Nicht die empirische Unterrichtsforschung – ob nun methodisch qualitativ oder quantitativ orientiert –, wie sie in der (Pädagogischen) Psychologie, der Erziehungswissenschaft oder den Fachdidaktiken betrieben wird, auch nicht nur die Unterrichtsforschung, zu der die Unterrichtstheorie und hierin Teile der Allgemeinen Didaktik zu zählen wären, sondern eine Didaktische Unterrichtsforschung ist es, die Astrid Baltruschat in ihrer Monographie entwirft. Dass die Autorin nicht an eine „fachdidaktische“, sondern an eine allgemeindidaktische Unterrichtsforschung denkt, wird zwar nicht anhand des Titels unmittelbar erkennbar, dafür aber gleich im ersten Satz der Einleitung markiert, in dem auf das schwierige Verhältnis von (Allgemeiner) Didaktik und (empirisch-quantitativer) Unterrichtsforschung Bezug genommen wird. Die Programmatik einer Didaktischen Unterrichtsforschung erscheint vor diesem Hintergrund als Ansatz, Einheit, zumindest Kooperation zu stiften, wo bislang Distanz und wechselseitige Geringschätzung herrschen.

Es geht der Autorin dabei allerdings – dies sei vorweggenommen – weder um einen neuerlichen Versuch, Allgemeine Didaktik als empirisch forschend zu entwerfen, noch darum, Unterrichtsforschung „didaktisch“ in die Pflicht zu nehmen, indem sie bspw. die Aufbereitung ihrer Befunde zum Zwecke der schnellen Aneignung in der Unterrichtspraxis in ihr erkenntnisleitendes Interesse inkorporiert. Von einem solchen Verständnis grenzt sich Baltruschat vielmehr in wohltuender Weise explizit ab (Kap. 5, S. 123 f.). Aber was ist es dann, das eine Unterrichtsforschung zur didaktischen werden lässt? Was ist Didaktische Unterrichtsforschung?

Die empirisch inspirierten Herleitungen und beispielhaften Anwendungen, Rekurse auf allgemeindidaktische Modelle und erziehungs- bzw. unterrichtstheoretische Überlegungen sowie der Vergleich unterschiedlicher Forschungsperspektiven auf Schulunterricht in den fünf Kapiteln der Monographie, ergänzt um zwei umfangreiche Exkurse, versprechen Antworten auf diese Ausgangsfrage. Im Anschluss an eine Einleitung (S. 1–7) werden in zwei empirischen Annäherungen (Kap. 1, S. 9–38) zunächst unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven auf eine erste videographierte und transkribierte Unterrichtssequenz miteinander verglichen, bevor anhand eines zweiten Falls, ebenfalls einer Videosequenz, die Perspektivierung bzw. die Präformation des Beobachtungs- bzw. Forschungsgegenstands Unterricht durch die Kameraperspektive illustriert wird. Die Anhand insbesondere des ersten Beispiels herausgestellten Fokussierungen und blinden Flecken dienen als Ausgangspunkt für die (Re‑)Konstruktion der „Aktivitätsstruktur des Unterrichts“, die im Kap. 2 (S. 39–84) insbesondere auf der Basis von Modellierungen in der Tradition der Allgemeinen Didaktik erfolgt, ergänzt um unterrichts- (Sünkel) und erziehungstheoretische (Prange) Überlegungen. Die im Ergebnis des zweiten Kapitels stehende „Prototheorie“ wird unter der Programmatik einer Didaktischen Unterrichtsforschung „als qualitativ-rekonstruktive Forschungsstrategie“ im Kap. 3 (S. 85–105) in ein Verhältnis zur (a) didaktischen, (b) sozialwissenschaftlichen und (c) psychologischen Unterrichtsforschung gesetzt und eine „Didaktische Interpretation“ des ersten Falls aus dem ersten Kapitel beispielhaft skizziert. Die Verhältnisbestimmung zur „sozialwissenschaftlich“ und „psychologisch orientierten Unterrichtsforschung“ erfolgt jedoch nicht in scharfer Abgrenzung. Stattdessen werden in Kap. 4 (S. 107–117) „Einwicklungsperspektiven für eine interdisziplinäre Unterrichtsforschung“ – so die Überschrift – in Aussicht gestellt und mögliche Ergänzungen der entworfenen Didaktischen Unterrichtsforschung benannt. Kapitel 5 widmet sich dann der Beziehung von Wissenschaft, Empirie und Praxis unter der Überschrift „Unterrichtsforschung und Lehrerbildung“ (S. 119–124). Die sich anschließenden Exkurse 1 und 2 (S. 125–172) stehen in engerer Verbindung zum DFG Projekt der Autorin „Unterricht im Film. Rekonstruktion und Konstruktionen von Unterricht in Forschungsvideos und Lehrerfortbildungsfilmen“ (2012–2017) und widmen sich der Videographie als Erhebungsinstrument und der Nutzung von Videos in der Lehrerbildung.

