Eine Studie an der Universitätsklinik Mainz zeigte, dass 49,7 % der Patienten, die vor einer Chemotherapie noch keine Polyneuropathie aufwiesen, nach abgeschlossener Chemotherapie in kompletter oder partieller Remission unter Chemotherapie-induzierten Neuropathien (CIN) leiden, berichtete Professor Frank Birklein, Sektion Periphere Neurologie und Schmerz an der neurologischen Universitätsklinik Mainz. Besonders häufig waren CIN nach Behandlung mit Platinverbindungen (allen voran Oxaliplatin) und Taxanen. Bei 61 % der Patienten mit CIN lag eine Large-Fiber-, bei 35 % eine Mixed-Fiber- und bei 1,5 % eine isolierte Small-fiber-Neuropathie vor. In der Regel handelt es sich um sensorische Neuropathien, nur nach Platingabe kommt es zu motorischer Hyperreagibilität, erläuterte Birklein. 42 % der Betroffenen zeigten in der Studie nicht nur Sensibilitätsstörungen, sondern berichteten auch über Schmerzen.

Symptomatische Therapie

Therapeutisch ist es relevant, neuropathische Schmerzkomponenten von myofaszialen zu unterscheiden. Neuropathische Schmerzen zeigen sich durch eine stärkere Deafferenzierung, der Schmerz verstärkt sich deutlich in Ruhe. Die Therapie erfolgt gemäß der Leitlinien [NVL Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter, AWMF: nvl/001e]. In der Indikation CIN untersucht ist allerdings nur Duloxetin. Als nicht geprüfte Alternativen nannte Birklein je nach Symptomen Lamotrigin, Lokaltherapien wie Lidocain- oder Capsaicinpflaster oder Trizyklika. Myofasziale Schmerzen gehen häufiger mit Hyperalgesie einher und treten belastungsabhängig auf. Hier empfiehlt Birklein primär Physiotherapie und manuelle Therapie.

Die Mechanismen, die zur CIN führen, sind nur teilweise bekannt. Entsprechend gibt es bisher keine Empfehlungen zur Prävention. Im Mausmodell konnte Monastrol die CIN reduzieren, ohne die Wirkung von Cisplatin zu beeinträchtigen, so Ilja Bobylev von der AG Erkrankungen des peripheren Nervensystems der Universität Köln. Privatdozent Dr. Tim Hagenacker, Klinik für Neurologie der Universität Essen, nannte Ciclotinid, das der Kalziumdysbalance entgegenwirken soll, die im Tiermodell bei Platinbehandlung zu beobachten ist und mit der neurotoxischen Wirkung von Chemotherapeutika zusammenhängt. Ciclotinid hemmt gezielt einen spannungsabhängigen Transporter.

In der Maus war die Substanz selektiv neuroprotektiv, im Menschen geht sie bei der bisherigen intrathekalen Anwendung allerdings mit erheblichen Nebenwirkungen wie schwere Kreislaufregulationsstörungen oder erhöhter Suizidalität einher. Bei CIN durch Paclitaxel wird derzeit in einer Proof-of-Concept-Studie Lithium geprüft, das ebenfalls der Kalziumdysbalance entgegenwirken könnte. Von einem individuellen Heilversuch rät Professor Wolfgang Böhmerle, Charité Berlin, aber dringend ab, bevor nicht Studiendaten vorliegen.