Unter dem Begriff "Financial Toxicity" werden seit den letzten Jahren immer mehr Studienergebnisse insbesondere aus den USA veröffentlich, die finanzielle "Nebenwirkungen" einer Krebserkrankung für die betroffenen Patient*innen beschreiben. "Financial Toxicity" umfasst zum einen objektive finanzielle Belastungen, die monetär quantifizierbar sind und die wiederum durch direkte krankheitsbedingte Mehrausgaben wie z. B. Zuzahlungen oder indirekte Kosten wie Erwerbseinbußen ausgelöst werden können. Zum anderen zählen dazu auch subjektiv empfundene finanzielle Belastungen in Form der selbstwahrgenommenen finanziellen Auswirkungen und Folgen für das Leben. Einige Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass Patient*innen, die über finanzielle Einbußen berichten, eine schlechtere Lebensqualität haben, ein erhöhtes Risiko für Ängste, Sorgen und Depressionen und sogar eine schlechtere Überlebenschance aufweisen können. Auch wenn der Begriff seinen Ursprung im Kontext des US-amerikanischen Gesundheitssystems hat, gibt es erste Hinweise, dass finanzielle Belastung auch bei Krebspatient*innen in Gesundheitssystemen besteht, in denen krankheitsbedingte Mehrausgaben als gering bis mäßig angesehen werden. Gerade bei langer Erkrankungsdauer, wie es bei einer Krebserkrankung häufig ist, kann es zu Einkommensverlusten aufgrund zeitweiser oder dauerhafter Arbeitsunfähigkeit bis hin zur Erwerbsminderung kommen.

Einkommensverluste oft gravierend

Auch in Deutschland gehen der Deutschen Rentenversicherung zufolge 13 % der Erwerbsminderungsrenten auf eine Krebserkrankung zurück. Chronisch und länger Erkrankte haben ein höheres Risiko für Überschuldung. Erste empirische Erhebungen Krebspatient*innen betreffend weisen in die gleiche Richtung: In einer Pilotstudie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg berichtete mit 81 % die große Mehrheit der insgesamt 247 Befragten, infolge der Erkrankungen Mehrausgaben von bis zu 200 € monatlich zu haben. 37 % gaben Einkommensverluste durch die Erkrankung an, die sich bei 24 % der Betroffenen auf über 1.200 € pro Monat belaufen. Hohe finanzielle Verluste waren zudem mit geringerer Lebensqualität und größerem "Distress" assoziiert [Mehlis K et al. BMC Cancer. 2020; 20(1):529].

Da die finanziellen Einbußen die Betroffenen zusätzlich zu ihrer Erkrankung belasten, ergibt sich ein Bedarf an frühzeitigen Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen. Sollten sich die Ergebnisse der Pilotstudie in größeren Untersuchungen reproduzieren lassen, wären auch sozialpolitische Maßnahmen, die das Problem adressieren, notwendig, etwa die Verlängerung des Krankengeldes unter bestimmten Voraussetzungen. Für groß angelegte Forschung braucht es aber ein Erhebungsinstrument, das finanzielle Belastung infolge von Krebs umfassend erfasst und für Deutschland validiert ist.

Notwendigkeit eines validierten Ergebungsinstruments für Financial Toxicity

Bisher ist das Spektrum sozioökonomischer Folgen einer Krebserkrankung im deutschen Versorgungskontext weder definiert noch systematisch erfasst, da ein passendes Erhebungsinstrument fehlt. Eine strukturierte Erfassung finanzieller Belastung auch in der klinischen Praxis könnte zudem unzumutbare Belastungen aufdecken und Patient*innen mit hohem Risiko frühzeitig identifizieren, woran sich entsprechende Beratungsmaßnahmen anschließen sollten. Außerdem würde so eine Datenbasis geschaffen werden, die für eine sozialethische Diskussion um Antworten auf finanzielle Notlagen durch chronische Krankheit notwendig ist [Mehlis K et al. Der Onkologe. 2020;26(5): 425-30].

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© NCT Heidelberg / Philip Benjamin

Dr. phil. Katja Mehlis

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, Medizinische Onkologie, Sektion für Translationale Medizinethik, Universitätsklinikum Heidelberg