Forschendes Lernen gilt in der Hochschuldidaktik als vielversprechende Lehr- und Lernform, die Studierende durch die Erfahrung der Teilhabe an wissenschaftlicher Praxis dazu befähigen soll, eigene Lern- und Bildungsprozesse langfristig selbststätig und selbstbestimmt zu untersuchen und bereits bekannte Lernstrukturen kritisch zu reflektieren. Wie diese Verknüpfung zwischen Forschung und Lehre und Lernen konkret ausgestaltet werden kann, darüber wird auf theoretischer, empirischer und praktischer Ebene sowohl in der deutschsprachigen Hochschulbildungslandschaft als auch auf internationalem Parkett intensiv diskutiert. Besonders entfacht hat den Diskurs im deutschsprachigen Raum der 2011 von Bund und Ländern verabschiedete Qualitätspakt Lehre. Dem breiten Diskurs zum Forschenden Lernen fehlt allerdings eine grundlegende Strukturierung, die die vielfältigen theoretischen, empirischen und praktischen Auseinandersetzungen übergeordnet und in ihren Zusammenhängen erfasst. Huber und Reinmann unternehmen in ihrer gemeinsamen Monografie Vom forschungsnahen zum forschenden Lernen an Hochschulen. Wege der Bildung durch Wissenschaft den Versuch einer Strukturierung, die eine erste Grundlage für ein „systematisches Nachdenken“ (Huber und Reinmann 2019, S. IX) über Forschendes bzw. forschungsnahes Lernen ermöglicht und damit eine Basis für konzeptuelle Weiterentwicklungen schafft. Das Buch erhebt dabei keinesfalls den Anspruch eine „unmittelbare Handlungsanleitung“ (ebd., XI) zu sein, sondern versteht sich als Überblickswerk, das bisherige Erkenntnisse bündelt. Dazu werden die theoretischen, empirischen, praxisbezogenen Aspekte des forschungsnahen Lernens systematisiert, indem Hintergründe zu zentralen Begründungslinien sowie elementare Begrifflichkeiten des Konzepts detailliert und differenziert dargestellt werden.

Die Monografie ist in acht thematische Kapitel untergliedert, die von thematisch-begrifflichen Grundlagen, über konzeptuelle Einordnungen und Überlegungen hin zur Praxis forschungsnahen Lernens und Forschungsbefunden strukturiert sind und mit einem Ausblick abschließen. Die Kapitel werden jeweils mit einem Überblick über Inhalte und Aufbau eingeleitet. Ähnlich einführend sind die Unterkapitel gestaltet, die stets mit einer Vorbemerkung und sinnvoll gewählten Stichworten eine schnelle inhaltliche Orientierung bieten und ein gezieltes, von vorangegangenen Kapiteln unabhängiges Lesen ermöglichen.

Kapitel 1 bezieht sich auf das Verstehen forschungsnahen Lernens. Es beginnt mit einer ausführlichen begrifflichen Darstellung des Forschenden Lernens, samt Definitionsvorschlag des Begriffs im engen (Forschendes Lernen) und weiten Sinne (forschungsnahes Lernen) sowie seiner Abgrenzungen zu verwandten Lehr- und Lernformen. In diesem Zusammenhang sprechen sich die Autor*innen für den Begriff des forschungsnahen Lernens als neutrale und umfassendere Bezeichnung für verschiedene Ausprägungen dieser Lehr- und Lernform aus, den ich in diesem Sinne ebenfalls als Oberbegriff verwende. Diesen grundlegenden Ausführungen folgt ein Überblick über die historische Genese forschungsnahen Lernens. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Entwicklung seit den 1970er-Jahren im Kontext gesellschaftspolitischer Umbrüche gelegt.

Im 2. Kapitel werden vier zentrale Begründungslinien für Forschungsnahes Lernen fokussiert: die Bildungstheorie, die Qualifikationsforschung, die Lehr-Lernforschung sowie das institutionelle Selbstverständnis der Hochschule selbst. Besonders ausführlich wird die bildungstheoretische Argumentationslinie ausgeführt, indem der Begriff Bildung von verwandten Begriffen abgegrenzt und seine besondere Bedeutung für das Hochschulstudium im Allgemeinen und für forschungsnahes Lernen im Speziellen herausgearbeitet wird.

