Zusammenfassung
Der Beitrag präsentiert Ausschnitte aus einer Fallstudie, welche exemplarisch einen typischen ‚Unterrichtseinstieg‘ rekonstruiert: Eine Lehrerin setzt ein kurzes Video ein, um die Aufmerksamkeit der SchülerInnen schnell und wirkungsvoll auf das Thema zu lenken und seine Bearbeitung anzuregen. Das Video ist geeignet, starke Betroffenheit, aber auch Unterhaltungseffekte auszulösen, da es das Thema nach typischen Mustern massenmedialer Aufmerksamkeits-Erregung präsentiert. Anschließend stellt die Lehrerin formalisierte Arbeitsaufgaben, die nur schwach an den sachlichen und nicht an den emotionalen Gehalt des Videos anknüpfen. Die SchülerInnen quittieren dies zunächst mit demonstrativem Desinteresse, dann ihrerseits mit formalisiert-sachentbundenen Lösungsstrategien. Diese signalisieren ihre Einsicht, dass es ohnehin nicht um das ‚Problematische‘ an der Sache, sondern lediglich um das ‚Unterricht machen‘ geht, unterlaufen aber nun die von der Lehrerin intendierten Ansprüche an die Bearbeitung des Themas. Der Verlauf der Unterrichtssequenz repräsentiert die in der modernen Schuldidaktik geläufige, jedoch wenig aussichtsreiche Strategie, nicht durch die Sache selbst, sondern durch sekundäre Stimulantien zu motivieren.
Abstract
This article presents excerpts from a case study, which exemplarily reconstructs a typical ‘lessons kick-off’: the teacher uses a short video clip to captivate and engage the students in order to quickly and effectively lead them to the subject and to motivate them to become involved with the topic. The video is capable of provoking strong concerns, but also has entertainment value as it presents the topic by using typical patterns of mass-media attention-grabbers. Subsequently, the teacher assigns formalized tasks that only slightly touch upon the information presented in the video, downplaying its emotional effect. Hence, the students initially take the assignment with obvious disinterest, and in turn use formalized strategies to solve these tasks in a way that lacks factual relevance. Thus, they demonstrate awareness of the fact that the primary concern is not the ‘problematic’ nature of the topic but their duty to ‘do school’. Consequently, they evade the teacher’s intended demands of processing the topic effectively. The course of this teaching sequence represents the modern and widely applied (but rather unpromising) pedagogical strategy of attempting to motivate students by using secondary stimuli rather than the topic itself.
Notes
Institutsprojekt, seit 2009 (Bernd Hackl, Alois Stifter, Andrea Felbinger).
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Hackl, B., Stifter, A. Ein ordentliches Schnitzel. Z f Bildungsforsch 1, 219–234 (2011). https://doi.org/10.1007/s35834-011-0018-9
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