Die US-amerikanische Kinderärztin Theresa Urbina erfährt, dass ihr Sohn einen schweren Herzfehler hat. Schlagartig wird sie von der angehenden Neonatologin zu einem betroffenen Elternteil und merkt dabei, dass sie manche Dinge im Umgang mit den Familien anders machen würde.

"Es fällt uns nicht leicht, Ihnen das zu sagen ... Wir glauben, dass Ihr Sohn einen Double Outlet Right Ventricle (DORV) hat." Als Theresa Urbina vom Walter Reed National Military Medical Center aus Bethesda, Maryland/USA, die Diagnose DORV bei ihrem Sohn mitgeteilt bekommt, bricht für sie eine Welt zusammen. Bei einem DORV entspringen sowohl Aorta als auch Arteria pulmonalis aus dem rechten Ventrikel - ein komplexer Herzfehler. Zum Zeitpunkt der Diagnose befindet sie sich gerade im zweiten Jahr ihrer Facharztausbildung zur Neonatologin.

Sechs Tipps für die Praxis

Auch wenn die Erfahrungen jeder Mutter und jedes Vaters von einem schwerkranken Kind verschieden sind, hat Urbina sechs Tipps zusammengetragen, die ihrer Meinung nach die Beziehung zwischen den betreuenden Kinderärztinnen und -ärzten und den Familien stärken können:

  1. 1.

    Verstehen Sie, dass es schwierig - wenn nicht gar unmöglich - ist, Worte, die auf lebensverändernde Nachrichten folgen, zu verinnerlichen.

"Ich war überwältigt von den überbrachten Nachrichten und trotz meines medizinischen Hintergrunds konnte ich die meisten Informationen, die ich erhielt, nicht verarbeiten", berichtet Urbina in dem Artikel. Ihr fielen auch keine Fragen ein, die sie stellen konnte. Zum Glück wurde sie von einem geduldigen Kardiologenteam betreut, das alles mehrmals wiederholt hat. Sie empfiehlt bei solchen schweren Diagnosen mindestens zwei Termine zu verabreden, den ersten zur Übermittlung der Diagnose, den zweiten, um Fragen zu beantworten.

  1. 2.

    Geben Sie den Familien vertrauenswürdige Informationsquellen zu der Erkrankung mit, um potenziell weniger hilfreichen Infos aus dem Internet entgegenzuwirken.

Ideal wäre laut Urbina schriftliches Infomaterial, das auf die spezifische Situation der Familie zugeschnitten ist, mit möglichst wenig medizinischem Fachjargon. Eine Liste zuverlässiger Quellen (z. B. Webseiten, Stiftungen oder Familien in ähnlichen Situationen), an die sich die Familie wenden kann, wäre ebenfalls hilfreich.

  1. 3.

    Bereiten Sie die Familien auf die Apparaturen vor, die sie am Krankenbett ihres Kindes sehen werden.

Urbina empfiehlt, den Familien vorab zu erklären, was sie auf der Intensivstation erwartet, damit sie sich auf ihr Kind konzentrieren können und nicht auf die Maschinen, Leitungen und Schläuche, die es umgeben.

  1. 4.

    Ermöglichen Sie es, dass die Eltern das Kind zum frühestmöglichen Zeitpunkt in den Armen halten können.

Zahlreiche Studien zur Känguru-Methode haben die kurz- und langfristigen Vorteile für Eltern und Säuglinge aufgezeigt und die Sicherheit der Methode belegt.

  1. 5.

    Vorsicht bei Nachrichten, die über das Telefon überbracht werden.

Wenn telefonisch über einen Eingriff informiert wird, sollten die Familien über die Dringlichkeit aufgeklärt und ihnen die Möglichkeit gegeben werden, vor Beginn der Prozedur im Krankenhaus zu sein. Bei Urbinas Sohn etwa wurde plötzlich ein weiterer Eingriff nötig. Da sie zu diesem Zeitpunkt nicht im Krankenhaus war, fühlte sie sich, als ob sie ihren Sohn im Stich lasse. Sie schlägt deshalb Schulungen während der Ausbildung vor, speziell für die Kommunikation über das Telefon.

  1. 6.

    Der Name und das Geschlecht des Kindes sollten bekannt sein.

"Bei Gesprächen mit Familien müssen wir uns bemühen, das richtige Geschlecht des Kindes und seinen Namen als Grundlage für den Aufbau einer Beziehung zu verwenden", erklärt Urbina. Der Vorname des Kindes und das ihm zugewiesene Geschlecht sollten deutlich im Zimmer oder am Bett des Kindes ausgehängt werden.

Ein neuer Blick auf die Familien kranker Kinder

Vor der Erkrankung ihres Sohnes hat Urbina die Familienmitglieder nicht als eine Erweiterung ihrer Patientinnen und Patienten betrachtet, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Das hat sich mittlerweile geändert: "Nachdem ich als überfordertes Elternteil neben meinem schwerkranken Sohn auf der Intensivstation saß, habe ich gelernt, dass die gemeinsame Reise mit der Familie und auch ihr Wohlbefinden genauso wichtig sind wie die medizinische Versorgung ihres Kindes."

Urbina T. Breaking the fourth wall of medicine: when the doctor becomes the parent. Pediatrics. 2022;150(2):e2022057154