Anfang des 19. Jahrhunderts hatte es den Naturwissenschaftlern die Baumrinden angetan, vermutlich angestachelt durch die Isolation von Salizylaten aus der Weide und Chinin aus den Chinabäumen. Tatsächlich konnte 1835 aus der Rinde eines Apfelbaums ein Glykosid extrahiert werden, das den Namen Phlorizin erhielt und das Joseph Freiherr von Mering genauer unter die Lupe nahm. Sowohl bei Hunden als auch bei Menschen erzeugt Phlorizin zuverlässig eine Glukosurie und Polyurie. Von Mering war ein genialer Pharmakologe und Diabetologe. (Er war außerdem an der Entwicklung des Barbiturats sowie des Paracetamols beteiligt und erkannte gemeinsam mit von Minkowski im Pankreas ein endokrines Organ.) Seine Originalveröffentlichung im Zentralblatt für die Medizinischen Wissenschaften (1886;22:531) ist aus zwei Gründen bemerkenswert, der zweite, nicht unbedingt wissenschaftliche, findet sich im letzten Satz:

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Was hat die Rinde eines Apfelbaums mit der Diabetes-Therapie zu tun?

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Nach Eingabe von Phlorizin tritt bei Hunden [...] hochgradige Zuckerausscheidung im Harn auf, ohne dass das Allgemeinbefinden des Tieres verändert ist. An diesen Fund reiht sich eine Anzahl wichtiger, besonders den Diabetes mellitus betreffende Fragen, deren Bearbeitung ich mir ausdrücklich vorbehalte.

1930 verwendete man das Mittel zur Bestimmung des Glomerulumfiltrats. In den 1950er Jahren erkannte man, dass Phlorizin den Glukosetransport in Dünndarm und Niere hemmt, in den 1980ern entdeckte man mit dessen Hilfe den Sodium-Glukose-Transportmechanismus. In der Folge konnte der Sodium-Glukose-Co-Transporter (SGLT) nachgewiesen werden, seine Hemmung gewann Bedeutung für die Diabetestherapie. Vor allem SGLT2 sorgt für 90 % der Glukoserückresorption. Und Phlorizin hemmt beide Cotransporter. Was lag näher als Phlorizin als Ausgangspunkt für die Synthetisierung von Analoga mit besserer Bioverfügbarkeit, Stabilität und Selektivität für SGLT2 zu nehmen. Die Familie der Gliflozine wuchs, inzwischen mit sechs Substanzen. Besonderes Aufsehen hat Empagliflozin geweckt. In der EMPA-REG OUTCOME-Studie ließen sich dadurch kardiovaskuläre Endpunkte verbessern, und zwar in einem so außergewöhnlichen Maß, dass diese Substanz nun auch speziell als Mittel zur Therapie der Herzinsuffizienz getestet wird. Ein Lehrbeispiel, was die begleitende Therapieforschung leisten kann: Pharmaklassiker beflügeln den Fortschritt.