Als unreine Placebos („impure placebos“) bezeichnen Forscher Substanzen (oder Therapien), die Behandelnde verabreichen, auch wenn sie wissen, dass das jeweilige Medikament (oder die jeweilige Therapie) in der vorliegenden Indikation kaum bzw. nicht wirksam ist [Linde K er al. PLoS One. 2018;13(8):e0202211]. Konkrete Beispiele wären:

  • Vitaminpräparate, auch wenn gar kein Mangelzustand besteht

  • Antibiotika bei einer viralen Erkältung

Weil Behandelnde mit diesen unreinen Placebos aber nicht nur (oder gar keine) Placeboeffekte evozieren wollen, präferieren Forscher um Klaus Linde vom Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Technischen Universität München den Begriff „nichtspezifische Therapien“. Auf Basis eines Reviews mit Metaanalyse kommen sie zu dem Schluss, dass Behandler auf solche nichtspezifische Therapien eher dann zurückgreifen, wenn sie damit eine schwierige Situation im hektischen Praxisalltag entschärfen können [Linde K et al. PLoS One. 2018;13(8):e0202211]. Das kann z. B. bedeuten: Konflikte mit Behandelten vermeiden, Forderungen von Seiten der Patienten nachgeben oder auch auf Unsicherheiten bzgl. der Diagnose reagieren. Das Auslösen von Placeboeffekten scheint nach Linde und Kollegen weniger im Vordergrund zu stehen.

Die Forscher untersuchten zudem, wie häufig Allgemeinmediziner (GP, „general practitioner“) in verschiedenen Ländern im Alltag Placebos einsetzen – und zwar unreine wie reine (reine Placebos = Kochsalzinjektionen, wirkstofflose Pillen etc.). Bei der Analyse von 16 Studien aus 13 Ländern (darunter Deutschland) zeigte sich: Die Rate an GP, die berichteten, wenigstens einmal im Laufe ihres Berufslebens irgendeine Placeboform verabreicht zu haben, bewegte sich zwischen 29–97 %; für „wenigstens einmal im Monat“ schwankten die Raten zwischen 15 % und 89 %. Dabei gaben 2–15 % an, monatlich ein reines Placebo verordnet zu haben, im Vergleich zu 53–89 %, die berichteten, nichtspezifische Therapien eingesetzt zu haben. Um das Ganze noch etwas anschaulicher zu machen, haben Linde und Kollegen die Daten für zwei Länder auf durchschnittliche Patientenkontakte (PK) je GP umgerechnet: Demnach greifen 89 % der britischen GP bei einem von 500 PK auf unreine Placebos zurück, unter den deutschen Kollegen sind es 57–69 %, die dies bei einem von 1.000 PK tun (reine Placebos: UK vs. GER: 2 % bei 1/500 PK vs. 9–15 % bei 1/1000 PK). Übrigens wurden auch homöopathische Behandlungen zu den Placebointervention gezählt. Ein Caveat der Arbeit ist, dass sich die Studien, die das Team um Linde berücksichtigt hat, zum Teil sehr stark unterschieden, was Definitionen, Umfragetechniken oder auch die Stichprobe anbetraf.