Der erste Ausgangspunkt für den Entwurf einer Didaktischen Unterrichtsforschung ist nun die Kritik an der bisherigen Forschung, die die Perspektiven der Akteure „nur rudimentär“ in den Blick nähme (S. 3). Dass der Blick der Unterrichtsforscher tatsächlich zuweilen genau an dem vorbei geht, was die Akteure als „ihre Handlungspraxis enaktieren“ (S. 3), kann die Autorin nachvollziehbar an einem Beispiel aus der TIMS-Studie illustrieren. Ihre anhand dieses Fallbeispiels abgeleitete These lautet, dass implizit bleibende Unterrichtstheorien als Vor-Theorien die Datenerhebung, Aufbereitung und die Interpretation strukturieren und überformen (S. 37 f.). Beiden, der quantitativ wie auch der qualitativ-empirischen Unterrichtsforschung wird ein Defizit hinsichtlich der Reflexion über solche impliziten gegenstandstheoretischen Vorannahmen (S. 34) attestiert. Ausgehend vom zweiten Fallbeispiel ist es Baltruschats Ziel, eine „Prototheorie als Basis für die empirische Forschung des Unterrichts zu entwickeln, die dezidiert am handlungspraktischen Wissen der Akteure des Unterrichts ansetzt“ (S. 4).

Was mit einer Prototheorie genau gemeint wird, erscheint durchaus erläuterungsbedürftig: Protowissenschaften (Kuhn) verweisen auf ein vorwissenschaftliches Stadium mit dem Potenzial zur anerkannten Wissenschaft. Demnach könnten Prototheorien noch nicht, aber potentiell anerkennenswerte Theorien bezeichnen. Baltruschat spricht hingegen von auf den Unterricht bezogenen Vorannahmen, von Vorabtheorien, von prototheoretischen Begrifflichkeiten. Sie folgt damit einem Verständnis von Prototheorien als Bezeichnung für „erste“ oder Vor-Theorien, die theoriefähigen Bemühungen vorausgehen.

Die Darstellung einer mangelnden Beachtung des handlungspraktischen Wissens der Akteure des Unterrichts geht – als zweiter Argumentationsstrang für eine Didaktische Unterrichtsforschung – die vergleichende Bewertung von drei unterschiedlich ausgerichteter Analysen einer Unterrichtssequenz voraus. Verglichen wird hier der Ansatz der Gesprächsanalyse, der Dokumentarischen Methode und der Fachdidaktik. Gesprochen wird von drei unterschiedlichen Interpretationsansätzen, die aber – so ist einzuwenden – auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Während dokumentarische Methode und Gesprächsanalyse Forschungsmethoden sind, die den Sozialwissenschaften zugeordnet werden (wobei Gesprächsanalyse offenbar auf die qualitative Sozialforschung konzentriert wird, nicht etwa auf die sprachwissenschaftliche, die linguistische Gesprächsanalyse), sind Fachdidaktiken keine Größe im forschungsmethodischen Repertoire des Wissenschaftssystems, sondern Teil seiner (sub-)disziplinären Struktur. Fachdidaktiken können sich ihrerseits in der Forschung unterschiedlichster Methoden bedienen, sie stehen somit nicht für einen „Interpretationsansatz“. Allein das Interesse an der Vermittlung der Fachlichkeit könnte hier als einendes Element angenommen werden, aber auch dieses liegt auf einer anderen Ebene als die beiden forschungsmethodischen Zugänge.

