Der Blick in die Glaskugel ist so eine Sache, gestand Prof. Hans-Reiner Figulla, Jena, als er dazu aufgefordert wurde. Bereits vor gut zehn Jahren hat er sich dazu überreden lassen und hätte mit seinen Tipps in der Tombola höchstens einen Trostpreis bekommen.

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Prof. Hans-Reiner Figulla hofft u. a. auf neue Ansätze zur LDL-Senkung.

© Jochen Aumiller

Damals setzte er voll auf die molekulare Kardiologie mit revolutionären Fortschritten in Diagnostik, Gentherapie und Stammzellen. Der Ingenieurskunst vertraute er fast grenzenlos. Neue Mikromethoden sah er ante portas, aber auch den Durchbruch beim Herzersatz.

Doch man wird ja noch träumen dürfen und so völlig daneben waren die Prophezeiungen auch wieder nicht. Figullas Phantasie hat sich nur großzügig über die Zeitachse hinweggesetzt. Dass er sich vorstellen konnte, dass alles schneller geht, mag an seinen Illusionen gelegen haben, die er selbst noch vor einer Dekade bei der Erfindung und Realisierung so mancher kardiotechnischen Innovationen hatte. Was vielleicht nicht allgemein bekannt ist: Figulla firmiert zwar als Kardiologie-Ordinarius in Jena, er ist international aber vor allem als Erfinder von künstlichen Herzklappen bekannt. Er hat Patente u.a. für interventionell implantierbare Aortenklappen. Insgesamt dürfte er deutlich über 50 Patente sein eigen nennen. Der Mann hat also Visionen und ist kein Tagträumer.

Dennoch ist unser molekulares Krankheitsverständnis weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Tatsache heute ist, dass die KHK-Mortalität in den letzten Jahrzehnten eindrucksvoll gesenkt werden konnte. Die Gründe dafür sind zu 40% auf den therapeutischen Fortschritt und in 54% auf die Beeinflussung der Risikofaktoren zurückzuführen. Ein Anteil von 6% sei nicht zu erklären (Earl S. Ford et al. NEJM 2007).

Wie lassen sich nun die Erfolgsquoten bei der KHK weiter steigern? Langfristig sicher nicht durch Revaskularisationsprozeduren bei der stabilen KHK, meint Figulla. Prognostische Revaskularisationen hält er nicht für sinnvoll, er sagt sogar einen Rückgang der elektiven PCI voraus. Es gilt bei der Primärprävention anzusetzen, denn die KHK ist eine Systemerkrankung, keine isolierte Koronaranomalie. „Wir können auch nicht voraussagen, welche Gefäße zugehen werden.“ So sind präventive antiatherogen Konzepte sowie effektivere Verfahren zum Risikoscreening (mit Biomarkern oder Genen) wichtig und richtig.

Für die nahe Zukunft erwartet Figulla neue Wege zur LDL-Senkung, etwa humane Antikörper gegen PCSK9 (Subtilisin/Kexin Type 9a). Viele neue Substanzen werden erprobt, LDL-Reduktionen von 70% scheinen machbar. Wichtig wären auch bessere Ansätze zum Abnehmen, um die Adipositas-Welle aufhalten zu können. Die medikamentösen Ansätze sind noch sehr kritisch zu sehen.

Auf der Wunschliste stehen auch Mittel zur Plaquesstabilisierung (Chemokin-Antagonisten, Rezeptorblocker). Hoffnung macht das Plaque-Imaging, evtl. mit Biomarkern. Viel verspricht sich Figulla von dem nachhaltigen Schutz vor Reperfusionsschäden nach PCI oder Lyse. Es geht darum, den Radikalenansturm auf die Zellwände bei der Reperfusion abzufangen oder zu neutralisieren. Schließlich zeigt die Glaskugel Fortschritte im biologischen Reparaturbetrieb, falls postischämisch Narben entstehen: Zelltherapie und mechanische Stabilisierung sollen helfen. Die Konsequenzen all der erhofften Fortschritte liegen auf der Hand. Den Patienten geht es besser, nicht aber den Kardiologen. Weniger werden dann reichen, gibt Figulla zu bedenken.