In einem aktuellen Empfehlungspapier werden zentrale Vorschläge für den Besuch von Kindern und Jugendlichen auf Intensivstationen, Intermediate-Care-Stationen und in Notaufnahmen für die Pädiatrie wie auch die Erwachsenenmedizin präsentiert. Dies stellt einen Meilenstein für familienzentrierte Medizin dar.

Auf Intensivstationen und in Notaufnahmen im deutschsprachigen Raum werden die Besuchsregelungen für Kinder und Jugendliche sehr heterogen gestaltet. Mitunter dürfen sie ohne Begrenzungen für Alter und Dauer Patientinnen und Patienten besuchen, manchmal ist dies aber erst ab dem Teenageralter und nur für kurze Dauer möglich. Ein Besuchswunsch von Kindern löst beim Personal oftmals unterschiedliche, teilweise ablehnende Reaktionen aus. Stationsleitungen sind aufgefordert, diese Haltung gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reflektieren und eine Kultur der familienorientierten Versorgung zu entwickeln. Obwohl die Evidenz für Vorteile durch Kinder als Besuchende begrenzt ist, spricht mehr dafür als dagegen, auch in hygienischer, psychosozialer, ethischer, religiöser und kultureller Hinsicht. Dennoch ist keine pauschale Empfehlung für oder gegen einen Besuch möglich. So ist die Sorge vor einem erhöhten Infektionsrisiko der Patientinnen und Patienten ein häufiges Argument gegen den Besuch von Kindern auf der Intensivstation. Unter hygienischen Aspekten ist ein Kinderbesuch jedoch unbedenklich, wenn altersgerecht die notwendigen Hygieneanforderungen erläutert und eingehalten werden. Kinder können psychotraumatologisch durchaus mit belastenden Situationen umgehen. Die Entscheidungen für Besuche sind komplex und bedürfen sorgfältiger Überlegungen und Abwägungen, sollten aber bestmöglich im Stationsalltag integriert werden. Zur Vorbereitung und Durchführung des Besuchs gibt diese Ausarbeitung zehn konkrete Empfehlungen und einen unterstützenden Handlungsalgorithmus an die Hand.

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© Dr. med. Thomas Hoppen

„Familienzusammenführung“ auf Station; das fünfte Geschwisterkind liegt noch im Inkubator

Brauchle M et al. Ten recommendations for child-friendly visiting policies in critical care. Intensive Care Med. 2023;49(3):341-4

Kommentar

Mit gutem Grund hat die European Society of Intensive Care Medicine diese Initiative zum „Paper of the year“ in der Rubrik Nurses and Allied Healthcare Professionals gekürt. Besonders bemerkenswert ist das breite Fundament, auf dem die Empfehlungen stehen: Sie wurden verblindet von der Arbeitsgruppe „ICU Kids“ in einem dreijährigen Prozess unter der Leitung von Maria Brauchle (Feldkirch, Österreich), Teresa Deffner (Jena) und Peter Nydahl (Kiel) entwickelt, in Kooperation mit den Sektionen psychologische Versorgungsstrukturen, Pflegeforschung und Pflegequalität, pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin, Ethik, Bewusstseinsstörungen und Koma sowie Sepsis und Infektiologie der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Zudem waren etliche Fachgesellschaften beteiligt: die AETAS Kinderstiftung, die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie und die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin. Im Ergebnis ist ein wissenschaftlich und ethisch begründeter Rahmen für eine einheitliche Besuchsregelung von Kindern auf Intensivstationen entstanden. Dieser Konsens beruht auf der bestmöglichen Evidenz, sollte gelesen, beherzigt und idealerweise gleich am kommenden Tag angewendet werden.