? Nach der U9 fragt die Mutter der kleinen Anna: "Sie haben doch auch Kinder! Was haben Sie denn gemacht, wenn Ihre Kinder mit der ewigen Klage daherkamen: 'Mama, Papa, mir ist so langweilig!' Wir haben so viele Bücher, so viel Spielzeug, so viele Puppen. Was soll ich denn noch tun?"

!Prof. Dorsch: Als meine Kinder so alt waren wie Anna, habe ich ihnen zu erklären versucht, dass Langeweile und innere Ruhe genauso wichtig sind wie Kurzweil und Aktivität. Meine Antwort war also fast jedes Mal: "Das ist doch gut, so kommst du zur Ruhe! Lass dir Zeit!" In der Regel hat ein kurzes gemeinsames Innehalten genügt, die Langeweile zu vertreiben. Denn wir haben unsere Kinder, auch als sie noch jünger waren, darin unterstützt, selbstständig zu werden.

Mein Rat lautet also: Tun Sie bitte weniger, nicht mehr! Aus der Sicht eines fünfjährigen Mädchens gibt so viele spannende und interessante Dinge, Sie müssen nicht für Unterhaltung, für Ablenkung sorgen. Hören Sie zu, was Anna bewegt! Setzen Sie sich einfach zu ihr! Als zugewandte Mutter werden Sie sie nicht abspeisen, ohne ihr zu zeigen, wie sie mit Langeweile umgehen kann. Nutzen Sie die Gelegenheit, ihr nahezubringen, dass alles, was wichtig ist, seine Zeit braucht: Liebe und Zärtlichkeit, aber auch Kunst und Wissenschaft. Nur wenn wir uns Zeit nehmen, können Dinge entstehen, die den hektischen Alltag überstehen. Nur in der Ruhe wächst Fantasie, die aus einem Stück Holz mit vier Rädern ein "Regenauto" entstehen lässt, das nicht nur fahren und fliegen, sondern auch springen, auf Bäume klettern und durch Zäune kriechen kann und im Regen langsam größer wird.

Das Penicillin, der Benzolring oder auch der genetische Code wären nie entdeckt worden, hätten sich nicht geniale Forscher zur richtigen Zeit die nötige Zeit genommen. Vermeiden Sie die Falle, in der sich viele Eltern wiederfinden: Texten Sie Anna nicht mit Ermahnungen zu, erfinden Sie keine neuen Spiele, schalten Sie Fernseher oder iPad nicht ein. Teilen Sie die Langeweile mit Anna und gönnen auch Sie sich ein Stück davon.

!Prof. Zierer: Langeweile ist das Erleben von Zeit, die sich in die Länge zieht. Dieses Gefühl entsteht durch Nichtstun oder sinnlose Tätigkeiten. Bei Erwachsenen in monotonen Berufen ist Langeweile nicht selten - und häufig das Resultat einer chronischen Erschöpfung. Aber selbst dort entsteht Langeweile nicht nur durch die langweilige Tätigkeit selbst, sondern auch durch die Art und Weise, wie sie ausgeführt wird. Der Umgang mit ihr lässt sich also erlernen und ist damit Aufgabe von Erziehung und Unterricht in Familie und Schule.

Familie ist heute in der Regel kein Ort der Langeweile - so auch in unserem Fall, in dem es keinen Mangel an Spielzeug und Büchern gibt. Aber viele der gängigen Spielsachen erlauben wenig Ideenreichtum und Kreativität: Ein ferngesteuertes Auto lässt sich eben nur in bestimmte Richtungen lenken. Keimt trotz eines Arsenals an Spielsachen Langeweile auf, ist Rettung häufig nah. Es rieselt Angebot um Angebot, bis das Kind zufrieden und wieder ausreichend beschäftigt ist. Diese Form der Überbehütung und Verplanung schadet den Kindern, weil diese verlernen, Langeweile als kreative Pause zu nutzen.

In der Schule ist das Bild zunächst anders. Denn das Kind muss lernen, zuhören und mitarbeiten. Eigentlich - so meint man - besteht gar keine Möglichkeit, sich zu langweilen. Und dennoch langweilen sich je nach Studienlage ein Viertel der Lernenden während des Unterrichts. Manche mögen nun einwenden, das liege nur an der Lehrperson und am Unterricht. Doch Langeweile ist nicht nur das Ergebnis dessen, was mir geschieht, sondern sie ist immer auch die Folge dessen, was ich aus mir mache. Selbst der uninteressanteste Unterricht bietet die Möglichkeit, sich einzubringen, Fragen zu stellen und aktiv zu werden.

Der Bildungswert der Langeweile lässt sich nutzen, wenn Eltern Langeweile nicht verhindern, sondern zulassen. Nur so lernen Kinder, mit Langeweile umzugehen. Dies muss aber lange vor Schulbeginn geschehen. Manchmal hift es, die Kinderzimmer zu entrümpeln. Dort, wo das Kind Freiheiten erfährt, entsteht Kreativität und Schöpfergeist.