Kapitel 2 widmet sich, so der Anspruch, in Abgrenzung zur Perspektive der (wissenschaftlichen) Beobachter der Perspektive der Akteure des Unterrichts. Anhand der beiden Fallbeispiele aus dem ersten Kapitel kommt die Autorin bilanzierend zu der Feststellung, das infolge der Interaktion der Akteure des Unterrichts eine Aktivitätsstruktur erscheint, die sich auf ein „Drittes“ hin ausrichtet, das eine eigene „Sinnstruktur“ darstelle und als dritter Protagonist erscheint (S. 40). Diese Überlegungen bilden den Ausgangspunkt für den eigentlichen Schwerpunkt des zweiten Kapitels: eine Auseinandersetzung mit didaktischen Modellen, die einen differenzierten didaktischen Unterrichtsbegriff vor dem Hintergrund der identifizierten Aktivitätsstruktur bieten sollen und mit dem Unterricht als „Praxis der Praktiker präzise“ (S. 41) erfasst und beschrieben werden soll.

Das für das didaktische Verständnis von Unterricht konstitutive „Dritte“ (S. 68) in der Aktivitätsstruktur wird in diesem Zusammenhang als „Unterrichtsgegenstand“ beschrieben, auf das das Vermittlungs- und Aneignungshandeln der Akteure ausgerichtet sei. In ihrer Prototheorie des Unterrichts bezeichnet Baltruschat den Unterrichtsgegenstand als „Fluchtpunkt“ von Vermittlung und Aneignung (S. 68). Dieser prinzipiell immaterielle Fluchtpunkt sei, wie in der Malerei, nicht als solcher sichtbar markiert und dennoch ist die Perspektive eines Bildes auf ihn ausgerichtet (S. 71). Der Unterrichtsgegenstand selbst habe eine statische orientierende Dimension und sei ein von den Aktivitäten der Akteure „unabhängig bestehender Sachverhalt“ (S. 70), er gewinne zugleich seine Gestalt erst dadurch, dass die Akteure sich im Unterrichtsprozess mit diesem beschäftigen (prozedurale Dimension).

Das, was im Unterrichtsprozess geschehe, könne sich zwar „analytisch“ vom Unterrichtsgegenstand als Fluchtpunkt unterscheiden, beide Aspekte würden jedoch „immer zwei Seiten ein und derselben Medaille“ darstellen: „sie werden als prinzipiell konvergent gedacht“ (S. 72). Baltruschat geht davon aus, dass eine Diskrepanz zwischen dem Fluchtpunkt des Unterrichts als ein von den Aktivitäten der Akteure „unabhängig bestehender Sachverhalt“ und der „Gestalt, die der Unterrichtsgegenstand im Prozess gewinnt“, nicht bestehe, sondern lediglich „zwischen dem explizit verkündeten und dem tatsächlich verfolgten Unterrichtsgegenstand“ (ebd.). Diese Erläuterungen zu einer statischen und einer prozeduralen Dimension erscheinen in dieser Form in sich nicht schlüssig, da eine Differenz „zwischen dem explizit verkündeten und dem tatsächlich verfolgten Unterrichtsgegenstand“ einer Diskrepanz zwischen dem Fluchtpunkt des Unterrichts und der „Gestalt, die der Unterrichtsgegenstand im Prozess gewinnt“ gleich kommt.

Die Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand veranlasst noch zu weiteren Rückfragen, wenn es heißt: „Beide Aktionsformen, das Vermittlungs- und das Aneignungshandeln, können dabei nur sinnvoll von ihrem Objekt bzw. dem Objekt der Aneignung her verstanden werden“ (S. 75). In dieser Betonung der Inhaltsdimension als Unterrichtsgegenstand fällt hier wie auch an anderen Stellen auf, dass stets im Singular von einem Objekt, Gegenstand, Inhalt die Rede ist. Das scheint erstens auszuschließen, dass mehr als eine Sache vermittelt und/oder angeeignet wird (der fachliche Inhalt und moralische Kategorien, soziale Kompetenzen, Kritikfähigkeit etc.) und zweitens, dass die Schülerinnen und Schüler sich etwas aneignen, was gar nicht vermittelt werden sollte (strategisches Verhalten, um Interesse und Aufmerksamkeit zu signalisieren, Konkurrenzorientierung etc.) – und zwar weder im Sinne der statischen Dimension des Unterrichtsgegenstandes noch in der Sicht- bzw. Oberflächenstruktur des Unterrichtsprozesses. Unterrichtsgegenstand, Aneignungs- und Vermittlungstätigkeiten werden auf einen Gegenstand, vor allem auf den fachlichen Inhalt des Unterrichts bei Baltruschat, so der entstehende Eindruck, gedacht. Eine weitere Frage, die sich hier stellt, wäre, ob sich nicht verschiedene Gegenstände als ein hochkomplexes „Drittes“ des Unterrichts überlagern können, sodass der eine Fluchtpunkt gar nicht zu fokussieren ist, sondern ggf. verschiedene. Der Fluchtpunkt des Unterrichts könnte auch diffus bleiben.

