Liebe Leserin, lieber Leser,

ich weiß ja nicht, was Ihr Arzt oder Apotheker gegen die Ohrenschmerzen empfohlen hätte, aber der freundliche Automechaniker in der Vertragswerkstatt eines bekannten Wolfsburger Unternehmens hatte einen ebenso simplen wie wirksamen Rat: "Abschalten! Wir werden das öfter gefragt und können das gern für Sie machen". Die Rede ist von den infernalischen Warntönen, die ein unschuldiger Fahrer ins Trommelfell gejagt bekam, wenn er sich erdreistete, vor Betätigen des Zündschlüssels nicht bereits den Gurt angelegt und den Fuß auf das Bremspedal gedrückt zu haben. Wem diese nervtötende Funktion schon der Bevormundung zu viel war, für den brechen bald schwere Zeiten an. Nach dem Willen des Gesetzgebers wird Big Brother Bordcomputer nämlich bald mit neuen Kompetenzen ausgestattet. Die Verordnung (EU) 2019/2144 des Europä- ischen Parlaments und des Rats schreibt vor, dass Kraftfahrzeuge der Klassen M und N ab dem 6. Juli 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab dem 7. Juli 2024 für alle Neufahrzeuge mit einem intelligenten Geschwindigkeitsassistenten ausgerüstet sein müssen.

Dabei erfasst die Elektronik des Fahrzeugs mithilfe digitaler Straßenkarten oder einer Verkehrszeichenerkennung aktuell geltende Tempolimits und wird bei deren Nichtbeachtung aktiv. Wie unsere Kollegin Christiane Köllner unter www.springerprofessional.de aufbereitet hat, sind dabei verschiedene Eskalationsstufen von diskreten Hinweisen im Display bis hin zu massiven Eingriffen in die Fahrfunktionen denkbar. Das väterliche Eingreifen, mit dem Rasern elektronisch der Bleifuß amputiert wird, hält auch der Rechtsexperte Prof. Eric Hilgendorf mit seinen Ausführungen zum Paternalismus im Straßenverkehr zwar für juristisch problematisch, aber umsetzbar, wie er im Interview ab Seite 22 ausführt.

Dank moderner Technik könnten dann allerdings nicht nur hirnlose Hobby-Hamiltons vor dem Kindergarten eingebremst werden, was ja durchaus zu begrüßen wäre, es könnte gleich den gesamten Stadtverkehr treffen. Und der Grund ist die vorsichtige Fahrweise, die wohl alle autonom fahrenden Beförderungsmittel zunächst an den Tag legen. Das macht sie nicht nur zu "perfekten Opfern", wie Hilgendorf fürchtet, sie werden als Wegschnecken auch den urbanen Verkehrsfluss zum Erlahmen bringen. In seinem Gastkommentar auf Seite 90 in dieser Ausgabe zitiert Christian U. Haas ein Szenario der PTV, nach dem die Zahl der Stopps und die Zeit, die man in der Stadt im Stau stehen muss, deutlich zunehmen wird. Nicht immer war künftig alles besser.

Herzliche Grüße, Ihr

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Frank Jung

Redakteur