Ein Impfprogramm gegen Meningokokken B ist nach Meinung von Professor Fred Zepp aus Mainz längst überfällig. Was in Ländern wie Italien schon längst umgesetzt ist, lässt in Deutschland jedoch noch auf sich warten.
Ein Impfstoff gegen Meningokokken B (MenB) für Kinder ab dem Säuglingsalter steht schon seit dem Jahr 2013 zur Verfügung. Professor Fred Zepp, langjähriges STIKO-Mitglied aus Mainz, erklärte, warum er trotzdem noch nicht in ein Impfprogramm übernommen wurde: Zum einen lagen lange Zeit keine Wirksamkeitsdaten vor, lediglich die Immunantwort konnte belegt werden. Erst in den letzten Jahren wurden Studiendaten unter anderem aus Großbritannien, Kanada, Australien und Italien veröffentlicht, die eine gute Wirksamkeit des rekombinanten Proteinimpfstoffs gegen die Serogruppe B (4CMenB) feststellten. Zum anderen ist eine Infektion mit Meningokokken ein seltenes Ereignis. 250 bis 300 invasive Meningokokken-Infektionen werden jährlich in Deutschland dokumentiert, rund 60 % davon sind durch MenB verursacht. Zusätzlich deckt der Impfstoff lediglich 70-87 % der zirkulierenden MenB-Stämme in den unterschiedlichen Regionen der Welt ab. In Deutschland entspricht er aktuell etwa 70-80 % der hier vorkommenden Stämme.
Der Hauptgrund für die fehlende Empfehlung könnte jedoch in der Finanzierung liegen: Mit einer allgemeinen Impfung würden hohe Summen auf das Gesundheitssystem zukommen. Laut Zepp hat das Bundesgesundheitsministerium in der Vergangenheit aufgrund der Kosten gebremst. Nach den letzten zwei Jahren ist das für Zepp jedoch kein Argument mehr: "Wir haben in dieser Pandemie Milliarden von Euro zum Teil verbrannt. Für mich wäre es nicht mehr akzeptabel, wenn wir ein Impfprogramm gegen MenB nicht umsetzen, das am Ende mehr Todesfälle verhindert als das Impfprogramm in der pädiatrischen Altersgruppe gegen COVID-19", sagte Zepp. "Das wäre eine Schande für dieses Land, denn das Geld ist da", fügte er hinzu.
Impferfolge in anderen Ländern
In Großbritannien wurde schon im Jahr 2015 ein flächendeckendes Impfprogramm mit einem 2+1-Impfschema für alle Kinder im ersten Lebensjahr auf den Weg gebracht. Hintergrund für diese Entscheidung war unter anderem die deutlich höhere Inzidenz an invasiven Meningokokken-Infektionen im Vereinigten Königreich. Forschende konnten in der geimpften Population eine Reduktion der Inzidenz invasiver MenB-Infektionen um 75 % feststellen, verglichen mit historischen Inzidenzraten.
In einer australischen Studie wurde die Wirksamkeit der Vakzine bei Adoleszenten im Alter zwischen 15 und 19 Jahren belegt. Innerhalb von zwei Jahren waren dort nur noch fünf (2017/2018) beziehungsweise ein einziger MenB-Fall (2018/2019) aufgetreten. Im Oktober 2016 folgten Irland und im Januar 2017 Italien mit der Einführung eines allgemeinen Impfprogramms gegen MenB.
Die STIKO hat für Deutschland, ebenso wie andere EU-Länder wie Frankreich und Spanien, bisher nur eine Indikationsimpfempfehlung für Risikogruppen (u. a. Splenektomie, Immundefekte, Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes mellitus) ausgesprochen. "Wenn wir ein Impfprogramm wollen, müssen wir im ersten Lebenshalbjahr beginnen. Denn da sind 50 % aller Fälle verortet", erklärte Zepp. Zusätzlich wäre im Alter von zehn bis zwölf Jahren eine Boosterimpfung nötig.
"MenC ist weggeimpft"
Die Aufnahme von MenC-Konjugatimpfstoffen in allgemeine Impfprogramme für Säuglinge und/oder Kleinkinder hat die Inzidenz von invasiven Infektionskrankheiten durch MenC deutlich reduziert - inzwischen machen sie nur noch 10 % aller Meningokokken-Fälle aus. "MenC wurden schon ein Stück weit weggeimpft", sagte Zepp. Durch das "Replacement-Phänomen" wird diese Lücke nun von MenA und MenY gefüllt. Da auch Kombinationsimpfstoffe gegen MenACWY als Konjugatimpfstoffe verfügbar sind, sollte geprüft werden, ob die etablierten MenC-Impfprogramme durch MenACWY-Impfstoffe erweitert werden sollen.
Zepp würde ein MenACWY-Impfprogramm, ergänzt durch MenB, auf den Weg bringen. Ein früher Schutz durch Säuglingsimmunisierung mit Nachholimpfung bei kleinen Kindern und die routinemäßige Impfung von Jugendlichen könnten eine nahezu vollständige Kontrolle der MenB-Erkrankungen ermöglichen. Wann die Impfung in ein Impfprogramm aufgenommen wird, ist trotz der überzeugenden Argumente noch nicht bekannt.
Pädiatrie-Update, 6./7. Mai 2022, Köln