Der Zufall hat viele Gesichter: Scheinbar zufällig laufen wir Verwandten am Flughafen beim Zwischenstopp in Abu Dhabi über den Weg, oder wir rufen uns zeitgleich ohne vorherige Absprache an. Bleibt der Zufall im Verborgenen, haben wir auch keine Kenntnis von ihm und das macht ihn so, nun ja, nennen wir es hinterhältig. In der Humanmedizin erscheint der Zufall zwar nicht als Bekannter in Abu Dhabi und auch nicht als überraschender Telefonanruf, doch in den meisten Fällen ist er auch hier unerwartet, unbeabsichtigt und nicht vorhersehbar. Entsprechend ist der Zufall in der medizinischen Lehre nur schwer zu vermitteln: Das scheinbar Zufällige nicht zu übersehen, es trotz seines meist unangekündigten Auftretens möglichst immer wahrzunehmen ...

Übersieht man den Zufall im Alltag, bleibt dies ohne schwerwiegendes Nachspiel. Nicht jedoch, wenn man ihn in Verbindung zu Pathologien in der Medizin setzt. Wird er übersehen, dann kann das schwerwiegende Folgen nach sich ziehen und für den Patienten gar schicksalhaft sein. Wir sollten ihm also grundsätzlich aufmerksam begegnen.

Hinter das Offensichtliche blicken

Daher widmen wir uns in diesem Sonderheft zehn spannenden Zufallsbefunden, Auffälligkeiten oder gar Pathologien, die sich nicht von Haus aus aufdrängen und nicht in den Vordergrund spielen, die aber, wenn sie herausgearbeitet werden, ein Unglück vermeiden können.

Jeder Fall für sich hat besondere Beachtung verdient und entspringt dem großen Erfahrungsschatz der jeweiligen Autorinnen und Autoren. Professor Stefan Eber erläutert die Bedeutung des zufällig in Erscheinung tretenden "auffälligen Blutbildes". Im nächsten Text lesen wir etwas über "blaue Flecken", die man auch hätte übersehen können. PD Dr. Philipp Wintermeyer zeigt auf, was alles hinter den sichtbaren und unsichtbaren "Blutspuren im Stuhl" zu vermuten ist. Professor Ursula Kuhnle-Krahl geht intensiv auf die "Gynäkomastie bei Jungen" ein. Dr. Frederik Braun färbt das Chamäleon "Erhöhte Kreatinkinasewerte" sichtbar. Wir erfahren etwas über die Frage, inwieweit zufällig in Erscheinung tretende serologische "Gesamt-IgE-Werte" klinisch relevant sein können.

Professor Barbara Seidenstücker gibt uns Hilfe zum Erkennen einer leider oft sehr im Hintergrund versteckten "Kindeswohlgefährdung" und erklärt, wie Anlaufstellen Betroffenen, aber auch uns Kinder- und Jugendärzten helfen können. Professor Thomas Krause führt unsere Aufmerksamkeit auf "Kinder psychisch erkrankter Eltern", die oft erst beim sehr genauen Hinhören oder Hinsehen verdächtig erscheinen. Ein Dreijähriger aus Tibet zeigt auf, inwieweit "überstreckbare Gelenke" bei Kindern und Jugendlichen noch als zufällig normal zu betrachten oder schon als Hinweis auf Grunderkrankungen zu sehen sind. Die im wahrsten Sinne des Wortes im Hintergrund stehende "Wirbelsäulenverkümmung" wird von Professor Florian Geiger in den Vordergrund geholt und eindrucksvoll bewertet.

Wir wünschen Ihnen viel Freude bei dieser spannenden Lektüre,

Ihr

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Dr. med. Ludwig Schmid, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, München