Ein erhöhter intraabdominaler Druck kann zu einem abdominalen Kompartmentsyndrom führen, das mit Organfunktionsstörungen und sogar Multiorganversagen einhergeht. Eine aktuell publizierte Studie evaluiert die Umsetzung der im Jahr 2013 erschienen Leitlinie zu diesem Thema - gibt es einen Grund zur Hoffnung?

Ein erhöhter intraabdominaler Druck (IAH) liegt vor, wenn dieser bei zwei aufeinanderfolgenden Messungen mindestens 10 mmHg beträgt. Von einem abdominalen Kompartmentsyndrom (ACS) spricht man, wenn sich unter einem IAH neue oder zunehmende Organfunktionsstörungen bilden.

Um den Effekt der aktualisierten Leitlinie der World Society of the Abdominal Compartment Syndrome (WSACS) [Kirkpatrick AW et al. Intensive Care Med. 2013;39(7):1190-206] auf das Vorgehen im klinischen Alltag zu bewerten, wurden im Jahr 2016 Fragebögen an das Leitungspersonal der Intensivstationen aller 328 deutschsprachigen Kinderkliniken verschickt und ausgewertet. Die Ergebnisse wurden zudem mit denen der Umfrage aus dem Jahr 2010 [Kaussen T et al . Ann Intensive Care. 2012;2 Suppl 1:S8] verglichen. Die Rücklaufquote betrug insgesamt 48 % (n = 156). Die Mehrheit der Befragten stammte aus Deutschland (86 %) und arbeitete auf Intensivstationen mit überwiegend neonatologischen Patientinnen und Patienten (53 %). Die Zahl der Teilnehmenden, die angaben, dass ein IAH und ein ACS in ihrer klinischen Praxis eine Rolle spielten, stieg von 44 % im Jahr 2010 auf 56 % im Jahr 2016. Ähnlich wie bei den Untersuchungen von 2010 kannten jedoch nur wenige neonatologische beziehungsweise pädiatrische Intensivmedizinerinnen und Intensivmediziner die korrekte WSACS-Definition eines IAH (4 % vs 6 %). Anders als in der vorherigen Studie stieg die Zahl der Teilnehmenden, die ein ACS korrekt definierten, von 18 % auf 58 % (p < 0,001). Die Zahl der Befragten, die den intraabdominalen Druck (IAP) maßen, stieg von 20 % auf 43 % (p < 0,001). Dekompressive Laparotomien (DL) wurden häufiger durchgeführt als im Jahr 2010 (36 % gegenüber 19 %, p < 0,001) und die Überlebensrate war höher, wenn eine DL erfolgte (85 % ± 17 % gegenüber 40 ± 34 %). Diese Follow-up-Umfrage unter Intensivmedizinerinnern und Intensivmedizinern zeigte eine Verbesserung des Bewusstseins und der Kenntnisse über gültige Definitionen von einem ACS.

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Die rechtzeitige dekompressive Laparotomie erhöht die Überlebenschance bei abdominalem Kompartmentsyndrom.

Wiegandt P et al. Awareness and diagnosis for intra-abdominal hypertension (IAH) and abdominal compartment syndrome (ACS) in neonatal (NICU) and pediatric intensive care units (PICU) - a follow-up multicenter survey. BMC Pediatr. 2023;23:82

Kommentar

Auf diese Ergebnisse aus dem Jahr 2016 durften wir sehr lange warten! Nach Angaben der Autorinnen und Autoren handelt es sich um die erste Umfrage unter neonatologischen beziehungsweise pädiatrischen Intensivmedizinerinnen und Intensivmedizinern zur Bewertung des Effekts der im Jahr 2013 von WSACS veröffentlichten aktualisierten Leitlinie. Die Studie zeigt, dass das Bewusstsein für das in dieser Leitlinie geforderte Vorgehen gestiegen ist, und dass mehr Befragte die korrekte Definition eines ACS kennen. Dennoch gab eine große Anzahl der Befragten an, dass sie noch nie einen IAH und/oder ein ACS diagnostiziert oder den IAP gemessen haben - das ist ernüchternd. Dies bestärkt den Verdacht, dass der IAH und das ACS nur langsam in den Fokus der neonatologischen beziehungsweise pädiatrischen Intensivmedizinerinnen und Intensivmedizinern in deutschsprachigen Kinderkliniken geraten. Ich bezweifle, dass die Befragung im Jahr 2023 wesentlich besser ausfallen würde.

Die Autorinnen und Autoren schlagen vor, regelmäßige Schulungen und Fortbildungen für Pflegende und Ärztinnen und Ärzte zu etablieren, um das Bewusstsein für einen IAH und ein ACS zu schärfen und damit die Kenntnisse über Diagnostik und Therapie zu verbessern. Die Daten zeigen eine Verbesserung der Überlebensrate, wenn eine dekompressive Laparotomie rechtzeitig durchgeführt wird. Deswegen sind evidenzbasierte Therapiealgorithmen zweifelsohne wichtig, um die Hemmschwelle für invasive Eingriffe im Rahmen einer rechtzeitigen ACS-Behandlung zu senken.