Während der Pandemie gab es vermehrt Fälle von Ketoazidosen bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes. Doch liegt das am Lockdown oder der Angst der Patienten vor einem Klinikbesuch?

In den ersten beiden Monaten der Corona-Pandemie stieg die Häufigkeit einer Ketoazidose bei Kindern und Jugendlichen mit manifestem Typ-1-Diabetes, berichtete PD Dr. Clemens Kamrath vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Gießen. Gleichzeitig stellten sich während des Lockdowns weniger Patienten in den Notaufnahmen vor. Der Experte und sein Team wollten herausfinden, ob das Risiko für Ketoazidosen mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zusammenhängt oder primär mit der Pandemie selbst - d.h. mit der Angst der Bevölkerung und der daraus resultierenden Vermeidung von Kliniken. Dazu untersuchten die Forschenden Diagnosen von Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen im Jahr 2020 in fünf Regionen Deutschlands. Aufgeteilt wurde dies nach Süd (Baden-Württemberg, Bayern), Mitte (Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen), West (Nordrhein-Westfalen), Nord (Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern) und Ost (Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin, Brandenburg, Sachsen). Insgesamt wurden 3.238 junge Patienten einbezogen. In wöchentlichen Intervallen setzten die Forscher diese Daten in Zusammenhang mit der Corona-Inzidenz. Das relative Risiko (RR) für eine Ketoazidose im Jahr 2020 berechneten die Experten aus beobachteten und erwarteten Raten.

Risiko-Anstieg um den Faktor 1,4

Das mittlere adjustieren RR für eine diabetische Ketoazidose bei Manifestation des Diabetes war in Gesamt-Deutschland von April bis September 2020 signifikant erhöht. Dabei überdauerte die erhöhte Komplikationsrate die erste Welle der Pandemie um mehrere Monate. In den fünf Regionen war das RR sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es im Osten und Norden keine signifikanten Unterschiede gab, waren die RR im Westen und Süden deutlich erhöht. Zudem gab es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der wöchentlichen Inzidenz von COVID-19-Fällen bzw. Todesfällen pro 100.000 Einwohnern und dem Risiko einer diabetischen Ketoazidose, so der Experte. Pro 50 Fälle/100.000 Einwohner kam es zu einem Anstieg der Komplikation um den Faktor 1,4. Pro Todesfall/100.000 Einwohner stieg das RR um den Faktor 1,23.

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© Alessandra Schellnegger / SZ Photo / picture alliance

Die Scheu bei weniger starken Symptomen in die Klinik zu gehen, hat sich durch die Pandemie offenbar vergrößert.

Da die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus bundesweit umgesetzt wurden und zeitlich begrenzt waren, erklären sie nicht die regionalen Unterschiede und die verlängerte Zeit der erhöhten Ketoazidoserate, resümierte Kamrath. Vielmehr könnte die durch die Pandemie verursachte Besorgnis der Bevölkerung (Angst vor Infektion) ein Grund für die Vermeidung des Kontakts mit dem Gesundheitssystem gewesen sein.

Quelle: Diabetes Kongress (DDG) 2021 online), 12. - 15. Mai 2021; Session: Komplikationen - eine neue Ära