Im 3. Kapitel werden unterschiedliche Typen und Formate vorgestellt, in deren Rahmen sich forschungsnahes Lernen entfalten kann. In Abgleich zu bereits bestehenden Versuchen einer Einteilung plädieren Huber und Reinmann für die Typen: Forschungsbasiertes Lernen, Forschungsorientiertes Lernen und Forschendes Lernen, die nicht hierarchisch, sondern in Abhängigkeit von ihrer Nähe zu Forschung differenziert werden. Ausführlich begründen sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Typen und beziehen den angloamerikanischen Diskurs in die Überlegungen ein.

In Kapitel 4 wird diskutiert, wie forschungsnahes Lernen programmatisch und curricular verankert werden kann. Der Schwerpunkt liegt dabei eher auf der curricularen Verankerung forschungsnahen Lernens in der Studieneingangsphase, den damit verbundenen Herausforderungen und Potenzialen sowie den Grenzen aus bildungstheoretischer Perspektive unter Berücksichtigung der Heterogenität und Diversität der Studierenden.

Auch wenn Huber und Reinmann darauf hinweisen keine direkte Handlungsanleitung für die Konzeption von forschungsnahen Lehr-Lernformaten zu bieten, so legen sie in Kapitel 5 ein an ausgewählten Gestaltungsfeldern (Forschungscharakter, Autonomie, soziale Eingebundenheit) orientiertes und auf Forschendes Lernen im engen Sinne bezogenes generisches Gestaltungsmodell vor. Dieses ist nicht als Musterlösung zu verstehen, sondern will Orientierung und Denkanstöße für die individuelle Ausgestaltung forschungsnaher Lehr-Lernprozesse an Hochschulen ermöglichen.

Kapitel 6 geht der Frage nach, wie forschungsnahes Lernen geprüft werden kann. Aus hochschuldidaktischer Perspektive wird ein psychologisch begründetes Kompetenzverständnis skizziert und daran gezeigt, warum kompetenzorientiertes Prüfen sinnvoll für langfristige Lehr-Lernprozesse und forschungsnahes Lernen sein kann. Dimensionen von „forschungsnahen Kompetenzen“ (Huber & Reinmann, 2019, 224) werden diskutiert und Chancen, Grenzen sowie Risiken für die kompetenzorientierte Prüfungspraxis erläutert. Prüfungsformen werden systematisch beschrieben, Typen erläutert und ein Modell forschungsnahen Prüfens zur Diskussion gestellt. In Bezug auf die Frage nach der Umsetzbarkeit wird auf praktische und rechtliche Hindernisse verwiesen. Dabei wird der Blick auf das forschende Lernen im engeren Sinne und die Frage danach, wie Prüfungen deutlicher an Forschung orientiert werden können, gerichtet. Abschließend werden unterschiedliche Optionen für das Prüfen forschenden Lernens kritisch vorgestellt.

Kapitel 7 behandelt verschiedene Kontexte, in die forschungsnahes Lernen eingebunden werden kann. Exemplarisch werden die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die Lehrer*innenbildung sowie die Einbindung forschungsnahen Lernens in der wissenschaftlichen Weiterbildung für Ältere als Kontexte forschungsnahen Lernens vorgestellt. Die Lehrer*innenbildung wird dabei als besonderer Ort für forschungsnahes Lernen aus professionstheoretischer Perspektive dargestellt, wobei vor allem die Möglichkeiten im Praxissemester beleuchtet werden.