Die Didaktische Unterrichtsforschung wird im weiteren Verlauf der Darstellung von der sog. sozialwissenschaftlichen und psychologischen Unterrichtsforschung abgegrenzt. In dieser Verortung stellen sich, wie bereits in Kapitel 1 in der Relationierung von methodischen und (sub-)disziplinären Zugängen, Ungereimtheiten ein. So heißt es etwa, dass sich die qualitativ-empirische Unterrichtsforschung vor allem „sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden“ bediene. Sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden sind aber keinesfalls auf qualitative Zugänge beschränkt, sodass auch die quantitative Unterrichtsforschung ebenso sozialwissenschaftliche Analysemethoden bzw. Methoden der empirischen Sozialforschung nutzt. Dass zudem die Lehr-Lernforschung „nahezu ausschließlich“ die „Optimierung des Unterrichts und insbesondere der Lernergebnisse anstrebt“ (S. 85) erscheint als pauschale Verkürzung, sind doch qualitative wie quantitative Unterrichtsforschung zuallererst auf das Erklären und Verstehen von Unterricht samt seiner bedingenden Faktoren sowie der intendierten wie nicht intendierten Folgen ausgerichtet.

Eine Übereinstimmung zwischen der Lehr-Lernforschung und der Didaktischen Unterrichtsforschung sieht Baltruschat in der Ausrichtung auf die Vermittlung und Aneignung des Unterrichtsgegenstands „als offiziellem Programm der Schule“ (S. 86). Hier wird einmal mehr erkennbar, dass der Fluchtpunkt der Aktivitätsstruktur des Unterrichts der zu vermittelnde bzw. anzueignende fachliche Inhalt ist. Das konzentrierte Verständnis des Unterrichtsgegenstandes wird ebenfalls dann deutlich, wenn Baltruschat explizit darauf verweist, dass Bewertungs- oder Disziplinierungspraxen „nicht im hier definierten Sinne als Unterricht bezeichnet werden können“ (S. 90) oder wenn die beispielhaft durchgeführte Interpretation (Kap. 3.2) auf den fachinhaltlichen Gegenstand fixiert ist.

Eine größere Nähe der Didaktischen Unterrichtsforschung sieht Baltruschat allerdings zu dem, was sie als sozialwissenschaftliche qualitativ-empirische Unterrichtsforschung bezeichnet. „Nicht die Optimierung der Lernergebnisse sind [sic!] normativer Bezugspunkt, sondern die didaktische Unterrichtsforschung begnügt sich mit dem Verstehen der didaktischen Logik von Unterrichtssituationen“ (S. 86). Diese didaktische Logik ist aber nicht zwingend die Logik der Akteure, sondern die Logik der allgemeindidaktisch inspirierten Forscherin (s. unten).

Was zur neuerlichen Irritation führt ist die Aussage, dass die beiden Ausprägungen des didaktischen Handelns, Vermittlungshandeln der Lehrkraft und Aneignungshandeln der Schülerinnen und Schüler, vom Fluchtpunkt des Unterrichtsgegenstandes zugänglich gemacht würden, beide aber „weder komplementär noch wechselseitig aufeinander bezogen sind“. „Auf Kausalitätsannahmen wird deshalb grundsätzlich verzichtet“ (S. 90). In der Art der keine Alternativen zulassenden Formulierung scheinen hier Kausalität, zumindest eine wechselseitige Bezugnahme von Vermittlung und Aneignung geradezu ausgeschlossen. Wie können aber Vermittlung und Aneignung als Aktivitäten des Unterrichts auf den Unterrichtsgegenstand als gemeinsamem Fluchtpunkt ausgerichtet und zugleich nicht aufeinander bezogen sein? Und warum ist auszuschließen, das Vermittlungsaktivitäten nicht Aneignungsprozesse bedingen?

