Bei ungefähr der Hälfte aller Krebspatientinnen und -patienten bleiben mögliche pathogene Varianten eines Keimbahngens (PGV) unerkannt, da die Hürden für die Durchführung einer Keimbahntestung sehr hoch sind. Dabei haben fast 15 % der Betroffenen mit einer seltenen oder früh einsetzenden Krebserkrankung in der deutschen Multicenterstudie NCT/DKTK MASTER eine PGV in sich getragen.

Zwischen August 2015 und Juli 2019 wurden 1.485 Personen mit einer seltenen oder schon in jungen Jahren aufgetretenen Krebserkrankung in das prospektive NCT/DKTK (Nationales Centrum für Tumorerkrankungen/Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung) MASTER (Molecularly Aided Stratification for Tumor Eradication Research) Programm aufgenommen. Das Tumorgenom der Teilnehmenden wurde dann mit einem Kontrollgenom/-exom abgeglichen und es wurde eine RNA-Sequenzierung durchgeführt. Ziel war es, die Keimbahnvarianten in Genen zu evaluieren, die mit erblichen Tumorsyndromen assoziiert sind. 157 Patientinnen und Patienten (10 %) wiesen pathogene Varianten eines Keimbahngens (PGV, "pathogenic germline variant") in 35 Genen auf, die mit einer autosomal dominanten Prädisposition für eine Krebserkrankung assoziiert waren. 75 % davon wurden erst aufgrund der Studienteilnahme entdeckt. 5 % (n = 75) der PGV-aufweisenden Personen waren heterozygote Träger für rezessiv vererbte Tumorsyndrome. Besonders häufig wurden PGV bei Menschen mit gastrointestinalen Stromatumoren vom Wildtyp bei Leiomyosarkomen und bei hepatopankreatikobiliären Krebserkrankungen. Eine unerwartet hohe PGV-Dichte in den Genen für ATM, BRCA2 oder PALB2 bei den seltenen Tumorentitäten könnten zudem auf eine mögliche neue Genotyp/Phänotyp-Assoziation hinweisen.

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Eine Keimbahntestung kann eine Prädisposition für eine erbliche Krebserkrankung bei Betroffenen mit seltenen Krebserkrankungen identifizieren.

45 % der PGV konnten für die Therapieempfehlung herangezogen werden, wodurch sich bei 40 % der so Behandelten eine klinisch bedeutsame Verbesserung ergab.

Fazit: Die Implementierung von Krebsprädispositionstests könnte die Präzisionsonkologie auch bei seltenen Tumoren verbessern. Mit einer Keimbahntestung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Krebserkrankungen kann eine Prädisposition für eine erbliche Krebserkrankung aufgedeckt werden, die ebenso für die Familie des Betroffenen bedeutsam sein kann. Möglicherweise ist sogar eine entsprechende Therapieanpassung möglich, die für den Behandelten von Vorteil ist.

Jahn A et al. Comprehensive cancer predisposition testing within the prospective MASTER trial identifies hereditary cancer patients and supports treatment decisions for rare cancers. Ann Oncol. 2022; 33(11):1186-99