Anders als erhofft scheint sich der psychische Zustand von Kindern und Jugendlichen infolge der Pandemie auch im Frühjahr 2022 nicht verbessert zu haben. Darauf deuten erste Ergebnisse aus der aktuellen Auswertung der COPSY-Studie. Neben den psychischen Folgen bleiben aus ärztlicher Sicht auch die hohen Raten an Übergewicht und der eklatante Bewegungsmangel ein großes Problem.

Die ersten Daten, die aus neuen bisher, unveröffentlichten Ergebnissen der vierten Befragungswelle der bundesweiten COPSY-Längsschnittstudie (Corona und Psyche) aus dem Frühjahr 2022 hervorgehen, sind alarmierend und überraschend zugleich: Die meisten psychischen Belastungsfaktoren bei Kindern und Jugendlichen sind heute immer noch deutlich stärker ausgeprägt als vor Beginn der Pandemie und halten länger an, als dies Wissenschaftlerinnen und Experten eigentlich vorausgesagt hatten.

So lautete die zentrale Botschaft, die Professorin Ulrike Ravens-Sieberer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf beim Herbst-Seminar-Kongress des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Frankfurt/Main den 200 Teilnehmendem mit auf dem Weg gab. Zwar, schränkte sie zugleich ein, lägen detaillierte Auswertungsdaten für die vierte Welle noch nicht komplett vor. Dennoch könne man generell von einer Verstetigung der besorgniserregenden Ergebnisse aus der dritten Welle sprechen, bekräftigte die in der Forschung stark engagierte Wissenschaftlerin.

figure 1

© Dusan Kostic / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodellen)

Fußball ist ein gutes Mittel, um Bewegungsmangel und Übergewicht zu bekämpfen.

Ein Drittel der Kita-Kinder ist psychisch belastet

So fühlten sich nach Daten aus dieser dritten Befragung im Herbst 2021 insgesamt 82 % der 1.600 befragten Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen sieben und 17 Jahren durch die Pandemie belastet. Während vor der Pandemie bei 18 % der Altersgruppe psychische Auffälligkeiten festgestellt wurden, waren es in der dritten Welle 27 %. Bei den zwei- bis sechsjährigen Kita-Kindern waren im März 2021 sogar 35,5 % der Kinder psychisch belastet. Ravens-Sieberer dazu: "Diese Werte bleiben nun auch bei der vierten Befragung recht stabil."

Unter einer schlechteren Lebensqualität leiden darüber hinaus heute immer noch doppelt so viele Kinder und Jugendliche als vor der Pandemie. Besonders belastend wirke sich dabei das immer noch eingeschränkte Verhältnis zu Freunden und der Peer-Group und auch der zunehmende Streit in den Familien aus, der mit der Zeit häufig sogar noch weiter eskaliert ist. Wie erwartet, erhöhen auch weiterhin die bekannten Faktoren - wie niedriger Bildungsgrad der Eltern, eine psychische Krankheit der Eltern, Migrationshintergrund und das Wohnen in beengten Verhältnissen - das psychosomatische Risiko von Kindern.

Allerdings klafft dabei nach Angaben von Ravens-Sieberer die Schere zwischen Kindern aus Familien mit sozialökonomisch niedrigen Status und einem höheren Status nicht weiter auseinander. Dieser etwas überraschende Befund zeigt, dass Kinder aus allen Schichten unter der Pandemie leiden.

Ohnmächtige Praxen

Einige Pädiaterinnen und Pädiater wiesen auf dem Kongress in der Diskussion darauf hin, dass sie sich angesichts der enormen gesellschaftlichen Tragweite der Pandemie im ärztlichen Praxisalltag "ohnmächtig" fühlten, all diese Folgen aus der Pandemie in den ohnehin zumeist überfüllten Praxen adäquat auffangen zu können. Die politischen Botschaften waren daher eindeutig: Bessere Vergütung für die Ärztinnen und Ärzte, die sich nachhaltig und über längere Zeiträume mit den betroffenen Familien befassen.

Auch Dr. Eva-Doreen Pfister aus Hannover, die über eine Adipositas- und Fettleberwelle bei Kindern als Folge der Pandemie berichtete, bezog klar Stellung. Sie forderte beim BVKJ-Kongress die Einführung eines Schulfaches Gesundheit und einer Zuckersteuer, beides Forderungen, die auch von pädiatrischen Verbänden seit langem erhoben werden.

15 % der Kinder treiben keinen Sport

Besonders dramatisch sind laut Ravens-Sieberer die Folgen der COVID-19-Pandemie im Hinblick auf sportliche Aktivitäten im Kindes- und Jugendalter. Während vor der Pandemie 4 % aller Kinder keinen Sport getrieben haben, sind es derzeit nach einem Peak in der zweiten Befragung (36 %) immer noch 15 % aller Kinder.

Doch wie lässt sich diesem Dilemma begegnen? Der niedergelassene Pädiater Dr. Andreas Rosenhagen hatte hierzu in Frankfurt einen praktikablen und schnell umsetzbaren Vorschlag parat: Fußball. Damit könne der eklatante Bewegungsmangel bei Kindern am wirkungsvollsten aufgefangen werden. Denn beim Fußball stünden zum einen flächendeckende Angebote zur Verfügung. Und zum anderen sei die Sportart ausgesprochen populär und bewegungsintensiv.

Auch aus medizinischer Sicht könne eine Indikation für das Fußballspielen ausgesprochen werden. So fördere die Sportart etwa eine positive Entwicklung der Rumpf- und Gelenkstabilität sowie die Belastungstoleranz. Zudem werde mit der Jagd nach dem Ball die Koordinations- und Antizipationsfähigkeit verbessert. Und schließlich trage der Sport auch mit dazu bei, Geduld und Beharrlichkeit zu üben sowie emotionale Erlebnisse - im Falle von Niederlagen auch negative - besser verarbeiten zu lernen.

Doch wie sieht es dabei mit den Gefährdungen durch Kopfbälle aus, fragten einige besorgte Kolleginnen und Kollegen? Diese Fragestellung sei durchaus berechtigt, so Rosenhagen. Rund 10 % aller Verletzungen im Fußball seien Kopfverletzungen. In den USA habe man deshalb Kopfbälle beim Fußballtraining von Kindern unter zehn Jahren verboten, in England ist das Kopfballspiel für Kinder unter zwölf Jahren untersagt. Hierzulande hat sich der Deutsche Fußballbund (DFB) gegen ein Kopfballverbot entschieden, ein Weg, den auch Rosenberger für richtig hält. Stattdessen forciere man im Kindesalter ein Fußballtraining auf kleinem Feld, mit niedrigen Toren ohne Einwürfe und Abstöße. Dies führe dann dazu, dass es kaum zu gesundheitsgefährdenden Kopfbällen kommen könne.

Der Pädiater räumte abschließend aber auch ein, dass man beispielsweise Kinder mit Adipositas, denen ein Fußball- oder ein anderes Sportangebot am meisten zugutekommen würde, nicht wirklich erreichen könne. Rosenberger: "Kinder, die man zum Training erst hintragen muss, kommen höchstens zweimal." Es sei ein großes Dilemma, dass für bewegungseingeschränkte Kinder weniger leistungsorientiert ausgerichtete Angebote in Sportvereinen weithin fehlten.

Basierend auf: Herbst-Seminar-Kongress des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ), 7./8. Oktober 2022, Frankfurt/Main