Lunge, Herz, Niere, zentrales Nervensystem - das SARS-CoV-2 infiziert als "Multiorganvirus" die unterschiedlichsten Organe. Dementsprechend sind viele Langzeitfolgen denkbar. Vor allem bei schweren Verläufen sollten die Patienten daher intensiv nachbetreut werden.

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Was das SARS-CoV-2 langfristig im Körper anrichtet, im Hinblick auf eine Immunität gegen erneute Erkrankung und auf Schäden an den Organen und dem Gefäßssystem, muss noch erforscht werden.

Nicht einmal ein halbes Jahr nach dem (bisherigen) Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie in Deutschland sind die Spätfolgen von COVID-19 noch schwer abzuschätzen. Es zeichnet sich aber ab, dass sich einige Patienten über Monate nicht vollständig regenerieren - und dass unter ihnen auch Menschen mit milden COVID-19-Verläufen sind. "Genesen" bedeutet im Fall von COVID-19 also nicht immer "geheilt".

Der Virologe Prof. Peter Piot, Direktor der London School of Hygiene and Tropical Medicine, infizierte sich im März mit SARS-CoV-2. Dem Fachmagazin "Science" berichtete er von noch wochenlang persistierenden Symptomen: "Nach einem schweren COVID-19-Verlauf entwickelte ich eine Lungenerkrankung, verursacht durch den durch das Virus ausgelösten Zytokin-Sturm. Ich werde immer noch mit hohen Dosen von Kortikosteroiden behandelt. Ich leide unter Vorhofflimmern, das behandelt werden muss, auch um Thrombosen und einen Schlaganfall zu verhindern."

Piot, der sich mehr als die Hälfte seines Lebens mit Viren beschäftigt hat, warnte in dem Bericht eindringlich: "Viele Menschen glauben, dass ein Prozent der Infizierten stirbt und der Rest mit milden, grippeähnlichen Symptomen davonkommt. Aber so einfach ist es nicht: Viele Patienten werden chronische Nieren- und Herzerkrankungen entwickeln, weltweit wird es Tausende geben, die für den Rest ihres Lebens behandelt werden müssen."

Da das Virus nicht nur die Lunge infiziert, sondern auch andere Organsysteme wie Herz, Niere oder das ZNS und durch eine überschießende Immunantwort zu einer systemischen Endotheliitis führen kann, sind Langzeitfolgen in mehreren Organsystemen möglich.

Pulmonale Folgeerkrankungen

SARS-CoV-2 verursacht ja sehr häufig Atemwegsinfektionen. Einige Patienten berichten auch bei einem milden Verlauf noch über einige Wochen über Kurzatmigkeit, und gerade bei Patienten, die beatmet werden müssen, können längerfristige Schäden durch die oft über mehrere Wochen notwendige Beatmung auftreten. Auch kommt es bei einer mechanischen Beatmung häufiger zu Koinfektionen - auch diese können bekanntlich mögliche Langzeitfolgen haben. Mehrere Studien, die unter anderem auch in Deutschland durchgeführt werden, untersuchen derzeit die Spätfolgen auf die Lunge.

Neurologische und Nierenschäden

Auch bei milden Verläufen kann SARS-CoV-2 neurologische Schäden verursachen, allerdings wohl eher selten. So hat eine aktuelle Studie ergeben, dass eine COVID-19-Erkrankung die neuroaxonale Integrität auch bei Erwachsenen mit mildem bis moderaten Verlauf beeinträchtigen kann.

Bekannt ist auch, dass unter COVID-19 das Schlaganfallrisiko nicht nur deutlich erhöht ist, sondern dass die Hirninsulte auch gravierender als üblich sind (Stroke. 2020; online 9. Juli). Dadurch können auch motorische sowie Sprach- und Sehstörungen zurückbleiben.

Die auch bei milden Verläufen recht häufigen Geruchs- und Geschmacksstörungen persistieren in vielen Fällen noch über Wochen, wie eine Studie mit 200 Patienten ergeben hat: Auch fünf bis sechs Wochen nach Beginn eine COVID-19-Erkrankung hatten über ein Drittel noch anhaltende Riech- und Schmeckdefizite.

Jeder Zehnte mit solchen Beeinträchtigungen spürte dabei überhaupt keine Verbesserung (Otolaryngol Head Neck Surg. 2020; online 2. Juli). Inwieweit der Geruchs- und Geschmacksverlust tatsächlich eine Langzeitfolge ist, muss allerdings noch beobachtet werden - auch bei einer Influenza kann dieses Symptom persistieren.

Besonders bei schwerkranken beatmungspflichtigen COVID-19-Patienten wird das Auftreten von akutem und zum Teil dialysepflichtigen Nierenversagen beobachtet. Virologe Piot sagte gegenüber dem Magazin Science, er rechne mit tausenden Patienten, die in Folge der Pandemie lebenslänglich auf eine Dialyse angewiesen sein könnten.

Ein Problem könnte zudem sein, dass gerade junge Patienten nach ihrer Genesung die Nierenbeeinträchtigungen zunächst nicht bemerken und erst mit zunehmendem Alter die Folgen erkennbar werden.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Eine kardiale Beteiligung lässt sich anhand erhöhter Herzenzyme beziehungsweise Troponin bei einem Teil der Patienten nachweisen, darunter auch Kinder und Patienten mit mildem oder moderatem Verlauf, berichtet das Robert Koch-Institut.

Besonders bei schweren Infektionen der Atemwege erleide eine Reihe von Patienten kardiovaskuläre Erkrankungen, einschließlich Myokardschädigungen, Myokarditis, akutem Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und venösen thromboembolischen Ereignissen.

Die pathologisch erhöhte Blutgerinnung geht bei schweren COVID-19-Verläufen mit einem erhöhten Risiko für Thromboembolien, sowie Lungenarterien- und zerebrovaskulären Embolien und möglichen Folgeschäden einher.

Eine Infektion mit SARS-CoV-2 löst nicht nur eine Pneumonie, sondern auch eine Endotheliitis in den verschiedenen Organen aus - mit fatalen Folgen. Das berichten Forscher nach Autopsie von COVID-19-Patienten. Noch ist nicht abzusehen, wie häufig Folgeschäden tatsächlich auftreten, dafür gibt es die COVID-19-Erkrankung noch nicht lang genug. Gerade Patienten mit schweren Verläufen - das sind nach bisherigen Schätzungen etwa 14 % aller COVID-19-Patienten - sollten allerdings intensiv nachbetreut werden.

Da allerdings auch bei leichten Symptomen Folgeerkrankungen auftreten können, gilt sowohl für Ärzte als auch Patienten: Auch nach der Genesung auf Symptome achten!

Quelle: Ärzte Zeitung online 17.7.2020