion dieses Wissens in zwei Arbeitsschritten: der formulierenden und der reflektierenden Interpretation (Nohl 2017). In der formulierenden Interpretation geht es um die Frage, was geschieht, was sich beobachten lässt. Dies dient vornehmlich dazu, sich als Forschende(r) „gegenüber dem Text fremd zu machen“ (Nohl 2017, S. 31) und zu erkennen, dass bereits die Was-Ebene einer Interpretation bedarf. Auf Basis der formulierenden erfolgt die reflektierende Interpretation, in der es um das Wie, also welcher modus operandi der Handlung zugrunde liegt. Es geht um die „Rekonstruktion und Explikation des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird“ (Bohnsack 2008, S. 135). Im Zuge der reflektierenden Interpretation wird dabei „konsequent vergleichend“ (Nohl 2017, S. 7) vorgegangen. Der Vergleich erfolgt dabei innerhalb eines Falles (verschiedene Themen innerhalb desselben Falls) und zwischen den Fällen (dieselben Themen in verschiedenen Fällen). Dem Vergleich kommt sowohl eine „erkenntnisgenerierende“, als auch „eine erkenntniskontrollierende Funktion“ (Nohl 2013, S. 15) zu.

„Über die Zwecke der Validierung hinaus dient die komparative Sequenzanalyse auch der Generierung mehrdimensionaler Typologien“ (Nohl 2017, S. 41). Hierbei wird ‚klassisch‘ zwischen einer sinn- und einer soziogenetischen Typenbildung unterschieden, wobei es auch neuere Formen und Ideen der Typenbildung gibt (Nohl 2013, 2019). In der hier vorliegenden Untersuchung wurden Relationslogiken – also Relationen zwischen Akteurin bzw. Akteur und Community – v. a. auf Basis der erhobenen Interviews typisiert.

5 Der Fall Frau Vogt – Kooperationsbedingte Entwicklungsprozesse von Praxiskompetenz

Die gefundenen und typisierten Relationslogiken lassen sich in allen Fällen rekonstruieren und werden an dieser Stelle exemplarisch am Fall Frau Vogt dargestellt. Frau Vogt ist zum Zeitpunkt des Interviews 29 Jahre alt. Sie ist seit drei Monaten Lehrerin für Sonderpädagogik an der Schule Ka und arbeitet seitdem auch im Team Ka (einem der videographierten Teams) mit. Letztlich durchläuft Frau Vogt drei Einfindungsprozesse in unterschiedliche Communities of Practice von Lehrkräften. Im Sauerland, in Düren und an der Schule Ka. Während der erste Einfindungsprozess im Sauerland gescheitert ist und abgebrochen wird (Nicht-Passung), ist der zweite in Düren gelungen (Entfaltung). Der dritte ist zum Zeitpunkt des Interviews im Gange (Herausforderung). Zu ihrer ersten Schule berichtet sie Folgendes (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Transkriptausschnitt 1: LK02-Ka-Vogt; Beginn im Sauerland

Zu ihrer Zeit im Sauerland erzählt Frau Vogt vor allem davon, dass sie keinen sozialen Anschluss gefunden hat und sich als Folge „nur noch in die Arbeit reingestürzt“ (Z. 187) hat. Das „die brauchten mich nicht“ (Z. 184) verweist auf eine berufspraktische Isolation und damit auf einen fehlenden Zugang zu einer CoP. Ob der Zugang zur CoP verwehrt bleibt, weil diese – wie Frau Vogt selbst als unumstößlich konstruiert (Z. 181 f.) – Frau Vogt ausschließt, kann nicht geklärt werden. Ebenfalls denkbar wäre, dass die Community selbst über einen Modus Operandi verfügt, der eine (enge) Zusammenarbeit ausschließt. In diesem Fall wäre es kein (mehr oder weniger) aktives Ausschließen von Frau Vogt durch die Community, sondern eine Community, die das Bedürfnis von Frau Vogt (scheinbar) nicht abdeckt – die über eine differente Praxis verfügt. Die Relation zwischen der Community of Practice und Frau Vogt wäre so oder so eine Nicht-Passung von Praxen (Relationslogik der Nicht-Passung). Sie kann hier auf habitueller Ebene nicht lernen, da die beiden Praxen ‚polar‘ (Helsper 2018) zueinander stehen.

