Empfehlungen, die zuvor in separaten Leitlinien enthalten waren, sind nun in einem einzigen Dokument gebündelt worden.

Je nach klinischer Symptomatik, EKG-Befund und Ergebnis der kardialen Troponinmessung kann ein akutes Koronarsyndrom (ACS) als ST-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI), Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung im EKG (NSTEMI) oder als instabile Angina pectoris klassifiziert werden. Zu diesen ACS-Subtypen gab es in Europa bisher eigene ESC-Leitlinien, die nun in einem Dokument zusammengefasst wurden.

Neue Empfehlung zum invasiven Management bei NSTE-ACS

Zwar gibt es keine großen Veränderungen beim ACS-Management, jedoch werden viele neue nuancierte Empfehlungen ausgesprochen. Eine Änderung betrifft das invasive Management bei NSTE-ACS-Patienten. Für diese Personen galt bislang bei Anzeichen für ein hohes Risiko (u. a. bestätigte NSTEMI-Diagnose, dynamische ST-Segment oder T-Wellen-Veränderungen, GRACE-Score über 140) eine Klasse-1-Empfehlung für eine frühe invasive Strategie (Koronarangiografie und ggf. primäre perkutane Koronarintervention (PCI) innerhalb von 24 Stunden). Aus der, gemessen an der wissenschaftlichen Evidenz, zu stark empfundenen Klasse-1-Empfehlung wurde nun eine Klasse-IIa-Empfehlung. STEMI-Patienten sollen dagegen schnellstmöglich in ein Katheterlabor gebracht werden.

Klasse-IIa-Empfehlung für kürzere duale Plättchenhemmung

Viele Studien untersuchten, ob es eine bessere antithrombotischen Therapie v. a. zu Senkung des Blutungsrisikos nach ACS gibt, etwa durch Verkürzung der dualen plättchenhemmenden Therapie (DAPT) oder durch sogenannte Deeskalation (Switch von potenten P2Y12-Hemmern etwa auf Clopidogrel). Zu einer Änderung der Leitlinienempfehlung haben diese Studien bislang aber nicht geführt. Weiterhin bleibt es bei der Basisempfehlung, dass die primäre antithrombotische Strategie, eine DAPT mit ASS plus einem P2Y12-Hemmer für die Dauer von zwölf Monaten sein sollte.

Allerdings kommen nun auch alternative Strategien stärker in Betracht. So wird empfohlen, dass bei ACS-Patienten, die unter dualer Plättchenhemmung 3-6 Monate lang frei von klinischen Ereignissen geblieben sind und kein hohes Risiko für ischämische Ereignisse aufweisen, ein Wechsel zur plättchenhemmenden Monotherapie (bevorzugt mit einen P2Y12-Hemmer) in Betracht gezogen werden sollte (Klasse-IIa-Empfehlung). Zurückhaltend ist noch die Empfehlung, dass speziell bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko schon nach einem Monat eine plättchenhemmende Therapie (mit ASS oder einem P2Y12-Hemmer) in Betracht gezogen werden kann.

Von einer Deeskalation der DAPT in den ersten 30 Tagen nach ACS wird dagegen abgeraten (Klasse-III-Empfehlung). Dies deckt sich mit der STOPADAPT-3-Studie, in der sich ein völliger Verzicht auf ASS nachteilig ausgewirkt hat.

Keine sofortige Koronarangiografie nach unklarem Herzstillstand

Studien wie TOMAHAWK konnten zeigen, dass es bei Personen mit einem Herzstillstand unklarer Ursache nicht von Vorteil ist, wenn diese nach Einlieferung in eine Klinik eiligst einer Koronarangiografie unterzogen werden. In den neuen ACS-Leitlinien heißt es deshalb, dass eine routinemäßige sofortige Koronarangiografie nach Herzstillstand bei reanimierten, hämodynamisch stabilen Patienten ohne persistierende ST-Streckenhebung im EKG nicht empfohlen wird (Klasse-III-Empfehlung).

Komplette Revaskularisation erhält verstärkte Empfehlung

Bei vielen STEMI-Patienten besteht eine koronare Mehrgefäßerkrankung. Schon in den vorangegangenen Leitlinien gab es die Empfehlung zugunsten einer routinemäßigen Revaskularisation auch von Koronarläsionen in Nicht-Infarkt-Arterien (Klasse IIa). Hier hat es ein Upgrade gegeben: Es wird nun eine komplette Revaskularisation empfohlen, entweder gleich bei der Index-PCI-Prozedur oder innerhalb von 45 Tagen (Klasse-1-Empfehlung). Basis für die Revaskularisation von Nicht-Infarkt-Läsionen sollte die Koronarangiografie sein (Klasse-I-Empfehlung).

ESC-Kongress 2023, 25.8-28.8., Amsterdam