Das Gehirn reift auch in der Adoleszenz aus - das sollte bei einer möglichen Legalisierung von Cannabis berücksichtigt werden. Schon ein geringer Cannabiskonsum kann bei 13- bis 15-Jährigen zu Veränderungen der Hirnsubstanz führen.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat in ihrem Positionspapier vom 25. April 2022 als Altersgrenze für den Zugang zu legalem Cannabis ein Alter von 21 Jahren gefordert. Voll ausgereift sei das Gehirn aber erst mit 25 Jahren, erklärte Professor Dieter Braus, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der Vitus-Kliniken Rheingau, auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Erst dann ist es seiner Ansicht nach relativ robust gegen Einflüsse wie denen von Tetrahydrocannabinol (THC). Wenn also eine Legalisierung von Cannabis angestrebt wird, plädiert er für eine Altersgrenze für den Zugang von 25 Jahren.

Veränderung der Hirnstruktur

In einer prospektiven Kohortenstudie war das Risiko für eine psychotische Erfahrung im Alter von 18 Jahren bei denjenigen, die bereits mit 15 Jahren Erfahrungen mit Cannabis gemacht hatten, gegenüber Nichtkonsumenten um das 3,7-Fache erhöht; bei denjenigen, die im Alter von 17 Jahren mit dem Cannabiskonsum begonnen hatten, um das Dreifache. Hatten Heranwachsende bereits vor dem 18. Lebensjahr Cannabis konsumiert, zeigte sich in einer anderen Studie im Alter von 38 Jahren eine um 20 % verschlechterte kognitive Leistungsfähigkeit. Eine große internationale Adoleszenten-Studie belegte, dass schon der ein- bis zweimalige Gebrauch von Cannabis im 13. bis 15. Lebensjahr messbare strukturelle Veränderungen in der grauen Hirnsubstanz zur Folge hat. Schon ein niedriges Level an Exposition verändert Hirnareale, die für die kognitive Leistungsfähigkeit relevant sind, betonte Braus.

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35 % der Zehntklässler in den USA geben an, Cannabis probiert zu haben.

Eine solche Cannabiserfahrung ist keine Seltenheit. In den USA haben etwa 35 % der Schüler der zehnten Klasse schon einmal Cannabis probiert. Eine Studie mit deutscher Beteiligung hat kürzlich strukturelle Auswirkungen auf das Gehirn bei nur ein- bis zweimaligem Cannabiskonsum in der Jugend bestätigt. Veränderungen betrafen unter anderem den medianen präfrontalen Kortex, der mit dem Angstnetzwerk assoziiert ist.

Daraus resultiert laut Braus eine erhöhte Irritabilität. Verschiedene andere Hirnregionen mit einer hohen Expression des Cannabinoid-1-Rezeptors, an den THC bindet, waren ebenfalls von strukturellen Veränderungen betroffen. In seiner Klinik sieht Braus häufig bei jungen Erwachsenen die Konsequenzen eines Cannabiskonsums seit der Pubertät: Aufmerksamkeitsdefizit, hohe Ablenkbarkeit, geringes Lernvermögen, beeinträchtigter sprachlicher Ausdruck, Abfall der mathematischen Leistungen und der Gedächtnisfunktionen.

Das Thema Cannabis bei der J1 ansprechen

Die Brisanz der Thematik bestätigte auch der niedergelassene Pädiater Jakob Maske, Bundespressesprecher des Berufsverbands BVKJ, beim 51. Kinder- und Jugendärztetag. Vor der COVID-19-pandemie sei der Cannabiskonsum gerade bei 16- bis 17-Jährigen der häufigste Grund für Einweisungen in psychiatrische Einrichtungen gewesen. Daher sei es von Seiten der Ärzte dringend notwendig, das Thema Cannabis bei der J2 mit 17 Jahren und auch bereits bei der J1 mit 13 Jahren offensiv und ernsthaft anzusprechen.

Basierend auf: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, Wiesbaden, 30. April bis 3. Mai 2022 und 51. Kinder- und Jugendärztetag, Berlin, 17. Juni 2022