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Was die IT-Infrastruktur betrifft, lag im alten Mesopotamien noch manches im Argen. Die Sumerer zogen es deshalb vor, ihre Botschaften mithilfe eines Griffels auf Tontafeln zu posten. Mit der Zeit entstand aus dieser Praxis ein Kulturerzeugnis, das als Brief bekannt und trotz Twitter und WhatsApp auch heute nicht völlig außer Gebrauch geraten ist. Hoch im Ansehen stand das Briefeschreiben noch 1756. Damals schickte der birmanische König Alaungphaya den Goldenen Brief an Georg II., König von Großbritannien und Irland sowie Kurfürst von Hannover. Abgesehen vom Material handelte es sich beim Goldenen um einen gewöhnlichen Geschäftsbrief. Mit seinen Maßen von knapp 55 mal 8,5 Zentimeter dürfte er freilich nicht mehr als Standardbrief DIN lang durchgegangen sein.

Nicht gewusst, was sie sagen wollen, und am Ende nicht, was sie geschrieben haben

Eine weitere wichtige Briefgattung stellen Liebesbriefe dar. Im Gegensatz zum Goldenen Brief bedienen diese sich zwar in der Regel profaner Materialien, glänzen dafür aber mit goldigem Inhalt. Eine Anleitung zum Verfassen von Liebesbriefen stammt von dem französischen Philosophen und Pädagogen Jean-Jacques Rousseau: „Um einen guten Liebesbrief zu schreiben, musst du anfangen, ohne zu wissen, was du sagen willst, und endigen, ohne zu wissen, was du gesagt hast.“

Neben den Liebenden gehören auch Ärzte zu den Menschen, die selbst heutzutage noch fleißig Briefe schreiben. Und geht es nach Rousseau, haben nicht wenige Arztbriefe einiges mit guten Liebesbriefen gemeinsam. Jedenfalls können deren Verfasser zu Beginn nicht gewusst haben, was sie sagen wollen, und am Ende nicht, was sie geschrieben haben. Darauf deuten die Resultate einer Umfrage unter 200 Medizinern hin, die der Linguist Sascha Bechmann von der Universität Düsseldorf unternommen hat. Hiernach werden niedergelassene Ärzte durch die Briefe, die ihre Patienten bei der Entlassung aus der Klinik mitbringen, regelmäßig zur Verzweiflung getrieben. Fast alle der Befragten hatten schon einmal einen fehlerhaften Entlassbrief eines Patienten in Händen. Und praktisch sämtliche Ärzte gaben zu, manchmal Mühe zu haben, die Briefe der Kollegen aus dem Krankenhaus auf Anhieb zu verstehen.

Auch der Goldene Brief hat seinerzeit Geduld und Auffassungsgabe auf die Probe gestellt. Obwohl es sich gar nicht um einen Entlassbrief handelte, dauerte es fast zwei Jahre, bis er den Empfänger erreichte. Weil König Georg offenbar Mühe hatte, den Brief des birmanischen Kollegen auf Anhieb zu verstehen, wanderte das Schreiben kurzerhand ins Archiv der Bibliothek von Hannover. Am Absender lag das in diesem Fall nicht, inzwischen gehört der Goldene Brief zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Dass einem Entlassbrief, und wäre er aus Gold, jemals eine solche Ehrung wiederführe, muss nach den Erkenntnissen der Düsseldorfer Sprachforscher indes als eher unwahrscheinlich gelten.