Der eigentliche Sinn und Zweck von Kongressen ist es, den Stand des Irrtums zu aktualisieren. Diesem Anspruch wurde der Europäische Kardiologen-Kongress auch diesmal voll und ganz gerecht. Es wurden einige Studien präsentiert, die manches Dogma ins Wanken gebracht haben. Sie zeigen, dass doch einiges in der Medizin eher der Tradition als der Evidenz geschuldet ist.

Das Übergewicht ist bekanntlich der natürliche Feind des Kardiologen. Fast alles, womit er Tag für Tag konfrontiert wird, ist letztlich Folge der Adipositas. Dass dies ein Klischee, ja ein diskriminierendes Vorurteil ist, dafür sprechen die Daten einer Studie mit Patienten nach perkutanter Koronarintervention. Das Ergebnis: Nicht die Dicken, sondern die Dünnen sind das eigentliche Problem. Nicht Übergewicht, sondern Untergewicht verschlechtert die Therapieergebnisse. Deshalb sollt man jedem Untergewichtigen dringend raten, vor der Herzkatheteruntersuchung einige Kilos an Gewicht zuzulegen. Sogar ein Mindestgewicht für die Koronarintervention ist im Gespräch.

Auch das Thema Ernährung ist stark von Mythen besetzt. Nun zeigte sich: Fette sind viel besser als ihr Ruf. Ob gesättigt oder ungesättigt, das ist egal, je mehr wir davon zu uns nehmen, umso länger leben wir. Wer hätte das gedacht! An der kardioprotektiven Wirkung der dunklen Schokolade zweifelt ja schon lange niemand mehr. Aber diese lässt sich optimieren, wenn die Schokolade mit Olivenöl angereichert wird. Das schmeckt zwar nicht besonders, aber Böses muss man ja mit Bösem vertreiben.

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Noch ein heikles Thema wurde (erneut) von der Wissenschaft aufgegriffen, nämlich die Ehe. Ist sie gut oder schlecht für das Herz? Eindeutiges Ergebnis einer großen Studie: Verheiratete leben in der Tat länger, es kommt ihnen nicht nur so vor. Interessant ist, dass der kardioprotektive Effekt auch nach dem Tod des Partners anhält, im Unterschied zu Geschiedenen. Verwitwet oder geschieden? Diese Alternative dürfte sich aber für die meisten eigentlich nicht stellen.