Nachdem Frau Vogt es durch einen Autounfall und die damit verbundene Bewilligung ihres Versetzungsantrags geschafft hat, die Schule zu verlassen, kommt sie wieder „rein in die Zivilisation“ (Z. 193) – an eine Schule in Düren. Diese Schule zeichnet sich stark durch Gewalt aus (Z. 300 ff.), der mit Disziplinierung begegnet wird – einer Praxis, die Frau Vogt näher liegt (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Transkriptausschnitt 2: LK02-Ka-Vogt; Komplimente des Schulleiters

In dieser Passage dokumentiert sich zweierlei. Zum einen wird deutlich, dass die konkrete Praxis bzw. das ‚richtige‘ Verhalten kollektiv bedingt sind. An der Schule werden, hier repräsentiert durch den Schulleiter und die Konrektorin, in anderen Passagen durch das Kollegium, gewisse Handlungen positiv („männlich“), andere negativ („weiblich“) bewertet. Zum anderen wird deutlich, dass Frau Vogt diese kollektive Sichtweise für sich annimmt, indem sie ihr entsprechen möchte. Dies sind die „Bedingungen“ (Z. 323), eben das, was erfüllt sein muss, um an der Praxis teilzuhaben und Wertschätzung zu bekommen bzw. um ‚gut‘ zu handeln.

Die Praxis des dominanten Auftretens bzw. des Disziplinierens ist dabei in besonderer Weise anschlussfähig an die berufsbiographische Orientierung von Frau Vogt. Disziplin ist für Frau Vogt nicht nur in Bezug auf sich selbst bedeutsam,Footnote 3 sondern wird hier auch von den Schülerinnen und Schülern verlangt. Im Rahmen der kollektiven Praxis des dominanten Auftretens kann sie sich frei entfalten (Relationslogik der Entfaltung). Ein Lernen auf habitueller Ebene ist hier nicht nötig.

Frau Vogt entfaltet in ihrer Phase in Düren Denk‑, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata in Bezug auf ihre Praxis. Sie entfaltet Handlungsorientierungen in Bezug auf Gegenstände von Welt. Sie lebt die Praxis des dominanten Auftretens. Diese werden mit dem Wechsel an die Schule Ka brüchig, was sich unter anderem in der rückblickenden Bewertung dokumentiert (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Transkriptausschnitt 3: LK02-Ka-Vogt; Verqueres Denken

Die damalige Sicht- und Arbeitsweise erscheint ihr mittlerweile als „verquer“ (Z. 332), also als nicht normal, als merkwürdig. Dass sie die Dinge damals selbst so gesehen hat, kann sie heute nicht mehr glauben, sie echauffiert („hallo?“) sich sogar darüber. Das zeigt auch, bzw. macht es notwendig, eine theoretische Erklärung, die „Betriebsblindheit“ (Z. 333) anzuführen. Mit Betriebsblindheit ist gemeint, dass man gewisse Dinge ‚von Innen‘ nicht sehen kann, da man eben mit einer bestimmten Brille auf die Welt schaut, eben mit der des Betriebes bzw. der der Community. Erst wenn man diese Brille ablegt, sieht man die Dinge anders – eben mit einer neuen Brille.

Dass Frau Vogt Dinge so kritisiert, die sie zuvor in ihrer Betriebsblindheit fraglos hingenommen hat, verweist auf einen Bruch in den Denk‑, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata in Bezug auf die schulische Arbeit (Bruch der Praxiskompetenz). Die damaligen Sichtweisen erscheinen nicht mehr angemessen. Diese Hinterfragung des Alten ist dabei erst möglich, indem etwas Neues kommt. Das Alte (die Praxis in Düren) wird erst durch das Neue (die Praxis an der Schule Ka) zu etwas Altem und dadurch zu etwas Hinterfragbarem. Dieses Hinterfragen geschieht dabei aber nicht individuell, sondern auf Basis wiederum kollektiver Ansprüche, wie sich exemplarisch an folgender Passage von Frau Schröder verdeutlichen lässt (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Transkriptausschnitt 4: LK05-Ka-Schröder; Grundschulkinder lernen anders

In dieser Passage erzählt Frau Schröder – die wie Frau Vogt Teil des Kooperationsteams „Ka“ ist – von der Zusammenarbeit mit Frau Vogt.Footnote 4 Liegt der Blick auf die Kinder zwar im Alter („Grundschulkinder“; Z. 205) und damit der Entwicklungsebene begründet, reicht dies für Frau Vogt scheinbar nicht aus, um ‚adäquate‘ Handlungen im Sinne der Community auszuführen – Frau Vogt handelt zunächst immer noch hart und dominant, obwohl die Kinder jünger sind. Die veränderten situativen Bedingungen (jüngere Kinder, anderes Umfeld) könnten zwar ebenso eine Rolle spielen, entscheidend ist aber die kollektive Angemessenheit der Handlung, also die anderen Lehrkräfte, hier verkörpert durch Frau Schröder. Es bedarf des Einschreitens einer anderen Lehrerin, die die entsprechende Handlung bzw. die „Vorstellungen“ (Z. 204) kritisiert („hart“; Z. 206) und Frau Vogt zum Ändern, zumindest zum Aufhören („Halt Stopp“; Z. 204) auffordert.

