Temperatur, Atmung, Sauerstoffsättigung und Leukozytenzahl normal? Dann ist eine Pneumonie sehr unwahrscheinlich. Trotzdem bekommen in den USA viele solcher Patienten Antibiotika gegen eine Pneumonie.

figure 1

© sales.germany@thinkstock.com

In einer US-Analyse erhielt offenbar jeder sechste Patient Antibiotika, obwohl der Pneumonieverdacht nicht ausreichend begründet war.

Eine Pneumonie korrekt zu diagnostizieren ist nicht immer einfach, da auch viele andere Leiden eine erhöhte Temperatur, Lungeninfiltrate, Atemprobleme und eine schlechte Sauerstoffsättigung bedingen können. So bestehe die Gefahr, dass Pneumonien überdiagnostiziert und Patienten unnötigerweise mit Antibiotika behandelt würden, berichten Gesundheitsforscher um Dr. Michael Klompas von der Harvard Medical School in Boston. Sie gehen aufgrund einer retrospektiven Analyse davon aus, dass jeder sechste Klinikpatient mit Pneumonieverdacht Antibiotika erhält, obwohl weder klinische Zeichen noch Laborwerte eine Pneumonie nahelegen. Zudem werden Antibiotika bei über einem Drittel der Patienten auch noch verabreicht, nachdem die Beschwerden seit mehreren Tagen verschwunden sind.

Nach vier Pneumoniezeichen geschaut

Für ihre Analyse haben die Forscher um Klompas Angaben zu knapp 12.300 Patienten aus vier Kliniken im US-Bundesstaat Massachusetts ausgewertet, die innerhalb stationär aufgrund eines Pneumonieverdachts mit Antibiotika behandelt wurden. Etwa 9.500 hatten sich die Erkrankung außerhalb der Klinik zugezogen - davon gingen die Forscher aus, wenn die Patienten in den ersten beiden Tagen der Klinikaufnahme Antibiotika bekamen, bei den übrigen wurde eine Infektion in der Klinik angenommen. Berücksichtigt hatten sie nur Patienten, bei denen die Antibiotikaverordnung mit einer Pneumonie oder einem Pneumonieverdacht begründet worden war. Anhand der elektronisch erfassten Angaben konnten die Forscher schauen, welche Symptome und Befunde die Ärzte bis zum Tag des Antibiotikastarts notiert hatten. Sie interessierten sich vor allem für den Anteil von Patienten, die keine pneumonietypischen Auffälligkeiten bei den klinischen Zeichen und den Laborwerten zeigten. Konkret berücksichtigten sie die Körpertemperatur (normal: 36-38 °C), die Atemfrequenz (unter 22/s), Leukozyten (4.000-12.000 pro Mikroliter) und Sauerstoffsättigung (mindestens 95 %).

Die Patienten waren im Schnitt 67 Jahre alt, solche mit Verdacht auf eine ambulant erworbene Pneumonie wurden im Schnitt 5 Tage, die übrigen 13 Tage stationär aufgenommen. Das häufigste Pneumoniezeichen zu Beginn der Antibiotikatherapie war eine verminderte Sauerstoffsättigung (bei rund 60 %), etwa die Hälfte hatte auffällige Leukozytenwerte. Fieber beobachteten die Ärzte hingegen nur bei einen Viertel, eine erhöhte Atemfrequenz bei etwa 20 %. Patienten mit Verdacht auf eine Klinikpneumonie wiesen etwas häufiger die klassischen Erkrankungszeichen auf als Betroffene mit Verdacht auf eine ambulant erworbene Erkrankung.

Überraschend hoch war jedoch der Anteil der Patienten, die kein einziges der genannten Pneumoniezeichen aufwiesen: Er betrug 19 % bei den Betroffenen mit Verdacht auf eine ambulant erworbene Pneumonie und knapp 14 % bei denen mit Verdacht auf eine Krankenhauspneumonie, unter allen Patienten betrug der Anteil 17,5 % - damit habe wohl jeder Sechste ohne ausreichend begründeten Verdacht Antibiotika gegen eine Pneumonie bekommen, schlussfolgern die Forscher um Klompas.

Antibiotika an 35 % aller Therapietage überflüssig

Unter den Patienten mit Pneumoniezeichen verschwanden diese nach im Median drei Tagen bei Verdacht auf eine ambulant und vier Tagen bei Verdacht auf eine stationär erworbene Pneumonie. Trotzdem wurde im Median jeweils fünf Tage behandelt, 30 % erhielten die Medikamente sogar sieben Tage oder länger. 35 % der Patienten mit Verdacht auf eine ambulant erworbene Pneumonie bekamen die Medikamente drei Tage oder länger nach Abklingen sämtlicher Zeichen, 20 % sogar sieben Tage oder länger, 38 % und 26 % waren es jeweils unter den Patienten mit Verdacht auf eine Krankenhauspneumonie. Unterm Strich seien Antibiotika an 35 % aller Tage, an denen sie gegeben wurden, überflüssig gewesen.

Die Forscher um Klompas erinnern daran, dass Patienten ohne typische Pneumoniezeichen keine Antibiotika gegen eine solche Erkrankung erhalten sollten, unabhängig davon, wie gut oder schlecht es ihnen geht. Ärzte sollten besser bis zur Bestätigung der Diagnose warten. Wird eine Antibiotikatherapie angesetzt, so raten die Forscher, diese nach dem Abklingen sämtlicher Krankheitszeichen rasch wieder abzusetzen. Kontrollierte klinische Studien hätten gezeigt, dass es sicher sei, eine Antibiotikabehandlung bereits nach drei Tagen zu beenden, sofern sich die Beschwerden normalisieren, selbst wenn die Pneumoniezeichen noch nicht wieder ganz im Referenzbereich liegen.

Quelle: Ärztezeitung online, 24.7.2020