Manche Eltern kommen mit ihren Kindern wegen Lappalien in die Praxis, andere erscheinen erst sehr spät. Bei welchen Symptomen die Diskrepanz zwischen elterlicher und ärztlicher Einschätzung besonders hoch ist, untersuchte nun ein Ärzteteam.

Wird ein Kind krank, wollen die Eltern weder eine schwere Krankheit übersehen noch den Kinderarzt unnötigerweise aufsuchen. Wann ist aber der richtige Zeitpunkt? Forschende um Sarah Visscher vom Spaarne Gasthuis aus Hoofddorp in den Niederlanden befragten nun 200 Eltern und 54 Ärzte dazu.

In vier Szenarien wurde Eltern und Ärzten ein akut krankes sechsjähriges Kind mit einem Ausgangssymptom beschrieben, das sich stufenweise verschlechterte: Bauchschmerzen entwickelten sich zu einer Appendizitis, Schnupfen zu einer Otitis, bei Kopfschmerzen lag ein Hirntumor zugrunde und bei einem hinkenden Kind eine septische Arthritis. Die zentrale Frage, die den Eltern bei jedem Entscheidungsschritt gestellt wurde, lautete: "Wäre das für Sie ein Grund, sich jetzt an den Hausarzt zu wenden?" Die Ärzte, die dieselben Fälle vorgelegt bekamen, wurden gefragt: "Möchten Sie, dass die Eltern jetzt den Arzt kontaktieren?"

Bauchschmerz und hohes Fieber beunruhigen Eltern

Bei den Ausgangssymptomen veranlasste vor allem Bauchschmerz (16 %) die Eltern dazu, den Kinderarzt aufzusuchen, weniger häufig Schnupfen (2 %), Kopfschmerzen (12 %) oder Hinken (12 %). Appetitlosigkeit und Fieber über 39 °C triggerten die Eltern dagegen oft, sich an einen Arzt zu wenden. Bei niedrigeren Temperaturen von 38 °C, wie sie bei den Kasuistiken zur Otitis und der septischen Arthritis auftraten, kam es auf die weiteren Symptome an: In Kombination mit Rhinitis sahen nur 9 % der Eltern eine Veranlassung für einen Arztbesuch, hinkte das Kind, stieg die Rate von 40 % auf 51 %. Ähnlich war die Lage beim Symptom "Erbrechen". Lagen bereits Bauchschmerz und Appetitverlust vor, wie im Fall der Appendizitis, stiegen die Arztkonsultationen von 18 % auf 36 %. Nach dem zweiten Erbrechen und Schmerzäußerungen waren es 61 %. Kam Erbrechen jedoch zu Kopfschmerzen hinzu, wie in der Hirntumor-Kasuistik, kontaktieren nur 16 % den Arzt.

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Ab zum Arzt oder zuwarten? Ärzte sollten Eltern über die "red flags" aufklären.

Wie reagierten die Ärzte?

Die Mediziner beurteilten die Ausgangssymptome anders: Bei Bauchschmerzen und Schnupfen wäre ihrer Meinung nach kein Kontakt erforderlich, aber bei Kopfschmerzen würden 10 % der Ärzte einen Anruf der Eltern empfehlen, beim Symptom Hinken waren es 33 %. Die Verschlechterung der Symptome im Falle der Appendizitis (mit Erbrechen, Schmerzäußerungen, rechtsseitigem Bauchschmerz) und der Otitis (hohes Fieber, Bauchschmerz, starke Ohrenschmerzen) ließ die Ärzte nach und nach ihre Meinung ändern. Im Fall der sich schnell verschlimmernden Symptome bei Kopfscherz (Benommenheit, Doppeltsehen, Nackenschmerzen und Ataxie kamen hinzu) und Hinken (keine Belastung des Beins, starke Beinschmerzen, Fieber, Benommenheit) ging es sehr schnell.

Die befragten Ärzte reagierten vor allem auf vier Warnsignale: die Weigerung, das Bein zu belasten, Beinschmerz in Kombination mit Fieber, starke Beinschmerzen sowie Benommenheit.

Eltern erkennen die "red flags" nur schlecht

Eltern und Ärzte scheinen durch unterschiedliche Symptome in Alarmbereitschaft versetzt zu werden. Das führte dazu, dass die befragten Eltern in besorgniserregenden Fällen langsamer reagierten und Warnzeichen - wie rechtsseitige Bauchschmerzen, Benommenheit, Doppeltsehen, Ans-Ohr-greifen und starke Beinschmerzen - nicht erkannten. Unter den Eltern wirkten hohes Fieber und Erbrechen bedrohlicher.

Das Forscherteam fand heraus, dass ein niedriger und mittlerer Bildungsstand der Eltern sowie mehrere Kontakte mit den Ärzten im vergangenen Jahr, Mütter und Väter signifikant häufiger dazu veranlasste, früh Hilfe zu suchen. "Das Bewusstsein für diese unterschiedliche Wahrnehmung sollte Ärzte dazu motivieren, die Eltern in Bezug auf die ,red flags' zu schulen", schreiben Visscher und Kollegen abschließend.

Basierend auf: Visscher S et al. Arch Dis Child 2022; doi: 10.1136/archdischild-2021-323504