Chemotherapieinduzierte Polyneuropathien können die Lebensqualität von Menschen mit onkologischen Erkrankungen empfindlich stören. Wirksame Präventionsmaßnahmen wären bei dieser bislang oft schwer behandelbaren Komplikation von enormem Nutzen.

Ein vielversprechender Ansatz zur Prävention der Chemotherapieinduzierte Polyneuropathien (CIPN) ist die Kryotherapie. Dahinter stehe laut Prof. Dr. Claudia Sommer, Neurologie, Universitätsklinik Würzburg, eine pathophysiologisch durchaus plausible Rationale. Die entscheidenden Player seien vermutlich Vasokonstriktion, verminderter Blutfluss und somit eine reduzierte Toxinexposition in den Akren. Die Datenlage zu dieser Kryotherapieindikation ist zwar überschaubar, in den letzten Monaten wurden jedoch einige erste Studien mit ermutigenden Ergebnissen veröffentlicht.

Mit dem Thermometer sinkt die Akzeptanz

In einer niederländischen Studie wurde das Tragen von Kältehandschuhen während der Chemotherapie randomisiert kontrolliert mit Chemotherapie ohne CIPN-Prophylaxe verglichen. Ein Drittel der kryotherapeutisch Behandelten schlüpften vorzeitig wieder aus den Handschuhen, weil sie die Kälte als sehr unangenehm empfanden. Die Auswertung der Studie zeigte keinen signifikanten Einfluss der Kryotherapie auf die neuropathischen Schmerzen. Einen gewissen Effekt schien sie aber auf einzelne assoziierte Symptome wie Kribbeln in den Fingern und Kraft in den Händen zu haben [Beijers AJM et al. Ann Oncol 2020;31:131-6].

Japanische Forschende wählten ein anderes Mittel zur Zirkulationsdrosselung an den Fingerspitzen: chirurgische Handschuhe, die eine Nummer zu klein waren. Mit dieser Kompressionsbehandlung konnten sie bei Brustkrebspatientinnen die Temperatur der Fingerspitzen messbar senken. Die Intervention wurde gut vertragen und in einer einarmigen Studie lag die CIPN-Rate nach Chemotherapie mit Paclitaxel bei nur 13,8 % [Tsuyuki S et al. Breast 2019;47:22-7]. Ohne Prophylaxe wäre laut Literatur eine Inzidenz von 44 % zu erwarten.

Kombination von Kälte und Druck?

Eine Arbeitsgruppe in Singapur kombinierte die Prinzipien Kälte und Kompression in einer Proof-of-Concept-Studie mit 13 Teilnehmenden. Bei diesen wurde während der Applikation mehrerer Zyklen einer Paclitaxel-basierten Chemotherapie alle vier Extremitäten mit einer speziell zu diesem Zweck entwickelten Apparatur gekühlt und gleichzeitig komprimiert. Weder unter dieser Kryokompression noch in den beiden Kontrollarmen - mit Kühlung und ohne Kompression beziehungsweise ganz ohne Prophylaxeintervention - trat eine schwere Neuropathie auf. Die elektrophysiologischen Untersuchungen zeigten im Vergleich zwischen den Gruppen im Verlauf keinen signifikanten Unterschied der sensorischen Nervenamplituden. Die Nervenleitfähigkeit in den Extremitäten war aber drei Monate nach Intervention in den Kontrollgruppen signifikant gegenüber der Kryokompressionsgruppe abgesunken [Bandla A et al. Support Care Cancer 2019, published online ahead of print]. Sommer hält das Prinzip der Kryokompression für aussichtsreich. Weitere Studien müssten nun zeigen, ob die Methode zur CIPN-Prophylaxe wirklich geeignet sei.

Neuro Update 2020, 12. Neurologie-Update-Seminar, 20.-21.3.2020, Livestream