Kapitel 8 richtet den Blick zum einen auf vorhandene Forschungsbefunde und zum anderen auf Forschungsansätze, um zu ergründen wie forschungsnahes Lernen erforscht werden kann. Die ausgewählten Befunde geben einen Einblick in bestehende Evidenzen für forschungsnahes Lernen in Bezug auf Einstellungen von Lehrenden und Studierenden, die Anleitung und Strukturierung forschungsnahen Lernens sowie Wirkungen und Lernergebnisse. Für den Bereich Einstellungen von Lehrenden und Studierenden zeigt sich auf der Ebene der Lehrenden, dass die Bereitschaft zur Verknüpfung von Forschung und Lehre in der eigenen Lehrpraxis von den individuellen Auffassungen von Forschung abhängt sowie zu unterschiedlichen Lehrkonzepten forschungsnahen Lernens führt (Light & Calkins 2015; Aditomo et al. 2013; Brew & Manai 2017; Hu et al. 2015; Mägi & Beerkens 2016) und sich gleichzeitig auch auf die Einstellungen von Studierenden in Bezug auf den Nutzen forschungsnahen Lernens für das eigene Lernen auswirkt (Wijnveen et al. 2016). Befunde zum Einfluss des Umfangs von Anleitung und Strukturierung in forschungsnahen Lernprozessen verweisen auf einen positiven Effekt hinsichtlich der Wahrnehmung von offen ausgelegten Formen forschungsnahen Lernens seitens der Studierenden (Sproken-Smith & Walker 2010; Levy & Petrulis 2012). Huber und Reinmann konstatieren bezogen auf die Erforschung von Wirkungen und Lernergebnissen eine wenig ergiebige Befundlage. Gleichwohl sei ein Anstieg an Bemühungen zu beobachten, geeignete Instrumente für die Erforschung dieses Feldes zu entwickeln. Aktuell richtet sich die Entwicklung besonders auf die Modellierung und Validierung von Testverfahren (Kuhn et al. 2016), die Lernergebnisse und Kompetenzen abfragen (Zafra-Gomez et al. 2015; Bastiaens et al. 2017a, 2017b) sowie die Entwicklung von Fragebögen, die Ansichten und Erfahrungsberichte Studierender erfassen (Maltese et al. 2017; Böttcher & Thiel 2018). Exemplarisch stellen Huber und Reinmann die Bandbreite des Forschungsfeldes dar und veranschaulichen beispielhaft die Möglichkeiten der forschungsmethodologischen Ausrichtung und methodischen Umsetzung der Erforschung forschungsnahen Lernens. Dabei stehen weniger die Befunde im Mittelpunkt als vielmehr Forschungsansätze, ihre Schwerpunktsetzungen sowie ihre methodische Umsetzung.

Im abschließenden Ausblick werden schließlich Themenfelder angesprochen und zur weiteren Diskussion gestellt, die im Rahmen der vorangegangen Ausführungen weniger Beachtung erhielten, aber als essenziell für die Weiterentwicklung des Konzepts forschungsnahen Lernens erachtet werden. Fokussiert werden die weitere Ausgestaltung von Lehre im Kontext forschungsnahen Lernens, die Notwendigkeit zur Erforschung der Wirkungen forschungsnahen Lernens, die Weiterentwicklung von Studiengängen und institutioneller Rahmenbedingungen sowie Anforderungen an forschungsnahes Lernen im Zuge der zunehmenden Digitalisierung.

Insgesamt bildet die Monografie von Huber und Reinmann den aktuellen Diskurs forschungsnahen Lernens in hochschuldidaktischen Kontexten ab. Die zentralen Überlegungen des deutschsprachigen und angloamerikanischen Diskurs werden fundiert ausgebreitet und diskutiert. Dadurch wird die Basis für ein kritisches Nachdenken über Möglichkeiten der Weiterentwicklung forschungsnahen Lernens geschaffen. Der formale und inhaltliche Aufbau des Buches ermöglicht einer breiten Leserschaft unabhängig vom Vorwissen einen unmittelbaren und grundlegenden thematischen Einstieg. Dies zeigt sich besonders durch die einheitliche und logische Kapitelstrukturierung. Durch kurze Einführungen und Querverweise ist ein gezieltes Lesen möglich und komplexe Konzepte werden sprachlich klar erläutert. Das Buch dient allen am Themenfeld forschungsnahen Lernens Interessierten als Orientierungshilfe und initiiert darüber hinaus kritische Denkanstöße im Hinblick auf die Weiterentwicklung forschungsnahen Lernens in hochschuldidaktischen Kontexten.