Dass renommierte akademische Forscher, die an das Potenzial eines Lipidsenkers glauben, den die Pharmaindustrie längst abgeschrieben hat, dessen klinische Entwicklung selbst in die Hand nehmen, kommt auch nicht alle Tage vor. Im Fall des Wirkstoffs Obicetrapib ist es passiert.

In der von Dr. Stephen Nicholls, Monash University in Clayton, Australien, präsentierten Studie, an der 120 Patienten mit Statin-Vorbehandlung beteiligt waren, konnte gezeigt werden, dass eine orale Therapie mit dem Wirkstoff Obicetrapib die LDL-Cholesterin(LDL-C)-Spiegel im Vergleich zu Placebo additiv um bis zu 50 % verringerte. Die LDL-senkende Wirkpotenz von Obicetrapib ist damit mit Alirocumab, Evolocumab oder auch Inclisiran vergleichbar. Anders als diese subkutan zu injizierenden PCSK9-hemmenden Wirkstoffe wird Obicetrapib oral appliziert.

Revival für einen abgeschriebenen CETP-Hemmer

Obicetrapib gehört zu den CETP-Hemmern. Wie bitte…? wird da so mancher fragen, der die wechselvolle Geschichte dieser Wirkstoffklasse mitverfolgt hat. Schließlich war das Kapitel CETP-Hemmung in der Lipidforschung schon für definitiv beendet erklärt worden.

In das Wirkprinzip der CETP-Hemmung waren anfangs hohe Erwartungen gesetzt worden, da kleinere Studien gezeigt hatten, dass sich durch Hemmung des CETP (Cholesterinester-Transferprotein) vor allem die Bildung des HDL-Cholesterins als potenziellem Schutzfaktor gegen kardiovaskuläre Ereignisse in bis dato nicht gekanntem Maß steigern lässt.

Die klinische Entwicklung diverser CETP-Hemmer verlief aber anders als erhofft. Wegen Sicherheitsrisiken wurde 2006 die Entwicklung von Torcetrapib eingestellt. Eine große Studie hatte eine Mortalitätszunahme unter diesem CETP-Hemmer offenbart, augenscheinlich zurückzuführen auf "Off-target"-Effekte von Torcetrapib auf die Aldosteron-Aktivität, die zum Blutdruckanstieg geführt hatten. Die nächste Enttäuschung bereitete Dalcetrapib. In 2012 wurde nach der Zwischenanalyse eine große Studie wegen Wirkungslosigkeit vorzeitig beendet. Mit Evacetrapib floppte der dritte Vertreter der Wirkstoffklasse: In 2015 wurde das vorzeitige Ende der Studie ACCELERATE bekannt gegeben.

Auch REVEAL-Studie brachte trotz positiver Daten keine Wende

In REVEAL als mit Abstand größter CETP-Hemmer-Studie konnte sich zumindest Anacetrapib, das auch LDL-senkende Wirkung besitzt, als klinisch wirksam profiliert. Große Begeisterung lösten die Ergebnisse aber nicht aus, denn der nach vierjähriger Behandlung erbrachte klinische Nutzen war relativ bescheiden. Entsprechend verfolgte das US-Unternehmen Merck eine FDA- Zulassung von Anacetrapib nicht weiter, und das Studienprogramm wurde gestoppt.

Nach dem Fehlschlag der medikamentösen HDL-Erhöhung als Therapieansatz sah das Unternehmen Amgen keine Perspektive mehr für die Weiterentwicklung seines CETP-Hemmers Obicetrapib. Die Lipidforscher Prof. John Kastelein vom Academic Medical Center in Amsterdam und Prof. Michael Davidson von der University of Chicago sahen im Gegensatz dazu wegen der relativ starken LDL-senkenden Wirkung noch Potenzial in Obicetrapib.

Forscher gründen Unternehmen

Gemeinsam mit dem Investmentspezialisten Forbion gründeten Kastelein und Davidson 2019 das Start-up-Unternehmen NewAmsterdam Pharma, das sich der klinischen Entwicklung von Obicetrapib annehmen sollte.

Wie Nicholls bei der Präsentation der ROSE-Ergebnisse berichtete, habe Obicetrapib in früheren Studien als Monotherapie das LDL-C um rund 45 % gesenkt. Für die Hoffnung der Forscher, dass eine CETP-Hemmung doch von kardioprotektivem Nutzen sein könnte, nannte der Lipidexperte zwei Gründe.

Zum einen hätten genetische Studien gezeigt, dass Polymorphismen, die mit einer CETP-Abnahme einhergehen, auch das LDL-C verringerten und dementsprechend mit einer Abnahme des kardiovaskulären Risikos assoziiert waren. Zum anderen sei in der REVEAL-Studie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bekanntlich relativ um 9 % gesenkt worden; dieser Effekt entspreche genau der Wirkung, die aufgrund der absoluten LDL-Senkung um 11 mg/dl durch Anacetrapib zu erwarten war. Die erzielte HDL-Erhöhung sei dagegen für diese Wirkung ohne Bedeutung gewesen.

LDL-C um bis zu 50 % reduziert

Von den 120 Teilnehmern der ROSE-Studie hatten nach Zufallszuteilung jeweils 40 zusätzlich zu einer intensiven Statin-Therapie entweder Placebo der Obicetrapib (5 oder 10 mg einmal täglich) erhalten. Ihr medianer LDL-C-Spiegel lag zu Beginn bei 90 mg/dl.

In Relation zum Ausgangswert führte Obicetrapib nach acht Wochen zu einer LDL-C-Reduktion um 42 % (5-mg-Dosis) und 51 % (10-mg-Dosis). In der Placebo-Gruppe war ein leichter LDL-C-Abfall um 7 % zu verzeichnen. Erwartungsgemäß wurde eine starke HDL-Erhöhung unter Obicetrapib beobachtet, die in der mit 10 mg des CETP-Hemmers behandelten Subgruppe 165 % betrug. Die Lp(a)-Spiegel wurden um 56 % und die Triglyzerid-Spiegel leicht um 11 % reduziert. Die Verträglichkeit von Obicetrapib erwies sich als gut.

"Obicetrapib könnte eine wertvolle Ergänzung für Hochrisiko-Patienten mit atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen sein, die trotz hochintensiver Statin-Therapie ihre LDL-Zielwerte nicht erreichen," schlussfolgerte Nicholls aus den ROSE-Ergebnissen. Vor einer entsprechenden Nutzung des Lipidsenkers im Praxisalltag sei allerdings wichtig, Sicherheit und Wirksamkeit von Obicetrapib bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse in einer großen klinischen Endpunktstudie zu prüfen.

Vorgestellt beim AHA Congress, 13.-15.11.2021