Eine Stärke der Überlegungen von Baltruschat liegt gewiss in der begründeten Annahme, dass in der Unterrichtsforschung die „Perspektive der Forschenden und ihr daraus resultierendes Blickfeld“ von den Beobachtern selbst nicht als begrenzte Perspektive wahrgenommen, sondern zuweilen sogar als objektiv deklariert werden (etwa im Zusammenhang mit Unterrichtsvideographien). Die Empirie stelle sich so in der Folge als „um die subjektive Perspektive der Akteure bereinigte ‚Praxis‘ dar – wo es doch gerade die subjektiven Orientierungen der Akteure sind, aus denen heraus sich die Dynamik der Praxis entwickelt“ (S. 122). Diese subjektiven Orientierungen geraten jedoch im dem Entwurf einer Didaktischen Unterrichtsforschung, wenn überhaupt, nur oberflächlich in den forschenden Blick. Auch wenn die Didaktische Unterrichtsforschung den Anspruch erhebt, „an den rekonstruierten Orientierungen der Akteure der Praxis anzuknüpfen“ (S. 123), so stellen doch auch die als Vorabtheorie charakterisierten Grundannahmen zur Aktivitätsstruktur des Unterrichts eine Setzung der Beobachterin, eine Fokussierung der Perspektive durch die Forscherin dar. Die zu rekonstruierenden Orientierungen der Akteure der Praxis werden also auch durch die allgemeindidaktisch inspirierte Perspektive der Unterrichtsforschung überformt, indem unterstellt wird, der orientierende Fluchtpunkt der Akteure sei in der Fachlichkeit, in der Inhaltsdimension – und scheinbar nur dort – zu verorten (S. 123).

Hinter einer solchen Orientierung – an der Oberflächenstruktur festgemacht etwa an den fachinhaltlichen Bezügen in der unterrichtlichen Interaktion (Fallbeispiel 1, Kap. 1.1, Kap. 3.2) – könnte aber auch die Inszenierung, die kokonstruktive Darstellung von Unterricht als eigentlichem Fluchtpunkt liegen, für die eine auf der Bühne des Unterrichts geteilte Fokussierung auf eine Inhaltsdimension unerlässlich ist. Der Fluchtpunkt ist also ggf. gar nicht die Sache, sondern die gemeinsame Inszenierung von Unterricht als Orientierung der Akteure, die sich in der Unterrichtspraxis so verhalten, wie es von ihnen – zumal in der videographierten Beobachtungssituation – verlangt oder als Erwartung antizipiert wird, um so der Unterrichtssituation in der Institution Schule zu entsprechen. Und dazu gehört auch die Ausrichtung der Aktivitäten auf den Unterrichtsgegenstand. Es macht aber einen Unterschied, ob sich die „Akteure der Praxis“ auf den Unterrichtsgegenstand als Fluchtpunkt in der Interaktion im Sinne der Einlassung auf und Auseinandersetzung mit der Sache, mit dem fachlichen Inhalt, konzentrieren, oder der Fluchtpunkt die Erfordernisse der langjährig eingeübten Unterrichtssituation inkl. der Rollenanforderungen unabhängig von der im Raum stehenden Sache ist.

Interessant erscheint, dass im ersten Exkurs im Anschluss an das Kapitel 5 der hier geltend gemachte Einwand Unterstützung erfährt, in dem dort bezogen auf die Unterrichtsvideographie auf die Demonstration von Unterricht durch die Akteure als „inszenierte Inszenierung“ gesprochen wird. Was, wenn auch eine qualitativ-rekonstruktive Didaktische Unterrichtsforschung zumindest potentiell Gefahr läuft, dieser Inszenierung aufgrund ihrer allgemeindidaktisch überformten Perspektive auf den Leim zu gehen?