Unsere Gesellschaft ist vom Perfektionismus derart beherrscht, dass wir uns ihm kaum noch entziehen können. Das drücken Worte wie bestmöglich oder meistbietend aus. Dabei legen wir oft gedankenlos technische Maßstäbe an, weil technisch beinahe alles Erdenkliche machbar wurde. Deshalb glauben wir, dass auch unser tägliches Leben perfekt funktionieren müsse. „Optimale Lösung“ heißt die fragwürdige Devise, die immer wieder zu hören ist. Unsere Schlüsselworte heißen Leistung und Erfolg. Das heißt, Leistung genügt gar nicht, Höchstleistung muss es sein.

Und wie wir überall sehen, vollbringen wir beachtliche Höchstleistungen. Wir machen uns kaum klar, dass uns perfektionistische Vorstellungen unterschwellig leiten. Wir registrieren häufig nur noch unsere Enttäuschungen: über den Partner, unsere Kinder, die Verwandten, die Handwerker, über den Straßenverkehr, über die Kollegen und andere Menschen. Auch über uns selbst. Da nehmen wir uns nicht aus, denn es geht ja um höchste Anforderungen. Wir muten uns eine ganze Reihe von Aufgaben gleichzeitig zu. Da reicht oft nicht mehr die Zeit aus und wir bleiben auf der Strecke.

Wir spüren dann unsere Unvollkommenheit, die Grenzen unserer Belastbarkeit - die Kraft, einen Tag durchzustehen, ist ja von Natur aus dosiert. Nur der wache, nüchterne Blick auf die Grenzen der Lebenskraft befreit vom Zwang der Perfektion, erleichtert den Verzicht auf das jeweilig Optimale. Die Einsicht und die Annahme, dass der Mensch von seinem Wesen her unvollkommen ist und Schwächen hat, verhindert, dass uns täglich Enttäuschungen plagen. Wenn ich ja sage zu meinen Schwächen und sie zugebe, wenn mich andere darauf aufmerksam machen, dann kann ich mir auch über meine Stärken klar werden.