Impfungen schreiben vermutlich die größten Erfolgsgeschichten in der Medizin. Das wird derzeit wieder in der COVID-19-Pandemie deutlich. Das Potenzial, schwere Verläufe zu vermeiden, überwiegt deutlich die Schwachstellen von Impfungen. Aber: Ähnlich wie bei Influenza werden zur Kontrolle der COVID-19-Pandemie zumindest in Risikogruppen Booster-Impfungen nötig.

"Impfungen sind der Hauptgrund dafür, dass die Lebenserwartung der Menschen im letzten Jahrzehnt gestiegen ist", sagte Chairman Prof. Tobias Welte von der MH Hannover. Als Paradebeispiel für die Bedeutung von Impfungen nannte er die Prävention von schweren COVID-19-Verläufen durch COVID-19-Impfungen. Das überwiegt deutlich die Schwachstellen wie unerwünschte Wirkungen, in sehr seltenen Fällen auch schwere wie zerebrale Venenthrombosen, sowie abgeschwächte Immunantworten bei Hochrisikogruppen wie älteren oder immunsupprimierten Patienten. Für die wissenschaftliche Gemeinde ist die rasant schnelle Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen ein großer Erfolg. "Nur 11 Monate hat es gedauert vom Ausbruch einer neuen Viruserkrankung bis zur Entwicklung hocheffizienter Impfstoffe", betonte Prof. Leif Erik Sander von der Charité Berlin, der an der Entwicklung von COVID-19-Vakzinen beteiligt war. Hoch wirksam sind sowohl Vektorimpfstoffe (AstraZeneca, Johnson & Johnson) als auch mRNA-Vakzine (BioNTech/Pfizer, Moderna), die noch etwas höhere Wirksamkeit zeigten. Gewartet wird in Europa aktuell auf die Zulassung von proteinbasierten Impfstoffen, wie sie zum Beispiel bei der Influenza-Impfung zum Einsatz kommen.

In den klinischen Studien zu COVID-19-Vakzinen wurde eine Schutzwirkung von meist über 90 % erreicht. Real-World-Daten bestätigen diese Effektivitätsdaten im Zeitraum März bis Juni 2021, der sogenannten Prä-Delta-Ära. Mit zunehmender Verbreitung der Delta-Virus-Mutante sei die Wirksamkeit bis auf rund 50 % gesunken, berichtete Sander. Schwere unerwünschte Ereignisse seien aber sehr selten, betonte er. Vakzininduzierte thrombotische Thrombozytopenien (VITT) etwa wurden bei Geimpften in Deutschland nach Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts mit einer Häufigkeit von 0,013 (BioNTech/Pfizer) bis zu 1,5 pro 100.000 (AstraZeneca) gemeldet.

Wie lange die Schutzwirkung einer Impfung anhält, hängt vermutlich wesentlich von der initialen Immunreaktion ab. "Die Wahrscheinlichkeit einer Durchbruchsinfektion nach einer Corona-Impfung ist höher, wenn die initial erreichten Antikörperspiegel niedrig sind", sagte der Infektiologe. Zudem wird die Antikörperantwort mit zunehmendem Abstand zur Impfung schwächer. Corona-Durchbruchsinfektionen träten derzeit gehäuft bei Personen auf, die frühzeitig geimpft wurden, und bei Hochrisiko-Patienten für schwere COVID-19-Verläufe, deren Immunantwort abgeschwächt ist. Bei etwa 40 % der Älteren seien 6 Monate nach der Impfung nicht mehr genug neutralisierende IgG-Antikorper vorhanden, um sie vor einer Infektion mit der Delta-Variante zu schützen, sagte Sander.

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Früher oder später wird die COVID-19-Booster-Impfung für jeden sinnvoll sein, denn harmlos wird SARS-CoV-2 so schnell nicht.

Entsprechend ist vor allem für Risiko-Gruppen frühzeitig eine Booster-Impfung empfehlenswert. Durch die dritte Dosis, bevorzugt mit schnell wirkenden mRNA- oder künftig auch Protein-Vakzinen, werde die humorale Immunität stark erhöht, so Sander. Erfahrungen in Israel zeigten, dass dadurch das Risiko einer Durchbruchsinfektion verringert werden könne. Empfehlungen für eine Booster-Impfung gegen COVID-19 werden sich zunächst nach dem Risiko einer Person für eine Infektion bzw. einen schweren Verlauf richten, so Sander. Denn für eine gezielte Vorgehensweise basierend auf den Messwerten der neutralisierenden Antikörperspiegel fehlten noch die Daten. Aber: "Von einer Booster-Impfung wird jeder profitieren." In welchen Abständen sie empfohlen werden wird, ist noch unklar.

Seit Jahren empfohlen werden jährliche Auffrischimpfungen gegen Influenza für bestimmte Personengruppen, unter anderem über 60-Jährige. In Anspruch genommen würde diese Impfungen in Deutschland aber nur von ca. 40 % der Personen, die geimpft werden sollten, sagte Welte. Influenza sei wegen der Corona-Pandemie etwas aus dem Fokus geraten, aber nach wie vor eine Erkrankung mit hoher Mortalität und Morbidität. Die Wirksamkeit der Vakzine sei zwar nicht optimal, aber schwere Erkrankungsverläufe könnten verhindert werden. Bewährt hat sich laut Welte bei Älteren die hochdosierte trivalente Vakzine, die nun auch von der STIKO empfohlen wird.

Quelle: Joint Session "Vaccination and Infections" am 5.9.2021 der ERS mit Unterstützung von GSK und Janssen Europe beim virtuellen ERS-Kongress.