Die Art und Weise der Handlungen von Frau Vogt passen nicht mehr, sind nicht mehr adäquat. Die Sanktionierung durch eine andere Lehrerin markiert die Handlung als nicht feldkonform, als Regelverletzung – wodurch ihr feld- bzw. communityspezifisch eine Bedeutung zugeschrieben wird. Ob und inwieweit Frau Vogt die neue Handlungsorientierung hier übernimmt, kann nicht genau gesagt werden. Die Distanzierung von ihrer vorherigen Praxis, die Anerkennung und Wertung der jetzigen Sicht als „gesünder“ (Z. 360), sind jedoch Hinweise darauf, dass die Sanktionierung der nicht feldkonformen Ausübung von Handlungen einen Bruch der Praxiskompetenz (mit)erzeugt haben – und Frau Vogt hier nun lernt, im Sinne der neuen Community zu handeln. In diesem Sinne wird Frau Vogt durch die (neue) Praxis des Teams Ka herausgefordert (Relationslogik der Herausforderung) und zu einem Umlernen angeregt. Es zeigt sich also eine Veränderung bei Frau Vogt, angeregt durch die Sichtweise(n) in Team Ka – es zeigt sich der Beginn einer Praxiskompetenzentwicklung durch Lehrkräftekooperationsprozesse.Footnote 5

6 Fazit und Ausblick

Die drei hier dargestellten – und auch in anderen Fällen rekonstruierten (vgl. Bloh 2021, S. 220 ff.) – Relationslogiken der Nicht-Passung, Entfaltung und Herausforderung verweisen auf eine spezifische Form des Kontakts zwischen Akteurin bzw. Akteur einerseits, und Community of Practice andererseits. Es wird deutlich, dass Kompetenz sowie die Notwendigkeit zur Kompetenzentwicklung nicht ausschließlich von der Aufgabe (bspw. dem Umgang mit Kindern) gedacht werden kann, wie in ‚klassischen‘ Kompetenzkonstrukten (Klieme und Hartig 2007), sondern sich auch (und m. E. wesentlich) aus dem sozialen Kontext ergibt – und damit immer relational zu einer sozialen Praxis ist, worauf der Begriff Praxiskompetenz verweist. Die gegenstandsbezogenen Denk‑, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata können in dem Moment brüchig werden, in dem sie durch einen Wechsel der Community, also einem Wechsel des sozialen Kontexts, herausgefordert werden – während Kompetenz im erziehungswissenschaftlich-psychologischen Sinne (Klieme und Hartig 2007) jenseits dieses Kontexts funktioniert. Passen sie dagegen nicht, oder entfalten sich in der Praxis, ist ein ‚Lernen‘ auf habitueller Ebene (Nohl et al. 2015) nicht möglich bzw. unnötig. Wie bedeutsam Praxiskompetenz für die berufliche Praxis ist, deutet der Fall Frau Vogt an, da hier unter anderem die gesamte Sichtweise auf und der Umgang mit Kindern ins Wanken gerät und sich transformiert. Die alte, zuvor selbstverständliche, Sichtweise wird vor dem Hintergrund der neuen Perspektive fragwürdig und kritisch.

Das Konstrukt Lehrkräftekooperation (Fussangel und Gräsel 2014) gewinnt vor diesem Hintergrund eine gänzlich andere Bedeutung, da es als soziale Praxis weniger ‚steuerbar‘, weniger als Instrument nutzbar ist, sondern eine Eigenlogik entwickelt. Vor dem Hintergrund dieser Eigenlogik sind dann einerseits die eingangs erwähnten widersprüchlichen Befunde erklärbar, andererseits muss einem allzu positivem Blick, der die Bedeutung der Kooperation für die Professionalität der beteiligten Lehrkräfte ausschließlich positiv einschätzt, m. E. skeptisch gegenüber gestanden werden.

Geht man davon aus, dass Praxiskompetenz bedeutsam für Handlungen ist, dann stellt sich weiterhin und notgedrungen die Frage nach der Bewertung von Praxiskompetenzen. Während einerseits Praxiskompetenz aus der Praxis selbst bewertet wird, indem sie dort eben als Kompetenz anerkannt wird, ist diese Perspektive, andererseits, in Bezug auf Qualitätsfragen (‚guter‘ Unterricht; ‚positive‘ Schulentwicklung) unbefriedigend. Eine praxeologische Evaluation(sforschung) muss demnach Mittel und Wege finden, die eine Bewertung jenseits praxisimmanenter Normierungen zulässt, ohne dabei den praktischen Blick zu verlieren. Dazu müssen „Bezugssysteme und Relevanzkriterien“ (Lüders und Haubrich 2003, S. 322) klar umrissen, dennoch aber praktisch formuliert werden. Hierzu kann die Dokumentarische Evaluationsforschung (Bohnsack und Nentwig-Gesemann 2020) einen Ansatz bieten, muss jedoch hinsichtlich der Explikation eben jener Bezugssysteme und Relevanzkriterien weiter ausgearbeitet werden.