Bei Kindern in einem Alter von vier Jahren oder jünger ist eine ADHS-Diagnose nicht sicher zu stellen - die Unterschiede der Kinder im Hinblick auf Impulskontrolle und emotionale Entwicklung sind hier zu groß.

Wie sicher gelingt die ADHS-Diagnostik bei Kindern im Vorschulalter? Zur Beantwortung dieser Frage nutzten Forschende die Datensätze aus der longitudinalen norwegischen "Mother/Father and Child Cohort Study". Die Untersuchungen erfolgten im Alter der Kinder von 3,5 und 8 Jahren mittels Elternbefragungen und standardisierter Fragebögen für Erzieher. Im Alter des Kindes von acht Jahren bewerteten die Eltern die Hyperaktivität/Impulsivität signifikant geringer als im Alter von drei Jahren, die Auffälligkeiten im Unaufmerksamkeitsbereich persistierten unverändert. Die Beurteilungen von Eltern und Erziehern hinsichtlich ADHS-Symptomatik differierten signifikant. Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass die Diagnose ADHS bei Vierjährigen mit Vorsicht zu stellen ist.

Overgaard KR et al. Attention -deficit/hyperactivity disorder from preschool to school age. change and stability of parent and teacher reports. Eur Child Adoles Psychiatry. 2022; doi: 1007/s00787-022-02019-1

Kommentar

ADHS wird als zerebrale Entwicklungsstörung definiert. Gerade im Alter bis vier Jahren variiert die Entwicklung der Kinder im psychomotorischen Bereich erheblich. Dies betrifft auch die motorische Aktivität, die Impulskontrolle und die emotionale Entwicklung. Daher ist den Studienautoren zuzustimmen, dass die Diagnose ADHS im Alter von vier Jahren schwer zu stellen ist, vor allem wenn die Beurteilungen von Eltern und Erziehern nicht kongruent sind. Hier können auch andere Ursachen wie Temperament, sich in der Erziehung auswirkende kulturelle Unterschiede sowie sozioökonomische Faktoren im Vordergrund stehen.

In der S3-Leitlinie ADHS wird ebenfalls davor gewarnt, die Diagnose vor dem Alter von drei Jahren zu stellen - vor allem hinsichtlich der Entscheidung einer medikamentösen Therapie. Im klinischen Alltag hat es sich bewährt, Kinder mit Verhaltensaufälligkeiten, die noch im "Graubereich" liegen und nicht eindeutig einer Diagnose zugeordnet werden können, zu beobachten. Gleichzeitig sollte aber bereits mit der Erziehungsberatung begonnen werden, die eine konsistente und konsequente Erziehung, klare Regeln und feste Alltagsstrukturen beinhaltet.