Liebe Leserin, lieber Leser,

gerade haben zwei weitere OEMs ihre Elektroantriebsstrategie vorgestellt, Volkswagen war schon vorgeprescht. Der eine sitzt mehr im Norden und ist dem Premiumbereich zuzuordnen, der andere richtet sich auf das schwierigere Volumenfahrzeugsegment aus und ist im Süden aktiv. Für beide scheint sich jedoch der Umstieg zu lohnen. Auf der einen Seite bietet Volvo Cars ab 2030 nur noch vollelektrische Pkw an. "Auf dem Weg zu einem Premium-Automobilunternehmen, das ab 2030 ausschließlich Elektrofahrzeuge verkaufen wird, wollen wir die besten Autos unserer 94-jährigen Geschichte bauen", kündigte der CEO Håkan Samuelsson die Pläne in dem Live-Event "Tech Moment" in Göteborg (Schweden) an.

Auf der anderen Seite will die Renault Group bis 2025 zehn neue vollelektrische Modelle auf den europäischen Markt bringen und den Elektroanteil auf 65 % steigern. Bis 2030 sollen bis zu 90 % der verkauften Renault-Modelle über einen vollelektrischen Antrieb verfügen. "Indem wir unser Elektro-Ökosystem ElectriCity in Nordfrankreich zusammen mit unserer E-Powertrain Megafactory in der Normandie aufbauen, schaffen wir zu Hause die Voraussetzungen für unsere Wettbewerbsfähigkeit", betonte Chef Luca de Meo in Paris auf der Veranstaltung "Renault eWays".

Das ist alles gut und richtig. Doch wo bleiben die CO2-Verbesserungen für die zahlenmäßig riesige Bestandsflotte in der EU? Sie wird noch lange Jahre aus rund 250 Millionen Pkw bestehen, die von Verbrennungsmotoren angetrieben werden. Wo werden hierzu konkrete und sozialverträgliche Maßnahmen vorgestellt? Die Politik hat - auch auf Wunsch der Industrie - zu einseitig auf den batterieelektrischen und gewiss nicht unvorteilhaften E-Antrieb gesetzt. Nun fordern Hunderte Wissenschaftler rund um die Professoren Thomas Willner und Thomas Koch in offenen Briefen mehr Technologieoffenheit - sprich Überlebenschancen für den Verbrennungsmotor - und einen Kurswechsel bei der Umsetzung der Verkehrswende, wie es mein Kollege Marc Ziegler in einem lesenswerten Essay auf Springer Professional beschreibt.

Wir werden den CO2-Fußabdruck nur nachhaltig verkleinern können, wenn wir alle Hebel parallel in Bewegung setzen. Dazu benötigt die Alternative E-Fuels mit einer H2-Produktion im sonnenreichen Nordafrika mehr Unterstützung. Das wäre dann auch wirtschaftlich und sozial eine große Chance für diese schwache Region. Die VDA-Präsidentin Hildegard Müller ruft daher in ihrem ATZ-Gastkommentar auf Seite 74 dazu auf, E-Fuels beherzt voranzutreiben. Uns allen sollte es darum gehen, weder die Elektroautos zu verteufeln noch die E-Fuels schönzurechnen, sondern vielmehr die großen Herausforderungen dieser Dekade partnerschaftlich anzugehen.

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Dipl.-Ing. Michael Reichenbach

Stellvertretender Chefredakteur